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(c) Pester Lloyd / 36 - 2017      POLITIK      08.09.2017

Ungarn verliert, Orbán gewinnt: Reaktionen und Konsequenzen zum EU-Urteil zur Flüchtlingsquote

Dass Ungarn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Flüchtlingsquote als Vorlage für weiteres Propagandageheul nutzen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Schwerwiegender aber ist, dass Orbán das Urteil ignorieren wird und damit die Europäischen Institutionen provoziert und vorführt. Orbán hat mal wieder das perfekte Timing, denn EU-Strafmaßnahmen könnten mit den Parlamentswahlen 2018 zusammenfallen. Die Lösung des Problems hat einen Namen: Angela Merkel.

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Der Beschluss des Europäischen Rates zur Umverteilung von Flüchtlingen war rechtens. Das haben die höchsten EU-Richter am Mittwoch entschieden und damit die Klagen C-643/15 und C-647/15 von Ungarn und der Slowakei abgewiesen, die sich am Zustandekommen der Entscheidung rieben und die Kompetenz der EU-Gremien in Frage stellten.

 

Die EU-Innenminister hatten 2015 entschieden, zur Entlastung Italiens und Griechenlands zunächst bis zu 120.000 Flüchtlinge in andere EU-Ländern umzuverteilen. Danach hätte Ungarn 1.294 Menschen aufnehmen müssen, die Slowakei 902. Der Protest osteuropäischer EU-Mitglieder wurde beim Rat der Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit abgewiesen, damit ist die Entscheidung bindend und rechtskräftig, so die Richter, die ergänzten, dass die Maßnahme qualitativ und quantitativ angemessen gewesen sei, um auf eine Notsituation im Rahmen einer Gemeinschaft zu reagieren.

Gegen den Willen der Regierung in Budapest das Urteil zu vollstrecken, ist praktisch unmöglich. Es bleibt, Ungarn spürbar zu bestrafen. Europa hat schon heute ein Autoritätsproblem. Sollte es Ungarn diesen Fall druchgehen lassen, grenzte dies an Selbstaufgabe.

Wie es technisch weitergeht: Die Kommission wird mit dem Luxemburger Urteil in der Hand Ungarn ein weiteres Mal auffordern, die Quote zu erfüllen. Ungarn wird das verweigern, ihm steht auch das Recht auf ein Revisionsverfahren zu. Ist auch dieses abgewiesen, kann Brüssel eine - durchaus empfindliche - Geldstrafe verhängen, diese kann im dreistelligen Millionenbereich liegen und - sollte Ungarn sie nicht bezahlen - von EU-Fonds abgezogen werden.

Europa muss - ob nun an Ungarn oder Polen zuerst, ist letztlich gleichgültig - ein Exempel statuieren. Ein Exempel dafür, dass es durchaus eine rote Linie gibt, deren Überschreitung Konsequenzen hat, die nicht mehr in Mahnungen und Briefen oder der
Unmenge formaler, aber wirkungsloser Vertragsverletzungsverfahren bestehen. Dabei ist die Flüchtlingsquote und deren Behandlung in Budapest nur ein Fall von vielen, der EuGh eher ein symbolisches Gericht. Wirklich Autorität zur Wiedereinsetzung europäischer Normen in Ungarn können nur bis dato unbenutzte oder neue Instrumente entfalten. Wir berichteten bereits hier ausführlich über die Möglichkeiten, die im neuen Rechtsstaats-Monitor-Mechanismus, dem Artikel 7 sowie der Europäischen Staatsanwaltsschaft gegen Korruption liegen, - wenn sie denn zur Anwendung kommen, wozu nur eine Zutat fehlt: der politische Wille jener Kräfte in der EU, die Orbán bis heute schützen, der politische Wille der EVP, in der Angela Merkel die entscheidende Stimme und Kraft ist.

Das Urteil kommt zeitlich mit der
absurden Forderung Ungarns zusammen, das aus Gründen der "Solidarität" rund 400 Millionen Euro von Brüssel für Ausgaben zum Grenzschutz fordert. Orbán hatte in einem Brief an Kommissionschef Juncker in pathetischen Worten dargestellt, dass die "Interpretation von Solidarität" der Kommission "weder mit dem EU-Recht, noch mit den historischen Traditionen Ungarns vereinbar" sei. "Entgegen einiger großer EU-Staaten, hat Ungarn keine koloniale Vergangenheit", aus der die heutige Einwanderung auch reslutiere. Die Ungarn hätten entschieden, kein Einwanderungsland zu werden, daran habe niemand zu rütteln.

Die Antwort Junckers ist kühl und klar: "Solidarität ist eine Zweibahnstraße. Es gibt Zeiten, in denen Mitgliedstaaten erwarten können, Solidarität zu erfahren. Und es gibt Zeiten, in denen sie im Gegenzug bereit sein sollten, einen Beitrag zu leisten." Ungarn hätte selbst vom Umverteilungsmechanismus profitiert, aber "indes entschieden, dieses Angebot konkreter Solidarität abzulehnen". Daher gibt es kein Geld und auch kein Pardon bei der Fortführung der Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Quote und der mit der Flüchtlingspolitik zusammenhängenden Gesetze, den nicht hinnehmbaren Zuständen in den
Transitzonen, der Entrechtung, der Aussetzung internationalen Asylrechts usw.

Der Rest ist Ideologie: Außenminister, Kabinettschef und am Freitagmorgen auch Orbán selbst pudelten sich in einer Weise am Luxemburger Urteil auf, als hätten sie es geradezu sehnlichst als innenpolitische Wahlkampfhilfe erwartet. Nicht umsonst, plakatiert Fidesz "Orbán oder der Zaun wird abgebaut", das sei die wahre Entscheidung, die bei den Wahlen 2018 ansteht. Passenderweise wird die Eskalation mit der EU just mit dem Wahltermin zusammenfallen.

 

Im Kossuth-Rádíó sagte Orbán am Freitag, dass "die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes die Tür zum Soros-Plan öffnet" (lies: jährlich sollen geplant Millionen Flüchtlinge nach Europa kommen, um den Kontinent "umzuvolken"). "Ich werde niemals dazu beitragen, Ungarn zu einem Einwanderungsland umzugestalten (...) ich bin vom ungarischen Wähler ermächtigt worden, Ungarns Kultur und Identität zu bewahren."  - Die offenbar so labil sind, dass sie gefährdet sind, wenn zeitweise 1.294 Flüchtlinge betreut werden müssen. "Die wahre Schlacht hat gerade erst begonnen." ergänzt Orbán.

Sein Kabinettschef Lázár sekundiert, dass der Richterspruch versuche "die EU dazu zu ermächtigen, zu entscheiden, wer bei uns leben soll (...) Wenn wir das zulassen, geben wir einen Schlüssel zu unserer Unabhängigkeit ab." Man werde alle rechtlichen und politischen Mittel einsetzen, um sich zu wehren, zumal auch "die anderen Mitgliedsländer erst 27% der von Brüssel diktierten Quote" erfüllt hätten. Alles sei eine "Farce", denn nur gegen Ungarn ginge Brüssel vor.

red.


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