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(c) Pester Lloyd / 38- 2018    POLITIK       12.09.2018


Artikel 7 gegen Ungarn: Ein erster Schritt nach acht Jahren

Das EU-Parlament erlebte am 12. September eine Premiere. Es beschloss mit 448 zu 187 Stimmen bei 48 Enthaltungen und Teilnahme von 693 der 751 Abgeordneten die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 7 mit den entsprechenden Empfehlungen an den Rat der EU-Regierungschef, die bis zum Stimmrechtsentzug führen könnten. Geldentzug wäre wirksamer. Doch beides brächte die Demokratie nicht nach Ungarn zurück.

Es ist das erste Mal in der 66jährigen Geschichte des Parlamentes, dass dieses Mittel, ein Verfahren nach Artikel 7, gegen eines der Mitgliedsstaaten umgesetzt wird. Ein erster Versuch gegen Polen scheiterte. Der Beschluss basiert auf dem Bericht der holländischen Abgeordneten der Grünen, Judith Sargentini, dem indes Jahre von
Interventionen auf verschiedenen Ebenen vorausgingen, die aber in den Institutionen der EU versickerten bzw. am politischen Unwillen der EVP-Fraktion scheiterten, deren Mitglied Orbáns Fidesz ist. Artikel 7 geisterte seit 2013 durch die Hallen des Parlamentes.

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Orbán am Dienstag im EU-Parlament. Foto: MTI

Was bringt´s?

Am Ende des Verfahrens könnte der Entzug der Stimmrechte für Ungarn stehen, was aber aufgrund der geforderten Einstimmigkeit im Rat unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen als äußerst unwahrscheinlich gilt, da Ungarn und Polen einen Pakt geschlossen haben, solche und andere Maßnahmen - wie die Kürzung von EU-Mitteln - mit ihrem jeweiligen Veto zu verhindern. Auch Italien würde derzeit wohl nicht mitstimmen, Österreich steht auf der Kippe. Doch allein die Einleitung des Verfahrens ist geeignet, eine lange geforderte Veränderung der Instrumente anzustoßen, wie zum Beispiel die Einführung der qualifizierten Mehrheit (Mehrheit der Mitgliedsländer, die wiederum die Mehrheit der Einwohner repräsentieren).

Warum jetzt?

Die Auslösung des Artikel-7-Verfahrens erfolgt nicht, weil Ungarn über Jahre in vielen Punkten gegen EU-Recht handelte (Justizreform, Medienrecht, über 60 Vertragsverletzungsverfahren), sondern explizit, weil die Regierung Orbán durch ihr Handeln die Grundwerte der EU-Verträge, speziell jene, die in Artikel 2 niedergelegt sind, missachtet und damit die Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft, so wörtlich, gefährdet.

Damit nimmt man sowohl Bezug auf die Degradierung von Flüchtlingen zu Menschen rechtlich zweiter Klasse per Gesetz, was kürzlich im Nahrungsentzug für widerspenstige Asylbewerber gipfelte, aber auch auf die fortgesetzten Angriffe von Bürgerrechten wie sie im sogenannten Anti-Soros-Gesetz unmittelbar nach den letzten
Wahlen im April verankert wurden (Orbán versprach Rache an seinen Feinden und er hielt sein Versprechen) und die unter anderem die Versammlungsfreiheit einschränken oder die Tätigkeit der Forschung (CEU-Uni) um ihre verbriefte Freiheit berauben wollen. (Eine Zusammenfassung)

Dass der Aufbau einer
strukturellen Kleptokratie, Hauptfinanzier: EU, die Gleichschaltung und damit Negierung demokratischer Kontrollinstanzen im Lande und andere antidemokratische Maßnahmen ihr Scherflein zu der überwältigenden Mehrheit beitrugen, steht außer Zweifel, doch Ausschlag gab letztlich die Erkenntnis, dass die ungarische Regierung mit ihrer Politik den zivilisatorischen Minimalkonsens in der EU aufgekündigt hat.

EVP-Fraktion in der Zerreißprobe

Diese Gemeinschaft setzt nun das stärkste institutionelle Mittel ein, das im übrigen von allen Mitgliedern ratifiziert wurde, um sich zu schützen. Dass die europäischen Institutionen nicht den Biss haben, sich gegen den politischen Willen einer ihrer mächtigsten Fraktionen durchzusetzen, hat die Vergangenheit bewiesen. Dennoch stellt die Maßnahme eine Zäsur da, nicht zuletzt auch für die EVP-Fraktion selbst, die sich, ein Dreivierteljahr vor den EU-Wahlen so gespalten sieht, wie nie zuvor.

Ihr Chef, der CSU-Politiker Weber hatte noch am Dienstag versucht, Orbán zur Räson zu bringen, was ihm, der Orbán
über Jahre hofiert hat und der in weiten Teilen der bayerischen CSU als Held gefeiert wird, auch vorher nicht gelang. In einer einem Despoten würdigen Tirade hatte er Sargentini und fast das ganze EU-Parlament in deren eigenen Wänden zu Lügnern gestempelt, die sich an Ungarn rächen wollten, weil es nicht der von "Soros und seinen Kreisen befohlenen Umvolkung" folgen wolle, wie es im Fidesz- und Rechtsextremistenjargon heißt.

Die EVP ist im Falle Orbán mittlerweile tief gespalten. Während spanische, französische, natürlich die italienischen und osteuropäische Parteikollegen Orbán auch am Mittwoch die Stange hielten, sind die Vertreter aus Benelux, Skandinavien gegen Orbán. Einige forderten bereits mehrfach den Ausschluss von Fidesz aus der EVP. Die deutsche Fraktion ist so gespalten, dass Weber letztlich die Abstimmung freigab, weil er keine Einigkeit in der Fraktion herstellen konnte. Die Zerstrittenheit setzt sich sogar in den einzelnen Länderdelegationen fort, nicht nur in der deutschen.

Die spanische PP-Delegation mit 16 Mitgliedern sei hier als Beispiel angegeben: Fünf stimmten für Artikel 7, Fünf dagegen, 6 enthielten sich. Die Enthaltungen ließen verlauten, dass ihre Stimme als Ablehnung der Orbán-Politik genüge. Die dagegen stimmten ließen ausrichten, dass das EU-Parlament "als politischstes Gremium sich nicht als Richter aufspielen dürfe. He"ute ist es Ungarn und morgen wer?" fragt Esteban González Pons, ignorierend, dass das Parlament lediglich seine Rechte zum Schutz der Verträge wahrnimmt - und das reichlich spät. Jene PPler, die für Artikel 7 stimmten, äußersten sich nicht öffentlich.

Vorerst keine Gefahr für Orbán

Für Orbán enstehten indes zunächst keine Nachteile. Im Gegenteile. Seine Propagandmaschinerie und die über acht Jahre erfolgte Gehrinwäsche hat es bisher schon stets vermocht, Kritik aus der EU als "Angriff auf Ungarn", diesmal war es eine "Beleidigung" zu münzen und die Opferkarte auszuspielen, wonach die Ungarn einmal mehr in der Geschichte Opfer der Belange der Großmächte seien. Seine "Nation", zu der freilich nur seine Anhänger zählen, rückt so enger zusammen und die Opposition, die ohnehin mittlerweile Moskauer Niveau erreicht hat, kann als Landesverräter abgestempelt werden.

Merkels milde Hand

Apropos Moskau: Orbáns "Freunde" im Osten, eher Kumpane, die das Ziel eint, die EU zu schwächen, sind die Gesellschaft, der sich Orbán hinwendet, in dem er hofft, dass die Achse Moskau-Istanbul-Hanoi-Baku-Peking ihm sowohl wirtschaftlich aus der Patsche hilft als auch politisch den Rücken stärkt und sei es nur als  Drohgebärde gegenüber Brüssel. Die gewachsene Nähe zu östlichen Diktaturen war es letztlich auch, die viele EVPler bestärkte, die Notbremse Artikel 7 zu ziehen. Allerdings verfügt Orbán über einen sehr starken Partner:
die deutsche Exportwirtschaft, für die Ungarn ein Paradies  darstellt. Daher hielt auch die Unterstützung Merkels so lange, die zwar durchaus respektable humanistische Werte vertritt, aber eben doch eine CDU-Politikerin ist. Sie hielt letztlich bis zum Schluss die Hand über Orbán, wenn auch zunehmend angewidert.

Artikel 7 repariert keine Demokratie

Bei allem Epochalen, was der Beschluss des EU-Parlamentes bedeutet, steht indes fest, dass eine Re-Demokratisierung Ungarns und damit der Verbleib des Landes in der Europäischen Gemeinschaft nur von den Ungarn selbst erreicht werden kann. Ein Entzug der EU-Gelder, der eine theoretische Folge der Stimmrechtsverluste und eine Weiterung des Verfahrens sein könnte (Belege für Raub im Milliardenmaßstab gibt es zu Hauf, OLAF kann sich gerne bei uns melden), kann Orbán stürzen, - eine Demokrtie aufbauen kann man mit Geld aber nicht. Dazu braucht es Demokraten. Unkäufliche.

red.


 



 

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