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(c) Pester Lloyd / POLITIK       10. April 2020


Coronavirus Ungarn

Notstand unbefristet verlängert - Soziale Krise ignoriert - Günstlinge werden versorgt

Die Notstandsmaßnahmen "werden unbefristet verlängert", verkündete Ungarns Premier Orbán am Donnerstag auf seiner Facebook-Seite und in den Staats- und Parteimedien. Eine europaweit einzigartige Maßnahme. Die Regierung - nicht das Parlament - werde die Lage wöchentlich neu bewerten und den Status danach ausrichten. Gleichzeitig haben Bürgermeister "spezielle Kompetenzen", um ihre Gemeinden notfalls von der Außenwelt abzuschneiden, um so einen Oster-Urlaubs-Verkehr zu verhindern. Ansonsten seien die bisherigen Maßnahmen "effektiv" gewesen.

Die Chefin des sanitären Krisenstabes, Cecília Müller, verkündete die offiziellen Fallzahlen, die sich aufgrund der fehlenden Transparenz und der geringen Testdichte nicht zu publizieren lohnen. Wie mitgeteilt, wird die Kommunikation der Krankenhäuser durch das Militär kontrolliert, das mittlerweile alle 120 staatlichen Hospitäler mit "Kommandanten" besetzt hat. Müller schließt an ihren Bericht Phantsiezahlen von der Lieferung von Sanitärausstattung an - vieles davon aus China, das bereits im Januar anfing, den Weltmarkt leerzukaufen - während die (inoffiziellen und laut Notstand strafbaren) Berichte über akuten Mangel an Schutzausrüstung aus Krankenhäusern nicht abreißen. Orbán hingegen ließ sich beim Besuch des Szent János Krankenhauses in Budapest filmen, wo - natürlich - alles vorbildlich läuft.

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Während Orbán im Vollseuchenschutzanzug antritt, begrüßt ihn die zuständige Krankenschwester im Kittel mit einer laut Experten nicht für den Dauereinsatz tauglichen Chirurgenmaske. Daneben wurden Kartons mit Schutzausstattung gestapelt. Foto: MTI

Budapests oppositioneller Bürgermeister Gergely Karácsony hat indes angekündigt, alle verfügbaren Ressourcen einzusetzen, um vor allem Tests in Altenheimen durchzuführen, dazu auch Desinfektionsmaßnahmen und, wo nötig, Evakuierungen. Altersheime stellen sich nun auch in Ungarn - wie zuvor schon in anderen Ländern - als besonders anfällig für Ansteckungen an, in Spanien z.B. fand das Militär immer wieder Leichen in aufgegebenen Einrichtungen, weil das Personal selbst massenhaft infiziert und in Quarantäne war. Selbst die offiziellen Berichte weisen auf mehrere Hot Spots in Altenheimen hin. Freilich hat Fidesz sofort die Erklärung parat: Es sei die unverantwortliche Handlungsweise der Budapester Stadtregierung daran Schuld. Diese sei zu untersuchen, so István Hollik, Sprecher der Regierungspartei.

Nach Angaben unabhängiger Internetmedien gibt es bereits Probleme mit der Belieferung mit Lebensmitteln, Engpässe vor allem beim Fleisch, weil große Produzenten die Ware wegen der höheren erzielbaren Preise lieber exportieren als auf den heimischen Markt zu bringen. Schlachthäuser und Landwirtschaftsbetriebe sind eine der großen Netzwerke von Fidesz-Günstlingen. Auf der anderen Seite statuiert man Exempels, so hätten die Behörden einen Fleischer auf dem Markt des Lehel Platzes in Budapest mit 840 Euro Bußgeld wegen Wucher belegt und 700 Kontrollen in Geschäften durchgeführt, jedes zehnte habe die "Verbote zu unangemessenen Preiserhöhungen" missachtet, so die Kontrollbehörde.

Das eigentliche Problem aber ist die Armut in Ungarn. Hunderttausende erhalten - trotz Einkommenslosigkeit - keine Sozialhilfe und haben wegen der Einschränkungen auch keine Möglichkeiten auf Jobs (am Bau, in der Landwirtschaft und andere Tagelöhnerei) also schlicht kein Geld mehr, um das Lebensnotwendigste zu kaufen. Die linke Opposition wie "Dialog für Ungarn" sagte: Die Regierungsmaßnahmen gehen am tatsächlichen Ausmaß der Krise völlig vorbei. Während andere Länder bis zu 20% des BIP als Rettungs- und Wiederaufbaurahmen ansetzen, stehe Orbáns Plan bei nicht einmal 8%. Die LMP fordert zudem die umgehende Einführung eines "Mindesteinkommens", zu dem alle Familien Zugang haben, die nicht über ausreichende Einkommen/Vermögen verfügen. "Selbst diese Regierung muss verstehen, dass der soziale Frieden essentiell" sei. Aber sie "ignoriere die kommende soziale Krise".

Worin das Interesse und das ökonomische Krisenmanagement der Regierung tatsächlich besteht, machte Außenminister Péter Szijjártó klar. Er freute sich am Donnerstag darüber, dass die "EU-Kommission endlich grünes Licht" für Ungarns Maßnahmen gegeben habe für "individuelle Beihilfen für bis zu 800.000 Euro pro Unternehmen, die investieren wollen". Übersetzt: Die unkontrollierte Umleitung von öffentlichen Geldern, also Subventionen an Firmen, ohne dass daran Auflagen zum Erhalt von Arbeitsplätzen oder andere Auflagen geknüpft wären. Die Vergabe erfolgt direkt durch die Regierung, die Liste der Begünstigten muss während des unbefristeten Ausnahmezustandes nicht publiziert werden.

Bereits in der Vorwoche hatte Fidesz weiter Maßnahmen per Dekret umgesetzt, darunter die Beschlagnahme der Hälfte der Parteienfinanzierung zu Gunsten der Coronavirus-Hilfe. Fidesz selbst betrifft diese Kürzung nicht, denn seit 2010 benutzt man öffentliche Ressourcen für den Wahlkampf. Weitere
"Notstandsmaßnahmen" der Regierung. Welche Kompetenzen Orbáns "Ermächtigungsgesetz" bedeuten.

red.

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