(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1866
Aus dem Papierkorbe
Zu den gemeinnützigsten und fruchtbarsten Erfindungen aller Zeiten gehört das Instrument, welches unter dem Namen des Papierkorbes sich heute einer allgemeinen Verbreitung erfreut. Der Neid der Götter hat den Namen des Erfinders der Vergessenheit anheimgegeben; kein Lied, kein Heldenbuch meldet ihn. In Pierer‘s Konversationslexikon folgt auf Papierkohlen gleich Papierlichtbild; schwarz auf weiß ist es verbürgt, daß Niemand anzugeben weiß, wer den ersten Papierkorb konstruirte.
Und doch steht es fest: Ohne Papierkorb würde es keine Zeitungspresse geben. Nächst einer scharfen Schere – unserer besten Feder -, gibt es kein anderes Instrument, was uns so unentbehrlich wäre, als ein Papierkorb. Wohin sollten wir mit so vielem schätzbaren Material, das uns zugeführt wird, wenn wir keinen Papierkorb zur Seite hätten? Es „wälzt der Gott die heil‘gen Leichen und er selber wird ihr Grab.“ In bewegten Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, hat der Papierkorb in der That keine leichte Bürde und der Nutzen desselben hat sich evident bewährt; wie jener Bergmannsspruch mit den Worten schließt: „Ohne Bier und Branntewein Möcht‘ ich nicht gerne Bergmann sein“, so dürfen wir wohl sagen: „Ohne Papierkorb und ohne Schere Ich Zeitungsschreiber nicht gern wäre.“
Das schrecklichste Laster ist der Undank. Wir schulden dem Papierkorbe Dank und wollen ihn abtragen. Wie könnten wir das besser thun, als indem wir den Nutzen dieses unscheinbaren Möbels in helles Licht setzen? Und wiederum, wie könnten wir das besser thun, als indem wir Einiges von dem vorführen, „was er gnädig bedeckte mit Furcht und mit Grauen.“
Daß wir nicht ungerupft fortkommen bei allen Einsendungen, die uns taglich zugehen, ist selbstverständlich. Der anonyme Brief spielt eine Hauptrolle bei der täglichen Fütterung unseres Hausthieres. „Ein badischer Soldat vom …ten Regiment“ klagt uns bitter an, die Stimmung des badischen Volkes als preußenfreundlich hingestellt zu haben. Das sei eine arge Entstellung. Er, Schreiber, freue sich ungeheuer darauf, nächstens den „großmäuligen Preußen“ eines auf den Kopf geben zu können. Der Brief war vor der Schlacht bei Königgrätz geschrieben; wir geben heute dem Schreiber einen nützlichen Fingerzeig.
Wie Wiener Blätter melden, hat Gaul‘s „kecker Pinsel“ ein herrliches Blatt geschaffen, einen Ungar, „einen echten Sohn der Puszta“, der blitzenden Auges, seiner Schwadron weit vorangeritten, nach dem Feinde ausschaut und ausruft: „Wo ist Preuß?“ Der Sohn der Puszta hat inzwischen vielleicht Antwort auf seine Frage bekommen und dürfte in Zukunft Abstand nehmen, allein sich dem Feinde entgegen zu wagen. Wie wär‘s, wenn unserer tapferer Badenser Arm in Arm mit ihm das Schicksal herausforderte. – Ein Kurhesse, wahrscheinlich aus dem Wahlbezirk des Herrn Trabert, gibt uns den dringenden Rath, das Sündengeld, das wir von Herrn v. Bismarck bekommen, demselben wieder vor die Füße zu werfen; im entgegengesetzten Falle droht er die Zeitung in Zukunft abzuschaffen. Wir fürchten, daß der letztere Vorsatz an demselben Hindernisse scheiden wird, an welchem kürzlich ein Bremer Patriot einen Schiffbruch erlitt, der auch täglich von der Bierbank aus die entsetzlichsten Flüche auf unser schuldbeladenes Haupt schleuderte und uns mit der Entziehung des Abonnements vom nächsten Quartal ab bedrohte und diese Drohung gewiß ausgeführt haben würde, wenn er sich nicht noch im letzten Augenblicke daran erinnert hätte, daß er auf unsere Zeitung niemals abonnirt war.
Die Erfahrung haben wir in den Stürmen der letzten Zeit überhaupt gemacht, daß wir unsere bittersten Feinde unter unseren Nichtabonnenten hatten. – Ernster ist eine Drohung, die uns von anderer Seite her gestellt wurde. Ein hannover‘scher Amtsrichter gestattete sich, uns eine ernsthafte Verwarnung wegen unserer gesammten Haltung zu ertheilen und uns zu erklären, daß, wenn wir diese Haltung nicht änderten, er uns die amtlichen Inserate seines Gerichtsbezirks entziehen werde. „Eine Frechheit, bei meiner Ehre, die ich um ihrer Seltenheit wegen vergebe“, hätten wir beinahe mit dem Präsidenten v. Walter ausgerufen; - und doch wieder viel Vertrauen in unsere Ehrenhaftigkeit oder in unseren Papierkorb. Denn wenn wir von diesem Schreiben einen unedlen Gebrauch hätten machen wollen, oder wenn wir den Papierkorb nicht so nahe zur Hand gehabt hätten, so hätte doch wohl der Einsender in unliebsamer Weise Erfahrung gemacht, daß für gewisse Launen des Welfen-Sultanismus die Zeit vorüber ist.
Aber nicht nur unholde Töne des Hasses und erbitterter Leidenschaft sind in unserem Papierkorbe verhallt; auch manch anderer süßer Klang hat denselben Weg gefunden. Namentlich waren es Verse, gereimte und ungereimte, bei denen unser geflochtener Freund, unerbeten, unerfleht, am willigsten sich einstellte. Wie wenig Menschen mag es doch geben, die aufrichtig sich rühmen können, nie in ihrem Leben einen Vers gemacht zu haben? In liebevoller Weise sind uns ferner von manchem Leser Zeichen der Theilnahme und Zustimmung zugesandt worden. – Aus weiter Ferne wendet sich Jemand an uns, um zu versichern, daß er mit unserer Politik vollkommen einverstanden sei; früher habe er sich radikalen Ansichten zugeneigt, aber allmählich sei er durch uns eines Besseren belehrt worden. Das Einzige, was uns an diesem sehr verständigen Briefe schmerzlich berührt hat, ist, daß der Absender gelegentlich einfließen läßt, er sei nicht selbst auf den „Pester Lloyd“ abonnirt, sondern erhalte ihn nur von einem Bekannten geborgt.
Aus Wien her macht uns jemand darauf aufmerksam, daß wir kürzlich in einem Leitartikel die Worte: „Ich hatte nichts als diesen Stab, da ich über den Jordan ging.“ usf. Dem Laban in den Mund gelegt, während doch Jakob sie gesprochen habe. „Es ist gut“, fügt er inzu, „daß Ihre Kenntnisse in der Politik besser sind, wie die in der Bibel.“ Wir müssen diesen Hieb als einen berechtigten auf uns sitzen lassen, finden aber einen Trost in der Bemerkung, daß es unter unseren Kollegen Manche gibt, die nicht einmal im Stande sind, die Bibel falsch zu zitiren. – Ein anderer Druckfehler gar ist uns von Leipzig korrigirt worden. Einer unserer Berliner Korrespondenten hatte das preußentreue Reuß j. Linie, Reuß-Gera, mit dem unter Regentschaft der Fürstin Karoline stehenden, zum Bunde haltenden Reuß ält. Linie, Reuß-Schleiz, verwechselt. Auf dieses Versehen macht uns einer unserer Leser in Leipzig mit der Bitte aufmerksam, „darin nur ein Zeichen der Aufmerksamkeit sehen zu wollen, mit der er unsere Zeitung verfolgt.“ Die Thatsache war vollkommen richtig, seltsamer Weise hatte der „Preußische Staatsanzeiger“ denselben Druckfehler begangen, ohne es der Mühe Werth zu erachten, ihn nachträglich zu verbessern; so konnten auch wir uns dieser Pflicht für enthoben erachten. – Nicht minder harmlos, als diese Zuschriften, ist eine andere, die uns dieser Tage zuging, und in welcher im Namen des Genius der deutschen Sprache Protest erhoben wurde gegen die „Attaken“, die „Defilées“, die „Carées“ und tausend andere Kunstausdrücke, mit denen die Schlachtberichte gespickt werden. Da wird wenig zu helfen sein; wie Menschen, wie Soldaten insbesondere sind, wird ihnen der Succeß einer vehementen Attake stets lieber sein, als ein noch so wohlgeordneter Rückzug. Es gehört nun einmal mit zu den fridericianischen Erinnerungen, in einem etwas französisch gefärbten Deutsch zu schreiben.
Fast unübersehbar ist die Zahl der Zuschriften, die uns zum Behuf des Abdruckes täglich zugesendet werden, mit denen wir im Geiste völlig einverstanden sind, und die manchmal tagelang an der engen Scheidewand zwischen dem Papierkorb und dem Setzerzimmer liegen bleiben, aber endlich – halb zog er sie, halb sinken sie hin und werden nicht mehr gesehen. Wenn Jemand aus Hannover einen Stimmungsbericht uns sendet und darin wörtlich schreibt: „daß man sich hier schon in den Gedanken findet, ohne einen Souverän leben zu können und allentfalls mit dem Bedarf in dieser Branche sich auch von Berlin aus versorgen könne“, so ist dieser Ausdruck allerdings sehr komisch, aber drucken lassen kann man so etwas bei Leibe nicht; darum in den Papierkorb. – Am elegischsten berührten uns zwei Zuschriften eines alten Burschenschafters, der sich mit Ansprachen an die Burschenschafter Deutschlands wenden wollte, um sie auf den norddeutschen Standpunkt zurückzuführen. Mit großer Wärme suchte er uns zu überzeugen, daß im Süden der burschenschaftliche Gedanke noch in hohem Ansehen stehe, und eine Anrede ihre Wirkung nicht verfehlen sollte. Vergebens, es that uns leid, den Wunsch nicht erfüllen zu können. Aber die ganze Burschenschafterei hat im Jahre 1848 Deutschland nicht vor großem Unheil bewahren können, und die Bemühung eines einzelnen Nachzüglers wird keinen besseren Erfolg haben. Die Korrespondenz mußte zu unserem alten Freunde, dem Papierkorb, und wir wünschen von Herzen, daß die Burschenschafterei auf demselben Wege bald folge.
|
|