Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1866

Aus Wien

Wir wissen nicht, wer SS. war, der uns diese lebendigen Schilderungen der Wiener Zustände und die Beziehungen zu Ungarn 1866/67, also rund um die schicksalhafte Schlacht bei Königgrätz bis kurz vor dem Ausgleich überlieferte. Wie in Wien üblich, nimmt das Theater und das Theater um das Theater, der Salon, oft genauso viel Raum ein wie die Politik selbst, manchmal hat man das Gefühl in der Donaumetropole herrscht seit fünfhundert Jahren Vormärz. Genießen Sie die 150 Jahre alten, amüsanten Berichte aus Budapests Schwesterstadt...

PL, April 1866

Aus Wien

SS. 30. März. Der „Preuß“ macht den Wienern wieder das Vergnügen, „mit Erlaubnis der hohen Obrigkeit“ von ihnen gehaßt werden zu dürfen. Grundloyal, wie nun einmal der Wiener ist, kennt er kein tiefsinnigeres Behagen, als mit seiner Regierung in Einklang zu leben und sieht er sich von ihr in die Opposition gedrängt, dann wird er doppelt ärgerlich, erstens über das, was ihn unzufrieden macht und dann darüber, daß man ihn überhaupt zwingt, sich mit einem so unbequemen Ding wie die Unzufriedenheit zu befassen. Deshalb war er auch auf die preußische Allianz gar so schlimm zu sprechen. Nicht weil alle Gründe der höchsten, wie der einfachsten Politik dagegen sprachen, sondern weil er, sobald der „Preuß“ ins Spiel kömmt, sich nun einmal zur Liebe nicht zwingen läßt und weil es ihn andernseits genirte, auch da wieder zur Opposition verurtheilt zu sein. Wie ein Alp ist es ihm nun von der Brust weg, da selbst die „Wiener Abendpost“ ds offizielle Signal gibt, auf den „deutschen Erbfeind“, der ihm zuwiderer ist als der jenseits des Rheins, nach Herzenslust loswettern zu können. „Gegen Preußen!“ Mehr braucht es hier nicht, um die Gemüther in Wallung zu bringen und ihnen den Klang der Kriegstrommel sympathisch zu machen. Für was gekampft werden soll? Die Frage kömmt erst in zweiter Reihe. Fragen Sie mich aber: „Wollen denn die Leute bei Ihnen oben überhaupt den Krieg? Sind denn die Wiener Bürger solche Heißsporne, daß sie sich kopfüber in das Schlachtgewühl zu stürzen brennen?“ – so kann ich Ihnen nur mit der Anekdote von dem Delinquenten antworten, dem auf dem Schaffot Begandigung werden sollte, wenn sich ein Weib entschlösse, ihn vom Block weg zu heirathen. Eine stark übertragene Samariterin fand sich in der That, welche mit dem armen Sünder das Erbarmen fühlte, das kein Mann ihr gegenüber empfunden hatte und die ihn als Erlöser vom Altjungfernthum zu acceptiren sich entschloß. Der arme Mensch sah sich die Befreierein genauer an und wendete sich zu dem Henker mit den verzweifelten Worten: „Hau zu!“ So beil*aufig sieht unsere Kriegslust dahier aus – die Segnungen des Friedens, deren man sich erfreut, machen dem Volke Lust, zum Kriege zu sagen: „Hau zu!“ Die Einen warten, daß, wenn es zum Schlagen kömmt, die Geschäfte besser gehen, die Anderen sind gemüthlich genug, darauf zu hoffen, daß dann wieder ein paar Menschen weniger werden, was mehr Platz für die Anderen gibt. Das ist abscheulich, aber die Gemüther werden durch die wirren, edlen, aller Konsitenz entbehrenden und aller Konsitenz zerstörenden Verhältnisse derart außer Rand und Band gebracht, daß die abstraktesten Anschauungen und abnormsten Gefühle sich ihre Berechtigung suchen und finden. Ein Blick in den neuesten Ziffernkommentar der Situation, in die von dem statistischen Bureau der Kommune herausgegebene „Finanzstatistik Wiens“ genügt, um die ganze Trübseligkeit der allseitigen Verhältnisse ermessen zu lassen. Was auch die Rosigseher mit vornhem zweifelndem Lächeln von dem beständigen Gefülltsein der Gasthäuser sagen mögen und wie es darum mit den „schlechten Zeiten“ denn doch gar nicht so schlecht aussehen könne, die Thatsache steht doch unbestreitbar fest, denn sie ist in Ziffern zu lesen, daß Wien von Jahr zu Jahr weniger oder zumindest schlechter ißt! Die Verzehrungssteuer sinkt! Und nicht minder sinkt die Zahl der größeren Steuerzahler – nur die Ziffer der Steuerexekutionen steigt von Jahr zu Jahr!

Ja, die Zeit ist schwer und ihre Zeichen mehren sich. Was sagen Sie dazu, daß ER seine Gallerie verkaufen will, der übermüthige Börsen-Siegfried, der blondbärtige Besitzer des Nibelungenhortes, dem keine Brunhild grimmig genug erschien, daß ers nicht unternommen hätte, ihr zu obsiegen und dessen kühne Wagnisse auf den Schlachtfeldern der Strauchgasse einen berühmten, witzigen Veteranen dieser mörderischen Glückskämpfe einmal zu dem Ausspruch bewogen: „Sie sehe ich doch noch einmal an dem Schranken in fremdem Auftrag zehn Kreditaktien ausbieten.“ Vorläufig hatte er sich – so erzählt die grause Börsenchronik – mit Karl Ludwig versucht, nicht mit zehn, sondern mit etlichen zehnhundert, und zwar hatte er sie nicht ausgeboten, sondern an sich genommen. Er war bei Fortuna in der Liebhaberei gewesen und soll dabei sehr schlimm gefahren sein, wie bei einigen anderen seiner galanten Abenteuer in den letzten Jahren. Fortuna soll nicht, wie es eine berühmte Schauspielerin that, ihn zur Zahlung einer respektablen Jahresrente gezwungen, ihm wohl aber mit einem Griffe ein derartiges Kapital abgenommen haben, daß mehr als eine schöne Theaterprinzessin ihre kleinen Launen auf Jahr hinaus damit hätte befriedigen können. Der Zufall wollte es, daß bei der letzten „erste Vorstellung“ im Karltheater in SEINER Loge andere Gesichter erschienen. ER fehlte bei einer ersten Vorstellung. Was da gleich für Glossen gemacht wurden! Und ein paar Tage darauf erzählt das „Vaterland“, daß Gaupil, der wohlgekannte Kunsthändler, eigens aus Paris hier erwartet werde, um SEINE Galerie abzuschätzen, die losgeschlagen werden würde. Sollen wirklich ein Sperrsitz in den ersten Reihen der Hoftheater, eine Loge in den ersten Rängen der Vorstadttheater und ein Millionärsposten in Wien vakant werden?

Zwei kleinere Bastardhelden der Geschäfts- und Coulissenwelt, einige Halbgötter „dieser Damen“, die es über ihre Mittel hinaus dem lustigen Papa Jupiter nachmachen wollten und auf ihre Danae‘s Gold regnen lassen, haben dieser Tage ein Ende mit Schrecken genommen und sind unsichtbar geworden. Der Eine von ihnen hat ohne viel Geräusch und ohne weitere Bekanntgebung die erzielten Resultate liquidirt und den Schauplatz seiner bisherigen Thätigkeit verlassen, zunächst von dem patriotischen Motiv geleitet, in so schwerer Zeit, wo da Budget ohnedies kaum zu erschwingen ist, dem Staate nicht zur Last fallen zu wollen, der ihm für anderthalb Jahre freie Kost und Wohnung zugesagt hatte. Er entfernte sich, ohne dem Staatsanwalte, der die obgedachte öffentliche Auszeichnung an ihm zu vollziehen hatte, auch nur seine Adresse zu hinterlassen; dafür übte er aber noch einen Akt menschenfreundlicher Nächstenliebe, indem er einen anderne Mitbürger von einer ihm bereits lästig gewordenen Ehehälfte befreite und die süße Last mit sich nahm. Sein jüngerer Berufs- und Neigungsgenosse wird gleichfalls für einige Zeit Wien meiden; nur gelang es demselben nicht, sich der schmeichelhaften Aufmerksamkeit einer Staatsversorgung zu entziehen, die nicht blos in freier Station, sondern auch in der Fahrt auf Staatskosten besteht. Es ist ein ganz junger Mensch, dessen Geschichte sehr einfach, aber sehr charakteristisch sich abwickelt. Er vernachlässigt sein Geschäft, fährt mit galanten Damen, die an sehr bequeme Ehemänner verheirathet und zur Noth Künstlerinnen sind, durch die weite Welt, schwindelt sich eine Weile ungeschickt herum und läuft dann müd gehetzt dem Gesetz in die Arme. Für die Gallmeyer schwärmt er, begüngt sich aber schließlich mit einer Göttin viel minderen, wenn auch nicht weniger kostspieligen Ranges und wird bei der öffentlichen Gerichtsverhandlung durch nichts erschüttert, als durch die wehmüthige Erinnerung an die schönen Zeiten, da er der Schwärmerei für das Kunstideal verkörperte Ausdrücke gab und ein gerngesehener Gast in den Privattempeln der Musenpriesterinnen war. Diese Reminiszenz treibt im die Thränen in die Augen. Und während hier ein leichtsiniger Jüngling für die geschminkte Eitelkeit Gut und Ehre hinwirft, macht ein greiser Gewerbsmann seinem Leben gewaltsam ein Ende, weil er an seiner Geschäftsehre nicht den Makel verträgt, ein paar Tage seinen Verpflichtungen untreu geworden zu sein, obwohl er und seine Gläubiger recht gut wußten, daß es sich eben nur um eine momentane, unverschuldete Geschäftsuntreue handeln konnte. Der Hofschneider Pokorny war‘s, ein Mann, der sich von Kleinem emporgearbeitet und dessen Geschäfte eine solche Ausdehnung genommen, daß sein Kontobuch an die 100,000 fl ausständiger Forderungen aufzuweisen hatte. Doch eben, weil diese über die Zeit ausständig blieben, gerieth der pünktliche Mann in eine augenblickliche Stockung, der er kleinmüthig sich dadurch entzog, daß er die ewige Stockung des Todes an die Stelle des Lebens treten ließ. Er erhängte sich in seiner Villa in Penzing – ein kurioser Anfang eines Sommeraufenthalts.

Einen noch setlsameren Anfang gleich mit dem Ende hat ein blühendes, schönes, glückliches Leben gemacht, ein Mädchenleben! In einem der stolzesten Häuser der Ringstraße, dessen Fenster eine schimmernde Fernsicht geben, eine Fernsicht durch die Breschen noch nicht gebildeter Häuserreihen hindurch in die blaue Weite, wie in die Zukunft eines noch nicht vom Schicksale abgegrenzten Lebens, wohnt eine Familie, reich gesegnet mit Allem, was die Welt unter dem vielbedeutsamen, mannigfach gestaltigen Ausdruck Glück zusammenzufassen pflegt. Wer unter Glück einen Namen voll Klang, und ein Dasein voll Auszeichnung versteht, der konnte es hier finden, denn das Haupt der Familie ist ein Dichter, um dessen Haupt sich der Kranz des des edelsten Ruhmes schlingt, des Ruhmes, mit den Worten der Liebe und der Poesie in die dunkelsten Winkel einer Jahrhunderte hindurch abseits gestoßenen Volksexistenz jinabgeleuchtet zu haben – der Poet des „Ghetto“, Leopold Kompert. Wer materiellen Besitz mit dem schmeichelhaften Titel „Glück“ zu blehnen liebt, konnte auch seinen Begriff irdischer Glückseligkeit verwirklicht finden, und wer das stille Behagen trauten Familienlebens ind die Idylle des Hauses als den Inbegriff der Menschensehnsucht betrachtet, den mochte es in die tiefste Seele anheimeln, wenn er diese reichen Familinezimmer betrat, durch welche jener Hauch ungetrübten, zufriedenen Beisammenseins dahinzog, den man gewöhnlich nur in der bescheidenen Stube des kleinen Mannes und der engen Existenz zu finden wähnt. Hier wohnt das Glück! Mußte man unwillkürlich ausrufen. Und eines Morgens erzählen alle Zeitungen, daß sich die achtzehnjährige Tochter des Hauses vom dritten Stockwerck herabgestürzt, daß der blühende Leib des jugendfrischen Mädchens in dem Zeitraume einer Minute in eine unförmliche, blutumronnene Masse sich verwandelt hatte! In der Familie lebt noch eine Patriarchengestalt, der 84jährige Großvater. Die ganze Nacht hindurch lag der Greis über den Leichnam der vergötterten Enkelin dahingestreckt, den kalten, bleichen Mund küssend und jammernd: „Dazu also muß man 84 Jahre alt werden.“ Die Mutter hat nur unartikulierte Laute für die Kundgebung des Schmerzes – eine Minute hat genügt, ein Haus der Freude in ein Haus des bittersten Jammers zu verwandeln. Das ist das Glück dieser Erde!

Einige Ghettostimmung ging in diesen Tagen durch die Notizenreihen der Wiener Journale; die Rubrik „Judenhetzen“ schien eine lokale Bedeutung gewinnen zu sollen. Vor den Linien, innerhalb der Linien sollte das „Hepp, Hepp“ zu neuem Leben erwacht, sollten Germanisierungsversuche mit der neuesten czechischen Mode gemacht worden sein. An die gedruckten Gerüchte schlossen sich sogleich die wunderlichsten von der Zunge vermittelten und so hieß es denn auch, daß, während in früheren Jahren um diese Zeit gewöhnlich schon viele Landwohnungen gemiethet seien, alle Villeggiaturen noch von Städterfuß unberührt dastehen, jene besonders, denen sich das auserwählte Volk des Kurszettels mit Vorleibe zuwendet und zwar habe diese Zurückhaltung das einzige Motiv, daß die Juden sich heuer nicht getrauen, aufs Land zu ziehen. Zum Glück erfolgten rasch offizielle Berichtigungen der von lokalkorrespondenzlerischen Phantasien angeschwellten Notizen und andere Widerlegungen; die der offiziellen noch vorzuziehen, es erhoben sich Proteste aus der Mitte der Bevölkerung selbst gegen solche Zumuthungen. Es freut mich herzlich, der Wahrheit die Ehre zu geben, und den Wienern, sie sonst einem „Spaß mit den Juden“ noch gar nicht abgeneigt sind, das Zeugnis ausstellen zu können, daß die Juden durch die Skandale in Böhmen bei ihnen an rücksichtsvoller Behandlung gewonnen haben. Schon den Czechen zum Trotz, die auch gerade nicht zu den Lieblingen der Wiener zählen, respektiren sie die Juden. Ja, es kommen sogar phänomenale Erscheinungen vor, wie zum Beispiel, daß das „Vaterland“ in Bewunderung über einen jüdischen Glaser ausbricht, der sich seine Kunden in den Praterwirtshäusern aufsucht, wahrend der christliche Glaser dafür vermuthlich „zu stolz“ sein würde, wenn das feudal-klerikale Organ daran ganz merkwürdige Betrachtungen über die industriöse Betriebsamkeit der Juden knüpft und daß nur die Faulen unter den christlichen Handwerkern auf die Idee gerathen könnten, Judenkrawalle in die Szene zu setzen. Es wird Einem bei soviel Toleranz völlig unheimlich zu Muthe, den man denkt sich unwillkürlich: Was hat denn das Vaterland mit den Juden vor und zu welchen „höheren Zwecken“ sollen dieselben präparirt werden, daß man plötzlich mit ihnen gar so charmant verfährt? Soll neben den Patrimonialgerichten auch das für manchen großen Herrn so überaus nützliche Institut der „Haus- und Hofjuden“ wieder eingeführt werden? Gab es doch keine bequemeren Gläubiger für einen großen Herrn als sein ein „Hofjude“. Es sind das stellenweise gar angenehme Reminiszenzen.

Eine interessante Reminiszenz aus dem achtundvierziger Jahr ist in den letzten Tagen zu Grabe getragen worden, der Fabrikant Fischer von Rößlerstamm, der Chef der rasch entstandenen deutsch-katholischen Sekte in dem wildbewegten Jahre; auch einen seiner tüchtigsten und seiner reichsten Bürger hat Wien mit dem ehemaligen Vizepräsidenten des Gemeinderathes, dem Architekten Leopold Mayr, begraben. Die Kusntwelt hat den vielgenannten Gesnagslehrer Gentiluomo verloren, an dessen Sarge eine lange Reihe von Schülern trauert – viele um ihre Stimme, wie die Bosheit hinzusetzt, die dem Verstorbenen trotz des großen Rufes, den er genoß, den Ruin manches Stimmschatzes zum Vorwurf macht. Unter so vielen trübseligen Notizen, welche der Tag brachte, war es jedenfalls die heiterste Nachricht, daß Beckmann den Franz-Josephsorden bekommen hat, „in Anerkennung seines gemeinnützigen und humanitären Wirkens!“ Was gäbe es auch gemeinnützigeres und menschenfreundlicheres, als di eLeute in so trauriger Zeit lachen zu machen. Und wei viele Tausende hat Beckmann nicht schon lchen gemacht! So hat er denn glücklich seine Orden, den ihm der König von Preußen bei der Monarchenzusammenkunft in Salzburg NICHT gegeben hatte, zum wirklichen Betrübnis de sKünstlers, der mit einiger Gewißheit darauf gerechnet hatte und der von der kleinen Schwäche nicht frei ist, an welcher nach Emil v. Girardin in Frankreich allein zwei Millionen Menschen leiden, von der Schwäche für das Knopfloch.

PL, Juni 1866

Aus Wien

SS. 8. Juni. Die Preußen in Holstein, die Russen in Wien, da haben Sie das Neueste. Ja, ja die Russen in Wien, 10,000 Mann, die in die hiesige Garnison rücken, morgen, übermorgen – die Stunde vermag ich nicht genau anzugeben – aber auf allen Bierbänken können Sie es mit präzisester Bestimmtheit versichern hören. Das hat zunächst die Wirkung, daß man die Grenzer, die „Kroaten“, deren Ankunft von schreckhaften Phantasien nicht ohne eine selige Erinnerung an Anno dazumal begrüßt wurde, nun mit traulich landsmännischen Gefühlen betrachtet. Und dann hat auch der Frohnleichnamstag die bewaffneten Gäste von der Südostgrenze des Reiches den Gemüthern der Wiener näher gebracht – waren sie doch die einzigen Retter in der Noth, welche die obligate Militärmusik für die Prozession in Stadt und Vorstädten stellen konnten. Denn eine Frohnleichnamsprozession ohne „Militärmusikbande“, die scheint dem echten und rechten Wiener gerade so unmöglich, wie ein Krieg ohne Soldaten, wie ein Silbergulden ohne Agio, wie eine Konferenz ohne Theilnehmer – der Vorwurf, den wir von unseren Freunden im Norden so oft hören müssen, daß wir ein eingefleischter militärisch-kirchlicher Staat sind, der könnte von „wohlmeinenden“ Korrespondenten an diesem Tage aus disem tratitionellen Festhalten des Wieners an der alten Sitte „ethnographisch“ erhärtet werden, aber heuer ging‘s der frommen Schaulust ohnehin so schief. Die Kaiserin, deren Erscheinen von dem offiziellen Programm verheißen worden war, wohnte der Prozession nicht bei, und man muß das Interesse, welches sich um jedes Sichtbarwerden der hohen Frau drängt, ganz ermessen, um schließen zu können, welche Enttauschung ihre Abwesenheit bei dem größten kirchlichen Gepränge der Hauptstast hervorrief. Für Hunderte, die aus fernster Vorstadt nach der Stadt gepilgert, war damit das Ziel und die Hoffnung der kleinen Wanderung vereitelt und mit lauter Klage traten sie den Heimweg an. Auch auf dne Glanz des Gefolges hatten die kriegerischen Vorbereitungen einen dämpfenden Schatten geworfen. Manche schimmernde Uniform fehlte in den Reihen der militärischen Würdenträger und die goldblinkende Arcieren-Leibgarde hatte durch die berittene Burggendarmerie ersetzt werden müssen, weil die Kavalleriepferde, welche an diesem Tage gewöhnlich für die Garde aus den Stallungen der Reiterkaserne entlehnt zu werden pflegten, diesmal nicht vorhanden waren. Und nun hätte auch noch die Militärmusik fehlen sollen. Da eben halfen die Grenzen. Traurig genug war‘s, daß ihre Musik sich nicht á la Cagliostro vervielfältigen und bei den ganzen Bezirksprozessionen zugleich sein konnte, daß einige derselben sich wirklich – die Feder sträubt sich, das Fürchterliche niederzuschreiben – mit „Zivilmusik“ begnügen mußten. Dabei kam nun allerdings – wir wissen nicht, ob das kleine Mißgeschick den Zivil- oder Militärkünstlern passirte – der artige Fall vor, daß bei einer Prozession der Kappellmeister in Ermangelung einer feierlichen und der heiligen Stunde anpassenderen Notenvorlage seine Leute einige erheiternde Fragmente aus Souppe‘s „Flotten Burschen“ aufspielen ließ.

Ein paar der köstlichsten Szenen aber für einen humoristischen Roman könnte der geben, der den Wettlauf der verschiedentlichen Bezirksväter bei den verschiedentlichen Befehlshabern schilderte, um für „ihren Bezirk" die Musik zu bekommen. Eine dieser heiteren Szenen namentlich hatte eine sehr hübsche Pointe. Ein überaus konservativer Vater eines Bezirkes, der sich im Landtage durch einen liberalen Abgeordneten vertreten ließ, hatte in jenen dringlichen Angelegenheiten Audienz bei einem hochgestellten Offizier und bot alle seine Beredsamkeit und allen Feuereifer seines Patriotismus auf, seinen „engeren“ Mitbürgern die beglückende Errungenschaft der „Banda“ zu erkämpfen. Plötzlich fuhr ihm der Offizier mit der Frage dazwischen: „Nicht wahr, in ihrem Bezirke ist der H. gewählt woden?“ Wäre dem unglücklichen Bittsteller in diesem Augenblicke die Anklage eines Raubmordes zugeschleudert worden, er hätte nicht fassungsloser dem Frager gegenüber stehen können, als da er solches aus dem entscheidenden Munde vernahm. Denn die geringste Strafe, welche ihn, respektive den Bezirk, für die politische Unthat dieser Wahl treffen werde, müsse unbedingt die Verweigerung der Musik sein. Kaum daß er etliche unverständliche Worte zwischen den angstgepreßten Lippen hervor zu murmeln vermochte. Aber als spräche der Richter im hochnothpeinlichen Prozeß das „Nichtschuldig“ über ihn und als wäre er dem Leben und der Freiheit und dem Glück zurückgegeben, und als hörte er die himmlische „Banda“ aller Engel aufspielen, so wurde es ihm, da der Offizier die entsetzliche Frage mit den Worten kommentirte: „Ein sehr gescheiter Mann, der H. – würde mich freuen, ihn kennen zu lernen.“

Die Wiener haben übrigens doch ihren ganz speziellen Schutzgeist, der sie nichtzu kurz kommen läßt. Und so verlieren sie denn auch heuer ihr Volksfest im Prater nicht, trotzdem der Gemeinderath dasselbe nach dem Rezepte Sr. Exzellenz des Herrn Grafen Belcredi sistirt hat. Sogar früher als sonst haben sie es, am 17. Juni schon statt am 18. August und ist es keine Verfassungsfeier zu nicht vorhandenen Zwecken, so ist es dafür ein „patriotisches Fest“ zu Kriegszwecken. Der Hofballmusikdirektor, Herr Johann Strauß, veranstaltet es, der Mann, nach dessen Friedensgeige die Wiener sonst zu tanzen pflegen. Ein staatskluger Mann, der besser als manche offizielle Politiker, begangene Fehler das zweite Mal zu meiden weiß. Im Jahre 1864, zur Zeit des schleswig-holsteinischen Kriegsenthusiasmus, gabe er ein „patriotisches Konzert“ im Sophiensaale und machte dabei die unfreundliche, aber tief in der Menschennatur begründete Erfahrung, daß der Saal halb leer blieb, denn die Konzertsaison war vorbei und man kann wohl für das Vaterland und den Ruhm und den Sieg seiner Waffen sterben, aber man geht schwer eigens deswegen in den Konzertsaal hinein. Ist es ja doch richtig auch bei der großen „Präziosa“-Vorstellung vorige Woche trotz aller direkten und indirekten Pression geschehen, daß sie die „Blüthe der Gesellschaft“ von den Logen fern hielt und hat doch auch ein patriotisches Konzert der Philharmoniker im Operntheater ein erschreckend leeres Haus gesehen, während in der Saison die philharmonischen Konzerte immer einen rasenden Andrand des Publikums sehen. Diesmal denn hat Herr Strauß die Sache praktischer angegriffen. An einem schönen Juniabend hat er kalkulirt, sehnt sich doch alle Welt inder Stadt nach dem Prater und diese Sehnsucht verträgt es wohl, daß man ihr eine leichte Kriegskontribution auferlegt. So kann er allerdings den Sammlungslisten zu einem recht stattlichen Zuwachs verhelfen, um die es ohnedies noch immer mager genug bestellt ist. Nicht 50,000 fl haben Wien und die Umgebung aufgebracht und die in penibler Situation befindlichen Leiter der Sammlungen haben bereits den etwas prekären und dem Charakter der „Freiwilligkeit“ nicht ganz anpassenden Beschluß gefaßt, eine Art Föderativsystem zu adoptiren und es bezirksweise zu versuchen, wohl auch, wenn es Noth thut, den Sammelbogen von Haus zu Haus wandern zu lassen. Ich habe mir bereits vor Wochen die Bemerkung erlaubt, daß mir die Geschichte mit etwas vorzeitigem und darum unzeitigem Eifer angepackt schien und der Erfolg hat mir bis jetzt Recht gegeben. Wie auch nicht anders möglich, da noch vor 10-12 Tagen etwas der Zweck der Sammlungen so wenig über alle Zweifel erhaben schien, daß in dem Schoße des Komités von einem Mitgleide desselben die Frage aufgeworfen werden konnte, was denn mit dem gesammelten Gelde geschehen würde, wenn es nicht zum Kriege käme? Worauf der Vorsitzende erwiderte, daß dieselben wohl an die Spender zurück erstattet würden, auf die weitere Bemerkung aber, daß denn schon einiges davon ausgegeben sei, nichts antworten konnte, als: „Das bereits Ausgegebene könne natürlich nicht zurück erstattet werden.“ Es ist eben auch eine politische Klugheitsregel, den Opferaltar für‘s Vaterland nicht eher aufzurichten, als bis er auf sicherem Grund und Boden steht. Freilich, Gott seis geklagt, ist der sichere Grund und Boden heute so gut wie schon da.

In seltener Harmonie sind alle unsere hervorragenden Bühnennamen in das politshce Wirrniß des Tages hineingezogen und spielen ihre Rollen ncht blos auf der Schauspielbühne. Das ist das Gesammtgastspiel eines Burgtheaterquintetts, das für Wallner in Berlin projektirt und kontraktlich festgestellt war, und dessen Einhaltung den Hofschauspielern, abgesehen selbst vom persönlichen Widerstreben, in ihrer eigenthümlichen Stellung als k. k.  Bemate so gut wie unmöglich werden muß. Direktor Wallner aber will von seinem „Schein“ nicht lassen, bevor ihn der erste Schuß durchlöchert haben würde. Diese Eventualität ist uns nun natürlich durch das Scheitern der Konferenzen bis dicht an die Nase gerückt und was auch Frankreich und Genossen über die österreichsichen Vorbehalte, an denen die Konferenz gescheitert ist, wenig Schmeichelhaftes denken mögen, die in die Klemme gerathenen Gastspieler werden diesen Vorbehalten, welche die kriegerische Lösung jenes fatalen Kontraktes n nächste Aussicht stellen, gewiß ihre beste Zustimmung geben. Da ist ferner Herr Meixner, der mit seinem bekannten Anerbieten, den Ertrag eines Pester Gastabends für den ersten Soldaten zu widmen, welcher sich druch eine hervorragende kriegerische That auszeichnen würde, in ein wahres Wespennest gestochen hat. Es werden ihm von Berlin aus wahrhaft pöbelhafte Dinge ins Gesicht geworfen, und ich war überrascht, selbst in dem „Montagsblatte“ Kossak‘s, einem Blatte von sonst ganz delikatem und fast prüdem Geschmack, die abscheuliche Glosse zu finden, daß Herr Meixner bekanntlich den „Spiegelberg“ in den „Räubern“ vortrefflich spiele. Mich wundert es nur, daß man dem Rivalen Beckmann‘s noch nicht vorgeworfen hat, er habe das auffallige patriotische Anerbieten blos aus Neid gegen Beckmann‘s Orden gemacht, und um sich die Anwartschaft auf Aehnliches zu eröffnen. Übrigens wird auch „Fritze“ in Berlin nicht geschont, dem es seine Landsleute nicht vergeben, daß er, dereinst der verhätschelte Liebling der Berliner, nun so viel in österreichischem Patriotismus mache – wobei sie freilich vergessen, daß das preußische Vaterland sich etwas schnöde gegen den ehrgeizigen Komiker erwiesen und ihn in Alszburg zur Zeit des Gasteiner Vertrages durch die nothgedrungene Dementirung de damaligen Ordensgerüchte schwer genug gekränkt hat. Warum also soll der tiefverletzte Komiker es dem Grafen Mensdorff nachmachen und die Erinnerungen von Gasteien zu vergessen suchen? Je mehr er daran denkt, ein desto dankbarerer Österreicher muß er doch sein.

D ist des weiteren die engagirteste Feindin, deren sich Graf Bismarck vielleicht erfreut und sicherlich keine ungefährliche, Fräulein Gallmeier, die nicht blos durchaus einen Freiwilligen auf die Beine bringen will und sogar von ihren Gastspielerträgnissen Kriegstantiemen nach Wien schickt, sondern sogar in der Anti-Bismarckerei gastiren geht und geharnischte Kouplets gegen den deutschen Störenfried in das deutsche Volk hineinwirft. Das kann ziwschen ihr und Herrn v. Bismarck ein so zartes Verhältnis werden, wie zwischen Napoleon und Frau von Stael, - wehe der lokalen Stael, wenn sie sich in die Gewalt des preußischen Vize-Cäsars begibt! Er kann ihr die Wahl lassen, entweder als preußische Jungfrau von Orleans vor der Armee herzuziehen, oder in den tiefsten Mauerlöchern der Berliner Posse elendiglich zu verkümmern. Viel diplomatischer hats shcon die Geistinger gemacht, die sich auch zu einer österreichisch-preußischen Frage zu entwickeln anfing. Sie hat es vorgezogen, ihre Gasteiner Konvention mit der Friedrich-Wilhemstädter Bühne aufrechtzuerhalten, Preußen das Recht der Besetzung der „schönen Helena“ ungeschmälert zu lassen und findet eine andere Art patriotischer Befriedigung darin, die Finanzverlegenheiten des Gegeners Österreichs zu vergrößern, indem sie den Berlinern ihr Geld abnimmt und es heimbringt, es dem Staate zur Disposition zu stellen – dem Staate nämlich, welchen die Dame macht. Verzeihen Sie den kompromittirend schlechten Witz, aber die Toilettenraserei, zu welcher es Fräulein Geistinger gebracht hat, würde noch schlechtere Witze rechtfertigen.

PL, Juni 1866

Aus Wien

SS. 22. Juni. Die Zeit ist wieder da, in welcher Geschäftsleute zum Journalisten mit aufrichtigem Neide zu sagen pflegen: „Ihr von den Zeitungen, Ihr habts gut. Je mehr die Dinge drunter und drüber gehen, desto bessere Geschäfte macht ihr ja, wie die Doktoren in einer Epidemiezeit, denn desto mehr werden die Journale gelesen.“ Denn der Krieg ist da! Ja, prost die Mahlzeit! Ein paar Zeitungsblätter mehr werden allerdings gedruckt – aber, du lieber Herrgott, bis man zum Drucken kommt! Was ist bis dahin Alles durchzumachen, was für Nachdenken, Grübeln, Nachfragen und Forschen zu Fuß und zu Wagen ist zu überwinden, bis die geschlossene Form mit ruhigem Bewußtsein der Maschine überantwortet werden kann! Es sind wieder qualvolle Tage für den geplagten Zeitungsmenschen gekommen, wenn er vor jeder anscheinend noch so harmlosen militärischen Notiz unentschlossen die Gedanken hin- und herwälzend dasteht und nicht bestimmen kann, ob er es wagen dürfe, dieselbe der Öffentlichkeit auszusetzen, weil sie möglicherweise eine Tragweite in sich schließen könne, von welcher er, als Laie eben, auch nicht die blasseste Ahnung hat! Das ist nämlich die neuesten Diätvorschrift für die Journale, der sie sich unbedingt zu unterziehen haben, wenn sie nicht des Nachts oder nach Umständen auch bei helllichtem Tage von allerlei Störungen des leiblichen Wohlbefindens, mit Konfiskationen usw. heimgesucht sein wollen. Seit drei Tagen wenigstens mehren sich die akuten Fälle einer mit drastischer Heftigkeit auftretenden Konfiskationsepidemie in wahrhaft beunruhigender Weise. Des Morgens, des Abends, wie es die Gelegenheit gerade bringt, wird lustig drauf los konfiszirt. Man will absolut, daß auch nicht ein nichtoffizielles Sterbenswörtchen über unsere Armee verlaute und geht da mit einem Rigorismus zu Werke, der es völlig unbegreiflich macht, wie es die ins Hauptquartier zugelassenen Berichterstatter ermöglichen werden, überhaupt Etwas zu berichten, ohne mit den maßgebenden Anschauungen in Konflikt zu kommen. Die Ungeduld des Publikums wächst von Stunde zu Stunde, und von Stunde zu Stunde wird den Journalen tieferes Schweigen auferlegt.

Doch wenigstens werden sie nicht ohne alle Vorkehrungen gegen das verderbliche Kontagium gelassen, und werden ihnen durch die Umstände vielfältigste Plagereien auferlegt, so genießen sie doch die freilich äußerst zweifelhafte und wenig befriedigende Genugthuung, daß sie unwillkürlich Leidensgenossen machen. Der Redakteur eines Blattes hat es am Ende doch nur mit seinem Blatte zu thun und hat er es sorgfältig gereinigt und gesaubert und Alles ausgemerzt, was sich möglicher Weise zu einem ersten Keime eines naiven Staatsverraths herauswachsen könnte, so ist sein Geschäft gethan und er kann ruhig Hut und Stock nehmen und die Redaktionsstube hinter sich zusperren. Was soll man aber dagegen zu den kleinen und großen Leiden jenes liebenswürdigen und mit wahrhaft aufopfernder Zuvorkommenheit in sein neues Amt einspringenden Stabsoffizier sagen, dem seit drei Tagen wie wahrlich nicht beneidenswerthe Ausfgabe geworden ist, das offizielle Orakel sämmtlicher, Auskunft und beruhigende Belehrung fordernden Redakteure Wiens zu sein, um ihnen vom frühen Morgen bis zum Nachmittag in der Amtskanzlei, vom Nachmittag dann bis zum nächsten Morgen in seinen eigenen vier Pfählen zur Verfügung zu stehen, um ihnen Red‘ und Antwort zu geben über ejde winzige Notiz, welcher vor der Drucklegung noch gefälligst Herz und Nieren geprüft werden soll, ob nicht verderblicher Stoff in ihr stecke. Für den bedauernswerthen Mann zum wenigsten existirt das in Wien noch nicht suspenirte Gesetz zum Schutze des Hausrechts dermalen nicht mehr. Sie können wohl denken, wie oft bei ihm die Glocke gezogen und an seine Thüre gekloft wird und daß lärmendstes, rauhestes Lagerleben ihm ruhig und behaglich dagegen erscheinen müßte. Die bereits angekündigte und in den nächsten Tagen schon ins Leben tretende Errichtung eines militärischen Preßbureaus ist als eine Art rettender Notwehr für den trefflichen Offizier zu betrachten in dem überfluthenden Gewimmel von Journalen.

Seit dem Tage des kaiserlichen Manifestes hat Wien nicht weniger als fünf Abend- und zwei Morgenblätter als Zuwachs bekommen. Auch die Regierung hat das dringende Bedürfnis gefühlt, dem ungestempelten Morgengestirne am journalistischen Himmel, dem „Tagblatt“, einen dritten ungestempelten Abendstern zum Geleite zu geben und ein Kreuzer-Abendblatt, „Die Feldpost“ erscheinen zu lassen. Sie sehen, daß mitten im Kriegslärm doch die Regierungskünste des Friedens durchaus nicht vernachlässigt werden. Wir haben nun in Wien sieben Zeitungen mehr, die alle insgesammt dem Publikum nicht das sagen und bringen, was es zu hören und zu lesen wünscht: Nachrichten von unserer Armee. Die Aufregung, welche sich aller Welt bemächtigt, fängt bereits an, jenen Grad fieberischer Hast zu erlangen, in welchem die Phantasie des Amt des Telegraphisten und des Berichterstatters übernimmt und die Nachrichten, die man ihr vorenthält, sich aus eigener schöpferischer Machtvollkommenheit aus dme Nichts hervorzaubert. Allerdings geschieht es dann mitunter, daß die Zauberei mißlingt und daß der stolze Siegesaar, den die überhastige Zauberin in die Lüfte senden will, als quatschige Ente aus garstiger Metamorphose hervorgeht.

Was war das vorgestern für ein Seligkeitsrummel auf der Börse, bei Fetzer, bei Stierböck und in den umliegenden Ortschaften! Kredit hinauf, Napoleons herunter, - hoch die Hausse, nieder mit der Baisse. Wir hatten gesiegt, bei Ratibor gesiegt, hatten Oppeln besetzt und waren in direktem Anmarsch gegen Breslau! Der Feldzeugmeister in Olmütz selbst wäre wohl erstunt gewesen über den forcirten Marsch und die forcirte Waffenthat, welche ihm die Wiener Strategiker der Koulisse präsentiren! An die alte „Presse“ sei das Telegramm gekommen, sagten die Einen, - an ein großes Handlungshaus, welches mit der Regierung in Verbindung stehe, sagten die Zweiten, - an Beide zugleich, die Dritten. Gesehen, in Händen gehabt, mit eigenen Augen gelesen hatte das Telegramm freilich Keiner, aber der Eine hatte es im Kaffeehause vorlesen gehört, der Andere wieer hatte einen guten Bekannten gesprochen, der es wirklich mit eigenen Händen gegriffen. Und kurz und gut, es war an der Sache gar nicht zu zweifeln. Das ging wie ein Lauffeuer und wer nur durch irgend eine verdächtige Miene auf der Straße verrieth, daß er aus einem Redaktionsbureau „ausgekommen“ sei, der konnte sicher sein, aufgegrifen zu werden und Bescheid geben zu müssen, ob wirklich 300 Österreicher und 1200 Preußen gefallen, ob wirklich 8000 gefangen seien und in wieviel Tagen die Österreicher beiläufig in Berlin eingerückt sein könnten. Die Siegeszuversicht ist heir eine so unerschütterliche, so felsenhaft wurzelnde, daß nicht die Möglichkeit aufkommt, es könne ein kleines Vorpostengefecht ungünstig ausfallen. Daß die Preußen versuchen könnten, auch nur ein einziges Mal Stand zu halten, geht den Wienern gar nicht in den Gedanken. Das hat sein rührend Schönes, das hat allerdings auch sein Schlimmes.

Bunte Gerüchte, heitere und düstere, durchkreuzen auch nach anderen Richtungen die ahnungsschwere Atmosphäre. Ein wohlgekannter Fleischhauer, der jeden Nachmittag mit einer Kaffeehausgesellschaft seinen Tapper macht, konnte es sich, da er nach mehrtägiger Abwesenheit wieder zur gewohnten Stunde am Spieltisch erschien, nicht erklären, warum die Tischgenossen ihn mit einem gewissen Befremden, mit einer Art scheuer Miene empfingen, warum sie sich gar so fragend und dann wieder ihn ansahen, als wollten sie sich vergewissern, ob er es denn wirklich sei. Es wurde ihm einigermaßen beklommen zu Muthe, besonders da man seiner Gegenfrage auswich und nur mit verlegenem Lächeln darauf antwortete. „Es sein durchaus nichts vorgefallen und er täusche sich, wenn er etwas Besonderes zu bermerken glaube.“ Endlich war doch Einer offenherzig genug, seinem weiteren Andrängen Rede zu stehen, und da erfuhr er denn zu seinem Entsetzen, daß er eigentlich gar nicht mehr mit Fleisch und Bein lebend herumwandle, sondern seit dem Morgen desselbigen Tages erschossen auf irgend einem Sandhaufen liege, dieweil er Ochsen für die preußische Armee über die Grenze geschmuggelt habe. Die Schreckensnachricht war mit allem bestimmten Detail der Tischgesellschaft zugekommen, das Ausbleiben des also vom tragischen Gerücht zu Tod Getroffenen hatte das unheimliche Grauen noch vermehrt und sein Erscheinen hatte darum panisch wie Banquo‘s Geist gewirkt. Daß übrigens das finstere Gerede denn doch irgend einen thatsächlichen Hintergrund habe, daß irgend eine ähnliche Katastrophe wirklich vorgekommen sei, wird vielfach behauptet, von Lokalkorrespondenzen mit voller Namensnennung der angeblichen Opfer dieses militärisch-bürgerlichen Trauerspiels; doch wäre sich nicht abzusehen, warum in solchem Falle nicht das volle Urtheil publizirt würde. Feldzeugmeister Benedek ist nicht der Mann, abschreckende Beispiele hinter geschlossenen Festungsthoren zu geben.

Und in solcher Zeit gibt es noch Leute, welche Theater spielen und, was noch bei Weitem merkwüriger, Leute, welche ins Theater gehen. Die Menschen sind doch eigentlich höchst kurios organisirte Geschöpfe. Bis Benedek losschlägt, können sie nicht erwarten, aber geduldig saßen sie am vergangenen Monat 5, sage volle fünf Stunden, von 7 Uhr bis in die tiefe Mitternacht im Theater an der Wien und sahen sich die „Hirschkuh“ an, das neue Dekorationswunderstück, für welches Direktor Strampfer französische Allianz herangezogen hatte. Und Abend für Abend sitzt das stattlich gesammelte Publikum da, wenn auch nicht mehr bis Mitternacht und lacht über die dümmsten Dummheiten so kindisch und freut sich so herzlich all‘ der leinwandenen Pracht und all der cachirten Herrlichkeit, daß einem ordentlich Weh um die Seele wurde. Denn unwillkürlich mochte man denken: „Welch unsäglicher Jammer wartet wohl all dieser Menschen da draußen, wenn sie, um ihn auch nur momentan los zu werden, um die drückende Bande finsterer Sorge nur für Augenblicke abzustreifen, über die kindhaften Einfältigkeiten dieser Posse nach Herzenslust lachen können!“ Direktor Strampfer wußte recht gut, was er that, als er trotz solcher und gerade solcher Zeit die schweren Tausende auf die Ausstattung wandte in der festen Überzeugung, sie hereinzubringen. Er bringt sie herein. Die Wiener flüchten wieder recht gern ins Mährchen, einen neuen Raimund bräuchten sie nöthiger als je – er könnte ihnen wahrhaft Trost und Labsal sein.

Was für ein prächtiger Vorwurf für eine Raimund‘sche Zauberposse wäre das nach vielem Ach und Weh und denn doch sieghaft hervorgegangene Dreiquellenprojekt des Gemeinderathes! Es ist „im Prinzipe“ angenommen, im Prinzipe ist sogar das Prinzip der 14 Millionen angenommen, welche es kosten soll. Aber in der That ist das Geld noch nicht bewilligt. Und dabei kann sich folgende erheiternde Konstellation ergeben. Das Projekt selbst bedurfte nur der einfachen Majorität, die es auch hatte; die Geldbewilligung bedarf aber einer Zweidrittel-Majorität, die nicht da war, und so kann es kommen, daß das Projekt gut geheißen und angenommen, zur Ausführung vorbereitet und nur kein Geld dafür bewilligt wird. Die Geschichte hätte ihren Humor! Drei gefangene Quellennixlein, die des güldenen Zaubers harren, aus ihrem Felsenkeller befreit und gen die große Stadt geleitet zu werden – Dr. Zelinka als erlösender Paladin – die äußerste oppositionelle Linke als böse Zauberer und dräuende Riesen, die grimmen Gefangenwärter der sehnsuchtsvollen Nixlein – wie gesagt, das prächtigste Raimund‘sche Zauberstück.


PL, Juli 1866

Aus Wien

SS. 6. Juli. Armeen dezimirt, Provinzen verwüstet, Länder verloren – und das Alles in einem Zeitraum von einem Feuilleton zum andern! Wann schrieb ich Ihnen doch das letzte mal? Acht Tage nach der Kriegserklärung und heute schreibe ich Ihnen schon drei Tage nach einer vernichtenden Katastrophe. Wahrhaftig, die Weltgeschichte wird kurzlebig, wie das ganze armselige Menschengeschlecht, sie arbeitet mit stenographischer Raserei, sie rechnet ihre großen Zeitabschnitte nicht mehr nach Dezenniern, sondern nach – Feuilletonsterminen. Es ist ein gar grausames, entsetzliches Wort, das heute einer mit Bitterkeit gefüllten patriotischen Seele entschlüpfte, aber es hat die buchstäbliche Wahrheit für sich, wenn die Dinge wirklich so stehen, wie man heute sagt. Vom Waffenstillstand wurde heute gesprochen und vom Frieden, der nothewendigerweise darauf folgen werde und da rief eine schneidig erregte Stimme: „Das wäre schrecklich. Gegen Friedrich den Großen haben wir einen siebenjährigen Krieg geführt und gegen Herrn von Bismarck sollten wir es nur zu einem siebentägigen bringen?“ Genau ein siebentägiger, vom 27. Juni, vom Tage der ersten Kämpfe, bis zum 3. Juli, dem großen Unglückstage… „Das ist eine Abkürzung des Verfahrens in Streitsachen“ bemerkte ein Jurist, vor der uns der Himmel fürder bewahren möge!

Ich habe Wien in den dumpfen, todesschweren Standrechtstagen des Jahres 1848 gesehen, in den Tagen, da schuldloseste Gemüther schwer gedrückt und geängstigt herumschlichen, als hätten die an den Straßenecken klebenden kriegsrechtlichen Urtheile ihnen gegolten und als gingen sie ganz widerrechtlich mit lebendigem Leibe herum – ich habe diese Tage des Schreckens und der bleiernen Furcht mitgemacht, aber man sah doch damals aufrechte Köpfe und stolze Blicke und triumphierende Mienen, es gab doch da eine siegreiche Partei in Wien! Ich bin nach dem Schlage von Solferino in den Wiener Straßen herumgegangen und habe viel aufrichtigen Schmerz, viel wahre Erschütterung, viel echtes Betrübnis gesehen – aber heute darf man‘s wohl sagen und es ist schon oft gesagt worden, aber auch viel getröstete Gesichter, gehellt von der Ahnung, daß, was auch auswärts verloren, nohc immer zum heilsamen Gewinn umschlagen könne, daß die Weltgeschichte da eine ihrer großen Lehren vollzogen habe und man sich die schmerzhaft eindringliche Lehre zu Nutzen machen werde. Es gab damals eine hoffende Partei in Wien. Heute ist Grau in Grau das gleiche Stimmungsgewölke über die ganze Stadt gebreitet, heute gibts in Wien keinen Sieger – außer vielleicht irgend einen verirrten Preußen, der sich alle erdenkliche Mühe gibt, die innere Herzensfreudigkeit hinter sehr dünnem Schleier melancholischen Bedauerns zu bergen – keinen Sieger und sehr wenige Hoffer. Man ist bitterlich verzweifelt. Wo man hinschaut, die Menschen gruppenweise beisammen stehend, wo man hinhorcht, Worte des Jammers, der Erbitterung, des Ingrimmes – Freunde halten einander auf der Straße an, befragen einander, ergießen ihr Herz gegeneinander – derselbe Grundthon in den auseinanderliegenden Theilen der Stadt, in den geschiedensten Schichten der Bevölkerung. Zu verwundern ist nur, und das macht der Haltung der Wiener Bevölkerung alle Ehre, daß bei allem Groll, allem Unmuth, allem tiefen Weh doch auf keiner Seite noch irgend ein lauter Ausbruch der heftig gepreßten Gefühle vorgekommen ist. Nur am Nordbahnhofe, erzählt man mir, sei es vorgestern zu einer kleinen, aber lebhaften Szene gekommen. Ein vielgenannter und vielgekannter Kavalier habe der Ankunft eines Verwundetentransportes beigewohnt, sei drauf in seine Equipage gestiegen und habe dem Kutscher zugerufen: „Ins Kasino!“ Da sein ein „Mann aus dem Volke“ auf dne Wagen losgestürzt und habe dem Besitzer desselben unsanfte Worte zugebrüllt. Der Kavalier habe das Taktvollste gethan, was sich Angesichts der nicht gar freundlichen Mienen der umstehenden Menge thun ließ, er sei, ohne einen Laut zu verlieren, von dannen gefahren. So, wie gesagt, wird mir erzählt und in der Stimmung liegt allerdings eine Möglichkeit der Szene.

Ja, der Nordbahnhof und die Straße dahin! Ich wohne an der Straße – ein Schritt zum Fenster und in kleinen Bildern zieht das ganze große Elend des Tages an mir vorüber. Da kömmt langsam eine Gruppe heran, sie ringt sich um einen usnerem Auge noch verhüllten Mittelpunkt, die Gruppe theilt sich, eine Tragbare wird sichtbar, ein Dienstmann hält die vorderen Stangen, ein Soldat die hinteren, ein Verwundeter leigt auf der Bahre, aschgrau, verfallen das Gesicht, ein Ausdruck de überwundenen Schmerzes die ganze Miene, das Haupt auf die Brust gebeugt, beide Hände in der Binde, die Füße dicht zugedeckt – und kämen nun Hunderte und Tausende dem Einen nach, die könnten wohl den Begriff des Jammers größer machen, aber kaum tiefer den Eindruck, den herzzermalmenden, welchen dieses eine Beild des Kriegsgreuels in die Seele bohrt. Da wankt ein Trupp elendig aussehender Marodeurs heran, todesmatt, das Auge erstorben, die Lippen trotz der schon genossenen Labung rasch wieder in verdorrender Trockenheit, die Füße kaum mächtig, wenn der eine Schritt gethan, zum nächsten auszuholen – ein Bild, nicht mit so jähem Schritt ins Gemüth fahrend, wie der Anblick des wundenkranken Mannes, aber treuer vielleicht die langsam wühlende Verwüstung des Krieges zeigend. Da rasselt eine kleine Wagenburg heran, Packwagen, Kisten darauf, Manner vom Fuhrwesen das Geleite – ärarisches Gut, welches in Sicherheit gebracht wird. Singend und lustiger Dinge voll, scherzend und lachend kömmt eine Schar Rekruten gezogen, sorglos dem gelichen Geschick entgegengehend, dessen Opfer da eben vorbeigetragen worden und zwischen sie drängt sich, ahnungslos brüllend, die Heerde frischer Rinder, die nordwärts getrieben wird für den Bedarf des Heeres. Es ist eine welthistorische Straße geworden, die zu dme historisch gewordenen Bahnhof führt, dem Schmerzensbahnhof Österreichs. Den Stolz des Reiches hatte man ihm anvertraut, das Unglück des Reiches bringen seine Schienenwege dafür heim, sendet er aus seinen Thoren in die Straßen und die Häuser Wiens.

Die Wasserstraße aber braucht auf den Schienenweg nicht eifersüchtig sein, auch sie hat ihre Mission. Nicht daß sie die traurige Aufgabe der Sorge für die Verwundeten mit jenen getheilt und auf ihren weichen Wellen die kranken Manner sanft stromaufwärts nach freundlichen Heilstätten geleitet hat, - nein, sie hat eine inhaltsschwere Bestimmung und zwar weist diese stromabwärts, zu Ihnen hinab, nach Ungarn. Ihr Land bekömmt die schmeichelhafte Aufgabe, die Schatzkammer Österreichs zu werden, - das Theuerste in gewissem Sinne, was Österreich hat, der Metallschatz der Nationalbank wird den Wällen der unbezwinglichen ungarischen Donauveste, den Wällen Komorn‘s, anvertraut. Drei große, dunkle Schiffe stehen seit gestern hart am Donauufer in der Nähe der Ferdinandsbrükce, direkt gegenüber den Abendbivouaks jener großen Kriegsparteien, in deren Lager der Silberkurs ist, der Haussiers und Baissiers bei Stierböck und Fetzer. Vor ihren Augen, nur durch den schmalen Wasserarm getrennt, werden da drüben von den schlichten Leiterwagen simple Fäßchen, die ganz gewöhnlichen Bierfäßchen gleichen, abgeladen und auf die Schiffe gebracht, und darin liegt wohl verwahrt und in sicheren Banden jenes sagenhafte, strahlende Idol, dessen Kultus Tausende von Leben füllt, dessen heller und matter Widerschein Glückessterne rasch erglänzen und ebenso rasch wieder erbleichen, erlöschen macht – darin ruht der Schatz der Nationalbank. Die umgekehrte Argonautenfahrt! Nicht das goldene Vließ zu holen, nein, es in Sicherheit zu bringen vor etwaigen ungebetenen Argonautenfahrern aus dem Norden, die es gerne holen möchten und die, wenn auch vorerst in kleinerem Maßstabe, vielfache Proben gegeben haben, wie vortrefflich sie sich auf dieses mythologische Geschäft verstehen.

Von der Franz-Josephskaserne herüber tönt aber das jauchzende Gejohle der Freiwilligen, der glücklichen Menschen, die Wien zur Stunde zählt. Sie haben Geld in der Tasche, was den meisten von ihnen wohl nur selten im Leben passirt und sie haben die beste Hoffnung in der Brust und in der Faust, mit dem Bismarck und den „Zündnadelrittern“ doch noch fertig zu werden, und es mient ein Jeglicher von ihnen überzeugt sein zu dürfen, daß, wenn er nur da oben gewesen wäre, es doch anders hätte gehen müssen. „Wie wir dö Preußen zusammenplescht hätten“, schrie ein sechzehnjähriger Bursche mit dem Sträußchen auf der Kappe und auf das Beifallslachen eines Vorübergehenden war der Bursche auch gleich industriös genug, die Belohnung seiner patriotischen Entschlossenheit in Form einer Zigarre anzusprechen, und da Jender zufällig keine in der Tasche hatte, ihn sogleich mit dem schmeichelhaften Titel „Schundian“ zu beehren. Es ist etwas recht Schönes um die patriotische Begeisterung, aber man thut in Wirklichkeit gut daran, sie hinter den Gitterhroten der Kaserne in Zügel zu halten, denn die Wiener erinnern sich noch mit gelindem Schrecken an die Freiwilligen des Jahres 1859, die zu spät auf den Kriegschauplatz gelangten, um an den Kämpfen noch Theil nehmen zu können und die dann nach der Heimkehr dem verhaltenen Thatendrange in den Straßen Wiens etwas Luft machten. Ein ganz allerliebestes kriegerisches Genrebild bot übrigens so ein Freiwilliger, der an einem Kasernenfenster lag, den Arm mit herzlicher Brüderlichkeit um den Hals eines preußischen Gefangenen geschlungen haltend und und ihm einen Zigarrenstummel zwischen die Zähne steckend.

Von der Franz-Josephskaserne dann abwärts, nach rechts eingebogen, in die Wollzeile hinein, - da sind wir erst recht im wildesten Zeitgetümmel. Die Zeitungsstraße, die Straße der Extrablätter, die Straße der fiebernden Neugier, der keuchenden Spannung, einer von Stunde zu Stunde sich erneuernden wilden Jagd! Am tobendsten wogt das Gedränge gewöhnlich um das Expeditionslokale der „Wiener Zeitung“ – denn das amtliche Blatt hat das traurige Privilegium, auch dann ein Extrablatt herausgeben zu müssen, wenn die anderen Blätter es nicht für passend erachten, mit einem solchen in die Öffentlichkeit hinauszugehen, wenn nämlich eine Unglücksnachricht zu verkünden ist!

PL, August 1866

Aus Wien

SS. 4. August. So ist denn Pest vorderhand wieder um die Aussicht gekommen, der Sitz eines Ministeriums zu sein – nicht eines ungarischen, sondern des ihm zugedacht gewesenen gesammtstaatlichen, welches den Schwerpunkt seiner Thätigkeit bekanntermaßen jenseits der Leitha zu verlegen gedachte. Blos für die Kriegsdauer natürlich. Nun aber bekommen wir Frieden und die Minister ziehen es natürlich vor, in ihren Hotels und ihren Lebensgewohnheiten sitzen zu bleiben und nicht zum Deák zu gehen, sondern lieber den Palaczky und den Brauner zu sich nach Wien kommen zu lassen. Es ist das wirklich ein kurioses Ding mit dem Verhältnis zwischen Pest und den Wiener Regierungsmännern, sie wollen nun einmal durchaus nicht zusammenkommen. Einmal schiebt sich der Krieg dazwischen und einmal der Frieden und einmal wieder was Anderes. Und riskirt‘s Einer und wendet sich nach Pest, so passiren ihm gleich allerlei Unannehmlichkeiten, wie das neuestens Sr. Exzellenz dem Herrn Sektionschef Kappel v. Savenau widerfahren. Mit einem überaus scharfen Blick für die Nothwendigkeiten der Situation hatte der Leiter des Steuerwesens bei der ersten, noch ziemlich fernen Vorwärtsbewegung der Preußen
 Gegen Wien sich beeilt, den Hauptrepräsentanten der Steuerkraft des Reiches, sich nämlich, in ungehemmter Wirksamkeit zu erhalten und zu diesem Behufe an die sicherste Stätte, nach Pest, zu bringen und so groß soll die Fürsorglichkeit des von dem Bewußtsein seiner Wichtigkeit getragenen Beamten gewesen sein, daß man sich erzählt, er habe in einem eigenen Schreiben an die Nordbahnverwaltung dieselbe für den unversehrten Transport seiner Persönlichkeit förmlich verantwortlich gemacht. In Pest angekommen, erzählt man hier weiter, habe sich das bedeutende Organisationstalent Sr. Exzellenz in einer raschen und gründlichen Einrichtung seines Departements und seiner Apartements – man sprach von einem kleinen Dutzend derselben – sich kundgegeben. Kurz, Herr v. Kappel hatte den Beweis geführt, wie bequem es ein Wiener Regierungsmann in Pest haben kann, wenn es sich dort nur einzurichten versteht. Und was geschieht nun? Die Zeitungen haben es dieser Tage erzählt – pensionirt wurde der in Neueinrichtungen allzu energische Staatsmann und zwar, fügt man hinzu, sei die Pensionirung so rasch erfolgt, daß der betreffende Vortrag binnen 24 Stunden seine Erledigung fand. Wie nichtig ist doch alles Irdische! Baue nicht auf den Schutz der Offiziösen! Singt schon der Psalmist.. Was hat es nun Herrn v. Kappel genützt, daß ihn vor wenigen Wochen noch die „Wiener Abendpost“ gegen die „Neue Freie Presse“ in Schutz nahm und seine überaus schleunige Selbsttransferirung nach Pest mit dem Nimbus einer höheren Mission umgab? Dadurch wird nun doch nicht gehindert, daß demnächst die offizielle „Wiener Zeitung“ in ihrem amtlichen Theile Herrn v. Kappel in den unfreiwilligen Ruhestand verweisen wird.

In dem fragwürdigen Zustand befidnet sich übrigens ganz Wien, mit dem Unterschiede höchstens, daß Herr v. Kappel seinen ganzen Gehalt als Pension bezieht, während Wien doch noch Einiges zu wünschen hat, bevor es zu seinem ganzen Gehalte komt, obwohl es auch wahrhaftig schon seine volle Dienstzeit durchgemacht hat. Ungleich vertheilt sind die Lose der Sterblichen; während ein Journalist mit dem Hofrathstitel bedacht wird, kommen die anderen vor das Militärgericht und müssen sich „drei Stunden vor der Ausgabe täglich unters Maß stellen“, das heißt, ihr Pflichtexemplar an die Preßbehörde senden. Man meint vermuthlich, daß es unter bewandten Umständen nicht viel auf sich habe, wenn das Publikum das, was es jetzt allenfalls noch erfahren kann, etwas später erfährt. In der Ausgabe der Morgenblätter macht das allenfalls keine Störung, aber mit dem Abendblatt als „Tuthat zum Diner“ ist es schlimm bestellt. Es kann vor halb 5 bis 5 Uhr kaum auf dme Platz sein und ist dadurch um einen großen Theil seiner Wirkung gebracht. Die alte „Presse“, welche ihr Abendblatt zur regelmäßigen Stunde ausgab, ohne die dreistündige Frist einzuhalten, wurde, wie ich höre, vor da Kriegsgericht zitirt. Sie will sich in ihrer Vertheidigung darauf stützen, daß das Preßgesetz in der Belagerungszustands-Kundmachung nicht als supspendirt erscheine und in demselben die bezeichnete Frist nicht vorgeschrieben sei. Eine Nachtragsverodnung darüber sei aber nicht erschienen und wenigstens eine solche sei doch nothwendig, um eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung zeitweilig aufzuheben oder umzuschaffen. Was kann übrigens das Resultat davon sein? Die Nachtragsverordnung wird erscheinen und die Sache wird ihre „gesetzliche Regelung“ gefunden haben. Die Verordnungen reiten schnell.

Übrigens muß man es unserem Belagerungszustande nachsagen, daß er die Entfaltung parlamentarischer Thätigkeit durchaus nicht hindert. Ja, die Minister selbst bieten hilfreiche Hand dazu und haben vor wenigen Tagen erst eine berathende Körperschaft einberufen, eine beschließende sogar, welcher das höchste Befugnis repräsentativer Versammlungen eingräumt worden ist, das Recht, Geld herbeizuschaffen, oder wenigstens die nöthigen Behelfe dafür zu bieten. Nicht eine Betreuung des Reiches, doch aber eine Vertretung der Reichen, die Versammlung der Finanznotablen, welche die 30 Millionen klingender Silbergulden vermitteln sollte. Nicht der Finanzminister rief sie zusammen, sondern der Staatsminister – zur Abwechslung – ich begreife es, daß einmal dem Finanzminister die Laune ankömmt zu sagen: „Ich verzichte auf da Monopol, fort und fort Geld zu begehren und überlasse es meinem Kollegen, sich auch einmal das Vergnügen anzuthun.“ Genug, die 30 Millionen werden beisammen sein, der Finanzkongreß hat seine Schuldikeit gethan, Graf Belcredi hat, wie die „Morgenpost“ erzählt, beifällig genickt, als Baron Rothschild von der künftigen Reichsvertretung sprach – was will man mehr. Graf Belcredi steht nun einmal so fest, daß von seinem Kopfnicken das Meiste abhängt, und er hat genickt! Hoffen wir, daß, wenn nächstens mehr als 30 Millionen benöthigt werden – und der Fall wird eintreten – und wenn dann die Finanznotablen nicht mehr ausreichen oder nicht noch ausreichen wollen, an die Einberufung einer umfassenderen Vertretung gegangen werden wird. Ja irgend eine Posse sagt der Teufel, der die komische Figur spielt, zu dem geldbedürftigen Helden, der ihn beschwört: „Ich sehe, mein Sohn, du brauchst nicht viel Geld, aber oft.“ Etwas Aehnliches ist‘s mit uns. Wir brauchen auch oft Geld, aber viel, und darum brauchen wir hoffentlich eine Volksvertretung, in welcher nicht blos die Repräsentanten der Millionen, sondern auch die des Guldens sitzen.

Ein Volksvertreter aber ist im Innersten seiner Seele über den Belagerungszustand vielleicht nicht ganz ungehalten. Das ist unser vortrefflicher Bürgermeister, der gerade im besten Zuge war, zum Oppositionschef wider Willen gestempelt zu werden. Ich habe Ihnen vor längerer Zeit einmal, als ich unseren Lordmayor mit kurzen Umrissen zeichnete, von der englischen Bürgerader in seinem Wesen gesprochen, von jenem zähen Rechtssinn, jener stillen Unerschrockenheit, die sich in ruhigen, gleichgiltigen Tagen unter dem Hauskleide der Loyalität birgt, die aber in Tagen der Gefahr und wo es den Mann gilt, wi ein verborgenes Panzerhemd ihre Kraft bewährt. Nicht der Repräsentant des ausgeblideten Bürgermuthes, nicht der Hausherr des Londoner Mansion-House brauchte sich der Worte zu schämen, mit welchen der Bürgermeister von Wien die Ehre der von ihm vertretenen Bevölkerung wahrnahm und vor Mißdeutung zu wahren suchte. Aber damit war der innern und äußern Pflicht Genüge geleistet und nun begehrte er Ruhe, Erholung. Nun aber drohten erst Ovationen, Vertrauensadresen, Deputationen, vielleicht sogar Fackelzüge und Serenaden, und Dr. Zelinka erschrak im Innersten seiner Seele. Nicht daß er sich vielleicht schon als unfreiwilliges Haupt einer im Aufstand befindlichen Stadt sah, nicht daß ihm die beunruhigenden Vorbilder berühmter, aber unglücklicher Vorgänger, wie Ulrich Holzer und Andere, um den Sinn herumgaukelten: nichts von Dem. Aber dem bescheidenen, anspruchslosen Manne wurde angst und bange vor den Glorifizirungen. „Ich bitt‘ Euch um Gotteswillen, Kinder, schrie er in völliger Seelenangst in seine Vertrauten aus dem Gemeinderath hinein, nur Ruh gebt‘s mir, ich hab ja gethan, was ich hab zusammenbringen können, aber mehr halt ich nicht aus. Nur keine Adressen, um Gotteswillen!“ Und ein gnädiges Geschick erhöhrte ihn, und bevor noch die erste der Vertrauensadressen mit ihrer langen Reihe von Unterschriften ihm von glacébehandschuhten Händen überreicht war, legte sich die eiserne Hand des Belagerungszustandes in‘s Mittel und erlöste den braven Mann aus schwerer Seelenpein.

Damit die Unterhaltung auch im Belagerungszustande nicht ausgehe und nicht blos auf die Depeschen aus dem „Staatsanzeiger“ und der „Norddeutschen Allgemeinen“ und auf die Konfiskationsnachrichten des „Figaro“ beschränke, ist den blutigen Kämpfen des abgeschlossenen Feldzuges ein nicht minder mörderischer Theaterkrieg gefolgt, der gelichfalls mit einer Annexion enden soll. Direktor Treumann wollte, wie es scheint, von den Erben des Karltheaters eine Pachtermäßigung erzwingen und erbat sich, in der Überzeugung, daß nicht sogleich ein anderer Pächter aufzutreiben sei, mit gewissermaßen drohender Miene die sofortige Pachtauflösung. Die Erben, deren Verbindung mit dem gefährlichen Rivalen Treumann‘s, mit dem „Parvenu“ Strampfer – wie man sich in der von legitimen Traditionen getragenen Kanzlei des Karltheaters auszudrücken pflegt – nicht von gestern zu datiren scheint, nahmen Treumann unversehens beim Wort und schlossen einen Pachtvertrag mit Strampfer, welcher diesem die Direktion des Karltheaters überträgt. Das gab natürlich verdutzte Mienen im Karltheater. Schließlich scheint man dort aber gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und Karl Treumann, der schon seit Jahr und Tag ein etwas bequemer Herr geworden, sieht sich vielleicht sogar nicht mit starkem Widerwillen gezwungen, sich in einen behaglichen Ruhestand zurückzuziehen, als ihn dermalen Herr v. Kappel und Wien genießen.

PL, Nov. 1866

Aus Wien

(Rückkehr des Kaisers – Beust und die „Wiener Zeitung“ – Adele – Advokatenskandal – Tod des „Anwalts der Armen“ – Belcredi – Hoftheaterintrige)

SS. 9. November
Der Kaiser kehrt heute Abend in die Residenz zurück und die Straßen, welche vom Nordbahnhof nach Schönbrunn führen rüsten zu gebührender Begrüßung und zur Illumination. Von weiteren Beleuchtungsprojekten ist auf den Wunsch des Monarchen Abstand genommen worden, dessen Fürstenherz Eindrücke von der beendeten Rundfahrt heimbringt, die sehr schlecht zu festlichem Gepränge passen müßten. Man erzählt sich dabei mancherlei Koulissengeschichten. Gewiß ist, daß die kaiserliche Intervention dem Übereifer einiger Beamten entgegengetreten ist, die, minder feinfühlig als der Monarch, es durchaus auf das Arrangement größerer Empfange abgesehen hatten, und es an Konferenzen und Berathungen und Besprechungen mit den Gemeindeorganen nicht fehlen ließen. In diesen Konferenzen soll mancher interessante Gegensatz zu der katzenbucklerischen Gefügigkeit der fünfziger Jahre, wie Baron Bach und Baron Seiler sie fanden, hervorgetreten sein; einige von den Vertretern der Bevölkerung sollen mit aller Mannesoffenheit ihre Meinung ausgesprochen haben, daß prunkende Einzüge unmöglich zu der Stimmung des Kaisers passen könnten und das man besorgen müsse, eben jenen Kontrast zwischen der außeren Szenerie und der inneren Bedeutung des Momentes zu schaffen, dessen Vermeidung auch in der That, wie gleich darauf die offiziöse Notiz ausdrücklich betonte, der persönliche Wunsch seiner Majestät war. Die Zeit ist auch wahrhaftig nicht darnach angethan, Freudenfeuer zu zünden, wie phantasievoll und pittoresk auch das Phantasiegerüste sein möge, welches in der „Wiener Abendpost“ für das große österreichische Zukunftsfeuerwerk gezimmert wird, zu dessen Inszenesetzung ein berühmter auswärtiger Phyrotechniker berufen worden ist, der sächsische Baron Feuerbrand, der sich aber entschlossen haben soll, als bescheidenes Friedensflämmchen fortzuleuchten und faktisch nur zu leuchten, nicht zu zünden.

Wissen Sie aber, wer vor allem sich von Herrn von Beust große Dinge verspricht? Das sind die Offiziösen, welche mit großer Befriedigung erzählen, jetzt sei erst recht ihre Zeit gekommen, denn der Baron aus Sachsen sei der Mann „voller Maxen“, wo es sich darum handle, ds journalistische Triebwerk für sich in Gang zu bringen. Er verstehe das Geschaft en gros, mit Geist, Eleganz und mit Vermeidung des zweideutigen Detailhandels zu betreiben, der jetzt auf dem journalistischen Regierungsmarkt florirt. Besonders die neuamtliche Greislerei der ungestempelten Kreuzerblätter soll den sächsischen Staatsmann mit einem Humor erfüllt haben, welcher durchaus nichts Schemichelhaftes für den hochgestellten Schöpfer desselben gehabt habe. „Putzig“ – der Ausdruck wird uns garantirt – habe Herr v. Beust die Idee dieser Kreuzer-Leibwache des Ministeriums gefunden. Auch sei es bereits, wird mir erzählt, zu einem ziemlich ernsten Auftritt zwischen dem neuen Minister und einem Hauptleiter der Wiener Ungestempelten wegen eines Artikels gekommen, worin die amtliche Jugendliche die Kompetenz der Volksvertretung in den großen Angelegenheiten des Militärwesens in Abrede stellte und dieselben der alleinigen Autorität der Regierung überantworten wollte. „Eine solche Presse“, hätte beiläufig der Minister dem ungestempelten Reiter des Ministeriums zu verstehen gegeben, „erschwere allerdings das Regieren.“ Eben lese ich auch in einem heutigen Blatte, daß Herr v. Beust es sich bei allen Offiziösen verbeten habe, persönlich von ihnen in ihren polemischen Schutz genommen zu werden. Das geht offenabr nur auf die Methode dieses Schutzes und zeugt in diesem Falle entschieden von Geschmack.

Was sagen Sie übrigens dazu, daß unsere altamtliche Patriarchin, daß die „Wiener zeitung“ den neuen Roman des Verfassers der „Dissolving views“, die „Verlorenen Seelen“ der Lesewelt anpreist? Was sagen „Volksfreund“ und „Kirchenzeitung“ dazu? Ein Roman, von dem die buchhändlerische Anzeige rühmend hervorhebt, daß nicht sobald ein Werk wie die schlimmen Eigenschaften des österreichischen Klerus mit so schneidender Schärfe behandle, ein Roman, welcher „seinen Stoff auf dem Boden des Konkordats und des Klosterlebens sucht“ – und diesem Roman wird in dem Regierungsblatte des nämlichen Staates, welcher dieses Konkordat abgeschlossen hat, Reklame gemacht! Zwar nur in den Inseratenspalten, aber die gehören doch auch zu dem Regierungsblatt, und ihre Administratoren müssen denn doch auch eine Art Zensur üben und können doch nicht pele mele jede Annonce aufnehmen. Ist das vielleicht schon der Anfang der Anti-Konkordatspolitik des Herrn v. Beust, die sich ganz leise von rückwärts, von der Inseratenseinte her einzuschleichen anfängt? Aber noch besser, die Inseratenreklame des amtlichen Blattes begnügte sich nicht damit, den neuen Roman anzurühmen; sie benützt auch die Gelegenheit, den Lesern der „Dissolving views“, jenes anfänglich in Österreich verboten gewesenen Buches, die Versicherung zu geben, daß man aus den Situationen desselben die Überzeugung schöpfen mußte, der Autor kenne Personen und Verhältnisse sehr genau und seine Schilderungen seien wahrheitsgetreu. Auf eine s authentische Beglaubigung seiner Erzählungen hat der Verfasser wahrlich in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Ja, wenn es die „Wiener Zeitung“, sei es auch nur in ihren Inseraten, selber eingesteht! „Die Alte muß‘s wissen!“ hat Nestroy gesagt!

Aber nicht blos „Nebelbilder“, auch Photpgraphien haben ihre Schicksale. Eine recht liebenswürdige „Priesterin der Sonne“ ist soeben Heldin eines ganz hübschen Romans geworden. Man kennt wohl auch in Pest den Namen „Adele“, der auf zierlichsten Wiener Erzeugnissen der photographischen Kunst figurirt; das Atelier ist ein Sammelpunkt der eleganten und künstlerischen Welt, eine gefahrliche Konkurrenzstätte für Berühmtheiten der Kunst geworden. Nun dieser Konkurrenz werden sie bald ledig sein, Dank einer englischen Intervention. In das Atelier tritt nämlich eines Tages ein junger hübscher Engländer, Lord M oder N. oder vielleicht gar nicht Lord, jedenfalls aber von solchen Mitteln, die es ihm erlauben, Lord zu sein und läßt sich photographieren. Während sein Bild von der Photographin fixirt wird, fixirt sich ihr Bild in ihm und Tags daruaf erscheint er wieder bei ihr mit dem Ansuchen, ob sie ihn nicht zum Schüler annehmen möchte. Der Kursus dauert etliche Wochen und diese Zeit genügt vollkommen, unseren Engländer, wenn auch nicht zum perfekten Photographen, doch wenigstens perfekt verliebt zu machen. Geschäfte rufen ihn von Wien ab. Nach einer kurzen Abwesenheit kehrt er zurück, gebibt sich zu der geliebten Lehrerin und trägt ihr seine Hand an. Sie hält ihm die Verschiedenheit des Glaubens entgegen – denn sie ist Jüdin – der Sohn der „freiesten Nation“ ist aber, was seine Nation nicht immer zu sein pflegt, auch frei von konfessionellem Entetement, er besteht nicht auf einen Glaubenswechsel, er führt in den nächsten Wochen die Jüdin als seine Gattin von Wien fort – nach Ostindien. Schönse Sonne zum Fotographieren findet sie dort gewiß, sie hofft indeß auf die schönere Sonne des Glücks.

So kanns eine Jüdin oft leichter zur Lady bringen, als ein Jude zum – Advokaten. In den Kreisen der hiesigen Advokaturskandidaten gibts wieder etwas Allarm, etwas Skandal und derselbe riecht ein bischen stark nach konfessionellen Dingen. Drei vakante Advokatenstellen sind zur Neubesetzung ausgeschrieben und die Advokatenkammer soll ihre Kandidaten in Vorschlag bringen. In gewohnter Weise fünf und in nicht minder gewohnte Weise nach der Ordnung der Anciennetät. Der Ausschuß der Advokatenkammer aber verwirft diese fünf ältesten Kandidaten – die zufällig sämmtlich Juden sind. Aber nicht deswegen etwa – beileibe, mit welchem Rechte ließe sich einer solch erleuchteten Körperschaft derartige konfessionelle Beschränktheit vorwerfen! Nein, sie verwirft sie aus ganz anderen, viel schwerer wiegenden Gründen – diese wiegen so schwer, daß sie gar nicht zu halten sind. Der Erste der betreffenden Kandidaten ist nämlich zu alt – es gibt also unglückliche Advokaturskonzipienten, die solange nicht Advokaten werden, bis sie es gar nicht mehr werden können, - der Zweite wieder ist zu jung, der Dritte hat „zu wenig humanitäre Bildung“, der Vierte leidet unter einer „zu geringen Verwendung“, und der Letzte, wenn ich mich nicht irre, ist bereits einmal von der Regierung zurückgewiesen worden, und der Ausschuß findet es „unter der Würde“ der löblichen Advokatenkammer noch einmal einen Kandidaten in Vorschlag zu bringen, auf dessen abermalige Zurückweisung sie gefaßt sein müsse. Gewöhnlich pflegt man es als zur Würde einer unabhängigen Körperschaft gehörig zu betrachten, daß sie an einem zurückgewiesenen Kandidaten festhalte, wenn nicht besonder kompromittirende Motive dieser Abweisung zu Grunde lagen. Der Ausschuß der löblichen Kammer scheint anderen Anschauungen zu huldigen. Ja, es fehlt in den betreffenden Kreisen nicht an Stimmen, welche behaupten, die ganze abwehrende Haltung gegen die Kandidaten wurzle in der Scheu, mit der Regierung in irgendwelche prinzipiell konfessionelle Konflikte zu kommen. Allerdings können aus dieser Scheu mit der Zeit ganz komische statistische Ergebnisse resultiren.
Wenn jüdische Kandidaten mit einiger Konsequenz von der Advokatur ferne gehalten werden, so muß es j aendlich dahin kommen, daß gar keine anderen Konzipienten mehr zur Disposition stehen, als jüdische – und da kann es einmal geschehen, daß man gar keine anderen Advokaten mehr ernennen kann, als jüdische. Heine sagt in einem seiner Bücher, es werde noch einmal die Klage gehen, das Christenthum sei ganz in dne Händen der Juden“ – mit der Wiener Advokatur kann es gerade so werden, wenn man die jüdischen Konzipienten nur zur Anlegung eines Advokateurreservefonds aufspart.

An einem frisch aufgeworfenen Advokatengrabe sind vor einigen Tagen viele Thränen geweint worden. Einer unserer jüngeren Rechtsgelehrten, eine treffliche Begabung, ein edles Herz, ein glänzendes Geschick war hier zur vorzeitigen Ruhe bestattet worden. Selten wohl hatte das Glück seine vollsten auf eine irdische Existenz ausgestreut und selten aber auch hatte sich in einem Haus und in kürzestem Zeitraum so viel Tragik des Verhängnisses konzentrirt, wie hier. Dr. Ferdinand Löwenstein, der Sprosse einer reichen Familie, vereinigte das Erbe mannichfacher Recihthümer in sich, er war der Sohn eines Millionärs und der Schwiegersohn des reichen Eszterházy‘schen Gutspächters P. In der Zeit von nicht viel mehr als einem Jahre stand der Mann an dem Sterbebette seines Vaters, seiner Mutter, seines Bruders und sh hinter dem Vater seiner Frau die Thüre er Gefängniszelle in Schloß fallen. Alle diese Stürme mußten an seiner Gesundheit rütteln und die Freuden der glücklichen Ehe vermochten nicht dem zerstörenden Rütteln Einhalt zu thun. Der Träger sovielen Unglücks im Glücke erlag einer hitzigen Krankheit im blühendsten Manneslater. In seiner Praxis hatte der Verstorbene eine Klientel besonders gepflegt: die Armenpraxis. Er war in des Wortes liebenswürdigster Bedeutung ein Anwalt der Armen. Als Konzipient in einer der ersten Advokatenkanzleien hatte er ein ziemlich bedeutendes Honorar, das aber in der Kanzlei selbst seine Verwendung fand, zur Unterstützung armer Parteien nämlich, die von Exekution bedroht waren. In seiner Tasche hatte das Geld doch gewußt, wozu es eigentlich auf Erden gut sei. Die junge Witwe steht mit schwergepreßtem Herzen zwischen dem Grabe des Gatten und dem Kerker des Vaters.

Was übrigens diese unglückselige Affaire der Eszterházy‘schen Katastrophe mit allem dazu Gehörigen und Ungehörigen betrifft, so mahct sich die Annahme geltend – mit welcher Berechtigung, weiß ich nicht -, daß das Ausscheiden des Grafen Moriz Eszterházy aus dem Ministerium in mannichfacher richtung beschleunigend und vielleicht auch helfend und lösend auf die Entwirrung der vielverwickelten Angelegenheit einwirken werde.
Der „im Amt verbliebene“ Kollege des Grafen Eszterházy, Se. Exzellenz Herr Graf Belcredi, hat sich jüngstens von Seiten einer obersten Hofstelle, wie in betreffenden Kreisen gemunkelt wird, einer höchst eigenthümlichen Aufmerksamkeit zu erfreuen gehabt. Der artistischen Direktion des Burgtheaters war von einem Komponisten mit der besonderen Anordnung „für die erste Bühne Deutschlands“ ein Stück eingereicht worden, welches sich der „Statthalter von Bengalen“ betitelt und in England, in der hochinteressanten Periode der „Juniusbriefe“ und des reaktionären Ministeriums Crafton spielt, ohne jedoch in seinem Tone von besonders grell gefärbter Tendenziosität zu sein. Die artistische Direktion, welche sich durch diese „Annäherung eines deutschen Elementes“ an Österreich, selbst nach der erfolgten Ausschließung aus Deutschland, angenehm berührt fühlt und außerdem in dem Stück eine tüchtige Arbeit findet, empfiehlt es der obersten Intendanz zur Annahme. Darüber sind Monate verflossen, einen Bescheid über das Stück ahben sie noch nicht gebracht. In den Bureaus des Staatsministeriums wollen aber ein paar scharfe Augen das betreffende Manuskript erspäht haben. Das wäre nicht anders denkbar, als wenn die Hoftheaterintendanz Se. Exzellenz den Herrn Staatsminister um seine „Wohlmeinung“ über die Zulässigkeit des Stückes befragt hätte. Das wäre doch in der That sehr wenig schmeichelhaft für Se. Exzellenz. Setzt denn das Oberkämmereramt voraus, Graf Belcredi könne sich auch nur getroffen fühlen, wenn ein Minister auf der Bühne erschiene, welcher dem Verfassungsleben nicht besonders hold und gewogen ist?

PL, Dezember 1866

Aus Wien

SS. 6. Dezember. Am Neujahrstage wird geschrieben und am Versöhnungstage wird gesiegelt das große Schicksalsbuch, darin die Lose der Menschen verzeichnet sind. Also erzählt die jüdische Legende die Einrichtung der himmlischen Buchhaltung, und darum geht der Segensgruß, den man sich gegenseitig bietet, an diesen beiden Tagen: „Mögest du gut angeschrieben und möge dir Gutes besiegelt worden sein.“ Und genau so ein Tag ängstlich hoffenden, erwartungsvoll fürchtenden Harrens und Bangens war für Hunderte, ja vielleicht für Tausende in Wien der gestrige, der Tag vor dem heutigen, der da ist der große Ordenstag der Patrioten aus der Kriegszeit. Heute wußte die „Wiener Zeitung“ wieder einmal, wozu sie eigentlich auf Erden sei – ein Gefühl, dessen sich die ungestempelten Regierungsblätter von der linken Hand bekanntlich bis zur Stunde noch nicht zu erfreuen vermochten – heute überstrahlte sie mit ihrem offiziellen Galnze all die flunkernden, in trügerischem Scheine lebenden Lichter und Lichtlein der oppositionellen Zeitungsirrwische; heute wußte sie, daß sie zuerst vor allen anderen Blättern zur Hand werde genommen werden, selbst von der großen Masse jener Leser, die, nach dem höchst glaubwürdigen Zeugnisse Se. Exzellenz des Herrn Grafen Belcredi in dessem bekannten Rundschreiben über die Kreuzerblätter, die politischen Artikel der amtlichen Journale zu überschlagen pflegen. Heute war da nichts zu überschlagen, denn Namen, nur Namen füllten die Spalten und die überschlägt man nicht, wie König Philipp – besonders wenn man keinen Marquis Posa, sondern sich selber unter ihnen sieht. „Werde ich darunter sein? Wird Er darunter sein?“ Das waren die Fragen, welche sich an das heutige Amtsblatt aus aller Munde richteten – jedenfalls recht harmlose Fragen im Vergleiche zu so manchen anderen, mit denen an anderen Tagen das Regeirungsblatt interpellirt wird, ohne so ausführlichen Bescheid darauf zu geben. Und gestern waren diese Fragen noch gepreßter, noch ruheloser, noch marternder. Wem es vergönnt war, gestern schon einen Blick auf die Bürstenabzüge der „Wiener Zeitung“ zu thun, wie viele Glückliche konnte der machen, wie vielen schlaflosen Augen ihre Ruhe für die letzte Nacht wiedergeben! Ich selbst habe ein Briefchen gesehen, an einen meiner Bekannten gerichtet, der möglicherweise in der Lage sein konnte, so einen vorzeitigen Blick in das Füllhorn der Ordensfortuna zu werfen. Das Billet, welches in der Hieroglyphenschrift des Volkes der Stenographen abgefaßt war, lautete: Lieber N.! Doktor X läßt Dich beschwören, Alles daran zu setzen, um heute noch zu erfahren, ob er in der Liste ist und mt was?“ Der Erste, der mir heute Morgens begegnet, sit Doktor X. „Nun, snd Sie in der Liste? Kann man gratuliren?“ – „Gratuliren?“ antwortet der Mann ganz mißmuthig, „Wozu? Denken Sie, der H. hat genau da Nämliche bekommen, wie ich. Nun, Sie wissen, was ich geleistet habe. Wenn ER so dekorirt wird, hätte ich das goldene Vließ verdient.“

Ordensluft wehte wenigstens nicht in dem Bankettsaale, in welchem die Wiener Schriftsteller das 25jährige Jubiläum Kuranda‘s festlich begingen, des Veteranen von der Feder, der, wie Jemand bemerkte, das wunderbare geleistet hat, als Journalist ein ganzes Vierteljahrhundert lang NICHT eingesperrt zu werden. Eine ganz andere, als Ordensluft, strich durch den Saal und verfing sich in den Toasten der Redner. Ein Berliner Gast, der Possendichter Salingré, machte die scherzhafte Bemerkung: „So dürfen wir in Preußen über Österreich nicht reden.“ Es war ein Abend, aus welchem Etwas herausklang, was an den großen Freieheitston der Tage des Jahres 1848 erinnerte, an den über alle Parteikleinlichkeiten hinwegtragenden Schwung des Gedankens und der Empfindung, und die schöne Begeisterung für das politische Ideal, an dne Jugendenthusiasmus, der die Völker am raschesten und am innigsten verbindet, weil er sie einander in die Arme zieht. Es that ordentlich wohl, wieder einmal politische Reden zu hören, die von Zentralisation und von Dualismus und Förderalismus nichts wußten, die den Hörer nicht durch den schenidend feinen Unterschied von „legalen Vertretern“ und „legaler Vertretung“ nervös machten, und nicht die Kluft vom engeren zum weiteren und von da zum weitesten Reichsrath auf Spinnfäden zu überschreiten trachteten. „Die Freiheit, die wir alle meinen“, präsidirte an der Tafel, deren schlimmste Eigenschaft es just nicht wahr, daß auch gut gegessen wurde. Es war schöner, als in den Sitzungen des niederösterriechischen Landtages, so sehr sich auch dort ein oppositionelles Gemüth zur Noth stellenweise erlaben konnte.

Apropos oppositionelle Gemüther, muß ich meinen Wiener Landsleuten feierliche Abbitte thun. Ich hab ihnen das vorige Mal das Talent zum passiven Widerstand, zur Politik der Enthaltung abgesprochen, ich habe gemeint, der Bürgerball werde trotz der auftauchenden Gegentendenz dennoch stattfinden und schon das bloße Auftauchen dieser Tendenz sei bedeutsame Demonstration genug. Nun, ich habe mich in den Wienern geirrt – der Bürgerball findet nicht statt. Dagegen spricht man nun auch davon, daß die Zahl der Hofbälle reduzirt werden, ja daß dieselben gänzlich ausfallen sollen. Wie ferner soeben verlautet, würden sich die Studenten zum Theile der Demonstration des altkonservativen Bürgerthums anschließen und ihre Fakultätsbälle in den einzigen „Studentenball“ aufgehen lassen. Und da ich schon von Zeitsymptomen rede, sei auch des anderen Gerüchtes erwähnt, welches wissen will, es habe sich nach Prager Muster eine Anzahl erbangesessener Bürger zusammengethan, welhe den ernsten Vorsatz hegten, wenn durch die zu gewärtigende Jesuitendebatte im Landtage diese Angelegenheit nicht eine entsprechende Wendung nehme, mit ihren Familien sammt und sonders zum Protestantismus überzutreten.

Morgen soll im Gerichtssaal in erster Isntanz eine Frage entschieden werden, welche für unsere galante Damenwelt von großem Interesse sein mußte und an der auch mancher schöne Blick von jenseits der Theaterlampen nicht ohen Theilnahme gestreift haben mag. Die Frage, ob es schnöder krimineller Betrug oder freie Kunst der Galanterie ist, wenn es holden Zauberkünsten gelingt, ein unbewachtes Männerherz derart zu umstricken, daß nicht blos das Herz, sondern auch Portemonnaie und Portfeuille, kleine und große Münze in dem von zarten Händen gewebten Netze hängen bleiben? Die weitere Frage alsdann, ob das alleinige Faktum, daß man so einer kunstgewnadten Liebesgauklerin ein paar Tausend Gulden verschreibt, schon genügt, Jemanden den gesetzlich berechtigten Anspruch auf Titel und Charakter eines „Trottel“ zu verleiehen oder ob es noch anderer Beweisgründe dafür bedarf. Ein schwabischer Baron läßt sich von einer „schönen Wienerin“, die er auf nächtlichem Spaziergange trifft und die sich ihm als reparirungsbedürftig gewesene, bereits aber reparirte Unschuld präsentirt, ins Garn locken und eine Schuldverschreibung von 10,000 fl sammt Heirathsversprechen sind die kostbaren Federn, die dem Gimpel ausgerupft werden. Da aber die Federn ernstlich gerupft werden sollen, schreit der Gimpel „Au weh!“ und ruft die Gerichte zu Hilfe. Es ist leicht denkbar, welche Sensation der Prozeß in den Kreisen machen mußte, in denen wahlverwandtes Streben, mit einer Nuance Unterschied höchstens, den vollen Lebensinhalt zu bilden pflegt. Ja, wie gesagt, die Heldin so manchen Koulissenromans konnte cielleicht nicht ohne Kopfschütteln dem Detail dieser Verhandlung folgen und mußte sich in ihren Innern sagen: „Ungleich vertheilt sind die Lose der Menschen. Jetzt steht die vor dem Kriminal, weil sie blos im Leben Komödie gespielt hat. Wenn es ‚meinem‘ Gimpel eingefallen wäre, gleichfalls Spektakel zu schlagen“ ---
Herrgott, wie viele solcher Gimpel hüpfen in Wien herum, die naiver sind als der naive Schwabe oder doch klüger und nicht zu Gericht rennen, um sich offiziell als „Trottel“ zu proklamiren.

Der Träger eines Namens, der in gewissen Kreisen der galanten Damenwelt seine Rolle spielte, ohne dadurch den guten, vollen Klang in bürgerlichen, ja in spießbürgerlichen Kreisen zu verlieren, ist aus der Reihe der Lebenden gegangen: Schwender, in den letzten Jahren saß der Alleinpächter der populären Unterhaltung, der Beherrscher der „Neuen Welt“ in Hietzing, auf deren Besitz er so eifersüchtig war, daß er, der strengen Monroe-Doktrin huldigend, nicht einen Fußbreit derselben an verschiedentliche aus der aktiven Beschäftigung getretene Potentaten der alten Welt abzutreten sich entschließen konnte, so vielfache brillante Anträge er in dieser Richtung erhielt, - der große Reformator des Wiener Stellfuhrwesens, der Schöpfer der „Zehnerlwagen“. Der rastlose Indutrielle des Vergnügens war im ganzen Sinne des Wortes ein Mann der eigenen Arbeit, des eigenen Verdientes – denn die Karriere vom simplen Kaffeehausgarcon bis zum Besitzer dreier großer Etablissements Wiens, die der Verstorbende in anderthalb Jahrzehnten durchmachte, ist kaum leichter, als die vom simplen Bezirksbeamten zum Minister. Denn warum? Schwender zu werden, muß man speziell dazu geboren werden, - Minister zu werden, braucht man blos als irgend etwas Anderes, als Kavalier zum Beispiel, geboren zu sein.
Wie ein Minsiter stand Schwender auch in fortwährenden Beziehungen zur Presse; er war einer der bedeutendsten Würdenträger jener siebenten Großmacht, die mit der sechsten in unauflöslicher Allianz verbunden ist, der Großmacht des Inserates. Ich glaube, er brauchte, so gut, wie der Minister, sein Preßbureau, welches den ausgedehnten Verkehr mit den Zeitungen unterhielt. Dabei hatte er die kleine Eigenthümlichkeit, die er gleichfalls mit manchem Minsiter theilte, daß er seine Werthschätzung der öffentlichen Meinung durch eine ungeheure Empfindlichkeit gegen jedes auf ihn bezügliche Wort dokumentirte, welches ihm in einer Zeitung nicht mundete. Er konnte zwar dem Staatsanwalte nicht den Auftrag geben, sofort gegen das ungezogene Blatt einzuschreiten, aber er entzog demselben seine Inserate, - freilich blieb er dabei immer praktisher Geschäftsmann genug, um bald wieder einzusehen, daß er die Zeitungen doch nöthiger brauche, als diese ihn und die unterbrochene diplomatische Verbindung bald wieder aufzunehmen. Darin eben unterschied er sich von manchem Minister, der zu solcher Einsicht nie gelangt.


PL, Februar 1867

Aus Wien

SS. 15. Feber. Unter den vielen staatsmännischen Eigenschaften, die der Graf Belcredi nicht besaß, war auch das Talent zum Faschingsminister, welches ihm total abging. Ich weiß mich nicht mehr zu erinnern, ob der Graf im vergangenen Karneval einer der Einladungen Folge leistete, die ameisenhaft an jeden Minister heranwimmeln und ob er in einem einzigen Ballsaale erschien; gewiß ist, daß er, selbst wenn er da erschien, kaum in der sensationsartigen Weise bemerkt wurde, wie das sonst bei dem Erscheinen eines Staatslenkers zu geschehen pflegt. Se. Exzellenz war kein Mann der Gesellschaft, hatte er sich doch nicht einmal entschließen können, gleich seinem Vorganger seine Salons für einige Empfangsabende zu eröffnen und das zwar, wie vertraute Personen seiner Umgebung versichern, nicht au sexklusiv aristokratischer Zartnervigkeit, aus Scheu gegen allzu nahe Berührung mit nicht ganz ebenbürtigen Elementen, sondenr weil er die Stunden, die darauf hätten verwendet werden müssen, für absolut verloren hielt. Schlimmer allerdings wäre es nicht geworden, auch wenn er die paar Stunden nicht regiert hätte. Es fällt mir dabei immer das Wort Börne‘s ein, welches beiläufig lautet: „Man wirft unseren Ministern vor, daß sie erst um 9 Uhr aufstehen – du lieber Himmel, wenn die gar schon um fünfe aufstünden!“ Graf Belcredi war einer von Denen, die um fünfe aufstehen und darum mied er den Ballsaal gern. Charakteristisch genug war es, daß er der Balldeputation der „Concordia“, welche ihm die Einladung brachte, gestand, er wisse nicht, wo der Sophiensall sei, weil er noch niemals dort gewesen. Ein anderes Geständnis, wird erzählt, habe Herr Beust derselben Deputation abzulegen gehabt, daß ihm nämlich die erdrückenden Geschäfte, die ihn in Wien in Beschlag genommen, keine Muße gegeben, sich genügend zu unterrichten, was eigentlich die „Concordia“ sei. Darum holte er sich diese genauere Bekanntschaft auf dme „Concordia-Ball“, und trat mit dem Abende zugleich die Funktionen eines Ballministers an. Ein prächtiger Ballminister, der Herr Ministerpräsident, nicht so stattlich allerdings, wie Herr v. Schmerling, dessen mächtig getragene Erscheinung sich so ganz vorzüglich zum Mittelpunkte iner politischen Ballgruppe eignete, aber einschmeichelnder vielleicht, mannigfacher, diplomatisch wechselnder. Dem politischen Gespräch, das er da mit einem oppositionellen Redakteur führt, weiß er mit gleicher Kunst den leichten Anstrich flüchtigen Ballgetändels zu geben, wie er die Unterhaltung mit Fräulein Wolter, die er am Arme führt, durch ein gewisses Staatsaktionsair zu schmeichelhafter Bedeutung zu erheben suchte. Kurz, wie gesagt, zu repräsentiren und sich zu präsentiren weiß der Mann – er hat nur noch den kleinen Beweis zu führen, ob er, in Österreich wenigstens, auch regieren kann.

Wäre Deák an diesem Abend noch in Wien gewesen und hätte sich nach dem Sophiensaale ziehen lassen, wäre der ganze Ausgleich da beisammen gewesen und der Ball hätte mit doppeltem Fug und Recht den Namen des Concordia-Balles führen können. Aber zwei ungarische Zukunftsminister waren doch da, Graf Andrássy und Melchior v. Lónyay, und sie kamen gerade recht, um für ihre Person hier im Saale das zu thun, was ihre Landsleute nicht ohne Glück in Österreich überhaupt bezwecken: den Leuten die Köpfe zurechtzusetzen, dem Einen so, dem Anderen so. Die Pester Allarmnachrichten wirbelten in einzelnen mit Zahlen und Kurszetteln besetzten Köpfen herum, daß es in denselben „schepperte“ und das „Geschepper“ die Harmonien der Ballmusik zu stören drohte. Die ungarischen Herren waren aber so freundlich, einige Vorübungen im Anhören und Beantworten von Interpellation zum Besten zu geben und in bündigster Form, so bündig, wie man das von unseren weiland parlamentarischen Ministern nie gewohnt war, die aufgestörten Ballgemüther zu beruhigen.

Ein glänzender Abend war‘s, dieser Empfangsabend der Journalisten und Schriftsteller Wiens im Sophiensaale, und dem Beobachter der Gesllschaft, ihre Leistungen und Gruppirungen und Konfigurationen wird es gewiß als ein nicht uninteressantes und zugleich charakteristisches Bild erscheinen, wie eine Korporation, die doch zum größten Theile aus demokratischen Elementen, aus Wortführern der demokratischen Fehde gegen die Aristokratien besteht, wie gerade diese Korporation ihren Empfangssaal zu einem Sammelpunkt sämmtlicher Aristokratien werden sieht, wie die Aritokraten der Geburt, des Ranges, des Geldes sich an die Aristokraten des Geistes und der Kunst schließen, so das faktisch dem simplen bürgerlichen Menschen, der in dieses aristokratische Durcheinanderwirbeln hineinschaut, etwas unhemilich zu Muthe wird und er, seiner gewohnten scheun Zurückhaltung folgend, sich lieber ferne hält. Das bürgerliche Element in der That ist es, ws dem Concordia-Ball zumeist noch fehlt, um ihn zu dem vollständigsten und brillantesten Faschingsauszug der Gesellschaft zu machen und daran sind, um die praktische Erklärung gleich beim Schopfe zu fassen, zunächst die Bürgerfrauen Schuld. Sie fürchten sich, gerade herausgesagt, vor den Toiletten der Schauspielerinen. Man geht nicht gerne zu seinem Vergnügen irgend wohin, um, zu seinem Vergnügen, überstrahlt, überdeckt und in den Hintergrund gedrückt zu werden. Und Sonntags erst wieder erzählten die Zeitungen, daß Frl. Geistinger mit einem Kleide, welches nicht weniger als 4000 Gulden koste, auf dem Balle erscheinen werde – die gefährlichste Reklame entschieden, die für den Ball gemacht werden konnte. Die „schöne Helena“ aber war großmüthiger gegen ihre Rivalinen, als die plaudersüchtigen Feuilletonisten und sie erschien, diesen zum Trotz, blos in einer „einfachen“ scharzen Sammtrobe, die wohl kaum mehr als 3999 fl 38 kr kostete. So hoch schlug wenigstens Frl. Gallmeyer die Robe an, denn bei dem Erscheinen der feindlichen Kollegin oder kollegialen Feindin wendete sie sich an das ihr zunächst stehende Mitglied der Concordia mit der etwas überraschenden Frage: „Haben‘s 72 Kreuzer bei sich“ – „Wozu denn?“ – „Kleben Sie‘s dort auf das Kleid drauf. Die 72 Kreuzer fehlen grad noch auf die 4000 Gulden“.

Einen sehr lehrreichen Beitrag zur Geschichte der „einfachen Toilette“ lieferte auch Fräulein Wolter am Abend vorher im Wiedener Theater, wo ebenfalls die „Concordia“ einen Empfang anderer Art für ihre Gäste gerüstet hatte, wo sie nämlich zum Besten ihres Unterstützungsfondes ein neues Stück von Bauernfeld: „Aus der Gesellschaft“ zur Aufführung brachte. Fräulein Wolter spielte die bürgerliche Heldin des Stückes, die im ersten Akte auf die Frage, warum sie so einfach gekleidet gehe, erwidert: „Wie es einer einfachen Bürgerstochter ziemt.“ Für diese Szene nun trug die „Gräfin“ des Burgtheaters ein drapfarbiges schweres Seidenkleid, mit weit über die Bühne dahinwallender Schleppe und reich und überreich mit Spitzen besetzt. Hatte das das „Wiener Journal“ nicht Recht, wenn es die steten Lamentationen über schlechte Zeiten in so entschiedene Abrede stellte und mit offizösester Allwissenheit der Welt von dem blühenden Zustande erzählte, in welchem Industrie und Handel bei uns im Lande schwelgten? Was muß das auch in der That für ein reiches, gesegntes Land sein, wo Bürgermädchen solche „einfache“ Kleider tragen! Die Dame ist geradezu kompromittirend für unsere Hilfsbedürftigkeit geworden.

Das Bauernfeld‘sche Stück hat sich zum Ereignisse des Tages gemacht – umgekehrt haben die Ereignisse des Tages, zu gutem Theile zumindest, das Bauernfeldsche Stück gemacht. Bauernfeld hat den glücklichen Einfall gehabt, nicht ein Gelegenheitsstück zu schreiben, sondern ein Stück, welches ihm durch dne Kopf ging, gerade in dem Moment zu schreiben und aufführen zu lassen, wo es das Interesse und den Erfolg eines Gelegenheitsstückes haben mußte, er hatte den noch glücklicheren Einfall, „Wiener G‘schichten“ zu schreiben, nicht aus der Bodenkammer, sondern aus dem fürstlichen Salon, ohne Cancan allerdings, aber doch nicht ganz ohne pikanten Skandal. Ein Fürst, der hinter den Kulissen auch Staatsminister ist, heirathet ein bürgerliches Gesellschaftsfräulein. Dabei spielen alte, klatschsüchtige Grafen und junge, göttlich bornirte, dreinahuerische Uhlanenlieutenants aus dem adeligen Kasino lustige Rollen, dabei wird über altersstaubdurchfressenes Junkerthum gespöttelt und ernsthaft sentenzelt und dem jungen Lieutenant wird der gute Rath gegeben, doch nur fleißig zu schreiben, weil dann das Dreinhauen vielleicht besser gehe. Das Alles von der Bühne des Burgtheaters herab, angesichts hoher und höchster Ranglogen, deren Publikum Beifall klatscht gleich jenem der letzten Gallerie – da haben sie die Erklärung des „Ereignisses“.

Aus der „Gesellschaft“ muß ich Ihnen noch den Epilog des artigen schwefelsauren Ehedramas berichten, won welchem ich Ihnen jüngsthin berichtete. Die Dame, die ihrem Ehegatten mit liebender Hand eine Vitriolflasche an den Kopf schleuderte, den sie bis dahin mit anderweitigen Zuthaten bedacht hatte, ist seither unsichtbar geworden. Die Behörde hatte es für nothwendig befunden, die Angelegenheit aus den Händen der Feuilletonisten in die eigene zu nehmen und sich etwas genauer um die Motive zu erkundigen, welche die zarte Hand der Dame bei dem kühnen Wurfe geleitet hatte. Diese fand es aber gerathener, den schmeichelhaften Erkundigungen aus dem Wege zu gehen und wie wandte sich nach dem Lande, wo die Wiege ihrer Kindheit gestanden, nach der freien Schweiz. Jedenfalls kann sie dort den Bergen erzählen, daß nicht au fihnen allein die Freiheit wohnt, sondern, daß man auch in dumpfen Stadtmauern „so frei ist, frei zu sein.“ Größere Freiheit, als sie sich in Wien nahm, kann ihr die Schweiz auch nicht geben. Vitriolflaschen den Ehemännern ins Gesicht zu schleudern ist dort ebenfalls nicht Landessitte.

Auch die „Halbgesellschaft“ hat ih Epilogereignis, das in ihren Kreisen nicht geringere Sensation macht, als seinerzeit das Hauptereignis. Leichtsinnige „Baröne“, welche an unternehmungskundige Damen Schenkunsurkunden ausstellen, und denen hinterdrein um das schöne Geld leid ist, sahen sich vor wenigen Wochen plötzlich in den Besitz eines höchst probaten Mittels gesetzt, die unangenehmen Reminiszenzen genossener schöner Stunden, die theuer zu werden drohten, abzuschütteln: sie brauchten sich nur ganz einfach von ihrer Familie für „schwachsinnig“ erklären zu lassen, brauchten sich nur etwas schwachsinnig zu gebärden, was derartige Baröne nicht mit schwerer Mühe zu Stande bringen, und sie konnte das Vergnügen genießen, nicht blos lästig gewordener Verpflichtungen ledig zu sein, sondern die Dame ihrer Qual auch noch auf ein paar Jahre ins Strafhaus wandern zu sehen. Dieses Vergnügen nu ist leider den betreffendne Herren und Freiherren der Schöpfung wom Wiener Oberlandesgerichte in unangenehmer Weise gestört worden. Jene Josepha Windisch, welche die 10,000 Gulden, die ihr der „schwachsinnige“ Baron in einer schwachsinnigen, aber starklustigen Stunde verschrieben hat, in Neudorf büßen sollte, ist von der oberen Instanz greigesprochen worden. „Schenken, schenken, nimmer geben“, sagt der gute Menelaus in der „Schönen Helena“. Das werden sich die Baröne merken.

Und auch die „Viertelgesellschaft“, die des letzten Viertels, hatte diese Woche ihr Ereignis, ihre Heldin und ihren Platz in der Geschichte. Die „Fiaker-Milli“ ist als Sängerin in einem Café-chantant erschienen. Wer die „Fiaker-Milli“ ist? Fragen Sie den nächstbesten Fiaker auf dem Stephansplatz, den nächstbesten Kellner beim „Sperl“, fragen Sie den „Strizzi“ dort oer bemühen Sie sich auch, wenn Ihnen das näher liegt, in das ***sche Gesandtschaftshotel und fragen Sie den Grafen H., wer die „Fiaker-Milli“ ist. Wenn der populäre Staatsmann die Popularität repräsentirt, die von oben nach unten hin sich durcharbeitet, so ist die „Fiaker-Milli“ die Popularität, die von unten nach aufwärts strebt. Bis zum Grafen und dem Attaché ist sie schon gedrungen. Von Erscheinung ist sie eine schöne, stattliche Blondine, deren Gesicht allerdings den alten Satz predigt, daß Schlachten nicht ohne jegliche Beschädigung der Schlachtfelder geschlagen werden. Aus dem schönen Kopfe aber, von den schönen Lippen dringt, wenn sie spricht oder singt, ein Ton, der nicht, wie bei der Albani, eine Nachtigall in einem Elephanten, sondern ein Holzhauer in einer Elfe ist. Mit diesem Ton versuchte das Dämchen ni einer Singspielhalle, deren Unternehmer von dieser schmählichsten Spekulation sich bermuthlich viel versprach, zu singen. Sie wurde von ihren „Verehrern“, welche allergetreuest herangekommen waren, nicht ausgezischt, aber ausgeklatscht und Wien hat wohl mit dme Abend eine neue Kunsterscheinung gewonnen und verloren. Wien wartet trotz der „Fiaker-Milli“ noch immer auf eine „Teresa“. Denn kriegen natürlich müssen wir eine, wir können doch nicht so weit zurückbleiben.