Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 2003

Marco Schicker

Ein Schwan auf der Donau
- Richard Wagner in Ungarn

Auszug aus dem Buch: Logengeflüster - Kritiken, Essays, Feuilletons,
Marco Schicker, Pester Lloyd-Verlag, 2004

Wußten Sie, daß Richard Wagner bei seinem ersten Besuch in Budapest beinahe ertrunken wäre? Schuld war aber nicht ein zu schwächlicher Schwan, wie die Legende witzelt. Aber es waren doch starke Wellen, solche der Begeisterung, die den Meister hier zu großen Siegen trugen, als auch die scharfe Brandung der Ablehnung, die sein Werk, wie überall, auch in Ungarn auszuhalten hatte. In der kleinen Serie soll unterhaltsam betrachtet sein, was auf der langen Reise mit Wagner, Lohengrin und Ungarn geschah.

Teil 1: Zukunftsmusik und Seelenverwandtschaften
Teil 2: Herr Gott, rett’ uns vor der Ungarn Flut? – Wagner in Pest
Teil 3: Veni – vidi – Vici:  Wagners erstes Konzert in Pest
Teil 4: Bachsches „Lassu”? – Zwei Briefe Wagner’s
Teil 5: Das Möglichsterreichbare: Der Lohengrin wird aufgeführt
Teil 6: Lohengrin eröffnet die Oper – Ein Siegeszug mit Mahler
Teil 7: Klemperer und Simándy – Wagner heute

1. Zukunftsmusik und Seelenverwandtschaft

„Wagner hat die Musik dem Drama untergeordnet –
dennoch beginnt sein Werk durch die Musik zu wirken.
Nicht durch das Drama erleben wir die Musik,
sondern durch die Musik das Drama.”

Prof. Emil Haraszti hat in einem Aufsatz aus dem Jahre 1943 über die Wirkung Wagners in Ungarn, neben vielen Irrungen, doch auch dieses sehr Wahre gesagt. Die zahlreichen Versuche von Gestern und Heute, die begeisterte oder ablehnende Haltung gegenüber dem Wagnerschen Werk in Ungarn jeweils bestimmten politischen oder nationalen Interessen der einzelnen Schichten und Gruppen zuzuordnen, können anhand dieses Satzes gut widerlegt werden. Zumindest was die Wagnerskeptiker betrifft. So gesehen, nahm das Phänomen Wagner in Ungarn seinen Gang wie anderswo auch. Auf der einen Seite standen die Verfechter des musikalischen Klassizismus, auf der anderen bildete sich die weit gefächerte und teils vom Pathos, teils von der Romantik getriebene Schar der Wagnerianer, dazwischen ein kleines, anfänglich kaum wahrnehmbares, doch wackeres Häuflein von uneigennützigen Opernfreunden, denen es wirklich um dramatischen Hochgenuß, musikalische Erneuerung und seelische Erhebung ging.

Es mag dabei erstaunlich klingen, daß anfänglich ausgerechnet unter den Deutschen in Pest Ablehnung gegenüber Wagner spürbar war. Doch entsprang diese weder, wie oft behauptet, der häufig jüdischen Herkunft der Pester „Deutschen”, noch galt sie den Sujets der Opern: Diese Schicht stiess sich einzig an der „Zukunftsmusik” in den Wagnerschen Schöpfungen, den musikalisch-ästhetischen und dramatischen Grundsatzfragen, die er mit seinen Werken stellte und die viele altehrwürdige Rezensenten und Feuilletonisten überforderte. Die Bewunderer Wagners wiederum rekrutierten sich aus dem Lager der am meisten ungarisch-national eingestellten Elite. Ein Widerspruch? Wo sich doch im „Lohengrin” gerade alles gegen die Ungarn versammelt?

Keineswegs, denn die um Emanzipation von Habsburg bestrebten ungarischen Adligen (bei weitem nicht alle!), wie die magyarisierende Bürgerschicht, sahen in Wagners Werken Beispiele, wie nationale Themen künstlerisch hochwertig und ergreifend angepackt und dargebracht werden konnten, also wie sich der Gedanke des Nationalen mit Hilfe der Musik und der Bühne in fühlbares Pathos gießen ließ. Daher ist es ebenfalls nicht verwunderlich, daß der größte Kämpfer für die ungarische Nationaloper der damaligen Zeit, Ferenc Erkel, seine ganz persönlichen Probleme mit dem Komponisten des „Lohengrin” haben mußte. Erstens konnte der eifrig die Italiener in ungarische Sauce tunkende Erkel mit dem originären neuartigen Stil Wagners zuerst nicht viel anfangen (wiewohl er ihm später hilflos nacheiferte), und zweitens sah der Beherrscher des ungarischen Nationaltheaters und seines Opernrepertoires allmählich und berechtigterweise seine monolitische Stellung in Gefahr. Ja, auf dem Höhepunkt der ersten Wagnerbegeisterungswelle sprach man gar davon, den Dichter-Komponisten selbst ganz nach Pest zu holen, mit Verlaub ein liebenswürdiger Größenwahn, der Erkel dennoch einige Angst machte. Der politische Barrikadier Wagner und Umstürzler der musikalischen Säulenhallen war ihm in mehrfacher Hinsicht suspekt. Erkel war tief national-konservativ eingestellt und begleitete die ungarische Befreiungsbewegung nur, insoweit sie sich von Österreich loskämpfen wollte. Von Bürgerstolz und Zukunftsmusik indes wollte der Oberamtmann des Pester Musikbetriebes nichts wissen.

Die von französischer und italienischer Oper geprägte Stadt, die noch sehr im Schatten Wiens agierte und alle Hände voll zu tun hatte, halbwegs annehmbare ungarische Erstaufführungen der Mozartopern zustande zu bringen, nahm nur allmählich Notiz von Wagners Wirken. Der „Figaro” ward hier erst 1858 in Ungarisch wirklich aufgeführt, während man sich zu dieser Zeit in Wien bereits am „Lohengrin” erfreute. In der Zeitschrift „Regelo” des Dichters János Garay wurde 1842 über die Dresdner Uraufführung des „Rienzi” berichtet, in anderen Blättern nur mit eher boulevardeskem Interesse über biographische Details und die Kämpfe des wackeren Sachsen geschrieben. Die 1850 von Wagners Schwiegervater Franz Liszt geleitete Uraufführung des „Lohengrin” in Weimar überging man geflissentlich, man war, kurz nach der Niederschlagung der Revolution, noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die deutsche Presse der ungarischen Hauptstadt beschäftigte sich lieber mit Reprisen von Opern eigentlich längst und zurecht Vergessener, mit dem Deutschen Theater ging es, obwohl es die Szene noch beherrschte, seit dem tragischen Brand 1847  in seiner Übergangslösung künstlerisch allmählich bergab und das stationäre ungarische Opernleben war noch in seinen Anfangsgründen. Sich der neuen Richtung zu widmen, wurde vermieden. Wie auch anderswo, war alles noch im Banne Rossinis, natürlich Liszts und seiner Epigonen, und der anderen zahllosen herumreisenden Virtuosen, unter ihnen die Pianistin Clara Schumann und die Familie Patti mit ihren Wundersängerinnen, die auch in Pest erfolgreiche Station machten.

Die nationale Bewegung in Ungarn war es, aus der heraus unter tatkräftiger Mithife Franz Liszts und Ferenc Erkels 1853 die Philharmonische Gesellschaft entstand (heute das Opernorchester), die Wagner als Bannerträger der Freiheit und musikalische Errungenschaft entdeckte, und sie erwählte bereits in ihrem zweiten Konzert am 8. Dezember 1853 die „Tannhäuser”-Ouvertüre für ihr Programm. Mit dem Auftauchen von Wagners Musik auf dem ungarischen Podium begannen auch hier die Scharmützel in Presse und Öffentlichkeit. Das Publikum war begeistert, die an Hanslicks „Musikalisch Schönem” geschulten Rezensenten der deutschsprachigen und auch ungarischen Presse pikiert. Der Rezensent der „Divatcsarnok” („Modehalle”), eines ausgewiesenen Salonblatts, beklagte sich, daß ihm ein „überentzückter Zuhörer gedroht hatte, ihn totzuschlagen, falls er an der grossartigen Genialität Richard Wagners nur einen Augenblick zu zweifeln wagte.” Die deutsche Pest-Ofener Zeitung, damals Amtsblatt, war noch etwas hinter dem Mond und schrieb über die „Tannhäusern”. Die Begeisterung im Publikum steigerte sich jedoch von Aufführung zu Aufführung, und bald wollte die Anhängerschar sich nicht mehr mit einzelnen Nummern zufrieden geben, sondern den ganzen „Tannhäuser” aufgeführt sehen. Das Gepolter hörte gar der Meister selbst und erkundigte sich brieflich 1854 bei Wilhelm Fischer, „was denn in Pest los sei, man lese überall, daß man dort im Frühjahr den „Tannhäuser” aufführen lassen wolle…” Bis zur Aufführung brauchte es aber dann doch noch acht Jahre.

An der Spitze der Wagnerianer der ersten Stunde standen der Aristokrat Rosty, der Lisztschüler Alexander von Bertha sowie der Lehrer Viktor Vajda, der Hans von Bülow (Cosima Liszts, spätere Wagner, erster Mann) und Wagner persönlich kannte. Die Pester Lobby begann zu arbeiten, sie hatte auch schon ein Organ, die „Musikblätter”.
Einen Höhepunkt der Selbstverleugnung stellt der Übertritt des Komponisten Michael Mosonyi ins Wagnerlager dar. Der Komponist war ein ausgewiesener Widersacher Erkels, gleichzeitig aber ein Verfechter der Magyarisierung auf allen Ebenen. Der Mann hieß bis zur Entdeckung seiner ungarischen Seele mit Namen Brand, war als Tonsetzer auch viel eher an der deutschen Klassik geschult, wollte nun aber Wagners Stil als das einzige Vorbild für die ungarische Nationaloper ausrufen. Soll uns der Mann, dessen Werke übrigens mit schöner Regelmäßigkeit durch den Reißwolf der Kritik gezerrt wurden, als illustres Beispiel dienen, wie verworren die Frontlinien in der Opernschlacht der damaligen Zeit verliefen. Fakt ist, daß Wagner für viele nach Unabhängigkeit und Neuem strebende Musiker ein Vorbild wurde, und es ist nicht übertrieben, Wagners Sehnen im für ihn so tristen Wiener Asyl und die unterdrückten Freiheitswünsche der Ungarn in gewissem Sinne als seelische Gemeinschaft zu beschreiben.

Das Pester Deutsche Theater („Pester Stadttheater”) führte am 6. März 1862 mit einer bunten Schar von ungarischen und deutschen Künstlern sowie einigen herangeholten Gästen, erstmals den „Tannhäuser” und somit auch die erste vollständige Wagner-Oper in Ungarn auf. Eine denkbar ungünstige Konstellation: die deutsche Elite war Wagner nicht sonderlich gewogen, man rümpfte hier in gewohntem Konservativismus die Nase wie auch häufig noch in Deutschland selbst. Die Ungarn aber, die einer Erstaufführung eigentlich begeistert entgegen sahen, besuchten zur damaligen Zeit zu einem großen Teil aus politischen Gründen kein deutsches Theater. So blieb eine Sensation aus. Im Ungarischen Nationaltheater erschien Wagner wiederum häufig auf dem Konzertpodium. Doch alles wartete nur auf ein Ereignis: wann würde der Meister in persona an die Donau, nach Ungarn kommen?

2. Herr Gott, rett’ uns vor der Ungarn Flut? – Wagner in Pest

Im Jahre 1863 endlich kam Richard Wagner zum ersten Male nach Ungarn. Um ein Haar hätte ihn dieser Besuch das Leben gekostet. Kenterte nämlich Ende Juli der Kahn, der ihn von Ofen nach Pest überbringen sollte, mit Wagner, der Gräfin Bethlen und einigen anderen Leuten an Bord, und nur mit Mühe wurden die Leute gerettet. Wagner, der die Konzertreise auf Einladung ungarischer Magnaten (Wagner: „Almasy und Zichy unterhielten sich ständig nur über ihre Pferdezuchten”) und des Nationaltheaters als willkommene Abwechslung zu seinem als trostlos empfundenen Wiener Asyl antrat, schrieb darüber 1863 wiefolgt an Mathilde Wesendonk:

„Meisterin, es steht nicht gut mit mir! - Und des Lebens bin ich recht überdrüssig. Das habe ich letzthin während einer Todesgefahr, in welche ich gerieth, recht deutlich erfahren. Das begegnete in Pest auf der Donau, in demselben Kahn, in welchem vorigen Sommer zwei junge ungarische Cavaliere von Rotterdam bis Pest fuhren. Eine artige, gescheite Frau, Gräfin Bethlen, Mutter von sechs Kindern, hätte es übernommen zu steuern. Bei heftigem Sturm wurde sie ängstlich und brachte den Kahn unter den Wind: die Wellen schlugen ihn gegen ein Floss, dass er zerkrachte. Mich fasste nur Mitleid für die arme Mutter, während mich persönlich ein so eigenthümliches Wohlgefühl ergriff und so angenehm stärkte, dass unsre jungen Leute sich gar nicht genug über mein Benehmen wundern konnten, während sie bei mir nervösen Menschen eine grosse Aufregung voraussetzen zu müssen geglaubt hatten. Als sie mich belobten, - denn ich trug Einiges zur Rettung bei, - musste ich fast laut lachen!”

Man stelle sich nur vor, Wagner wäre hier ertrunken! Kein Bayreuth, kein Ring! Und Schuld wären die Ungarn, ausgerechnet jenes Volk, um das sich im „Lohengrin” die Furcht der Sachsen und Brabanter dreht: „Herr Gott, schütz uns vor der Ungarn Wut!” heißt es da im ersten Akte. „Und der Ungarn Flut”, möchte man hinzufügen. Böse Zungen behaupten hartnäckig, der Unfall kam durch die mangelhafte Bühnentechnik der damaligen Zeit zustande, in dem man in überschwenglicher Verehrung versuchte, Wagner samt Lohengrin-Schwan über die Donau zu ziehen. Andere wiederum sahen in Erkel den eifersücht’gen Steuermann des Flosses, an dem Wagners Kahn zerschellte. Stoff für eine neue Oper: „Lohengrin verkehrt”: Ein Sachse fährt zu den Ungarn, um sich Hilfe gegen die Deutschen zu sichern, doch der Schwan, der Rettung bringen soll, ertrinkt jämmerlich, bevor sein Werk getan. Das gäbe eine Komödie! Zurück zu den Fakten.

Wagner hatte 1863 zwei Konzerte im Nationaltheater gegeben, wobei ihm Erkel ritterlich zur Seite stand, was gerechterweise erwähnt werden muß. Der Deutsche konnte sich entgegen seiner Äußerung, daß die Ungarn „keinen Begriff von meiner Musik hatten” durchaus schon auf eine kleine Gemeinde stützen. Sein Auftreten krönte die erste Phase des Wagner-Kultus in Pest, der mit ähnlichen Kämpfen wie auch in anderen Ländern Europas, mit Übertreibungen der Für- und Widersprecher der „Zukunftsmusik” einherging.

Wagner wurde durch seine Auftritte und die freundliche Aufnahme in Ungarn inspiriert, das kann sich das Land zugute halten. Er schreibt aus Penzing bei Wien:
„Die Ungarn, (…) die auf ihrem Nationaltheater einzig von Verdi u s.w. leben, erfassten jedes meiner Stücke aus Nibelungen, Tristan, Meistersinger, ganz unglaublich lebhaft, - wie es deutlich war, weil ich sie ihnen auf- und vorführte. So sage ich mir denn, wenn ich mir jetzt so überlege, wie ich meine "Zeit" gewinnen wollte, ich müsse herumreisen und Conzerte geben.”

Eine zarte, schwärmende Romanze mit einer ungarischen Sängerin deutet sich in folgendem Briefe an:

„Hie und da kreuzt meinen Trübsinn eine angenehm täuschende flüchtige Erscheinung lieblicherer Art: z. B. hatte ich in Pest zum Vortrag kleiner Bruchstücke der Elsa eine blutjunge, schöne Sängerin mit seelenvollster naiver Stimme; sie war Ungarin, sprach das Deutsche reizend correct aus, und hatte in ihrem Leben wohl noch nichts rechtes von Musik gewusst. Ich war ganz gerührt, einmal so etwas Reines, Unverdorbenes für meine Musik zu bekommen, und das gute Kind schien wieder von mir und der Musik in der Weise gerührt zu sein, dass sie zum ersten Male in ihrem Leben wirklich empfand. Unbeschreiblich lieblich und ergreifend war der Ausbruch dieser Empfindungen, und es konnte manchem den Anschein haben, als hätte das Mädchen eine heftige Liebe zu mir gefasst.”

Ja, der Ungarin Reiz ist unerreicht, auf ihn ist noch so mancher hereingefallen. Doch ist mit einiger Berechtigung davon auszugehen, daß das trällernde Unschuldslamm seine Waffen sehr wohl kannte und unser guter, romantisch-verschnupfter Meister wohl in seinem lebenslangen Sehnen nach Anerkennung Dinge als real erkannte, die vielleicht nur auf der Bühne spielten. Dabei waren wir nicht, und schließlich ist alles möglich, immerhin hatte Wagner zwischen seinen zwei Auftritten vier Tage Zeit, sich Pest und seine Sehenswürdigkeiten genauer zu besehen.

Die sooft als wagnerfeindlich gescholtene deutsche Presse in Ungarn, maßgeblich hier der „Pester Lloyd”, gab sich indes alle Mühe, der Bedeutung dieses Besuches gerecht zu werden. Drei halbseitige Feuilletons und einige Nachberichte widmete man dem Erscheinen Wagners und gab sich immerhin Mühe, ihm als bedeutendem Vertreter der „neuen” Musik Rechnung zu tragen. Anstatt Ablehnung stellte man dort, wo man nicht folgen mochte, eher Fragen an seinen Stil und seine vermeintlichen oder echten Übertreibungen in der Partitur sowie seinem Ansinnen nach einem eigenen Theater. Man bewunderte die Konsequenz, belächelte aber zuweilen Stil und Größenwahn.


3. Veni – vidi – Vici:  Wagners erstes Konzert in Pest

Bei der ersten Ankündigung des Erscheinens von Wagner in Pest fällt vor allem das Bemühen um Seriosität und Ausgewogenheit auf, wie es dieser Zeitung anstand. Man wollte sich bewußt absetzen von den extremen Polen, wie sie sich teilweise in der Presselandschaft bildeten. Es mag dabei eine Rolle gespielt haben, daß Adolf Dux, der führende Kritiker des Blattes zugunsten eines anderen Redakteurs auf die Berichterstattung verzichtete. Dieser Autor „C.”, den wir bisher leider nicht identifizieren konnten (für Hinweise wären wir dankbar), ist Wagner durchaus zugeneigt und kann im weiteren Verlauf des Auftretens des Meisters nur schwer seine Begeisterung hinter bemüht distanzierter Ausdrucksweise verbergen.

Pester Lloyd, 22. Juli 1863:
„C. Morgen (Donnerstag) und den darauf folgenden Dienstag werden im Nationaltheater die Konzerte des Dichter-Komponisten Richard Wagner abgehalten. Die einfache Anzeige des für unser Kunstleben nicht unwichtigen Ereignisses dürfte hinreichend sein, um in Jedem, der den künstlerischen Vorgängen der Neuzeit nicht gänzlich ferne steht, das unbezwingliche Interesse wach zu rufen. Da wir indessen mit Grund annehmen dürfen , daß das jedenfalls epochemachende Auftreten Richard Wagner‘s auf dem Gebiete der Oper theils über-, theils unterschätzt, theils von einem großen Theile unseres Publikums, welches sich mehr mit Politik als mit Kunst, mehr mit den Bedürfnissen des Lebens, als mit den geistigen Regungen und Errungenschaften des Auslandes beschäftigt, nur sehr oberflächlich betrachtet wurde – so halten wir es im Einklange mit unseren früheren wiederholten Hindeutungen auf die Bedeutung dieses Opernkomponisten an der Zeit, über dessen Schaffen, Wirken und über das von ihm aufgestellte neue System eine kurze kritische Revue zu halten.“

Bevor C. aber zur Biographie und dem Schaffen Wagner’s kommt, erfolgt, mit einem Seitenblick in Richtung der ungarischen Wagnerverehrer, folgende Schilderung:

„Es kann bei diesem Beginnen nicht unsere Absicht sein, eine neue persönliche Meinung den zahllosen Urtheilen über Richard Wagner hinzuzufügen. Ist doch über diesen Opernkomponisten von kompetenter und unkompetenter Seite so viel geschrieben und dissertirt worden, daß sämmtliche früheren großen Komponisten als verkannte und unbeachtete Genies dagegen erscheinen müssen. Deutschland besitzt eine eigene Wagner-Literatur, eigene Wagner-Literaten, welche jede Note des Meisters in ihrer Weise zu deuten und zu erklären suchen, mit neuen Noten und Randglossen umgeben, und als neu erfundene Wunderpille in alle vier Weltengegenden versenden.“

Der Rezensent verpflichtet sich selbst zum neutralen Schilderer, indem er zusagt:

„Mag Wagner die Posaunen immerhin lieben, und mögen jene in ihrem unbedingten Enthusiasmus immerzu glücklich werden, wir dürfen uns von denselben eben so wenig blindlings leiten lassen, als von solchen, welche seine Musik und seine Neuerungen als etwas Widernatürliches und Unberechtigtes ohne nähere Prüfung verdammen möchten.
Dem Lose aller bahnbrechenden Geister, anfangs verkannt, dann aber bis zum Exzeß verhimmelt zu werden, entging auch Wagner nicht und es paßt auf ihn gegenwärtig das wahre Wort: „Gott schütze mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich schon selber schützen.“ Wir werden es nicht unterlassen, eine Zusammenstellung verschiedener kritischer Stimmen und eine kurze Analyse der Bestrebungen Richard Wagner‘s zu geben, aus welcher objektiven Anschauung sich sodann der Leser das Urtheil selbst abstrahiren möge.“

Die nun folgende, sehr faktische Schilderung von Wagner‘s Werdegang und Werken, was für die meisten Leser ja noch ganz neu war, enthält einige interessante Gedankengänge eines Rezensenten, der, bei aller akademisch-journalistischen Geschultheit seines Vortrages, doch erkennen ließ, daß er mit dem Phänomen Wagner und seinem Urteil darüber noch nicht ganz fertig war. Mit dieser Haltung stellte der „Pester Lloyd“ eine gewissenhafte Ausnahme in der Zeitungslandschaft dar, die anderen hatten sich meist schon vor der Ankunft Wagners für Huldigung oder Ablehnung entschieden.

Nicht ohne Hintersinn beschrieb C., der übrigens Wagner bereits vorher live in Zürich erlebt hatte, ziemlich ausführlich die Anwandlungen des 15jährigen zu einem monumentalen Trauerspiele:

„Er entwarf ein großes Trauerspiel, welches ungefähr aus Hamlet und Lear zusammengesetzt war. Der Plan war äußerst großartig: zweiundvierzig Menschen starben im Verlaufe des Stückes, und der jugendliche Verfasser sah sich bei der Ausführung genöthigt, die meisten als Geister wiederkommen zu lassen, weil ihm sonst in den letzten Akten die Personen ausgegangen wären. Beethoven‘s Musik zu Egmont, welche er zu Leipzig hörte, wo er seine Studien fortsetzen sollte, begeisterte ihn so, daß er um Alles in der Welt sein fertig gewordenes Trauerspiel nicht anders vom Stapel lassen wollte, als mit einer ähnlichen Musik versehen. Er traute sich ohne Bedenken zu, diese Musik selbst schreiben zu können, hielt es aber doch für gut, sich zuvor über einige Regeln des Generalbasses aufzuklären.“


Und zur mißglückten Aufführung einer Ouverture schreibt C. genüßlich:
„Seine Lust zum Studium erlahmte immer mehr, und er zog vor, Ouvertüren zu schreiben, von denen eine einmal im Leipziger Theater aufgeführt wurde. Diese Ouverture war der Kulminationspunkt seiner dermaligen Leistungen. Beethovens neunte Symphonie sollte eine Pleyel‘sche Sonate gegen diese wunderbar komponirte Ouverture sein. Bei der Aufführung schadete ihm besonders ein durch die ganze Ouverture regelmäßig mit drei Takten wiederkehrender Paukenschlag. Das Publikum ging aus anfänglicher Bewunderung über die Hartnäckigkeit des Paukenschlägers allmälig in eine den jungen Komponisten tief betrübende Heiterkeit über.“

Eindeutig, woher auch die Eingebung zum „Holländer” gekommen sein mußte, natürlich von der stürmischen Überfahrt von Riga nach London, wo der Kapitän in die Scheeren Norwegens ausweichen mußte:
„Die Sage vom „Fliegenden Holländer“, welche er später zu einer Oper verwerthete, wie er sie aus dem Mund des Matrosen bestätigt erhielt, gewann in ihm jene eigenthümliche Farbe, die nur die erlebten Seeabenteuer verleihen konnten.“

Die anderen, richtig aufgeführten Fakten können nicht darüber hinweg täuschen, daß der Autor eine bestimmte Tendenz zeichnen wollte, die Wagners Schaffen immer wieder in unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Biographie, seinem Wachsen und Werden zeigte. Das war keineswegs gegen Wagner gerichtet und ja auch nicht ganz falsch, wohl aber richtete sich diese analytische Herangehensweise gegen die blinden Vertreter der Theorie des reinen Genies, wie sie in Ungarn im harten Kern der Wagner-Gesellschaft kursierte. Der „Pester Lloyd” schlug keine bestimmte Richtung der Beurteilung ein, sondern forderte eigentlich nur Seriosität.

Zum ersten Konzert im Nationaltheater hieß es dann schon deutlich euphorischer:

„Veni, vidi, vici“, mit diesen Worten Cäsar‘s könnte der musikalische Römer Richard Wagner selbst am kürzesten das Resultat seines ersten, am Donnerstag im Nationaltheater abgehaltenen Konzertes schildern.“ (den „Römer“ bezog der Rezensent hier auf die musikalische Charakterstärke, Anm.)

„Sämmtliche Orchesterpiecen wurden unter Richard Wagner‘s eben so befeuernder als eleganter Leitung, der das ganze Konzert ohne Partitur auswendig dirigirte, von dem bedeutend verstärkten Orchester des Nationaltheaters mit seltener Präzision und eingehenden Nuancen ausgeführt. Richard Wagner wurde bei seinem Erscheinen stürmisch empfangen, und nach jeder Piece von dem überfüllten Hause mit öfteren Hervorrufen ausgezeichnet. Nach der Tannhäuser-Ouverture trat der Kapellmeister Herr Franz Erkel hervor, und überreichte dem Komponisten einen Lorbeerkranz als eine Huldigung des Nationaltheater-Orchesters, welches schon vorher durch Erhebung von den Sitzen und durch das Miteinstimmen in den Beifall des Publikums seine Verehrung für den Meister zu erkennen gab. Andererseits sprach sich Richard Wagner gelegentlich der Proben sehr lobend über die Leistungen dieses Orchesters aus.“

„Die begeisterte Aufnahme, die Richard Wagner hiemit im Nationaltheater fand, spricht laut genug dafür, daß das Publikum endlich auch etwas Anderes zu hören wünscht, als Rigoletto und Trovatore, und daß es in der Kunst keine nationalen Scheidegrenzen gibt. (…)“

Bedenken äußerte der Rezensent lediglich in der Form der Aufführung, die in einem Plädoyer für die Errichtung eines Wagnertheaters gipfeln:

„Was uns bei der in Rede stehenden Konzertaufführung bedenklich erschien, ist eben, daß sie eine Konzert- und keine Opernaufführung war, eine Konzertaufführung, welche losgelöst von dem bestimmenden Elemente der dramatischen Situation, der Szenerie, der Darstellungskunst und des deutschen Wortlautes mit einem in der Eile ins Ungarische übersetzten Texte den gesanglichen Theil wiederzugeben genöthigt war. Wagner, welcher der Vereinigung aller Künste, und der Unterordnung der Musik unter das Drama in seinen Schriften so überzeugend das Wort redet, tritt nun selbst in der Praxis als spezifischer Musiker, als Konzertgeber, als Orchestervirtuose auf. Leider, daß der geniale Meister noch genöthigt ist, sich dieses Mittels zu bedienen, um seinen Werken Eingang zu verschaffen, daß er noch immer wie ein heimathloser Wanderer (obwohl unter ganz anderen Verhältnissen wie ehedem – zu welchem Ehedem die ihm am vorgestrigen Tage von den höchsten Militärs unserer Hauptstadt zu Theil gewordene Auszeichnung einen denkwürdigen Gegensatz bildet) keine Ruhestätte, keinen seiner hohen Begabung würdigen Posten findet, wo er durch sein persönliches Eingreifen, durch sein eminentes Dirigententalent seiner Lehre von Oper und Drama und vom Kunstwerk der Zukunft ein praktisches Resultat abgewinnen könnte. Vielleicht findet sich noch die kunstsinnige Residenz, welche sich dereinst rühmen kann, ein Wagner-Theater zu besitzen!“

Abschließend vermerkt er:

„Ob nun die Werke Wagner‘s eine Zukunft haben, das läßt sich bei der, einem reinpoetischen Schaffen wenig zugeneigten Gegenwart schwer entscheiden, doch benimmt dies nicht in der Achtung für den Komponisten selbst, welcher im guten Glauben an seine Kunst und in die Möglichkeit der Ausführung seiner Intentionen seiner Zeit vorangeeilt, und nun nicht mehr rückwärts kann, noch will. Vielleicht ist Wagner hie und da in der Wahl seiner Mittel etwas zu weit gegangen; vielleicht mag er zuweilen in dem Bestreben, die dramatische Situation, die Gefühle seiner Personen und den Inhalt seines Textes genau und gewissenhaft musikalisch zu illustriren, in eine anhaltend düstere und niederdrückende Stimmung gerathen, und zu wenig Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Sänger und des menschlichen Organes nehmen; vielleicht ist es wahr, daß er dem Fassungsvermögen eines großen Publikums, welches in der Regel nur geringe Kenntniß von dem darzustellenden poetischen Objekt nimmt, oder selbst inmitten des glänzenden und hervortretenden Kolorits seiner Instrumentation die Textworte nur schwer erfassen kann – etwas zu viel aufbürdet und nicht zu berücksichtigen scheint, daß der gebrechliche menschliche Organismus bald ermüdet, der Ruhepunkte bedarf, und daß viele um den Preis einer größeren Abspannung sich nur ungern ein höheres geistiges Vergnügen erkämpfen – aber alle diese Bedenken ändern nichts an der ausgesprochenen Überzeugung, daß Wagner‘s Operndrama edlere und höhere Tendenzen verfolgt, und daß er durch Charakter und Einheit des Styls den ersten Rang unter den Produkten der Neuzeit auf diesem Gebiete verdient.“

Im Ganzen war alles gelungen, lediglich die Siegmund-Arie fand C. unglücklich, weil den Sänger zu erdrückend begleitet. Auch meint er zum Walkürenritt: „Vom rein musikalischen Standpunkte aus mag das Stück anfechtbar sein, als Schilderung der Situation indeß könnte nichts Originelleres erfunden werden.“

4. Bachsches „Lassu”?  - Zwei Briefe Wagner’s

Die Berichte über das zweite Konzert gehen einher mit Betrachtungen und Zitaten über Wagner’s Werk „Drama und Oper”, aus dem ebenso zitiert wird, wie aus Äußerungen Liszts. Die Berichterstattung schließt mit den Worten:
„Nach dem Gesammteindrucke beider Konzerte zu schließen, scheint das Publikum nichts sehlicher zu wünschen, als den nunmehr von uns scheidenden Meister recht oft in seinen genialen Werken wieder begrüßen zu können."

So eine Presse hätte sich Wagner sicher auch ab und an in Deutschland gewünscht. Kurz nach seiner Abreise erscheinen zwei interessante Briefe Wagners im „Pester Lloyd”. Der erste, vom 1. August 1863 aus Penzing, war an Hofrath v. Radnotfay gerichtet, den Direktor des Nationaltheaters. Er hat den Stil eines dankbaren Formschreibens, im zweiten Teil aber macht sich doch die Freude Luft, gut aufgenommen worden zu sein. So restlos sicher war sich Wagner darüber vorher nämlich nicht. Da davon auszugehen ist, daß dieses und auch das zweite Schreiben in den meisten Briefanthologien zu Wagner fehlen, sollen sie hier ungekürzt wiedergegeben sein.

„Geehrtester Herr Hofrath! Kaum fand ich die Zeit, bei meiner Abreise von Pest zum Abschied mich Ihnen zu empfehlen, und ich fühel mich daher veranlaßt Ihnen aus der Ferne noch den Ausdruck meines aufrichtigen und warmen Dankes für alles Freundliche, was Sie mir erwiesen, nachzusenden. Hatte mich bereits Ihre Einladung angenehm überrascht, und Ihre Versicherung, daß es Ihnen zur Freude gereiche mit der Unterstützung der Kräfte des Nationaltheaters mich dem Publikum der Hauptstadt Ungarns vorzuführen, mir wohlthätig geschmeichelt, so hat der Erfolg Ihrer freundlichen Bemühungen, durch erleichterndes und förderndes Entgegenkommen in jeder Beziehung, meine angenehmen Erwartungen nur noch übertreffen können. Die Vorzüglichkeit Ihres Orchesters, der kollegialische Eifer seines allseitig verehrten Chefs, die ausgezeichnete Mitwirkung eines rühmenswerthen Gesangspersonales, sowie die energische Unterstützung der technischen Behörden Ihres Theaters, machten es mir mit weniger Mühe möglich, sogar den freundlich besorgten Zweifel manches Pester Musikfreundes an der Empfänglichkeit des ungarischen Publikums für eine Musik, die bisher seinen Geschmacksneigungen sich fern gehalten hatte, auf das Überraschendste zu besiegen.
Wenn daher heute Musikstücke meiner Komposition, welche (mit einziger Ausnahme Wiens) dem deutschen Publikum noch gänzlich fremd geblieben, dem ungarischen Publikum bereits wohl bekannt, und mit Lebhaftigkeit von ihm aufgefaßt worden sind; wenn ich daher zu der eigenthümlichen Erscheinung, daß mit Konzeptionen deutschester Art, wie denen meiner „Nibelungen”, „Meistersänger” usw. das Publikum der Hauptstädte Böhmens und Rußlands, wohin ich eigens hierzu eingeladen war, sich vertraut gemacht hat, jetzt noch die Erfahrung von der willigsten Aufnahme meiner neueren Arbeiten auch Seitens der Künstler und des Publikums der Hauptstadt Ungarns fügen darf, so kann ich meinen Dank für diese mir so tröstliche wie ermuthigende Erfahrung nur der thatkräftigen Initiative Ihrer Einladung darbringen, in welchen ich gern meine volle Anerkennung der Bemühungen aller derjenigen Künstler und Kunstfreunde einschließe, welche veranlassend und unterstützend zu Ihrer nicht ganz ungewagten Entschließung mitwirkten. Glauben Sie, daß auch das Publikum es nicht verschmähen dürfte, von den Empfindungen meines Dankes und meiner Anerkennung, wie ich sie in diesen Zeilen niederlegte, Kenntnis zu nehmen, so autorisire ich Sie zu deren Veröffentlichung ebenso gern, als es wahrhaft mir zur Ehre gereichen würde, wenn sie Ihnen der Veröffentlichung werth erscheinen sollten. Mit größter Hochachtung Ihr ergebenster
Richard Wagner.”

Das zweite Schreiben, datiert vom 8. August 1863, war an Kornel Abrányi gerichtet, Redakteur der „Ungarischen Musikzeitung”. Hierin sollte oder wollte Wagner Stellung zu einigen ihm überreichten Kompositionen ungarischer Tondichter beziehen. Die Bewertung verallgemeinert sich wohl aus gutem Grunde und gehört nicht gerade zu den erhellendsten Äußerungen Wagners.

„Geehrter Herr Redakteur! Mir ist während meines Aufenthaltes in Pest von unserem Freunde Reményi Ede, mit der Empfehlung – es seine ungarische Studien – eine größere Anzahl von Kompositionen mitgetheilt worden, die ich jetzt erst Gelegenhei finde näher kennen zu lernen und über die ich Ihnen gern meine besondere Freude mittheilen möchte. Das Thema, welches hierdurch zu erweiterten Reflexionen in mir angeregt wurde, ist zu umfassend, als daß ich ernstlich es bei dieser kurzen Mittheilung berühren möchte. Mit Anknüpfung an Dasjenige, was ich am letzten Abende unseres Zusammenseins vor einem größeren Kreise von Freunden über das „Nationale” in der Musik andeutete, erlaube ich mir jedoch das, was mir beim Eingehen auf die in Rede stehenden Kompositionen kulturgeschichtlich von Bedeutung scheint, in Kürze mit Folgendem zu bezeichnen:

Mir scheinen diese Bestrebungen, das ungarische Nationallied in der Weise künstlerisch auszubilden, daß es in unmittelbare Beziehung zu unserer entwickelten Kunstmusik tritt, zu dem günstigsten Erfolge für die Entwicklung und Hebung der Musik in Ungarn überhaupt bestimmt. So lange ein solcher Erfolg nicht eintritt, wird bei Ihnen immer ein bedenklicher, ja verderblicher Abstand zwischen dem nationalen Elemente und der, nur die Oberfläche desselben berührenden Kunstmusik bestehen, und zwar in der Weise, daß die nationale Musik, d.h. die volksthümliche Tanz- und Liedweise, einem um so degradirenderen Naturalismus preisgegeben wird, als die Kunstmusik eben blos nach ihren oberflachlicheren Produkten begriffen, fast nur verwildernd wiederum auf jene einwirken kann.

Was ich hier meine, wird Ihnen leicht klar werden, wenn ich Sie auf den harmonischen und rythmischen Reichthum, welcher in der ungarischen Nationalweise wie in einem verdeckten Schachte verborgen liegt, aufmerksam mache und ihn mit der großen Armuth, welche die italienische neuere Opernmusik dem wirklich Musikgebildeten unserer Zeit soweit abstellt, vergleiche. Nichts Traurigeres nun, als wenn diese Armuth den naturalistischen Trägern der Volksmusik sich derart mittheilt, daß sie von ihnen auch der Nationalmusik entstellend eingeprägt wird! Wir würden hier denselben üblen Erfolg jeder von außen eingeführten Zivilisation, welcher nicht ein selbständig gepflegtes und entwickeltes rein nationales Element zugleich entgegentritt, ersehen, welches auf anderen Gebieten des Lebens und der Gesittung der Völker so widerliche Erscheinungen zu Tage fördert.

Wie mannigfaltig und für den Ausdruck bedeutend dagegen jener ursprüngliche Reichthum in der kunstgerechten Behandlung der Volksmusik nicht nur wiedergewonnen, sondern veredelt und weiter geführt werden kann, davon eben geben mir jene mitgetheilten „Ungarischen Studien” überraschend erfreuliche Belege. Ja, wie nahe eine wirklich charakteristische künstlerische Behandlung das noch vollständig nationale Motiv an die Produkte der vollendetsten Kunstmusik heranbringen kann, davon gibt mir z.B. Nr. XIII. im 2. Hefte der „Ungarischen Studien” von Mosonyi ein Beispiel: Wer erkennt in diesem Stücke, das andererseits auffallend den Typus des ungarischen „Lassu” trägt, nicht dne Geist eines der phantastischsten Präludien Sebastian Bach’s? In Wahrheit bietet ein Eingehen auf die harmonischen und rhythmischen Eigenthümlichkeiten gerade der ungarischen Volksmusik auffallende Natürlichkeitsbeweise für die Richtigkeit von Harmoniesationen und Rhythmisirungen in der Kunstmusik, welche den, nur auf diesem Gebiete wiederum möglichen „Zöpfen” der Theorie unbegreiflich und unzuläßlich erscheinen.

Betrachte ich nun die Stagnation, welche gegenwärtig unleugbar in der Entwicklung der eigentlichen Kunstmusik eingetreten ist, so werde ich fast zu dem kühnen Schlusse verleitet, daß Ihnen, bei fortgesetzt glücklicher Entwicklung Ihrer Nationalmusik, es möglicherweise vorbehalten sein dürfte, einen erfrischenden Einfluß wiederum auf jene Entwickelung zu gewinnen. Jedenfalls aber läßt sich voraussehen, daß die mir vorliegendne Bestrebungen, wenn sie den nöthigen fördernden Eingang bei dme ungarischen Publikum gewinnen, eine höchst glückliche, ja wohl die einzig wahrhaft ersprießliche Grundlage für die Entwicklung der Musik überhaupt – (derjenigen Musik, welche ich die rein menschliche nennen möchte) – bei Ihrem Volke bilden muß und wird.

Penzing bei Wien, 8. August 1863.
Richard Wagner.”

Solange ein solcher Erfolg nicht eintritt? Oberflächlich, degradierender Naturalismsus? Kannte Wagner Erkel’s „Nationalopern”? Wenn ja, dann war das Urteil umso vernichtender, wenn auch indirekt gesprochen. Die Schilderung der entstellenden Armut, mit der imitierende Kunstmusik die Volksmusik bedrängt, könnte jedenfalls aus der Kenntnis des „Bánk bán” oder des „László Hunyadi” begründet sein, in denen sich eben genau diese Wirkung ergibt, zumindest vom Standpunkt Wagners aus. Im Ganzen betrachtet, sagt Wagner jedoch deutlich, daß die Verschmelzung der volkstümlichen mit der künstlichen Tongebung nur dann von Wert sein wird, wenn letztere sich zu einer höheren Entwicklungsstufe und meisterlichen Beherrschung durch die Tondichter durchringt. Wagner wand sich mit Allgemeinplätzen heraus, um keine abschätzige Bemerkung über die ihm vorliegenden Kompositionsproben geben zu müssen. Wäre etwas brauchbares dabei gewesen, das Lob für Mosonyi klingt uns doch zu sehr parteiisch und herangezogen, hätte er sich wohl auch dementsprechend geäußert, denn eine hochwertige ungarische Nationalmusik wäre seinem individuellen Streben ohnehin kein Konkurrent geworden.

5. Das Möglichsterreichbare – Der Lohengrin wird aufgeführt

Während sich die Ungarn also zunehmend begeistert um Wagner bemühten, füllte das Deutsche Theater noch im gleichen Monat seine Ränge mit der Erstaufführung von Verdi’s Maskenball. Am 1. Dezember 1866 endlich kam im Nationaltheater der „Lohengrin” in Gänze auf die Bühne. Eigentlich zu einer für Kunstgenuß in Ungarn denkbar ungünstigen Zeit. Der Krieg Österreichs mit Preußen, unter anderem um Holstein, war mit der Schlacht bei Königgrätz gerade einige Monate überstanden. Die Cholera wütete in Wien und kam immer näher, die Magnaten erbosten sich im Unter- und Oberhause über die ungeregelte Abhängigkeit zu Habsburg, was in der Forderung nach einem Ungarischen Ministerium und ein Jahr später schließlich im „Ausgleich” gipfeln sollte. Die politischen Ereignisse nahmen auch in der Presse einen solchen Raum ein, daß die Administration des „Pester Lloyd” die Leserschaft um Verständnis für die Verschiebung der Lohengrin-Rezension um einen Tag bat.

Man rühmte sich in Ungarn später, und so steht es teils noch heute in den Büchern, die fünfte Erstaufführung gegeben zu haben, es war in Wahrheit die sechsundzwanzigste, (die folgende Detailtreue ist der Duellierlust ungarischer Geschichtsschreibung geschuldet, der Leser kann das ja überspringen: UA Weimar 1850, Leipzig, Frankfurt a. M., Breslau, Stettin 1854; Köln, Hamburg, Riga, Düsseldorf, Augsburg, Darmstadt, Hannover 1855; Bremen, Prag, Würzburg, Mainz, Karlsruhe 1856; München, Sondershausen, Wien 1858; Mannheim, Berlin, Dresden 1859; Königsberg, Danzig 1860). Doch war die Pester Aufführung immerhin die erste in einer fremden Sprache, also auf Ungarisch, und man konnte sich rühmen noch vor Mailand und London gespielt zu haben. Der Komponist erhielt 500 Gulden Honorar, was über dem damals üblichen Schnitt lag. Erkel lehnte die Einstudierung ab, so wurde sie von Karl Huber übernommen, zweiter Kapellmeister des Nationaltheaters und Vater des später berühmten Geigers, Komponisten und Akademiechefs Eugen Hubay.

In der Rezension des Pester Lloyd vom 3. Dezember 1866 heißt es einleitend:
„(…) Eine Musik zum Lohegrin läßt sich nicht kritisiren, man kann sie höchstens schildern. (…) Am besten und einfachsten ist es dem Publikum zuzurufen: „gehet hin, streift einmal alle eure Vorurtheile auf einige Stunden ab, gebt euch die Mühe wirklich zu genießen, und wenn ihr nicht mit ganz anderen Ansichten über die Macht der wahren Kunst aus dem Theater geht, so verdient ihr nur mit Martha, Traviata regalirt zu werden.““

Nach einer breiteren Abhandlung über das musikdramatische Prinzip Wagners, sein System der Haupt- und Leitmotivik und anderem wird, was die Aufführung selbst angeht, resümiert:
„(…) Unser Nationaltheater hat mit der Aufführung des „Lohengrin“ mit den vorhandenen Kräften das Möglichsterreichbare geleistet; uns wenigstens hat die erste Aufführung dieses unendlich schweren, riesigen Tondrama‘s überrascht. In erster Linie wollen wir die Leistungen des Orchesters rühmen, es hat einen Sieg errungen, der es zu einem echten Künstlerverein stempelt, und umso mehr müssen wir es bedauern, daß die beschränkten Räumlichkeiten keine größere Zahl von Geigern gestattete und daß die hier an der unrechtesteten Stelle angewendeten ökonomischen Prinzipien der Intendanz die vom Komponisten mit großer Überlegung verlangten dritten Holzblasinstrumente durch das hiezu doch nicht geeignete Harmonium replaciren ließ. Sei es an dieser Stelle gesagt: ein ganz vollständiges Orchester ist viel nothwendiger, (…) als eine überflüssige Sängerin, und noch dazu verschlingt eine solche sechs bis sieben Orchestermitglieder!

(…)
Nachdem ersten Akte wurde der Repräsentant des Orchesters, Herr Kapellmeister Huber, stürmisch gerufen, um den wohlverdienten Lorberkranz entgegen zu nehmen. Herr Huber hat sich ein großes Verdienst erworben, aber auch den ebenso großen Vortheil errungen, sich als einen seiner Stelle in glänzender Weise gewachsenen Führer gezeigt zu haben. Neben ihm nennen wir mit gebührender Anerkennung den Regisseur der Oper, Herrn Böhm, dessen Sorgfalt sich in der lebendigen Szenirung und Gruppirung nicht verkennen ließ. (…)

Was die Hauptdarsteller anbelangt, so hat zunächst Herr Ellinger den „Lohengrin“ schon mehrfach „draußen im Reiche“ gesungen… Seinen redlichen Willen haben wir wohl erkannt, er sang mit aller Anspannung seiner Kräfte; freilich mußten wir damit auch öfter ein momentanes Nachlassen, ein Ermüden, welches sich in einer bedenklichen Detonation bemerkbar machte, mit in den Kauf nehmen. (…)
Fräulein Carina sang die Elsa. (…) Wir wollen die großen Verdienste dieser Künstlein nicht schmälern, wenn wir sagen, daß eine Elsa in den hinzuhauchenden Szenen, wie die Vision im ersten Akte, nicht im Naturell des Fräuleins Carina liegen. (…)
Der Telramund des Herrn Simon wäre gut zu nennen, wenn er nicht stellenweise eine zu bewegliche Leidenschaft zur Schau trüge; hier erinnerten Haltung und Bewegung beinahe schon an einen maledetto assassino, welches doch ein alter Sagengraf nicht sein kann. …  König Heinrich und der Heerrufer fanden in den Herren Köszeghi und Bodorsi zwei musikalisch vollkommen sichere und würdige Repräsentanten.“

Nachdem das Publikum nochmals gescholten wird, weil es sich wiederholt erlaubte an unpassender Stelle zu applaudiren, schließt der Rezensent mit der knappen doch vielsagenden Bemerkung:
„(…) Die Aufführung des Lohengrin ist ein Ereignis gewesen, das wahrlich nicht folgenleer bleiben wird.“

Nun folgten Aufführungen von Wagners Werken Schlag auf Schlag, ein Wagner-Verein wurde unter Leitung des Komponisten Edmund Mihalovich gegründet und der aus Gyor stammende Musiker, Dirigent und Wagner-Freund, Hans Richter, warf sein ganzes Gewicht in die Waagschale, seinem Idol zum Siege zu verhelfen. Dabei ging künstlerisch einiges übereilt und auch mit einer gehörigen Portion Fanatismus vonstatten, die Wagners Werk nicht immer nutzte, vor allem dann nicht, als Richter die Aufführung ungarischer Opern zugunsten der Wagnerschen im Nationaltheater der Ungarn zu verhindern suchte. Richter, Erkel und Liszt kamen dabei ziemlich über Kreuz, ersterer mußte letztlich das Feld räumen. Das folgende Engagement in Wien und das Dirigat des ersten Bayreuth-Rings 1876 dürften ihm jedoch ausreichend Genugtuung verschafft haben.

In das Jahr 1875 fällt der zweite Besuch Wagners in Pest, nun schon Budapest. Einigen Unmut erregte aus diesem Anlaß das Begehren der Wagner-Gesellschaft, Geld für die Errichtung des Bayreuther Festspielhauses zu sammeln. Nicht zu Unrecht wies man darauf hin, wie wenig doch für das eigene, das ungarische Musikleben getan würde, und man möchte vielleicht bitte erst einmal dafür den Klingelbeutel schwingen. Doch die Persönlichkeiten Wagners und Liszts, die gemeinsam auftraten, entwaffneten die Aufgeregten: Dieser zweite Besuch wurde zu einem echten Triumph.

6. Lohengrin eröffnet die Oper – Ein Siegeszug mit Mahler

Daß zur Eröffnung des Königlichen Ungarischen Opernhauses 1884, also ein Jahr nach Wagners Tod, neben Auszügen aus Erkels Historienmonumenten „Hunyadi László” und „Bánk bán” auch der erste Akt vom „Lohengrin” auf dem Spielplan stand, ist kein Zufall, sondern letztlich ein gerechter Sieg der Kunst, wenn auch der Zufall insofern mitspielte, als die eigentlich geplante Erkel-Oper „König Stephan” (übrigens mit einigen bemühten Wagner-Anklängen versehen) nicht fertig wurde. Vielleicht war sie auch fertig, doch tat Erkel so oder so gut daran, sie nicht in direkten Vergleich zu stellen. Bis 1892 wurde am selben Hause der gesamte  „Ring des Nibelungen” auf Ungarisch, die ersten beiden Teile 1889 und 1890 noch unter Gustav Mahler, gegeben, 1901 zum ersten Male „Tristan und Isolde” sowie mit dem „Parsifal” 1914 in der Volksoper (dem heutigen Erkel-Theater) die Reihe der Budapester Erstaufführungen komplettiert. Zwar war die Oper in ihren ersten Jahren auch in Budapest überwiegend der Zeitvertreib der Schönen und Reichen, während sich die armen Enthusiasten auf dem dritten Rang drängeln mußten, dennoch hatte sich Wagner endgültig einen dauerhaften Platz im Repertoire erobert, von dem er bis heute nicht mehr verdrängt wurde. Namhafte Gäste verhalfen den Rollen in Wagners Opern zu glanzvollen Darstellungen, hier seien nur Leo Slezak und Georg Anthes als Lohengrine im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts genannt. Ebenso wurden die besten ungarischen Sängerinnen und Sänger nach Bayreuth geladen. Ein Detail ist hierbei noch zu erwähnen, daß nämlich die deutsche Sprache auf den Brettern des Königlichen Opernhauses noch 1913 per Statut verboten war, während man, wie die Presse tadelnd festhielt „sogar chinesisch singen dürfte”. Das führte dann unter anderem dazu, daß beispielsweise ein Star wie Fritz Feinhals, bei seinem Budapest Gastspiel den Hans Sachs, ausgerechnet den Hans Sachs, auf italienisch zu singen hatte!

Freilich wurde Wagner auch immer wieder kritisch herangezogen, wenn zum Beispiel die Presse Irrwege beschrieb, die Komponisten auf der Suche nach „dem ungarischen Ton” beschritten. Wie sehr etwas an Wagner orientiert war oder eben nicht, galt auch in Ungarn bald als ein zuverlässiger Wasserstandsmesser für den künstlerischen Pegel. Der Komponist hatte sich vermeintlich zu entscheiden, ob er sich dem nationalen Tone oder der „Zukunftsmusik” der „neuen Richtung” verschrieb. Einen traf es dabei besonders böse, den aus Ungarn stammenden Karl Goldmark nämlich, der sich von Nietzsche im „Fall Wagner” gar als „Wagners kluges  Äffchen” titulieren lassen mußte. Dabei war Goldmark wirklich noch eines der wenigen Originaltalente. Der Komponist Karl Auer bekam als Einleitung zu einem Generalveriß serviert:  „Man schweifte nach Wagner´s Vorbild in die nebelhaften Fernen der nordischen Sage“ (August Beer im „Pester Lloyd” 1896 über die Oper „Mathias Corvinus”). Das Augenmerk richtet sich jedoch nicht mehr so sehr auf die Frage, ob Wagners Musikdramen gespielt werden sollten, sondern wie und wie gut sie dargebracht wurden. Der scharfe Wiener Feuilletonist und Musikwissenschaftler Hans Liebstoeckl, zum Beispiel, mahnte immer wieder an, daß man Wagners Werke nur aufführen möge, wenn auch das „nötige, stetig wogende, große Orchester verfügbar ist.” (Pester Lloyd, 1915)

Die deutsche Presse, allen voran der bis dahin stets liberal und, obwohl deutschsprachig, immer ungarisch gesinnte „Pester Lloyd”, setzte sich nurmehr künstlerisch mit dem Wagnerwerk auseinander. Sein namhaftester Kritiker der 20er und 30er Jahre, Liszt-Akademie-Professor Dr. Géza Molnár, selbst ein großer Forscher für die ungarische Tonkunst, war einer der uneigennützigsten Beobachter, auch von Wagner-Aufführungen. Zu einem „Tristan” 1930 schreibt er: „Mit den neuen Auslegern des „Tristan” im Opernhause werden wir wohl noch einen schöneren Opernabend verleben, als es der gestrige war. Die Sänger dürften sich später in ihre Partien besser hineinarbeiten: - was sie vorläufig schaffen, ist die brave Lösung einer Fleißaufgabe, nicht große Wagner-Romantik.“ An anderer Stelle: „In der heutigen „Siegfried”-Aufführung ging nach dem ersten Akt ein Beifallssturm durch das Haus, und der aus tausend kritischen Hörern hervorbrechende Jubel hatte jene Einmütigkeit, von der nur die ganz großen Siege begleitet sind.“ Dies zum Auftritt Gotthilf Pistors im Opernhause. Weiter: „Und so werden nicht nur lyrische Stellen mit Glut erfüllt; auch wo Wagner trocken erzählt oder meditiert, strahlt aus den epischen und nachdenklichen Worten hinreißende Wärme. Der Hörer kann unter dem Eindruck dieses Vortrags im Text und in der musikalischen Deklamation keinen öden Punkt entdecken.“ Der Kritiker Andor Kozma schrieb noch anläßlich der „Siegfried”-Erstaufführung 1892 in einer ungarischen Zeitung: "Viele schliefen ein, bis Brünnhilde erwachte…”. Nun, das kann einem heute durchaus auch noch passieren. Wagner war am Ende des 19. Jahrhunderts also endgültig, weil mit seinem Werk, in Ungarn angekommen.

Ein bedeutender Förderer der Kunst Wagners in Ungarn wurde auch im 20. Jahrhundert Graf Albert Apponyi, der 1876 zur Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses ebenda eine Festrede hielt. Apponyi, Unterrichtsminister, später Verhandlungsführer Ungarns in Trianon, Begründer des Freundeskreises der Oper und publizistischer Überall, erinnert sich in einem Feuilleton für den „Pester Lloyd” 1930 an die Anfangszeiten des Wagner-Kultus rückblickend auf das Jahr 1876 wiefolgt:

„Wagner war noch ein Problem, ein Kampfobjekt. Er hatte seine begeisterte Gemeinde, aber auch seine erbitterten Gegner. Ich, der ich mit Leib und Seele zur Gemeinde gehörte, sollte es bald zu spüren bekommen; der Zufall fügte es, daß mein Sitznachbar im Festspielhause der berühmte Musikschriftsteller Eduard Hanslick war, der verbissenste, aber auch hervorragendste Vertreter musikwissenschaftlicher Wagner-Gegnerschaft. Ich kannte ihn oberflächlich, so daß wir unvermeidlich einige Worte wechseln mußten, bei denen allerdings jede Bezugnahme auf das große Werk, zu dem wir uns so verschieden verhielten, taktvoll vermieden wurde. Dennoch war diese zufällige Begegnung charakteristisch für die ganze Lage. Gewiß war das Zustandekommen der Bayreuther Festspiele ein Sieg Wagners; er hatte es durchgesetzt, daß für eine menschlich möglichst vollkommene Aufführung seiner Werke, für eine Aufführung nach vorhergehender sorgfältiger Vorbereitung ganz in seinem Geiste, eine eigene Stätte geschaffen war; aber nicht nur für die Aufführung, sondern auch für das Anhören im Sinne seiner Intentionen. Denn was ihm vorschwebte, war eine deutsche Wiederbelebung der Idee, die sich im griechischen Altertum in den amphiktyonischen Spielen verkörpert hatte: das Herausreißen einer gewissen Zeit aus der Tretmühle des Alltagslebens, während welcher Zeit sich das In-sich-Aufnehmen des Kunstwerkes die Hauptbeschäftigung des Lebens sein sollte, und nicht, wie es im Alltage ist: eine flüchtige Abendzerstreuung für einen durch die Berufsarbeit ermüdeten Organismus. Die höchste Aufnahmefähigkeit sollte beim Hörer ebenso gesichert sein, wie die höchste Vollendung beim Darsteller: eine Art geistiger Höhenluft oder, wenn man will; künstlerischer geistlicher Exerzitien. Im Entwerfen dieses kühnen Planes, verbunden mit der Überzeugung, daß seine Werke geeignet sind, ihn zur Verwirklichung zu bringen, zeigte Richard Wagner ein imponierendes Vertrauen in die eigene Größe, eine Einschätzung seiner selbst, die geradezu herausfordernden Charakter hatte, wenn sie sich auch mit der ganzen Naivität, die dem Genie in solchen Dingen eignet, als Selbstverständlichkeit kundgab. Nun, die Herausforderung gelang; ein Blick auf die Geschichte Bayreuths genügt, es festzustellen. Heute ist Wagner so wenig ein Umstrittener, als es Sebastian Bach oder Beethoven oder Goethe ist; sein Rang als einer der Allergrößten unter den Größten ist eine feststehende Errungenschaft der Kulturgeschichte.“

7. Klemperer und Simándy – Wagner heute

Das bisher letzte große Kapitel zum Thema Wagner, Lohengrin und Ungarn, ist mit Otto Klemperer verknüpft, der von 1947-50 die Ungarische Oper als Dirigent leitete. Klemperer erlebte in Budapest eines der wenigen glücklichen Kapitel seines Lebens. Er war, nach erfolgreichen Jahren an der Kroll-Oper in Berlin, 1933 vor den Nazis erst in die Schweiz, später nach Kalifornien geflohen. Doch als Linker hatte er auch dort Isolation zu ertragen. Das machte ihn krank und unglücklich. Nun, nach Europa zurückgekehrt, doch von den meisten Kollegen, allen voran Furtwängler und Karajan, nach wie vor geschnitten, war ihm das Engagement in Budapest gerade recht. Der Intendant und Operndirektor Aladár Tóth, den er schon aus seinen Konzerten in Wien und Budapest von 1933 kannte, wo er unter anderem gemeinsam mit Béla Bartók spielte, traf sich mit Klemperer 1946 bei einem Konzert in Schweden, wo Tóth das Exil zusammen mit seiner Frau, der berühmten Pianistin Annie Fischer verbracht hatte, und erneuerte seine Freundschaft mit Klemperer. Aus einem Gastdirigat in Budapest wurde eine Serie von einem Dutzend, und bald sah sich Klemperer als fester Gastkapellmeister für drei Jahre in Budapest engagiert. Er sagte später über seine Zeit in Ungarn: „Meine Jahre in Ungarn, von 1947-50 unter dem Direktorat von Aldár Tóth waren die glücklichsten meines Theaterlebens. Ungarn hatte wunderbare Stimmen. Allein in Budapest gab es drei außerordentliche Orchester, das der Oper, das Konzert-Orchester und das Rundfunkorchester. Ich bekam die Möglichkeit alle drei zu dirigieren.” Klemperer war froh, wieder Opern zu dirigieren, was er seit 1933 nicht mehr tun konnte, abgesehen von „Figaro” 1947 in Salzburg und „Don Giovanni” in Wien. Er dirigierte in Budapest das ganze Repertoire, doch in Erinnerung geblieben auch oder gerade wegen der überlieferten Live-Aufnahme ist vor allem der „Lohengrin” von 1948, eine Wiederaufnahme der Vorkriegsinszenierung, allerdings musikalisch, gemeinsam mit Ferencsik, neu erarbeitet und mit neuen Sängern besetzt, in der Titelrolle der noch relativ junge József Simándy (1916-1997).

Dieser verhalf der Rolle in Budapest zu einem neuen Höhepunkt. Er singt die Rolle des Ritters nicht nur Dank seiner herausragenden Stimme mit Würde, Glanz und Kraft, seine Diktion tariert sich intelligent zwischen Heldentum und Lyrik. Zwar sind die räumlichen Gegebenheiten einer einheitlichen Wiedergabe der Aufführung manchesmal abträglich, doch kann die Reinheit der Stimme und der Interpretation durch den damals 30jährigen noch heute begeistern. Simándy beschreibt die Wirkung Klemperers als hypnotisierend. Besonders die Exaktheit der Arbeitsweise beeindruckte den Tenor. An seiner Seite sang György Losonczy als Heinrich der Vogler, ein Sänger, der insgesamt 42 Jahre dem Opernhause angehörte und mehr als einhundert Rollen gestaltete. Er erinnert sich der Arbeit mit Klemperer als einer Übereinkunft, die ihn fast von allein erraten ließ, was der Maestro als nächstes vor hatte. Als einmalige Athmosphäre der Zusammenarbeit beschreibt dies Losonczy, die er mit keinem anderen Dirigenten wieder so erlebte. Klemperer war in seinem Drange nach dramatischer Geschlossenheit mehr als konsequent, ja fast fanatisch. Bei einer Aufführung flüsterte man ihm aus dem Publikum zu, er solle doch die „Gralserzählung” wiederholen. Und als gar der Applaus für ihn die Szene zu lange unterbrach, warf er entnervt den Stab aufs Pult und wollte den Orchestergraben verlassen. Nur das gute Zureden eines Musikers konnte ihn noch davon abhalten, die Vorstellung gänzlich zu schmeißen. Sein Künstlertum machte großen Eindruck, die Schlangen an den Theaterkassen wurden immer länger, wenn sein Name auf den Plakaten stand. Die Sängerkollegen überschlugen sich vor Begeisterung, Maria Gyurkovics, damals die Primadonna, fehlten gar die Worte, wie sie wortreich erklärte. Otto Klemperer brachte Budapest manche Sternstunde der Oper.

Die Bayreuther Saisons 1958, 1959 und 1967 erlebten den ungarischen Heldentenor Sándor Konya, der 2002 auf Ibiza verstarb, als Lohengrin. Eine Rolle, die zu seinen besten zählte und ihm 1964 auch den Durchbruch an der New Yorker Metropolitan Opera brachte. Zahlreiche Einspielungen, die auch auf CD erhältlich sind, geben davon Zeugnis.

Zu erwähnen ist aus heutiger Sicht noch der Bariton Sándor Solóym-Nagy, der immer noch aktiv ist, wenn er auch seinen sängerischen Zenit bald überschritten hat. Bayreuth heißt sein zweites Wohnzimmer, er absolvierte dort über 200 Auftritte und soll hier nur als ein Beispiel genannt sein, wie tief die Kunst des Wagnergesanges im ungarischen Musikleben wurzelt. Die Reihe der in Bayreuth und international als Wagner-Sänger tätigen Ungarinnen und Ungarn ist so lang, daß wir uns hier mit diesen wenigen Beispielen bescheiden müssen.