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Aus dem Pester Lloyd von 2004
Ferenc Mádl, Staatspräsident
150 Jahre Pester Lloyd
„Lasst uns Brücken bauen – verkündete 1994 die Redaktion des wiedererschienenen Pester Lloyd auf der Titelseite der Probenummer. Könnte eine Zeitung, die kurz nach ihrer Gründung vor 150 Jahren fast gleich zum führenden meinungsbildenden Organ der deutschsprachigen Presse in Ungarn geworden war, eine umfassendere und noblere Zielsetzung haben? Das Programm des „Brückenbaus“ folgte treu dem Bekenntnis der Vorfahren, und dieses Leitmotiv diente – was noch großartiger ist – im vergangenen Jahrzehnt als ein sicherer Wegweiser für die Redakteure und Autoren des Blattes.
Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Pester Lloyd und des 10. Jahrestags seines Wiedererscheinens war ich bemüht, meine Erinnerungen über die Zeitung aufzufrischen. So stieß ich auf eine Nummer der berühmten Literaturzeitschrift Nyugat („Der Westen“) aus dem Jahre 1932. Dort erschien ein Leserbrief, dessen Verfasser den Pester Lloyd für die Praxis kritisierte, der deutschen Literatur viel zu viel Raum, der ungarischen dagegen zu wenig zu widmen. Abgesehen davon, dass der Vorwurf angesichts der damaligen (aber auch der heutigen) Prinzipien der Redaktion ungerecht erscheint, war dies auch ein Zeichen für das breite Interesse am Pester Lloyd, das auch nach Jahrzehnten aufrecht blieb.
Die Mitarbeiter des Pester Lloyd, die löbliche Aufgabe des „Brückenbaus“ beachtend, dienten zu jeder Zeit ihrem Beruf als engagierte Vertreter der europäischen Kultur, des Humanismus und der nationalen Werte. Das taten sie sogar, indem sie ihr Leben opferten, als 1944, nach der deutschen Besetzung, die Mehrheit der Mitarbeiter aus Protest die Feder niederlegte und die Redaktion verließ. Seinerzeit wurden mehrere Redakteure und Mitarbeiter in Konzentrationslager verschleppt. Ihre Aufopferung statuierte ein Exempel und die Nachfolger können ihr Andenken am besten ehren, indem sie die moralischen Erfordernisse ihres Berufes, vor allem den Respekt vor den Lesern, jederzeit als ihre vorrangige Pflicht betrachten.
Den heutigen Redakteuren können auch auf diesem Gebiet keine Vorwürfe gemacht werden. In der von der Politik überhitzten Atmosphäre unseres öffentlichen Lebens geben sie ein seltenes Beispiel dafür, dass es nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, eine Zeitung nur im Dienste der Öffentlichkeit zu machen. Gibt es mehr, womit der Journalist und die Zeitung den Prinzipien des Berufs entsprechen und so ihrer Nation am besten dienen können.“
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