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(c) Pester Lloyd / 06 - 2017    GESELLSCHAFT      08.02.2017

Kampf um das Momentum: Staatsgewalt sabotiert Anti-Olympia-Bewegung in Ungarn

Die Anti-Olympia-Bewegung Momentum / NOlimpia sieht sich kurz vor Ende der Frist zur Sammlung von 138.000 Unterschriften für die Beantragung eines Referendums über die Ablehnung der Austragung von Olympia 2024 in Budapest, mit einer Reihe Problemen konfrontiert, die das Projekt scheitern lassen könnten. Bei NOlimpia geht es um viel mehr als um das Aufhalten eines gigantomanen Großprojektes, es geht um die Wiedergeburt einer Zivilgesellschaft.

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Hatten sich die
Organisatoren von Momentum zunächst zuversichtlich gezeigt, die erforderliche Anzahl Unterstützer in Windeseile zusammen zu bringen, stockt die Sammlung der Unterschriften seit einigen Tagen. Zum Einen verfügt die Bewegung offenbar über zu wenig Freiwillige, um, neben den zermürbenden Unterschriftenständen auf eiskalten Straßen, Plätzen und in Unterführungen, auch Tür-zu-Tür-Sammlungen starten zu können, auch fehlt es dazu an entsprechend zielgruppengerecht ausgerichteten Adresslisten. Über diese dürften zwar die beiden großen Linksparteien MSZP und DK verfügen, doch will Momentum wegen eigener politischer Ambitionen bei den Wahlen 2018 nicht direkt mit diesen kooperieren. Außerdem sind solche Listen eigentlich illegal, obwohl es ein offenes Geheimnis ist, dass sie von allen Parteien geführt werden.

Zum Anderen wurden etliche Unterschriftenstände zerstört, blockiert oder von regierungsnahen Aktivisten mit ungültigen Unterschriften geflutet. Am Wochenende mischte sich die Staatsgewalt direkt ein, an einem Stand in der U-Bahn-Unterführung Pesterzsébet-Kispest blockierten mehrere Uniformierte stundenlang den Stand der Momentum unterstützenden Kleinpartei Együtt und verhinderte so den freien Zugang. Damit verweigert die Exekutive den Bürgern, ihren verfassungsmäßig garantierten Rechten nachzugehen. Die Organisatoren protestierten, die Polizei will von einer gezielten Blockade nichts wissen und spricht von einer normalen Streife an einem belebten Ort, die nichts mit der Unterschriftenaktion zu tun gehabt haben soll. Die Fotos und Zeugen sprechen freilich eine eindeutige Sprache. U.a. werden auch Polizisten bzw. andere Gestalten in zivil erwähnt, die Anweisungen erteilt haben sollen.

Vor einigen Tagen stand man, laut Organisatoren, bei ca. 100.000 Unterschriften, wobei man allerdings nicht wisse, wie viele von der staatlichen Wahlkommission als gültig erachtet werden. Die Frist läuft in einer knappen Woche ab. Selbst wenn die 138.000 gültigen Unterschriften geschafft und von der mit Fidesz-Kadern besetzten Wahlkommission als gültig anerkannt werden, ist es bis zu einer gültigen, erfolgreichen Volksabstimmung ein langer, fast unpassierbarer Weg. Zunächst muss die Wahlkommission die gestellte Frage zulassen. Vorherige Initiativen scheiterten daran, denn die Kommission behauptete, dass die Verfassung Referenden über "internationale Verträge" untersage. Gerichte schlossen sich dieser Sichtweise an, obwohl die Verfassung auf bereits geschlossene Verträge abstellt, nicht auf geplante Projekte. Orbán meinte kryptisch, man werde "das Projekt in einer dem Volk genehmen Weise präsentieren".

Sollte das Referendum abgehalten werden, müsste ein Quorum von 50% aller Wahlberechtigten erreicht werden (Fidesz hatte diese Schwelle von zuvor 25% verdoppelt), von denen wiederum 50%+1Stimme für die Vorlage von Momentum zu stimmen hätten. Selbst die Regierungspartei
scheiterte kürzlich deutlich an diesem Quorum, trotz ihres riesigen Apparates, dem illegalen Rückgriff auf öffentliche, nicht-parteiliche Strukturen und einer mutlimillionenschweren Werbekampagne zum Thema Flüchtlingspolitik, bei dem eigentlich 75% der Bevölkerung mit der Regierungsposition übereinstimmten.

 

Dennoch wäre die Abhaltung eines Referndums ein wichtiges Signal der Zivilgesellschaft, - nämlich, dass sie überhaupt noch in der Lage ist eine sichtbare Opposition zu einem Sachthema zu mobilisieren. Bei Olympia 2024 geht es schließlich nicht um ein Ja oder Nein zu einer Sportveranstaltung, sondern um einen Protest gegen Gigantismus, falsche Prioritäten in der Politik, strukturelle Korruption und Amtsmissbrauch im Allgemeinen. Für Orbáns Günstlinge handelt es sich um ein Beschaffungsprogramm im Milliardenmaßstab, für den Regierungschef selbst um ein Prestigeprojet, die Krönung seiner Karriere und internationalen Anerkennung. Kann man dies aufhalten, hätte man ein  "Momentum" geschaffen, das mehr Energie in sich trägt als nur das Aufhalten des Events. Daraus begründet sich auch der Widerstand der von der Regierungspartei missbrauchten Staatsgewalt.

red.


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