Sie suchen Facharbeiter oder Saisonkräfte? Anzeige im STELLENMARKT und auf der Startseite ab 75.- EUR / 30 Tage: online@pesterlloyd.net

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Hauptmenü

 

Finden Sie Ihre Fach- oder Saisonkraft im STELLENMARKT des PESTER LLOYD!
Annoncen ab 35.- EUR / Monat (Text) und 125.- EUR / 30 Tage Kasten auf der Startseite Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / POLITIK       01. April 2020


Notstand in Ungarn:

Demokratie beendet - Und jetzt?

Ungarns Menschen bräuchten jetzt die EU nötiger als je zuvor. Doch der "Garant der Grundwerte" hat in der Coronavirus-Krise so gründlich versagt, Italien und Spanien im Stich gelassen, dass Ungarn auf nichts hoffen braucht. Die innere Opposition ist aufgrund der Notstandslage zunächst stillgelegt, ob Wahlen 2022 so stattfinden, dass sie Orbán auch nur theoretisch aufhalten können, entscheidet Orbán selbst.

In dieser Woche hat die Fidesz-Mehrheit Orbáns neues Notstandsgesetz angenommen und damit praktisch auch das Parlament selbst abgeschafft. Einen Überblick über die Vollmachten, die sich Orbán damit erteilt
finden Sie hier.

orbanvonderleyen (Andere)
Foto: MTI

Zu diesen kommen weitere Maßnahmen hinzu, die sich nun im Tagesgeschäft herausstellen. Ein erster Vorstoß von Vizepremier Zsolt Sémjen, die Bürgermeister und Kommunalversammlungen durch "Schutzkommissionen" zu ersetzen, die von der Regierung ernannt werden, wurde zunächst zurückgezogen. Da die Regierung ab jetzt aber unkontrolliert per Dekret agieren kann, werden die 120 regionalen Regierungsbüros praktisch die Macht von den Kommunen übernehmen. Heute verlautbarte das Oberkommando der Armee, dass "wir die das Kommando in 51 Krankenhäusern übernommen haben."

Gegen eine erste Welle kritischer Kommentare aus der EU gegen die praktisch unbefristete und parlamentarisch oder sonstwie unkontrollierbare Ausweitung der Notstandsrechte, die Orbán zum Alleinherrscher macht, ließ die Regierung durch Sprecher Zoltán Kovács ausrichten, dass "unsere Maßnahmen im Einklang mit der Landesverfassung und den EU-Verträgen" stünden. Er antwortete damit auf eine Twitter-Message der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die "Proportionalität" bei den Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus forderte, Ungarn dabei aber nichtmal direkt ansprach. Das betreffe auch die Pressefreiheit, so Kovács, obwohl genau diese durch spezielle Regelungen faktisch ausgehebelt wurde.

Außenminister: Alles Verlierer

Außenminister Péter Szijjártó ergänzte, dass Ungarn "einmal mehr vom internationalen, liberalen Mainstream angegriffen" werde, darunter vom "versagenden linken italienischen Premier, von den deutschen Sozialisten, die für immer verdammt sind, kleiner Bruder in einer Großen Koalition zu sein, von den nie gewählten österreichischen Grünen, von Luxemburger Kommunisten und von den extrem inteoleranten skandinavischen Liberalen." Es seien die gleichen, die Ungarn seit zehn Jahren attackieren, als man das Land vor dem IWF rettete oder vor den illegalen Migranten. Die Angriffe seien "Zeichen des Frustes", denn "diese Leute können von der gesellschaftlichen Unterstützung, die wir erfahren, nur träumen".

Als eine der ersten Maßnahmen hat die Regierung für Arbeitgeber wesentliche Steuern erlassen, vor allem in den Branchen, in denen Fidesz-Günstlinge hohe Marktanteile halten.

Die EU hat angekündigt, "die Kommission werde das endgültig verabschiedete Gesetz analysieren und die Anwendung weiter beobachten." Das macht die EU mit verschiedenen Gesetze seit ungefähr zehn Jahren. Genauso lange warnen wir, wohin die Reise mit Orbáns Ungarn geht. Konsequenzen hatte das keine.

Kritik kam auch aus der EVP-Fraktion, der Orbáns Fidesz formal noch immer angehört. Es gab aber keine geschlossene Erkläung der EVP selbst. Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary sagte in der Tagesschau: "Das ist unerträglich, inakzeptabel und ein Beispiel dafür, wie Leute in Krisenzeiten in alte Muster zurückfallen." Der Chef der irischen EVP-Abgeordneten, Sean Kelly, nannte die Nachrichten aus Ungarn auf Twitter "sehr Besorgnis erregend". "Grundrechte sind fundamental, auch in Zeiten der Krise. Die Demokratie aufrecht zu halten, ist essenziell - wir dürfen es nicht zulassen, dass sie suspendiert wird, trotz dieser herausfordernden Zeiten." Der finnische EVP-Europaabgeordnte Petri Sarvamaa schrieb auf Twitter: "Dieses Gesetz ist nicht das Ende von Covid-19, es ist das Ende der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Herr Orban, reißen Sie, dieses Gesetz nieder", forderte Sarvamaa in Anspielung an den Aufruf des damaligen US-Präsident Ronald Reagan.

Wie geht es jetzt weiter?

Von der EU-Kommission ist nichts Substantielles zu erwarten, von der Leyen hat in der Coronavirus-Krise vollständig versagt, Italien und Spanien im Stich gelassen und damit die Nord-Süd-Kluft unnötig groß aufreißen lassen. Die EU wird mit Corona so lange und so tief zu tun haben, dass Ungarn nur ein Seitenthema bleiben wird, Orbán kann in diesem Windschatten also unbedrängt weiterwerkeln.

Von der Leyen machte bereits durch andere Äußerungen klar, dass sie Orbáns Status und sein Tun nicht grundlegend in Frage stellen wird. Ohne die Kommission sowie den Rat der Regierungschefs aber, ist jegliche denkbare Aktion des EU-Parlamentes wirkungslos, was man ja bereits an dem schwebenden Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn sieht.

Kaum Widerstand zu erwarten

Die Ungarn müssen sich also selbst entscheiden, ob sie weiter in einem demokratischen Land leben wollen. Absehbar ist, dass während der Corona-Krise Orbán freie Hand haben wird, es wird schon aus sanitären Gründen weder Großdemos noch Aufstände geben. Diese Zeit wird Orbán nutzen, um ein Gefühl der Normalität und des "Alles im Griff habens" zu vermitteln, hier und dort materielle Almosen verteilen und so seine für die Macht ausreichende kritische Masse (rund 30% des Wahlvolkes) still halten.

Danach kommen einige Demos der intellektuellen Budapester, vielleicht auch der eine oder andere Hungeraufstand in vergessenen Regionen. Möglicherweise auch Massendemos. Die Wahlen 2022 könnten den Wandel bringen, wenn die Opposition die gleiche Einigkeit an den Tag legt, wie bei den Wahlen in Budapest. Die Frage aber, ob Wahlen 2022 überhaupt stattfinden und unter welchen Garantien, die ist nun offener denn je. Die Antwort liegt allein in den Händen Orbáns.

red.

Sie wollen den Pester Lloyd unterstützen? Pay-Pal:
online@pesterlloyd.net



 




 

stickiesjobs (Andere)