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(c) Pester Lloyd / 15 - 2017 POLITIK 12.04.2017
Demokraten gegen den Autokraten: Vereint sich Europa gegen Orbáns Ungarn?
Der in- und ausländische Widerstand gegen die jüngsten Aktionen der Regierung Orbán gegen die Zivilgesellschaft, konkret die Lex CEU und das NGO-Gesetz, lässt nicht nach. In Budapest gingen wiederum Zehntausende auf die Straßen, die Opposition vereinte sich, um das Verfassungsgericht anzurufen, USA und EU erhöhen den Druck, ein Rechtsstaatsverfahren steht im Raum, selbst die eigenen Parteifreunde der EVP kehren ihm den Rücken. Orbán wehrt sich mit Gegenvorwürfen, Tarnen und Täuschen. Verzockt er sich?
Am Mittwoch versammelten sich wiederum zehntausende Menschen, diesmal auf dem Budapester Heldenplatz (das Foto wurde mit einer Drohne aufgenommen), und positionierten sich gegen die Repression der Freiheit, auf die Orbáns Gesetze im Grunde abzielen. Die ca. 40.000 Teilnehmer (am Sonntag waren es ca. 60.000) formten ein "menschliches Banner". Massive Polizeikräfte verhinderten das Vordringen der Massen zur nahegelegenen Fidesz-Parteizentrale. Mit einer Art politischem Happening blockierten tausende bis in die Nacht hinein den Verkehr auf Oktogon und Ringstraße, diese "mobilen Blockaden" sollen auch in Zukunft ein Mittel der Wahl sein, um möglichst große Aufmerksamkeit für die Anliegen zu erreichen.
Weitere Demos gab es in Szeged und Miskolc sowie in Budapest eine Kundgebung für die Freilassung von zwei Männer, der wegen eines Farbbeutelwurfes auf das Präsidialamt in Haft sitzen und durch ein Schnellgericht wegen “Landfriedensbruchs” abgeurteilt werden soll.
120 Zivilorganisationen publizierten auf der zweiten Budapester Großdemonstration binnen weniger Tage einen Brief, der sowohl Protest gegen die Eingriffe bzw. Stigmatisierung ihrer Tätigkeit als auch ein Bekenntnis zum Kampf um ein demokratisches, bürgernahes, europäisches Ungarn darstellt.
In dem Schreiben heißt es, dass Orbáns NGO-Gesetz einen klaren, politischen Angriff darstellt, denn all die Organisationen, ob sie nun für Kinderrechte eintreten, Essen für Bedürftige verteilen, Obdachlosen Unterstützung geben, die Umwelt schützen oder amtliche Verstöße gegen Grundrechte verfolgen, seit Jahrzehnten gemäß den ungarischen Gesetzen arbeiteten, darin eingeschlossen, die Transparenz über ihre finanziellen Quellen und die Verwendung der Mittel.
Die durch das neue Gesetz geforderte gesonderte Registrierung von NGO´s, die mehr als 23.000 EUR pro Jahr aus "ausländischen Quellen" erhalten als "Ausländische Organistationen", stelle daher eine unnötige Diskriminierung dar, die außerdem im Lichte der europäischen Kooperation im Rahmen der Gemeinschaft als antieuropäisch einzustufen ist.
Daher stünden die Massen auf dem Heldenplatz und (am Sonntag) vor dem Parlament auf für die Freiheit und weisen den Versuch der Schwächung und Abschaffung der Zivilgesellschaft entgegen. Eine freie Gesellschaft, die sich für ihre Belange selbst organisiert, sei vitaler Bestandteil funktionierender Kommunen und eines gesunden Landes. Diese Freiheit, ebensowenig wie die Freiheit der Bildung sind universelle Rechte, sie sind "unser Recht, das uns niemand nehmen kann."
Es sei nicht hinzunehmen, dass die Regierung "zivilgesellschaftliche Organisationen als ausländische Agenten behandelt", denn es handele sich um Bürger, die "selbstlos für das ungarische Volk arbeiten". Orbán versuche nämlich deshalb diese Gruppen mundtot zu machen, weil sie "die Freiheiten für alle verteidigen, die die Regierung abschaffen" wolle. Aus dem gleichen Grund kämpfe Orbán auch gegen eine freie Presse, weil die Regierung "keine abweichenden Meinungen will". Die Veranstalter machten klar, dass sie in ihrem Protest nicht Kleinbei geben werden und "so lange ausharren, bis Orbán akzeptiert, dass er Grundrechte nicht einschränken kann."
Die Protestbewegung, die in ihrer Dynamik und Größe Regierungs- wie Oppositionslager gleichermaßen überrascht, positioniert sich deutlich pro-europäisch und konterkariert die aktuelle Regierungskampagne "Brüssel stoppen!" als verlogen. Zum Einen, weil Ungarn die EU und somit auch deren Geldmittel benötige, zum anderen weist man darauf hin, dass es die Regierung ist, die durch "den Missbrauch und die Verschwendung von Milliarden, die man aus Brüssel bekommt", diejenige ist, die Transparenz missen lässt.
Auch der ausländische Druck auf Orbán nahm deutlich zu. Das US State Departement ließ durch Sprecher Mark Toner ausrichten, dass man über die Entwicklungen hinsichtlich der universitären Freiheit "sehr besorgt" sei und von Orbán fordert, das Gesetz nicht "anzuwenden", sondern im Falle von offenen Fragen den direkten Dialog mit den Institutionen zu suchen.
Die EU-Kommission erklärte durch ihren Vizepräsidenten Frans Timmermans, dass man die Lex CEU auf Verstößge gegen die Grundrechtsartikel der EU-Verträge prüfen wird. Eine deutliche Warnung, dass man es nicht bei einem normalen Vertragsverletzungsverfahren belassen könnte, denn eine "Grundrechtsprüfung" könnte in der Konsequenz zur Einleitung eines Artikel-7-Verfahrens führen.
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Die Prüfung werde "faktenbezogen, objektiv und so schnell wie möglich" vorgenommen, so Timmermans, der ergänzte, dass man "die ungarische Regierung auch auf die Kampagne `Stoppen wir Brüssel!" ansprechen wird. Orbán müsse klar sein, dass die EU "alle denkbaren Maßnahmen anwenden wird", um die Grundrechte für die Ungarn zu verteidigen und noch in diesem Monat eine "Entscheidung über den nächsten Schritt getroffen werden wird". Außerdem erwarte man, dass Orbán an der Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes Ende April in Brüssel teilnimmt, um dort seine Position darzustellen.
Man schätze, so ergänzte Timmermans, dass die ungarische Regierung immer zu politischem Dialog bereit gewesen sei, was man von der aktuellen polnischen Regierung nicht sagen könne. Im Rahmen der Grundrechtsprüfung werde man sich auch das verschärfte Asylgesetz ansehen sowie Maßnahmen zum Abtreibungsrecht sowie der Umgang mit der Romaminderheit.
In einer ersten Reaktion sprach Außenminister Péter Szijjárto von "erbärmlichen Anschuldigungen" Timmermans, die dadurch motiviert seien, dass Ungarn "effektive Lösungen bei der illegalen Einwanderung gefunden" habe, die der "herrschenden Ideologie der europäischen Elite" widersprächen. Regierungssprecher Kovács ist überzeugt, dass man Ungarn nur deshalb erpressen wolle, um dem Land die "Flüchtlingsquote aufzuzwingen" und die Lex CEU dafür nur einen Vorwand darstelle, um Druck auszuüben.
Derweil schlossen sich die Oppositionsparteien MSZP, LMP und Jobbik zusammen, um das Quorum von 50+ Abgeordneten zu erreichen, das eine Prüfung des Gesetzes durch das Verfassungsgericht möglich macht, eine Prüfung, die Staatspräsident Áder, trotz offensichtlicher Konflikte mit der Verfassung, unterließ als er das Gesetz sehr zügig unterzeichnete. Die Allianz zwischen diesen drei Parteien ist insofern interessant, da die LMP jede Kooperation mit der MSZP normalerweise ablehnt, während die MSZP mit Jobbik stets spinnefeind ist und die neonazistische, sich bürgerlich gebärdende Partei eigentlich selbst "Soros" als Feind des ungarischen Volkes definiert hat. Dass sie hier mittun, hat damit zu tun, dass man Fidesz um jeden Preis schwächen will, seitdem Orbáns Partei das Stillhalteabkommen mit den Rechtsextremen gegen die Linke aufgekündigt hatte.
Orbáns Reaktion auf die massive Protestwelle ist zunächst ähnlich angelegt wie zu Zeiten des Mediengesetzes und anderen Aktionen, die offen gegen Rechtsstaat und Demokratie gerichtet waren. Das Motto: Tarnen und Täuschen. Er lässt negieren, dass die Lex CEU auf die Schließung der Uni oder ihre Vereinnahmung abzielt oder das NGO-Gesetz gegen die Entfaltung der Zivilgesellschaft gerichtet sei. Gegenüber einem US-Abgesandten sagte er, dass er "keinesfalls die CEU schließen werde".
Man wolle damit lediglich "ein paar Sachverhalte klären", so Fidesz-Fraktionsvize Gergely Gulyás gestern. Dann kam wieder das inflationäre "Argument" von Belangen der nationalen Sicherheit. "Viele dieser NGO´s unterstüzen illegale Einwanderung", damit würden sie "die Aufgabe der Regierung unterlaufen, unsere Grenzen zu schützen", wie das ungarische und europäische Gesetze vorschrieben. Außerdem hätten die Ungarn ein Recht zu erfahren, welche der NGO´s von Soros unterstützt werden, "mindestens 15 der Organisationen, die heute demonstrieren, werden massiv von Soros finanziert." Die Mehrheit der Ungarn stünde auf der Seite der Regierung.
Andere EU-Parlamentarier sehen das Vorgehen der Kommission als viel zu zögerlich an. Der liberale Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff, warf der Kommission vor, den "Puszta-Putin" Orban "weiterhin mit Samthandschuhen" anzufassen. Er forderte auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn einzusetzen.
Damit wird deutlich, dass der Schlüssel effektiver Aktionen gegen Orbán bei der EVP liegt, die ihn seit 2010 regelmäßig - selbst bei offenen Verstößen gegen EU-Recht und die Grundlagen-Artikel - in Schutz nahm, durchaus aus ideologischer Überzeugung. Diese Einstellung, die tief im Kalten Krieg wurzelt und an ewig gestrigen Figuren hängt, wird überwunden werden, dann, wenn die EVP merkt, dass sie gegen ihre eigenen Interessen und ihre Wählerschaft handelt, wenn sie einen Antidemokraten und Antieuropäer wie Orbán weiter vor dem Vollzug europäischen Rechts ausnimmt. Erste Anzeichen mit teilweise deutlichen Unmutsäußerungen von Orbáns Partei-Freunden gab es bereits so wie sich selbst im eigenen Lande konservativ bis fidesz-nah beherrschte Institutionen wie die Akademie der Wissenschaften gegen ihren Premier stellen, - eine völlig neue Qualität im sonst gleichgeschalteten System.
Durch die Abspaltung Orbáns in das extremistische Lager Europas, in das er längst gehört, hätten die Konservativen mittlerweile mehr Glaubwürdigkeit zu gewinnen als Anhänger zu verlieren. Orbán könnte sich - vielleicht noch nicht diesmal, aber bald - verzocken, wenn er auf eine fortgesetzte Unterstützung der EVP setzt. Diese wird - ähnlich wie er - vor allem durch Machtkalkül gesteuert, für die Macht, das weiß Orbán wohl am besten, opfert man in diesen Kreisen notfalls auch umstandslos die besten "Freunde".
red.
Liste der 102 Unterzeichner des Protestbriefes:
Alapítványi és Magániskolák Egyesülete Alternatíva Alapítvány Amnesty International Magyarország Artemisszió Alapítvány Átlátszó Autonómia Alapítvány A Város Mindenkié Pécs Az emberség erejével Alapítvány BAGázs Közhasznú Egyesület Bohócok a Láthatáron Börtönrádió Civil Iránytű Alapítvány Civil Kollégium Alapítvány Civil Rádió CívisColorS Cromo Alapítvány DélUtán Alapítvány Dialóg Egyesület Diákszolidaritás Akció Duna Kör Életfa Segítő Szolgálat Egyesület Eleven Emlékmű Eleven Gyál Élménytár Tanoda Emma Egyesület Energiaklub Eötvös Károly Intézet Európai Szabadúszó Művészek Egyesülete European Network Against Racism Fauna Alapítvány Feltétel Nélküli Alapjövedelem Ferencvárosi Közösségi Alapítvány Független Előadó-művészeti Szövetség Greenpeace Magyarország Egyesület Gyerekesély Közhasznú Egyesület Hátrányos Helyzetű Családok Országos Egyesülete Háttér Társaság Humán Platform Igazgyöngy Alapítvány Járókelő „Jogászokkal a Demokratikus Jogállamért” Egyesület Kakucs az Otthonunk Közhasznú Egyesülete K-Monitor Könyvvel Anyanyelvünkért Alapítvány Közmunkás Mozgalom a Jövőért Közösségfejlesztők Egyesülete Krétakör Alapítvány Kunterbunte Welt Lánycsóki Ifjúságért Egyesület Levegő Munkacsoport Magonc Alapítvány Magyar Drogprevenciós és Ártalomcsökkentő Szervezetek Szövetsége Magyar Feltalálók Egyesülete Magyar Helsinki Bizottság Magyar LMBT Szövetség Magyar Női Érdekérvényesítő Szövetség Magyar Szegénységellenes Hálózat Magyar Szolidaritás Mozgalom Magyarországi Európa Társaság Magyarországi Régiókért Egyesület Magyartanárok Egyesülete MASZK Egyesület Mátészalkaleaks Menedék - Migránsokat Segítő Egyesület Mérték Médiaelemző Műhely Migszol MODULE NANE Egyesület Nonprofit Információs és Oktató Központ (NIOK) Alapítvány Nyugdíjasok Országos Képviselete Nyugodt Szív Alapítvány OFF-Biennále Egyesület Oktatói Hálózat Országos Gyermekvédő Liga Osztályfőnökök Országos Szakmai Egyesülete Ökotárs Alapítvány Őrleaks Partners Hungary Alapítvány és Mediációs Központ Patent Pedagógusok Demokratikus Szakszervezete Pécsi Közösségi Alapítvány Polgár Alapítvány az Esélyekért Rászorulókat Támogatók Egyesülete Roma Parlament Szegedi LMBT Közösségért Csoport Szépírók Társasága Szexmunkások Érdekvédelmi Egyesülete Szivárvány Misszió Alapítvány – Budapest Pride Szocsoma Szövetség a Közösségi Részvétel Fejlesztéséért Szubjektív Értékek Alapítvány Tanítanék Mozgalom Társaság a Szabadságjogokért TAVAM Transparency International Magyarország Alapítvány Tranzit Tünet Együttes Uccu Alapítvány Utcajogász Egyesület Utcáról Lakásba Egyesület Védegylet Verzió
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