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Aus dem Pester Lloyd von 1920
Graf István Bethlen
Krisengerüchte
Se. Exzellenz Graf Stefan Bethlen hat die folgenden interessanten Ausführungen einem Redakteur unseres Blattes zur Verfügung gestellt.
Die Tag für Tag aufs neue auftauchenden Meldungen über Krisen im Schoße der Regierung und im Lager der Regierungsparteien braucht man, wie dies im Pester Lloyd ganz richtig ausgeführt wird, nicht allzu tragisch zu nehmen. Gewiss ist die Meinung nicht schlankweg von der Hand zu weisen, dass die politischen Gesundheitsbulletins den Schluss zulassen, dass jemand krank sei; aber es will mir scheinen, dass es sich derzeit um keine ernste oder gefährliche Krankheit handelt. Wohl unterliegt es keinem Zweifel, dass Ministerpräsident Graf Paul Teleki sein Kabinett rekonstruieren und die Regierungsmajorität zu einer homogenen Partei umgestalten will, doch beide Zielen werden sich hoffentlich nach einigen Konvulsionen erreichen lassen. Dass sowohl die Umgestaltung des Ministeriums wie die Neugestaltung der Regierungspartei wünschenswert ist, bedarf keiner weitläufigen Erklärung.
Schon das einfache Gebot der Sparsamkeit gebietet, dass einige Ministerien vereinigt werden. Was aber die Majorität betrifft, so müssen in der Tat alle extremen Elemente, die durch Extratouren die Autorität der Regierung und dadurch das Ansehen des Staates selbst im Ausland schädigen, aus der gouvernementalen Partei ausgeschaltet werden. (…)
Eine finanzielle und wirtschaftliche Verbindung mit den Nachbarstaaten und dem Auslande überhaupt ist zweifellos notwendig, aber es muss Ungarn überlassen bleiben, diesbezüglich seine Verfügungen zu treffen. Einem Diktat der kleinen Entente werden wir uns auf diesem Gebiet nicht unterwerfen und wir können vielleicht nach dieser Hinsicht von seiten Frankreichs, Englands, Italiens und vielleicht auch Amerikas nicht nur moralische, sondern auch materielle Unterstützung erwarten. Die Vorbedingung aber ist Ordnung im Inneren des Landes, denn die innere Politik wirkt, wie ich wiederholt betonte, auf die äußere.
Deshalb erscheint es wünschenswert, dass die Verhältnisse in der Regierung und weiter in der Nationalversammlung sich klären, im Lande Ruhe und Ordnung herrschen und die Regierung daran gehen möge, durch energische Sparmaßnahmen auf allen Gebieten eine Sanierung der traurigen finanziellen Lage in Angriff zu nehmen.
Dass sich in der Nationalversammlung und im Lande neue politische Parteien bilden, halte ich für keinen Nachteil. Im Gegenteil, es wäre überaus vorteilhaft, wenn alle erprobten Talente, die seit längerer Zeit dem politischen Leben fernblieben, wieder in den Vordergrund treten möchten. Das Land braucht heute mehr denn je begabte und charakterfeste Politiker: denn nur durch die unermüdliche, selbstlose Arbeit aller Patrioten können wir Ungarn wieder zur Blüte bringen und ihm zu einer geachteten Stellung in der zivilisierten Welt verhelfen.
28.11.1920
Graf István Bethlen war von 1921 bis 1931 Ministerpräsident Ungarns.
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