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(c) Pester Lloyd / 05 - 2018 BILDUNG 29.01.2018
Gericht: Verstaatlichung der Schulen in Ungarn verfassungswidrig
Das Budapester Verwaltungs- und Arbeitsgericht hat die Verstaatlichung der kommunalen Pflichtschulen in Ungarn als verfassungswidrig beurteilt und den Fall an das Verfassungsgericht weitergeleitet. Konkret geht es um die Hoheit über die kommunalen Schulimmobilien. Nachdem die Orbán-Regierung 2013 zunächst den Schulbetrieb in der Behörde KLIK zentralisiert hatte, größere Gemeinden aber im Besitz der Gebäude blieben, wurden auch diese per Dekret 2017 verstaatlicht.
Die Gemeinde Csömör wehrte sich, zunächst vor einem Komitatsgericht, gegen die Enteignung, die zweite Instanz bestätigte die drei Einwände. 1. Die gewählten Vertreter der Kommune wurden per Gesetz gezwungen, den Wählerwillen (Souverän) zu brechen, in dem sie die Hoheit über die Schulen aufgeben musste. Dabei tat der Staat nach außen so, als handele es sich um eine Vereinbarung von zwei gleichen Partnern. 2. Die Verfassung erlaubt den Kompetenzentzug verfassungsmäßiger Institutionen sowie Enteignung nur, wenn wichtige gesellschaftliche Ziele anders nicht erreicht werden können. Das sei im Falle des Schulbetriebs nicht der Fall. 3. Die Kommune sieht sich diskriminiert, da andere Schulträger von den Maßnahmen verschont blieben, u.a. kirchliche, private, solche von Unternehmen oder Stiftungen sowie Minderheitsverwaltungen.
Das Verfassungsgericht ist nun aufgefordert, die beanstandeten Passagen binnen 90 Tagen für verfassungsgemäß oder verfassungswidrig zu erklären. Im letzteren Falle, hätte die Regierung drei Monate Zeit, die Gesetze entsprechend anzupassen sowie die als verfassungswidrig eingestuften Maßnahmen rückgängig zu machen.
Csömörs Bürgermeister István Fábri, von einer unabhängigen Bürgerliste, erklärte in den Medien, dass jene Kommunen, die sich das finanziell leisten könnten, wieder die Trägeschaft über die Schulen übernehmen können sollen, denn das zentralisierte System sei "unfähig und gescheitert" und habe unter anderem dazu geführt, dass nicht "einmal mehr die Eltern Mitspracherecht" hätten und die Arbeitnehmerrechte des pädagogischen und technischen Personals eingeschränkt seien.
Diese Einschätzung teilt Fábri indes nicht nur mit der Opposition, sondern auch mit den meisten Fachbeamten. Fidesz habe KLIK nur installiert, um die Lehrer und den Lehrplan ideologisch und disziplinarisch kontrollieren zu können. Dementsprechend wurde auch ein "Karrieremodell" geschaffen, das Gehaltserhöhungen und Aufstiegschancen direkt an kritiklosen Gehorsam koppelt.
KLIK hat seit 2013 jedes Jahr Milliardenschulden angehäuft, für Chaos bei der Verwaltung der rund 3.000 Schulen gesorgt und in vielen Fällen die Aufrechterhaltung des Unterrichtsbetriebes gefährdet. Wichtiger war der Schulaufsicht die Vergabe von Bau- und Lieferaufträgen für Schulessen an Fidesz-nahe Unternehmen, die Zentralisierung der Schulbuchdistribution und -redaktion sowie die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Verhängung eines Maulkorbes für die 150.000 Kindergärtner, Lehrer und Direktoren, begleitet durch ein komplexes "Berichts"- und Bespitzelungssystem. Mehr dazu.
Dass das Verfassungsgericht den Feststellungen der Verwaltungsrichter folgt, kann, aufgrund der Mehrheit der Orbán-Günstlinge in Richterroben als unwahrscheinlich gelten, noch unwahrscheinlicher ist es, dass die Regierung die Verstaatlichung der Schulen rückgängig macht. Kosmetische Anpassungen beim Gesetz sind die Standardprozedur in solchen Fällen.
"Aktion Klebelsberg" oder die Schule des Lebens Staatskontrolle über Schulen in Ungarn: großes Chaos und kleiner Widerstand
red.
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