Vor einigen Jahren noch Scham, jetzt Selbstverständlichkeit: Orbáns Politik ohne Feigenblatt.
Budapest/Tel Aviv – Viktor Orbán hat den amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Budapest eingeladen und jüngst empfangen. Die Bruderschaft im autokratischen Geiste kommt in Zeiten zunehmender geopolitischer Schamlosigkeit besonders zur Geltung und führt konsequent zum angekündigten Austritt Ungarns aus dem Gremium des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Nach der Mongolei, die mit der Einladung des ebenfalls gesuchten Wladimir Putin eigene Gesetze gebrochen hatte, setzt auch Ungarn nun einen gefährlichen Präzedenzfall.
Seit gestern ermittelt nun der Internationale Strafgerichtshof aufgrund Ungarns geplantem Versäumnis den gesuchten Staatsgast Netanjahu zu verhaften.
Zwischen Orbán und Netanjahu besteht eine lange politische Freundschaft
Zentrum der Beziehungen war stets – ähnlich wie bei Netanjahu und Sebastian Kurz – ein populistisch verpackter wirtschaftlicher Autoritarismus. Hier verstand man sich: Jeder regiert in seinem Einflussbereich nach Belieben, das Recht des Stärkeren gilt, internationale Gremien werden bestenfalls als Feigenblatt betrachtet. Alle drei haben mehr das Dicke als das Dünne gemeinsam: Orbán, Netanjahu und Kurz drohen langjährige Haftstrafen wegen schwerer Korruptionsvorwürfe.
Dabei wird auf populistische Leichen keine Rücksicht genommen. Orbán scheute sich nie, antisemitische Codes gegen Liberale wie George Soros in die Welt zu posaunen – was Netanjahu, den Rechtspopulisten und autoritären Nationalisten, wenig stört. Slavoj Žižek nannte dieses Konstrukt einst treffend einen „antisemitischen Zionismus“ – eine Unholy Alliance, wie sie auch bei anderen Orbán-Freunden wie Donald Trump zu beobachten war. Trump etwa kombinierte antisemitische Anspielungen und offene Israel-Solidarität schamlos in einer Rede vor jüdischen Republikanern.
Auch in Ungarn haben sich Veränderungen vollzogen, vor allem in der Europäischen Union. In den letzten Jahren war Ungarn eine Insel der Freiheit in Europa und ein entschlossener Hüter und Bannerträger der jüdisch-christlichen Zivilisation.
– Victor Orban in der Presseaussendung zum Besuch Benjamin Netanjahus
Worum also ging es beim Treffen zwischen Orbán und Netanjahu?
Im Zentrum des Treffens standen die gegenseitige politische Unterstützung, der Ausbau wirtschaftlicher Verflechtungen sowie die offene Delegitimierung internationaler Institutionen. Orbán erklärte Ungarns Solidarität mit Israels Selbstverteidigungspolitik und kündigte an, Ungarn werde aus dem Internationalen Strafgerichtshof austreten – eine direkte Reaktion auf die Ermittlungen gegen israelische Kriegsverbrechen.
Daneben wurden wirtschaftliche Themen behandelt: 150 israelische Unternehmen sind bereits in Ungarn aktiv, insbesondere im Hightech- und Rüstungsbereich. Diese Kooperation soll ausgebaut werden. Orbán inszenierte Ungarn erneut als angebliche „Insel der Freiheit“ und als Bollwerk der „jüdisch-christlichen Zivilisation“ gegen Migration und „westeuropäischen Antisemitismus“ – während gleichzeitig demokratische Grundprinzipien weiter abgebaut werden.
Unholy Alliances: Wladimir Putin und Viktor Orbán – eine bewährte Beziehung

Auch in Ungarn haben sich tiefgreifende Veränderungen vollzogen – und zwar nicht im Sinne von mehr Freiheit, sondern durch den Ausbau eines mafiösen Staatskapitalismus. Orbáns Günstlingsnetzwerk hat sich als autoritäre Parallelstruktur etabliert, internationale Investoren werden durch politische Willfährigkeit und exklusive Deals bei Laune gehalten. Die europäische Idee wird zunehmend sabotiert.
Dass Viktor Orbán enge Bande zu Autokraten wie Putin pflegt, fügt sich da nahtlos ins Bild. Gerade die Anbiederung an Regimeführer und mutmaßliche Kriegsverbrecher zeigt, wie weit sich Ungarn unter Orbán von rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt hat.
Deratifizierung, Austritt, Fakten schaffen
Der angekündigte Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof ist eine klare Geste: Orbán signalisiert innenpolitisch Härte gegenüber „fremdbestimmten Institutionen“ und außenpolitisch seine Treue zu Netanjahu. Dieser wiederum kann den Schritt propagandistisch nutzen, um den Druck auf internationale Ermittlungen zu verringern.
Es ist eine Win-Win-Situation für beide – auf Kosten der internationalen Rechtsordnung und der Menschenrechte.
Immerhin: Es wird nicht mehr geheuchelt. Diese entwaffnende Offenheit ist das Einzige, was Viktor Orbáns zunehmend schamlose Politik noch auszeichnet.
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