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(c) Pester Lloyd / 11 - 2017    POLITIK      13.03.2017

"Kameradenschwein": Ungarn verrät Allianz mit Polen zum Judaslohn

Um Europa "funktionsfähig zu halten", habe Ungarn für eine erneute Amtszeit von Donald Tusk als EU-Ratspräsidenten gestimmt. Dass Ungarns Premier Orbán aus kalter Berechnung seine "Blutsfreundschaft" mit Polen und seinem rechtsextremen Gesinnungsgenossen Jarosław Kaczyński opferte, mit dem er schon einen neuen Staatenbund plante, zeigt nicht nur, was für ein Charakter "Kamerad" Orbán in der Not ist, sondern auch, wie viel für ihn auf dem Spiel stand.

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Nach dem EU-Ratsgipfel am Freitag in Brüssel, bei dem Tusk nur gegen die Stimme seines Heimatlandes in seinem Amt bestätigt wurde, lavierte Orbán um den heißen Brei herum: "Wir müssen akzeptieren, dass die europäische Politik an Parteigrenzen entlang läuft. Weil sowohl Fidesz wie auch die KDNP Mitglieder der EVP-Fraktion sind, hat Ungarn den germeinsamen EVP-Kandidaten unterstützt."

 

Was machte Orbán so handzahm, ihn, der die EU am liebsten in Stücke schlagen will, sie als neue Sowjetunion verunglimpft und seit Jahren nicht mal mehr auf die leisesten Warnungen seiner Parteifreunde reagierte? Der sich mit Putin und Erdogan offen als Europafeind zeigt, relativ die meisten EU-Vertragsverletzungsverfahren zu laufen hat und jeden gemeinsamen Politikansatz, sei es in Steuer- oder Flüchtlingsfragen, blockiert? Er, der die EU nur noch als Stichwortgeber und Medium für seinen völkisch-nationalistischen Populismus und als Finanzquelle für seinen Mafiastaat benutzt?

Der letzte Aspekt liefert die Erklärung: Orbáns "Ja" zu Tusk, der sonst auf seiner Liste der "Nationenfeinde" durchaus im oberen Drittel aufscheinen dürfte, erst recht, seit er Orbáns Falschspiel im Flüchtlingsdrama
durch einen offenen Brief bloßstellte, Orbáns "Ja" entspringt einem eiskalten Kalkül. Zeigt er sich kooperativ gegenüber seiner Fraktion, zumal bei einer Frage, die ohnehin entschieden war, kann er auch hinfort mit Milde beim Controlling der EU-Gelder rechnen, lässt man ihm seine unmenschlichen Grenz- und Antiasylgesetze sowie auch alle sonstigen demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Akte durchgehen und winkt ihm sogar Paks II, ein offen aus Ausplünderung der eigenen Bürger ausgerichtets Projekt mit russischem Ganoven-Know-How durch.

Dafür zeichnet die EVP ein Bild der Geschlossenheit, Konservativen ist die Form bekanntlich mindestens so wichtig wie der Inhalt. Kaczyńskis PiS hingegen, - nicht in der EVP-Fraktion - darf als Sündenbock all das ausbaden, was man Orbán durchgehen lässt, womit man als EVP glaubt, sein europapolitisch und demokratisches Antlitz zu wahren, ohne die eigenen Parteifreunde bloß zu stellen oder gar in ihrer Macht zu gefährden.

Nicht so amused war freilich Polen. Immerhin hatte Orbán Kaczyński zuvor versprochen, den Gegenkandidaten Jacek Saryusz-Wolski zu wählen. Nun erklärte jedoch Orbán, da dieser vor der Abstimmung die EVP verlassen habe, blieb ihm keine andere Wahl. Dies habe er zuvor auch seiner Amtskollegin Beata Szydło schriftlich so erklärt und daher "konnte niemand überrascht" sein. "Polen konnte diese Schlacht nicht gewinnen und muss die Entscheidung akzeptieren", so Orbán, dem der von ihm behauptete "Volkswille" sonst schon genügt, um weitaus schwerwiegendere Entscheidungen der EU für Null und Nichtig zu erklären.

Natürlich "wird diese Entscheidung nicht die ungarisch-polnische Allianz berühren (Orbán nannte diese bereits einmal eine auf Blutsbruderschaft basierende Schicksalsgemeinschaft), wir werden weiterhin fest an der Seite Polens gegen alle ungerechten Angriffe stehen - darunter auch einige hier durch die Europäische Union." Doch so ganz ohne Affekt bleibt die Sache nicht, mehrere PiS-nahe Gruppen aus Polen habe ihre traditionelle Teilnahme an den Feierlichkeiten des ungarischen Nationalfeiertages am 15. März bereits abgesagt.

Polen und Ungarn, unter Führung Kaczyńskis und Orbáns, hatten viel vor: Nicht weniger als eine "kulturelle Konterrevolution" und eine "Post-Brexit-EU", die nichts weiter sein sollte als eine Freihandelszone sonst völlig eigenständiger Nationalstaaten, natürlich mit "solidarischer" Selbstbedienungsgarantie für die Osteuropäer. Orbán pries sich und seinen polnischen Freund als die "weitsichtigen Politiker" Europas. Mit Kaczyński könne man "Pferde stehlen", sagte Orbán einmal auf einer Konferenz, worauf hin Kaczynski grinsend antwortete, ja, mit Orbán könne man "im großen Stall der EU Pferde stehlen"... Das ist schon eine Leistung, sich - ohne rot zu werden - offen als Pferdedieb (in Ungarn übrigens ein Synonym für Zigeuner) zu erkennen zu geben. Für diesen gemeinsamen Beutezug
nahm Kaczyńskis Regierung sogar Ungarns irrtierende Annäherungen an Erzfeind Russland hin.

 

Die aktuelle polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło, die von Gnaden Kaczyńskis die Regierung führen darf, war am Freitag außer sich. "Starke EU-Länder intrigieren gegen Schwache" und "auf Kosten Polens", sogar mit dem Entzug von Geldern drohten sie, wie jüngst Francois Hollande. Polen werde jedoch keine "Diskriminierungen hinnehmen" und lehne ein "Europa mehrerer Geschwindigkeiten ab" - das ist, natürlich auf tiefstem Anfängerniveau - in ungefähr die Argumentation, derer sich Orbán seit 2010 unbehelligt bedient. Wer sich nicht an die EU-Verträge hält, darf nicht bestraft werden, weil die Großen die Kleinen überfordern würden.

Orbán glaubt, wie immer, seine Karten clever gespielt zu haben, die Aufmerksamkeit gilt nun Polen, in dem ungefähr der gleiche Demokratieabbau stattfindet wie in Ungarn. Dort ändert sich nichts, die EVP hält ihre schützende Hand über ihr schwarzes Schaf. Misst man Orbáns Verhalten an den fragwürdigen Werten konservativer Kameraderie, hat sich der ungarische Premier wie ein jämmerlicher Verräter verhalten. Hier läge ein sehr effektiver Ansatzpunkt für wirksame Hebel seitens der Demokraten Europas, dass sie nämlich ihre Feinde mit ein paar Silberlingen im Handumdrehen auseinander divieren und zur Umkehr bewegen könnten, - wenn sie sich einmal einig wären...

red.


46pllogo (Andere)
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