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Aus dem Pester Lloyd von 1921

Vom Ministerpräsidenten Grafen Stefan Bethlen

Die Preßkampagne gegen Ungarn

Die von Oesterreich aus gegen Ungarn geführte und geschürte Preßhetze nimmt in den letzten Tagen solche Dimensionen an, daß die nachstehende, von der kompetentesten Stelle herrührende Abwehr als ein Gebot der Notwendigkeit erscheint. Ministerpräsident Graf Stefan Bethlen stellte uns die folgenden bedeutsamen Erklärungen zur Verfügung, die zweifellos ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung nicht verfehlen werden. 

Zwei Anschuldigungen, die sich die Weltpresse beinahe kritiklos zueigen macht, werden gegen Ungarn erhoben. Erstens behauptet man, daß die ungarische Regierung mit den sich in der bereits abgetretenen österreichischen Zone unhertreibenden friedenstörenden Elementen in Konnivenz stehe, daß sie sie organisierte und unterstütze. Die zweite Beschuldigung aber ist, daß die Regierung nicht gewillt sei, gegen diese Ruhestörer mit genügender Autorität und Kraft aufzutreten.

Die erste dieser Anklagen, die auch in der uns überreichten Ententenote unter Berufung auf die Anwesenheit des Abgeordneten Friedrich erwähnt wird, ist leicht zu widerlegen. Jeder Kenner der Verhältnisse weiß, daß der Abgeordnete Friedrich der intransigente Führer der schärfsten gegen meine Regierung und das gegenwärtige Regime gerichteten Opposition ist. Der Abgeordnete Stefan Friedrich hat der Regierung bereits viel Unannehmlichkeiten bereitet und ist bekanntlich bestrebt, seine Manöver fortzusetzen, die gegenwärtige Regierung zu diskreditieren und zu stürzen. Ferner macht er auch kein Hehl daraus – es ist ja auch allgemein bekannt –, daß er im Gegensatz zum offiziellen Programm und der politischen Ueberzeugung der ungarischen Regierung selbst zu einer gewaltsamen karlistischen Restauration hinneigt.  Es ist also naiv, wenn nicht grotesk, zu behaupten, daß ich meine Regierung oder irgendwelche Regierungsorgane mit den Ideen und den eventuellen Aktionen des genannten Abgeordneten und seiner Gesinnungsgenossen irgend etwas gemein haben könnten. Es ist dies ein einfältiges Manöver, das bei näherer Betrachtung in sich zusammenfallen muß.

Ebenso kategorisch muß ich die Anschuldigung zurückweisen, als ob wir nicht gewillt seien, gegen die Ruhestörer mit genügender Autorität und Gewalt aufzutreten. Es ist bekannt, daß wir schon im vorhinein alle Maßnahmen trafen, um das Hinströmen von unkontrollierbaren Elementen nach Westungarn unmöglich zu machen. Jedem unvoreingenommenen Beobachter wird es einleuchten, daß es bei einem Grenzzug von 250 Kilometern, bei einem ziemlich lebhaften Eisenbahnverkehr und bei einem stark waldigen Gelände, technisch und physisch unmöglich war, alle Leute, die sich bewaffnet oder unbewaffnet in das fragliche Gebiet begaben, an diesem Vorhaben zu verhindern. Darüber, daß dies undurchführbar war, kann überhaupt kein Zweifel herrschen. So ist es wohl möglich gewesen, daß turbulente Elemente sich in diesem Gebiet ansammeln und dort im Einvernehmen mit der erbitterten Bevölkerung lokale Widerstände organisieren konnten. Es ist aber einwandfrei festgestellt, daß sich in dem von uns noch besetzt gehaltenen Gebiete der zweiten Zone, dank der Arbeit unserer Gendarmerie, keine solchen Organisationen mehr befinden, und daß dieses Gebiet auch von den Leitern dieser Organisationen bereits verlassen wurde. Auch der Präsident der interalliierten Generalkommission, General Ferrario, war in der Lage, festzustellen, daß der Angriff auf Kirchschlag bloß von bewaffneten Dorfbewohnern unternommen wurde. Die von Österreich aus in die Welt gestreute Behauptung, es sei hierbei ungarisches Militär behilflich gewesen, muß also als eine widerliche Intrige gebrandmarkt werden. Die ungarische Regierung lehnt für all diese Geschehnisse die Verantwortung mit der größten Entschiedenheit ab.

Das ist unsere Antwort auf die empörenden Verleumdungen, die leider in allen europäischen Staaten, und nicht nur bei unseren ehemaligen Feinden, sondern auch in Ländern unserer früheren Verbündeten willig Gehör finden. Die ungarische Regierung kennt die Auffassung der öffentlichen Meinung von Europa und besonders der Länder der Großmächte viel zu genau, um nicht zu wissen, daß man überall in der Welt Ruhe und Frieden wünscht und jeden, der als Ruhestörer auftritt, streng verurteilt. Es wäre also ein geradezu selbstmörderisches Beginnen, sich irgendwelcher Mittel zu bedienen, die nur die öffentliche Meinung der Welt gegen dieses unglückliche, ohnehin grausam verfolgte Land wieder aufhetzen würden. Das moralische gute Recht ist auf unserer Seite, denn selbst die Satzungen des Friedensvertrages sprechen deutlich vor einer österreichischerseits Ungarn zu gewährenden finanziellen Entschädigung. Zur Sicherung dieser Verpflichtungen Oesterreichs haben wir die zweite Zone des abzutretenden Gebietes zurückbehalten, um Verhandlungen bezüglich der Sicherstellung dieser Forderungen mit der Wiener Regierung auf einer realen Basis einleiten zu können. Oesterreich ist, wie dies auch von der Entente anerkannt wird, ein bankrottes, zahlungsunfähiges Staatswesen. Unsere Forderungen haben also außer diesem Faustpfand keine andere Garantie. Dieser unser Rechtsstandpunkt ist klar und deutlich.

Es wäre also geradezu Wahnsinn gewesen, wenn wir diese unsere rechtmäßige Aktion, die bei einem kleinen Ausmaß guten Willens bei den Ententemächten gerechterweise zum Erfolg führen müßte, mit Ruhestörungen und Bandenaktionen verknüpft hätten. Wir haben uns bereit erklärt, alles, was in unserer Macht steht, zu unternehmen, um die Säuberung im Einvernehmen mit der interalliierten Militärmission durchzuführen, und zwar auch in jenen Gebieten, die von uns geräumt wurden. Mehr kann von uns nicht verlangt werden. Den Willen der ungarischen Regierung, den Frieden zu wahren, muß aber jeder ehrliche Gegner anerkennen. Die ungarische Regierung steht loyal und fest auf Basis des Friedensvertrages von Trianon und verlangt bloß, daß auch ihr gutes Recht ohne Voreingenommenheit behandelt und beurteilt werde.