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(c) Pester Lloyd / 08 - 2017    GESELLSCHAFT      21.02.2017

Völkische Heilslehre, statt christlicher Nächstenliebe: Wie sich die katholische Kirche in Ungarn an Flüchtlingen versündigt

Die katholische Kirche Ungarns hat sich während der Flüchtlingswelle 2015/16 - milde gesagt - nicht gerade mit nächstenliebendem Ruhm bekleckert, eher schon mit Systemtreue und Sünde befleckt. Der orbántreue Tenor des Klerus: Flüchtlinge seien eine Gefahr für das christliche Europa, sie gehörten nicht hierher. Jetzt schert ein Bischof aus dem Chor aus und fordert - halbherzig und verzagt - ein, was für alle Christen so selbstverständlich sein sollte wie für es für jeden Humanisten ist.

Aus Matthäus 25,40-46: "Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. (...) Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben..."

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Bischof Beer (links) an der Seite von Kardinal Erdö,
der sogar einmal
als “papabile” galt. Folgt man der reinen Lehre, ist er jetzt
eher ein Anwärter für ewige Höllenqualen.

Während die Lutheraner in verinnerlichter Askese schwiegen, aber zum Teil ruhmlos halfen, die Kalvinisten / Reformierten, in ihrem machtnahen Eifer und "gesegnet" mit einer starken, völkisch-rechtsradikalen Fraktion, ohnehin streng auf Regierungslinie sind, gibt es in der Führungsetage der katholischen Kirche Ungarns mittlerweile einen Flügelkampf im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik und einer Positionierung zur menschenverachtenden Orbánschen Abwehrpolitik. Nicht alle beten nach, was Kardinal Erdö vorpaukt.

Katholiken halfen "inkognito"...

 

Die katholische Nomenklatura Ungarns kann man im wesentlichen in zwei Gruppen aufteilen, kurz gesagt in: Zyniker und Naive. Auf der einen Seite: der politische Katholizismus, der aus dem Primas, den Landesfürsten von Esztergom, Szeged, Pécs und Pannonhalma, den Wirtschaftsbetrieben sowie ihrem politischen Arm, dem Fidesz-Anhängsel KDNP, die man getrost als Katholiban bezeichnen kann, besteht. Auf der anderen Seite: Der pastorale Flügel, jene Bischöfe, Pfarrer, Laienorganisationen, die in der Sozialarbeit tätig sind und sich mehr auf die reine Lehre, den Glauben und die daraus zu ziehenden Lehren für das eigene Handeln beziehen.

Als 2015 Hunderttausende Flüchtlinge auf der Balkanroute über Ungarn gen Westen schwemmten, untersagte die katholische Kirche ihren professionellen wie laienseitigen Hilfsorganisationen die offene Gewährung von Hilfe. Selbst das Rote Kreuz war nicht am Budapester Ostbahnhof zu sehen, als dort hunderte Familien mit Kleinkindern vor sich hin vegtieren mussten und im Nichts hingen. Als die Bilder international die Runde machten und Kanzlerin Merkel sich erbarmte, stellten viele die Frage, wo denn die Postulierer der christlichen Nächstenliebe gewesen seien als die Not am größten war?

Der Primas bleibt auf Orbán-Kurs

Kardinal Erdö, der Primas der katholischen Kirche Ungarns, machte sich und seine Firma in dieser Zeit lächerlich. Die katholische Kirche in Ungarn hatte gar nicht helfen können, weil das "ungesetzlich wäre", zumal ab 15. September 2015 die "Unterbringung und Versorgung illegaler Einwanderer" in Ungarn als Straftat definiert wurde. "Katholiken" hätten aber "inkognito auch am Ostbahnhof" geholfen, sagte er, was den Spott der Medien und der Zivilgesellschaft nach sich zog. Ja, was denn nun, Euer Merkwürden, fragte man sich: Sind Katholiken ihrem Gewissen nachgekommen, um zu helfen, taten das aber anonym, damit sie die Systemnähe des Kardinals nicht in Frage stellen? Hat Jesus damals nach den Gesetzen des Römischen Reiches gehandelt? Und wenn nicht, warum wohl? Bigotterie, Dein Name ist Kirche!

Bischof von Szeged: Der Papst hat keine Ahnung!

Der Bischof von Szeged, zweithöchster Vertreter der katholischen Kirche in Ungarn, László Kiss-Rigó, stieß sogar offen fremdenfeindliche Äußerungen aus. Zunächst widersprach er seinem Vorgesetzten, dem Papst. Dieser hätte "keine Ahnung, wovon er spreche, während hier "Allah ist groß"-schreiende Horden ankämen, die "uns überrennen und erobern wollen". Kurz darauf ergänzte er, dass man zwar "Solidarität" mit Flüchtlingen üben solle, warnte aber gleichzeitig "vor den Gefahren einer kulturellen Invasion", zumal es sich sich "bei der derzeitigen Lage nicht wirklich um eine Flüchtlingskrise handelt", sondern um "Masseneinwanderung, organisiert von kriminellen Gruppen". Das ist 1:1 Regierungssprech. Entsprechende Bibelstellen gibt es keine, aber mit der "Heiligen Schrift" geht der Katholizismus ja von Beginn an sehr situationselastisch um.

Das Rätsel der 1.000 Kopten

Die Diözese von Szeged bot schon im Vorjahr "1.000 christlichen Familien" aus Syrien Asyl in Ungarn an, in Absprache mit dem Kalvinisten-Pfarrer und Superminister Balog, der damit regierungsamtlich gegen das Diskriminierungsverbot der EU verstieß. Dumm nur: Bis heute konnte man diese christlichen Familien aus Syrien in Ungarn nicht ausfindig machen. Dann sagte man, es seien Kopten aus Ägypten gewesen, die man geholt habe, um sie vor dem islamistischen Mob in Kairo zu retten. Doch auch die sind nirgendwo zu finden,
nicht einmal der koptische Primas in Ungarn weiß davon.

Flüchtlinge = aggressive kulturelle Invasion

Rassistisch sei er, der Bischof von Szeged, freilich nicht, legte er verteidigend nach, sonst betriebe man wohl kaum ein "Roma-Gymnasium" und biete Stipendien für Inder und andere Nationalitäten an. Aber Kiss-Rigó legte nochmals nach. In einem Interview äußerte er, dass "die beschleunigte, aggressive kulturelle Invasion" die "soziale Identität mancher europäischer Länder verändern oder zerstören" könne. Man sei sich bei der ungarischen Kurie einig, dass jene "europäischen Politiker, die christliche Wurzeln negierten oder zurückwiesen und Säkularität predigten, eine Diktatur ohne Werte erbauten." Dagegen helfe nur eine "Selbstbehauptungsstrategie, die auf Christlichkeit" beruhe. Diese "Strategie wird von unserem Ministerpräsidenten repräsentiert." - Und diese Strategie funktioniert nur, wenn man "Fremdartiges" außer Landes lasse. Da konnte Jesus predigen bis er schwarz wurde...

Orbán lobte diese Haltung und befindet die katholische Kirche seines Landes als "weise".

Bischof von Szeged fordert Umdenken, aber nicht für alle Flüchtlinge!

Einen Wermuts-Tropfen in das Weihwasserbecken der Selbstkanonisierung der ungarischen Katholiken hat jetzt de Bischof von Vác, Miklós Beer, pippetiert. Ungarn brauche, so sagte er dem katholischen Nachrichtenportal "Magyar Kurir", "einen Sichtwechsel im Umgang mit Flüchtlingen: Menschen, die in Ungarn Asyl bekommen hätten, seien weiterhin in einer Notsituation." Mehr noch: Alle Pfarrgemeinden und alle Menschen guten Willens sollten „einem Migranten beistehen". Trotz ihres Bleiberechts seien die Flüchtlinge in Ungarn zum großen Teil „völlig verunsichert" und hätten niemand, der sich um sie kümmere, erklärte der Bischof. „Die meisten haben weder Arbeit noch Unterkunft. Sie sind gezwungen, in Obdachlosenheimen zu übernachten." Das Evangelium verpflichte Christen zu Hilfeleistungen für Menschen in Not, betonte der Bischof. Wer bloß sage, Flüchtlinge sollten lieber zu Hause bleiben statt nach Europa zu kommen, mache es sich zu einfach. „Lernt man einen Flüchtling persönlich kennen, beurteilt man seine Lage ganz anders", so Beers Einschätzung.

 

Kruzifix noch einmal. Das hat aber gesessen: Diese Anmerkungen kommen natürlich zu spät und greifen nur scheinbar das Problem an. Denn in Ungarn anerkannte Flüchtlinge kann man quasi an einer Hand abzählen. Selbst die 75, die in diesem Jahr bisher als "Schutzberechtigte" einen Aufenthaltsstatus erhielten, sind in der Mehrheit vor den Zuständen in Ungarn weitergezogen. Wenn Bischof Beer wirklich jenen helfen lassen will, die in einer "Notsituation" sind, dann sollte er sich um jene kümmern, die Ungarn nun internieren lässt, die man mit "Grenzjägern" und Hundestaffeln, Knüppeln und Handschellen durch die Puszta zurück nach Serbien jagt, denen man wie Menschen dritter Klasse Schnellprozesse angedeihen lässt. Doch offenbar braucht die katholische Ungarns erst eine staatliche Genehmigung bevor sie mildtätig wird.

Ihnen, diesen "Illegalen", jedenfalls hätte, glaubt man seinen angeblich durch die Bibel überlieferten Taten, Jesus, der Flüchtling, zu allererst die Hand gereicht, ungeachtet dessen, was eine Staatsmacht davon hält oder was die Konsequenzen wären. Weiter weg von Jesus als die katholische Ungarns von der Bibel und vom Worte Jesu kann man also kaum noch sein. Die Hare Krishna in Ungarn
handeln christlicher als die Katholiken. Aber wenn schon der unfehlbare Papst keine Ahnung hat, ist es wohl nicht weit, bis ungarische Bischöfe auch das Wort Gottes in Zweifel ziehen, wenn es ihrem Status als unverzichtbaren Machtfaktor in einem Ständestaat mit klerikalen Attributen nützt.

red.


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