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(c) Pester Lloyd / 07 - 2017    WIRTSCHAFT      18.02.2017

Der Fleischbällchenskandal: Ungarn will ausländischen "Marken-Dreck" verbannen und boykottieren

Das Zentralorgan der Orbán-Regierung, die Zeitung "Magyar Idők", zitierte in ihrer Donnerstag-Ausgabe einen Bericht der Nationalen Lebensmittelaufsichtsbehörde NÉBIH, in dem man "erhebliche Qualitätsunterschiede" in Markenprodukten gefunden hat, je nachdem, ob sie in Österreich oder Ungarn verkauft werden. Der Vorwurf: Die Multis bringen Dreck nach Ungarn. Die Regierung geht nun in einer großen Kampagne dagegen vor.

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Premier Orbán, ein Fan des reinrassigen ungarischen Gulaschs...

Aufgrund NÉBIH-Berichtes wird Orbáns Kabinettschef Lázár eine regierungsseitige Untersuchung einleiten, auf deren Grundlage dann "entsprechende Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der Lebensmittel für das ungarische Volk" ergriffen werden sollen. Orbán hatte den Kampf gegen "den Dreck aus dem Westen" als Teil seines Regierungsprogramms bereits 2010 angekündigt, was bisher folgte, war indes reine Sondersteuerabschöpfung zur Schuldenfinanzierung bzw. offener und verdeckter Protektionismus der stark in der Lebensmittelbranche vertretenen Fidesz-Oligarchen.

 

Lázár hatte 2016 gesagt, dass man diese "Multis am besten aus dem Land werfen sollte", Ungarn brauche diese Handelsketten nicht, damit sie "den ganzen europäischen Müll ins Land holen", den man anderswo nicht los werde. NÉBIH hat sich daraufhin, natürlich völlig unabhängig und unvoreingenommen 24 Produkte genauer besehen.

Das hoch wissenschaftliche Ergebnis: Der Milchreis von "Landliebe" sei in Österreich "cremiger", die Marzipan-Schokolade-Riegel von Ritter Sport seien "zarter" und die Nutella schmecke im Westen "schokoladiger" als in Ungarn. Die Fertigschokolade-Pulver von Nesquik, aber auch die Coca-Cola schmecke in Wien "besser" als in Budapest und die Knorr Nudelsuppe aus der Tüte enthalte doppelt so viele Fleischbällchen (oder was immer das sein soll) als in Ungarn.

Für Lázár stellt das einen "Skandal" dar, den die Regierung mit "Priorität" behandeln solle. Außerdem sollten diese Tests noch deutlich vertieft und ausgeweitet werden. Der ungarische Markenverband FMCG weist den NÉBIH-Bericht als rein subjetiv zurück. Es handele sich um Eindrücke, die u.a. wegen unterschiedlicher Lagerung oder den Verfallsdaten entstehen könnten.

Die Hersteller behielten sich außerdem aus Marketing-Überleungen das Recht vor, lokale Traditionen und Geschmäcker beim "Design" und der Verpackung, aber auch bei der Aromatisierung der Produkte zu berücksichtigen, man halte man sich jedoch an "alle gesetzlichen Vorschriften und an eigene ethische Verpflichtungen". Der NÈBIH-Bericht belege keinerlei abweichende Rezepturen oder Zutaten, zumal die meisten Produkte für alle Länder in den gleichen Fabriken, mit gleichen Verfahren hergestellt werden. Es handele sich also um "abweichende, subjektive Geschmackserlebnisse der Tester".

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Nur angeekelt würgt das personifizierte magyarische Reinheitsgebot die US-Brause herunter - zum Nutzen ungarischer Arbeitsplätze ist ihm kein Opfer zu groß.

Coca-Cola ergänzte in einer Aussendung, dass "natürliche Schwankungen" im Geschmack vorkommen könnten, u.a. deshalb, weil man hier auch ungarische Zutaten für den Sirup verwende, wobei es zu "leichten Abweichungen" innerhalb des Geschmacksspektrums kommen könne. Übersetzt: also wenn es nach Dreck schmeckt, dann ist es euer eigener...

Lázár lässt das alles nicht gelten, die Slowakei habe ja ähnliche Beschwerden vorgebracht, man werde die Sache daher vor die EU-Kommission bringen. Eine nette Vorstellung, dass sich 27 EU-Kommissare tagelang mit Coca-Cola und Nutella vollstopfen, um Ungarn die Reinheit der Lebensmittel zu bestätigen.

 

Dass die Produkte der genannten Lebensmittelkonzerne tatsächlich eine Schande für die menschliche Zivilisation darstellen, dürfte unbestritten sein und wird nicht besser, wenn man bedenkt, dass diese Produkte nur existieren, weil die Kunden sie kaufen. Die ungarische Regierung hat aber - wie bei allen vorherigen Attacken gegen die Handels-"Multis" - nicht die Steigerung der Lebensqualität der Bevölkerung oder die Förderung nachhaltigen, lokalen Produzierens im Sinn, sondern schlicht die Protektion der Fidesz-finanzierenden heimischen Lieferkette, von Herstellern (siehe Bonafarm) bis zum Vertrieb (siehe CBA).

Auch der niederländische Brauriese Heineken bekam kürzlich den nationalen Furor der Orbán-Regierung zu spüren. Als Heineken den gerichtlichen Markenstreit in Rumänien zu Ungunsten eines hungaro-rumänischen Herstellers gewann (Csiki vs. Ciuc), rief Lázár zu einem Boykott dieses "unungarischen Bierbrauers" auf, der "die Existenz unserer Landsleute in Rumänien aufs Spiel setzt".

red.


46pllogo (Andere)
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