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(c) Pester Lloyd / 15 - 2017    POLITIK      13.04.2017

Schauprozess in Ungarn: Orbán lässt in öffentlichem Schnellprozess Farbbeutelwerfer wie Terroristen vorführen

Ein Exempel sollte statuiert werden, ein klassischer Schuss ins eigene Knie des Regimes war das Ergebnis. Ein Bild aus Angst und Gefahr für die ungarische Nation sollte in die Wohnzimmer gelangen, eine Mischung aus Putin-Style und Volksgerichtshof. Am Ende stand ein Monat Zwangsarbeit für zwei junge Leute. Doch statt abzuschrecken, machte sich die Orbán-Justiz vor der Weltöffentlichkeit gänzlich zum August und der Widerstandsgeist der europäischen, ungarischen Jugend dürfte sich nun eher noch verstärken.

1715urteilschnellgericht (Andere)


Montagnacht demonstrierten mehrere hundert Menschen spontan vor dem Amtssitz des ungarischen Staatspräsidenten János Áder, dem Sándor-Palais auf dem Burgberg, um gegen dessen
umstandslose Unterzeichnung der Lex CEU zu protestieren. Dabei flog ein Farbbeutel an eine Mauer, was zu mehreren Verhaftungen führte und zu Anklagen wegen "Rowdytum, Landfriedensbruch, Aufruhr gegen die öffentliche Ordnung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung". Am heutigen Donnerstag kamen die zwei Angeklagten Márton Gulyás und Gergő Varga vor einen Schnellrichter.

 

Das Verfahren, das üblicherweise zwar öffentlich, aber ohne Zulassung von Kameras abgehalten wird, wurde - auf Genehmigung des Gerichtspräsidiums - von etlichen Kamerateams begleitet, im Internet folgten Zigtausende dem Spektakel, bei dem die Angeklagten angekettet wie Schwerverbrecher vorgeführt und vom Staatsanwalt mit hochpatriotischen Worten gemaßregelt wurden, sie hätten "Angst und Schrecken verbreiten wollen".

Zwar sind die am Gürtel angebrachten Handschellen mit Ketten in Ungarn vor Gericht üblich, jedoch vor allem bei Gewalttätern, nicht jedoch bei Ordnungsverfahren dieser Kategorie. Außerdem liegt es im Ermessen des Richters, diese abnehmen zu lassen, was der Richter erst zu späterer Stunde tat.

Die Staatsanwaltschaft forderte denn auch eine Haftstrafe ohne Bewährung, aus generalpräventiven Gründen und zur "Abschreckung", wobei man sich Mühe gab, den geradezu gesellschaftsgefährdenden Effekt des Wurfs eines Farbbeutels zu betonen. Leider hatte man nicht mehr in der Hand, denn die Zigtausenden Demonstranten blieben über mehrere Tage sehr friedlich und ließen sich auch von niemandem provozieren.

1715ketten (Andere)


Dennoch, ein Exempel musste statuiert werden und so versuchte man mit fragwürdigen Zeugen, vor allem Polizisten, noch diverse Delikte und erschwerende Umstände zu skandalisieren, was aber aufgrund der Erinnerungslücken der Beamten zu teils erheiternden Widersprüchen führte.

Der Richter tat dennoch seine patriotische Pflicht und verdonnerte die beiden zu 300 bzw. 200 Sozialstunden, also ca. einen Monat Zwangsarbeit, wobei man gnädigerweise je 12 Stunden U-Haft auf die zu erbringende Arbeitszeit anrechnete. Der Forderung nach "vorbeugender, abschreckender" Haft des Staatsanwaltes wollte er indes nicht folgen, doch im Rahmen des ihm Möglich scheinenden, dehnte er seinen Ermessensspielraum bereits aufs äußerte.

Für den Richter war es klar, dass beide Männer die Übeltäter waren, deren Farbfleck an der Präsidentenfassade einen Sachschaden von umgerechnet 70.- EUR verursachte. Die Kamerabilder beweisen dies, ein dritter Beteiligter konnte bis dato noch nicht ausgeforscht werden. Das Urteil lautet auf Störung der Öffentlichen Ordnung und Vandalismus, strafverschärfend kam hinzu, dass es sich bei dem Gebäude um ein "historisches Erbe" handele und die beiden "in Gemeinschaft" handelten. Außerdem hätten Menschen im Gebäude - zumal Präsidialangestellte - beeinträchtigt werden können, auch wäre die Aktion "eine Einschränkung der touristischen Bedeutung des Ortes" gewesen, eine Äußerung, die schallendes Gelächter, aber auch entsetzte Reaktionen des Publikums nach sich zog, worauf der dienstfertige Richter die Räumung des Saales veranlasste.

 

Das Bild von gefährlichen Verbrechern sollte in die Wohnzimmer der Ungarn gelangen, auch wenn das aufgrund der intelligent, friedlich und sympathisch wirkenden zwei Burschen kaum gelang. Da man unter den zusammen 150.000 Demonstranten an den vielen Tagen der Proteste keinen einzigen wirklichen Gewalttäter finden konnte, mussten eben Farbbeutelwerfer her, um die nationale Gefahr, die von Soros´ Agenten für Ungarn ausgeht, sozusagen in den schrillsten Farben auszumalen.

Die Angeklagten reagierten gelassen und clever, Gulyás Martón sagte, er sei sich bewußt, dass gar nicht er vor Gericht stehe, sonder er nur ein Stellvertreter sei für alle die ungarischen Bürger, die für ihre Rechte friedlich auf die Straßen gingen. Offenbar hat Orbán viel Angst vor seinen Bürgern.

Die Vereinigung von Menschenrechts-NGO´s TASZ, die selbst ganz oben auf der
Blacklist der Orbán-Regierung steht, nannte das Urteil "rechtswidrig" und den Prozess eine "absurde Farce". Bereits vor dem Prozess kam es zu Demos, weitere Protestaktionen sind für heute Nacht und die kommenden Tage zu erwarten.

red.


46pllogo (Andere)
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