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(c) Pester Lloyd / 08 - 2017    POLITIK      24.02.2017

Lázárs Lamentos: Alternative Realitäten und Fake News als Regierungsagenda in Ungarn

Olympia in Ungarn ist abgesagt, Orbán lässt sein Olympiastadion dennoch bauen - zum doppelten Preis. Ein Bußgeld für zivilen Ungehorsam, ein Schmerzensgeld für darbende Fidesz-Oligarchen. Dagegen nimmt sich das Budget für einen zweiten Grenzzaun und die Internierungslager regelrecht niedlich aus. Nicht nur gegen illegale Eindringlinge, auch gegen eindringenden "westlichen Drecksfraß" (Orbán 2010) will man verstärkt vorgehen, bis die Nutella wieder schmeckt wie früher. Aldi und Lidl können sich schon einmal frisch machen.

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Regierungssprecher Kovács und Kabinetsschef Lázár, eine Mischung zwischen The Pinky and the Brain und Mr. Bean, erscheinen wöchentlich zur Regierungspresse-Show.... Foto: kormany.hu

 

Bei der turnusmäßigen Regierungspressekonferenz, der "Regierungsinformation 79", mühte sich das Schönredner-Duo Lázár / Kovács am Donnerstag, die Schmach der Niederlage bei Olympia möglichst klein zu reden und einen Schlussstrich unter das unangenehme Thema zu ziehen. "Wir sehen den Fall als abgeschlossen an." so Orbáns Kabinettschef. Es mangele an "nationaler Einheit", ohne die "kein einziges Land der Welt" solche Spiele organisieren könnte.

In Ungarn sei zu bedauern, dass "es wegen der Linken nie eine nationale Einheit geben" werde. Ungarn würde sich mit der Fortführung der Bewerbung "nur blamieren", er gestand sogar ein, dass jene, die gegen Olympia seien "bei einem Referendum womöglich die Mehrheit stellen". So sei man dem Ansinnen der Unterschriftensammler entgegen- und einem langwierigen Verfahren zuvorgekommen. Dies bedeute jedoch auch, dass "Ungarn auf unabsehbare Zeit keine Olympischen Spiele ausrichten wird", denn die Protestbewegung habe den Ruf des Landes nachhaltig geschädigt.

Olympiastadion ohne Olympia, zum doppelten Preis

Man werde nun einen Bericht der zuständigen Staatssekretäre und des Organisationskomitees erstellen lassen, der alle für die Bewerbung aufgewandten Kosten - Schätzung belaufen sich auf 35 Millionen Euro - auflistet und auch alle Sportprojekte der nächsten Jahre unter den neuen Prämissen bewertet. Neben den Geldern für die diesjährige
FINA Schwimm WM (direkte 48 Mrd. Forint), die, selbstredend, nicht eingeschränkt werden, wird jedoch auch das zunächst auf 100 Milliarden Forint angesetzte Projekt der "Modernisierung" des Puskás-Stadions, das eigentlich das Olympiastadion hätte werden sollen, fortgeführt.

Obendrauf: die Kosten werden jetzt mit 190 Milliarden Forint (570 Mio. EUR) veranschlagt, wohlgemerkt nicht für einen Neubau, sondern die Auf- und Umrüstung des bestehenden Stadions. Die "öffentliche Ausschreibung ist abgeschlossen, das Ergebnis werden Sie in wenigen Tagen erfahren", so Lázár zur Presse. Es waren genau solche Projekte, gegen die die Anti-Olympia-Bewegung so erfolgreich mobilisierte. Die Regierung sagt nun zwar die Veranstaltung ab, nicht aber die Verschiebung öffentlicher Gelder in die Taschen von Günstlingsfirmen. Alternative Realität? Oder eine Art Strafsteuer für zivilen Ungehorsam, Schmerzensgeld für die Fidesz-Oligarchen.

Sofortabschiebung oder Internierung - beides rechtswidrig

Die
neuen Gesetze zum Grenzregime sind noch nicht verabschiedet, doch im Vertrauen auf die Regierungsmehrheit im Parlament, machte Lázár bereits Nägel mit Köpfen. Weitere 38 Milliarden Forint werden auf das bereits milliardenschwere und binnen 6 Monaten drei mal erhöhte Budget des Innenministeriums für den zweiten Zaun zu Serbien aufgeschlagen. Dazu gehören auch die Internierungslager, offiziell "Anhaltepunkte zur Registrierung potentieller Asylanträge mit freiem Rückkehrrecht nach Serbien". Zunächst werden Kapazitäten für 400, dann für 600 Menschen geschaffen, alle anderen Lager werden aufgelöst. "Niemand, der illegal nach Ungarn kommt, wird sich frei im Land bewegen können." Also: entweder gewaltsame Sofortabschiebung oder Internierung - beides rechtswidrig.

EU zieht gegen Ungarn wegen Preisdiktaten vor Gericht

Die von "unserem Premier identifizierten fünf Bedrohungsquellen, denen Ungarn in diesem Jahr ausgesetzt sein wird", werden in einer "
Nationalen Konsultation im März dem Volk zur Beratung vorgelegt". Details dazu hier. Es sei schon absehbar, dass die EU wegen der staatlichen Energiepreisregulierung vor Gericht ziehen werde (Das Prüfverfahren läuft seit vier Jahren, hier die Details). Man werde aber nicht zulassen, dass die Preise für Gas, Strom und Wasser um 30-40% steigen, so Lázár. Fachleute schätzen ein, dass die Preise heute um 20% niedriger lägen, wenn das staatlich protektionierte Preiskartell die Entwicklungen auf den Weltmärkten der letzten zwei Jahre an die Verbraucher auch nur teilweise weitergegeben hätte. Fakt ist jedenfalls, dass das ungarische Preisniveau, kaufkraftrelativ, deutlich über jenem z.B. in Polen oder der Slowakei liegt, die "Energiepreissenkung" ist also eine Lüge.

Früher war mehr Nutella: "Verbraucherschutz" gegen ungeliebte Konkurrenz

Lázár kaprizierte sich in seinem Vortrag ein weiteres Mal auf den
"Lebensmittelskandal", wonach "ausländische Handelsketten", er nannte namentlich Aldi, Lidl, Metro und Spar, den Ungarn "schlechtere Qualität" als den Kunden im Westen verkauften. In diesem Zusammenhang kritisierte er die angebliche Haltung Brüssels, wonach die EU "sich mit den Konzernen darüber einig sei, dass man den ärmeren Ungarn durchaus schlechtere Qualität verkaufen" könne. Diesen Standpunkt der EU gibt es nicht, es sind also Fake News.

 

Lázár lamentierte, dass die Coca-Cola in Ungarn weniger süß sei als die in Österreich, im Nesquik-Kako-Pulver weniger Kakao enthalten sei, in Rio Mare Dosen sei 2% weniger Tunfisch und auch "Nutella schmeckt nicht genauso gut wie in Österreich". Daher werden das Landwirtschaftsministerium, die Lebensmittelaufsicht und andere Regierungsbehörden "weitere Inspektionen" durchführen. Auf Grundlage der Berichte werde die Regierung "Schritte zum Verbraucherschutz" einleiten. Soll heißen, die genannten Handelsketten dürfen sich bereits auf Strafgelder und Sondersteuern einstellen, wenn sie überhaupt im Land weiter geduldet werden. Vor allem für Aldi und Lidl gilt dies als Drohung, die massiv in Ungarn expandieren und mit ihrem Geschäftsmodellen den lokalen und Fidesz-treuen Platzhirschen von CBA den Rang ablaufen.

red.


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