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(c) Pester Lloyd / 36 - 2017      POLITIK      04.09.2017

Herr Orbán, die Rechnung bitte!

Ungarns Premier fordert von der EU Geld für Eisernen Vorhang. Wir ziehen Bilanz.

"Unsere Gesamtkosten für den Schutz der Außengrenze belaufen sich seit Ausbruch der Flüchtlingskrise auf 800 Millionen Euro." Die Hälfte fordert Premier Orbán in einem Brief an die EU-Kommission "im Namen der europäischen Solidarität" und im Interesse des "ungarischen Steuerzahlers" zurück. Aber auch die EU und der ungarische Steuerzahler haben eine Rechnung offen, mit Orbán und seinem (Hof-)Staat. Und billig wird die nicht.

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"Solidarität muss praktisch demonstriert werden", ergänzte sein Kabinettschef, Minister Lázár vor der Presse am Donnerstag. Schließlich würde "der Grenzzaun und die Ausbildung der Grenzjägerbatallione die gesamte Schengenzone schützen, nicht nur Ungarn". "Unsere Polizisten und Soldaten sind Garanten für die Sicherheit aller europäischen Bürger." "Verschiedene Länder der EU haben bereits Hilfen von der Komission erhalten". Griechenland "schon die Hälfte der zugesagten 1 Milliarde, Italien erhält 656 Millionen Euro und Bulgarien 100 Millionen, zusätzlich zu bereits erhaltenen 160 Millionen." Daher habe "Ungarn jetzt auch einen Antrag gestellt."

Wegen der "anhaltend hohen Terrorgefahr und den nicht endenden Einwanderungsdruck" habe die Regierung zudem soeben den "Einwanderungsnotstand" bis 7. März 2018 verlängert, ergänzte Lázár, was bedeutet, dass eine ganze
Reihe von "Sondergesetzen", darunter etliche, die von der EU und ihren Gerichten angefochten werden, in Kraft bleiben.

Noch deutlicher wurde Regierungssprecher Zoltán Kovács. "Ungarn erwartet Solidarität von Europa, dessen Grenzen wir schützen." Ungarn sei "seit Beginn der Krise das einzige Land gewesen, das auf der Einhaltung geltenden EU-Rechts bestanden" habe, daher müsse die EU "im Namen der Gerechtigkeit ihren Teil der Kosten für den Grenzschutz übernehmen", denn "es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Sicherheit der Europäer vom ungarischen Steuerzahler finanziert wird." Laut Kovács hatte Ungarn Ausgaben von umgerechnet 883 Mio. Euro.

Nicht überraschend hat die Kommission Ungarns Antrag umgehend abgewiesen. Zunächst einmal zahle die EU keine "Grenzzäune" und "Solidarität ist keine Einbahnstraße", wurde der abschlägige Bescheid knapp kommentiert. Ungarn verweigert sich der Teilnahme an einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik der EU, kann daher auch keinen finanziellen Beistand für seine Alleingänge erwarten. Dies seien "unakzeptable Doppelstandards" meint Außenminister Szijjártó. Die Kommission solle "ihren Job machen", anstatt "einzelne Länder wie Polen und Ungarn grundlos anzugreifen".

Hat die EU bei Ungarn eine Rechnung offen? Stellen wir die 883 Millionen Euro, die Ungarn als Kosten angibt auf die Haben-Seite und runden wir generös auf eine Milliarde auf.

Die Soll-Seite weist indes aus:

- Ca. 12 Millionen Euro pro Jahr Betreuungskosten für jene rund 1.300 Flüchtlinge, die Ungarn über die Verteilungsquote aufnehmen müsste, sich aber verweigert.
- Die Kosten (rund 650 Mio. Euro) für die Betreuung von ca. 400.000 Flüchtlingen, die Ungarn vor allem 2015 und 2016 nach Westen duchgewunken hat, entgegen den Schengen- und Dublinregeln. Italien und Griechenland, aber auch Deutschland, Österreich, Nettozahler also, blieben hingegen auf diesen Kosten sitzen.
- Die Kommission rechnet vor, dass 25-33% der an Ungarn gezahlten EU-Subventionen seit 2010 hinterzogen, fehlverwendet oder sonst versickert sind. Dieser "Fehlbetrag" summiert sich auf ca. 3-4 Milliarden Euro, gutmütig berechnet. Dabei sind die verickerten Gelder seit der Wende bis 2010 noch gar nicht mit eingerechnet.
Mehr dazu u.a. in diesem Beitrag.

Da die Regierung den ungarischen Steuerzahler als Gläubiger ins Felde führt, auch der hat eine gewaltige Rechnung mit der Regierung offen.

> Allein die Zwangsverstaatlichung der privaten Rentenversicherungen erbrachte "Reibungsverluste" von 850 Mio. Euro, Gelder die durch die hektische Auflösuung von Fonds und Portfolios, Kommissionen und "Bearbeitungsgebühren"
einfach verschwanden, abgesehen davon, dass noch gar nicht klar ist, wieviel von den beschlagnahmten rund 10 Milliarden Euro privater Beiträge am Ende wirklich wieder ins Rentensystem fließen.

 

Die Regierung Orbán hat seit 2010 Abermilliarden an Steuergeldern zweckentfremdet verwendet, zum Beispiel:
> für den Bau von Fußballstadien und Sportanlagen, die entweder leer stehen oder überdimensioniert sind, von deren
Bau nur Günstlingsfirmen profitierten und die dem Hobby der Fidesz-Fußballpräsidenten, Orbán inklusive, dienen (ca. 1 Mrd. Euro)
> für die Vergabe öffentlicher Aufträge an parteinahe Strukturen von Straßenbau bis in den
PR-Bereich (konservativ geschätzt ein Drittel des jährlichen Volumens an öffentlichen Aufträgen)
> die Einrichtung von Handelsmonopolen (Tabak, Casinos, Online-Glücksspiel) zum Wohle der Günstlingswirtschaft
> 820 Mio. Euro
"investierte" die Nationalbank in die Gründung von Stiftungen, die mit dem Auftrag der Notenbank nichts zu tun haben. Darüber werden Hunderte hoch dotierter Posten, Studien, Lehrgänge finanziert. Die MNB erwarb, meist überteuert und über Off-Shore-Konstrukte Luxusimmobilien, Kunstgegenstände mit Geldern, die eigentlich über die Gewinnabgabe in den öffentlichen Haushalt gehören
> die Verstaatlichung,
Sanierung auf Steuerkosten und Wiederprivatisierung von Banken vernichtete öffentliche Mittel im dreistelligen Millionenbereich
> Staatliche Banken (
Eximbank, quasi als Hausbank des Mafiastaates) finanzieren Beschaffungsprojekte von Oligarchen und Günstlingsfirmen, u.a. im Mediensektor auf Risiko der Allgemeinheit
> Fidesz-regierte Stadtbezirke haben seit 2010 hunderte kommunale Immobilien privatisiert, oft an Off-Shore-Kosnstrukte und unter dem Marktwert.
Mehr dazu.

Nicht mit einberechnet in diese Aufstellung sind Entschädigungen für die unrechtmäßige "Behandlung" von Flüchtlingen in den
Transitlagern, die Kosten für die Legionen von EU-Sachbearbeitern, die sich mit ungarischen Vertagsverletzungen herumschlagen sowie - und das wird keine Kleinigkeit - die Kosten für die Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse in Orbáns Kelptokratie. Wenn man nur an die verbauten Zukunftschancen einer ganzen vom orbánschen Bildungssystem vernachlässigten Generation denkt, ist klar: Billig wird das nicht und mit Geld allein ist der Schaden ohnehin nicht wieder gut zu machen.

red.


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