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(c) Pester Lloyd / 10 - 2017    POLITIK      06.03.2017

Grandioses Timing: Ungarns Kniefall vor Erdogan, ein Statement gegen die EU

Die türkische Regierung lässt zu Zehntausenden Journalisten, Abgeordnete, Oppositionelle, Richter, Anwälte, Lehrer verhaften oder suspendieren, erpresst Europa mit Hunderttausenden Flüchtlingen und schickt sich gerade an, mit einem gigantischen Propagandatheater ein Referendum zur Installation eines Ermächtigungsgesetzes für den Präsidenten abzuhalten. Für Orbán genau der richtige Moment, die Freundschaft mit der Türkei auf ein neues Niveau zu heben.

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Die EU ringt um Fassung, niemand, nicht einmal Deutschland wagt sich so recht, das heiße Eisen anzufassen, die Erpressung mit Millionen in der Türkei auf einen Marsch nach Westen wartenden Flüchtlingen, wirkt. Deutschland lässt sich von türkischen Ministern und Erdogan persönlich den Vorwurf von Nazi-Methoden bieten, weil man - unter komplizierten rechtsstaatlichen Verrenkungen - Regierungsvertretern Wahlkampfauftritte in Deutschland untersagt. Die Nazikeule ist sozusagen das Seziermesser des grobschlächtigen Tyrannen vom Bosporus. Besieht man sich einmal das Ermächtigungsgesetz, das Erdogan gerade installieren lässt, nunja...

Ein EU-Beitritt der Türkei auf Abwegen ist schon lange kein Thema mehr, selbst das NATO-Bündnis steht zur Disposition, die Europäer versuchen durch Leisetreten nur Schlimmeres zu verhindern. Was macht Orbáns Ungarn? Man schmiegt sich an das autoritäre System an, mit der EU hat man es ja - bis auf die Milliarden - selbst nicht so, in letzter Zeit. Nach dem
neuerlichen Kotau vor Putins Reich, nun der Kniefall beim Oberosmanen:

Man werde für türkische Geschäftsleute und "Wirtschaftsplayer" Visaeerleichterungen einführen, im Rahmen eines Neun-Punkte-Programmes, das von einem gemischten, ungarisch-türkischen Wirtschaftskomitee ausgerarbeitet wurde. Das erklärte Außenminister Szijjártó am Freitag in Ankara, nachdem er sich zuvor mit Premier Binali Yildirim und seinem Amtskollegen Mevlüt Çavusoglu besprochen hatte. Wer als "Geschäftsmann" gilt, ist nicht näher definiert, es könnte also jeder sein, der eine Döner-Bude aufmacht oder sich mit dem Kauf von dreieinhalb Staatanleihen zum "Investor" kürt.

Nun sind Handelbeziehungen, auch zu umstrittenen oder offen dikatorischen Regimen durchhaus alltäglich, man denke nur an deutsche Waffen in Saudi-Arabien - aber das Timing der Ungarn ist natürlich grandios. Orbán steht auf dem Standpunkt, dass Stabilität alles sei. Mehr noch, man solle sein Gegenüber, von dem man in der Flüchtlingsfrage doch abhängig sei, nicht mit Menschenrechten reizen, der ungarische Premier, der erst kürzlich behauptete, er habe
den EU-Türkei-Deal eigenhändig gerettet.

Was in der Türkei geschehe, sei allein Sache der Türken und natürlich müsse man, diejenigen Kräfte unterstützen, die für Ruhe und Ordnung sorgen,
erklärte er im November 2016, im gleichen Atemzug mit seinen Lobeshymnen für eine "neue Weltordnung", die mit dem Machtantritt Trumps heraufscheine.

Wie schon mit Russland, China und dem Iran, Aserbaidshan und anderen "Partnern der Ostöffnung", versucht sich Ungarn, durch Ausscheren aus dem Chor der "political correctness" gegenüber diesen Dikaturen in eine gute Position zu bringen, sich als bevorzugter "Hub" in die EU zu empfehlen. Dabei profitiert man davon, dass der jeweilige Geschäftsparnter nicht viel von Transparenz und Kontrolle öffentlicher Mittel hält, was eine gewisse "Umwegrentabilität" für die Kreativen der Branche zulässt.

Mit der Türkei will man den Handel von derzeit jährlich 3 Mrd. auf 5 Mrd. Dollar anheben, dazu hat die staatliche Eximbank, einer der wichtigsten
Finanzierer des Orbánschen Mafiastaates, eine zusätzliche Kreditlinie von 255 Millionen Euro aufgelegt, um Geschäftsparnter (jene, die es verdienen!) zusammen zu bringen.

 

Betätigungsfelder sieht man für den staatlichen Energiekonzern MVM (u.a. Betreiber des AKW Paks, der größten konventionellen Kraftwerke, Leitungsnetze) sowie den teilstaatlichen Mineralölriesen MOL und den Wasserwerken, die ihr Know how bei Modernisierungen in Ankara vergolden wollen. Ungarische Kernkraftingenieure werden zum Wissensaustausch an das, in Kooperation mit Russland, im Bau befindliche Akkuyu AKW am Schwarzen Meer gebracht. Mit staatlichen Subventionen im ein- bis zweistelligen Millionenbereich forciert man Investitionen in Ungarn, u.a. ein Werk für Isolationsmaterialien in Miskolc der Firma Ravaber, in dem 107 Menschen beschäftigt werden sollen. Ein Viertel der Investitionssumme bezahlt Ungarn direkt, hinzu kommen für vier Jahre massive Steuergutschriften.

Außenminister Szijjárto erwartet, just da die Beziehungen der EU zur Türkei auf einem Tiefpunkt sind, ein "hochgradiges Treffen" im April oder Mai, bei dem sich die Regierungschefs beider Länder sowie mehrere Minister treffen wollen und natürlich fügte er nochmals hinzu: "Eine stabile Führung der Türkei ist im Interesse Ungarn und Europas". Es geht Orbán bei einem Treffen mit Erdogan nicht um eine Verbesserung der Beziehungen zwischen EU und Türkei, sondern um ein Statement gegen die Wertegemeinschaft sowie ökonomischen Eigennutz.

red.


46pllogo (Andere)
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