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Was ist Einsamkeit?

Einsamkeit ist in diesen Tagen ein präsentes Thema. Doch wie entsteht sie? Und wie kommen wir aus ihr wieder heraus?

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Einsamkeit ist nicht gleich Alleinsein. Denn Letzteres ist an sich erst einmal nichts Schlimmes. Jeder Mensch verspürt von Zeit zu Zeit gelegentlich den Wunsch nach Rückzug, mancher mehr, mancher weniger. Auch für den Depressionsforscher Martin Hautzinger, Psychologieprofessor an der Universität Tübingen, sind Alleinsein und Einsamkeit zwei voneinander abzugrenzende Kategorien: „Alleinsein ist ein soziales Phänomen: Man ist nicht mit anderen zusammen. Einsamkeit hingegen ist ein psychologisches Phänomen. Man kann sich auch inmitten Hunderter Menschen einsam fühlen.“

Denn Einsamkeit entsteht, wenn ein grundlegendes, menschliches Bedürfnis boykottiert wird, das für unsere Spezies fast genauso überlebenswichtig ist wie jenes nach körperlicher Unversehrtheit oder Nahrung. „Danach gefragt, was für sie am meisten zum Glücklichsein beiträgt, nennt die überwältigende Mehrheit Liebe, Vertrautheit und soziale Bindungen, noch vor Wohlstand, Berühmtheit oder sogar körperlicher Gesundheit.“ so Hautzinger.

Die schlimmste Strafe

Das beklemmende Gefühl von Einsamkeit stellt sich dann ein, wenn diese zwischenmenschlichen Bindungen bedroht werden. Das Eingebundensein in einen sozialen Kontext ist für das menschliche Wohlbefinden so existenziell, dass Verbannung und Einsperren seit Anbeginn der Menschheit nach Tod und Folter als eine der härtesten Strafen empfunden werden. Einzelhaft gilt noch heute als das schwerste Mittel im Strafvollzug, über dessen Legitimität gestritten wird, angesichts der Härte dieser Bestrafung.

Sich ausgeschlossen zu fühlen, quält den Menschen mehr als alles andere. Selbst wenn ein Wildfremder den Blickkontakt verweigert, versetzt das den meisten Menschen einem Stich, entdeckten der Psychologe Eric Wesselmann und sein Team mit einem Experiment auf dem Campus der Purdue-Universität. Andere Studien zeigen, dass Menschen sogar dann unter der Zurückweisung leiden, wenn sie von einer Gruppe zurückgewiesen wurden, mit der sie eigentlich gar nichts zu tun haben wollten – wie beispielsweise vom Ku-Klux-Klan!
Komm die Zurückweisung von einem Menschen, dessen Zuneigung uns etwas bedeutet, Scheitern beispielsweise die Bemühungen einen
Ex zurück zu gewinnen, ist der Schmerz im ersten Moment kaum auszuhalten.

Nicht für immer – oder doch?

Im Normalfall handelt es sich bei Einsamkeit um einen vorrübergehenden Zustand. Oft geht sie mit schwierigen Übergangsphasen des Lebens einher, zum Beispiel nach einem Arbeitsplatzwechsel, einem Umzug oder einer Trennung. Wir spüren einen Verlust und trauern diesem nach. Doch selbst nach einem Todesfall lässt der Schmerz mit der Zeit nach und nach einer Phase des Rückzugs beginnt bei den meisten langsam die Wiedereingliederung in das Sozialleben. Bei manchen jedoch will die Einsamkeit nicht weichen, wird zu einem chronischen Zustand. Wie kann das passieren?

Teilweise ist Einsamkeit ein genetisches Produkt. Verhaltensforscher an der Universität Amsterdam fanden heraus, dass das Einsamkeitsspektrum zu beinahe 48 Prozent genetisch bedingt ist. Je nach Erbanlagen unterscheiden sich Menschen ihren Bedürfnissen nach Dazugehörigkeit, Anschluss und empfundener Nähe zu anderen. Besonders gefährdet sind außerdem Menschen, die vom Urteil anderer abhängig sind.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung

Nicht jeder Mensch, der besonders verwundbar gegenüber dem Ausgeschlossensein ist, wird chronisch einsam. Doch einsame Menschen verfangen sich häufig in diesem Gefühl. Denn Einsamkeit, die nicht weichen will, neigt dazu, sich selbst zu verstärken. Das geschieht, indem sie die emotionale und kognitive
Selbstregulation beeinträchtigt, also das Steuern von Fühlen und Denken – und vor allem des Einfühlungsvermögens. Durch die Brille der Einsamkeit scheinen andere Menschen feindlicher gesinnt als sonst, man entwickelt „eine ständige Bereitschaft zur Selbstverteidigung“, wie es Cacioppo nennt. „Manchmal lässt uns diese Furcht auf andere losgehen, manchmal bewirkt sie, dass wir um jeden Preis gefallen wollen, und manchmal lässt sie uns das Opfer spielen. … Das Heimtückische an der Einsamkeit ist die Zwickmühle, in die sie uns bringt: Aus der Einsamkeit kommt man im Grunde nur durch die Hilfe von mindestens einer anderen Person heraus, aber je länger eine Person einsam ist, umso weniger ist sie oft in der Lage, anderen Hilfe zu entlocken.“

M.H. / Abb.: Pixabay