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Zwischen Kreml und Kurfürstentum – Orbáns ökonomisches Vabanquespiel - Wirtschaftsanalyse

Budapest – Ungarns Wirtschaft steht am Abgrund. Schrumpfendes BIP, hohe Inflation und eine massive Staatsverschuldung prägen das Bild 2025. Trotz EU-Gelderkürzungen hält Premierminister Viktor Orbán an engen Beziehungen zu Russland fest – nicht nur bei Energieimporten, sondern auch durch milliardenschwere, geheim verhandelte Atomprojekte. Während Europa die Ukraine unterstützt, blockiert Budapest Finanzhilfen und verschleppt Sanktionen. Analyse von Viktor Orbán als Steigbügelhalter russischer Interessen auf Kosten Ungarns und den politischen Preis für Europa.

Wirtschaft am Limit

Nach Jahren hochtrabender Versprechen ist die Realität ernüchternd: 2023 verzeichnete Ungarn ein negatives Wirtschaftswachstum von –0,9 %. 2024 soll die Wirtschaft zwar um 0,6 % gewachsen sein – ein schwacher Trost in einem Umfeld, in dem die Inflation gerne zweistellig ist und viele Haushalte an oder unter der Armutsgrenze entlangschrammen.

Forint unter Druck

Noch schwerer wiegt der Zustand der öffentlichen Finanzen: Das Haushaltsdefizit lag 2023 bei –6,7 % des BIP, für 2024 wird ein immer noch katastrophaler Wert von –5,0 % angenommen. Die Staatsverschuldung? 76,35 % des BIP – Tendenz steigend, trotz der (noch) fließenden EU-Mittel, von denen viele bereits eingefroren sind, da die Europäischen Nachbarn Orbáns Umgang mit Rechtstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung kaum mehr als höflichen Hohn wahrnehmen.

Daten & Fakten: Ungarns Wirtschaft 2024
BIP-Wachstum 2023–0,9 %
BIP-Prognose 2024+0,6 %
Inflation17–18 % (geschätzt)
Haushaltsdefizit 2023–6,7 % des BIP
Prognose Defizit 2024–5,0 % des BIP
Staatsverschuldung (2022)76,35 % des BIP
Arbeitslosenquote4,1 %
EU-Fördermittel13+ Mrd. € eingefroren
DirektinvestitionenStagnierend
Gasimporte aus RusslandÜber 80 %
Ölimporte aus Russland60–80 %

Zweifelsohne bedingt Orbán, auch ideologisch, diesen abyssmalen Zustand der Ungarischen Wirtschaft:

„Wir machen im kleinen Rahmen was Donald Trump in einem viel größerem Maße macht.“

Erklärt Orban in einem Beitrag darüber warum die Ukraine besser den Krieg verlieren sollte, ein EU-Beitritt der Ukraine Ungarn zerstören würde (was noch übrig ist) und Brüssel generell Schuld an der Misere Ungarns hat und Donald Trump ein Experte im Verhandeln sei.

Glückauf, Viktor. Man kann hoffen die Ungarn nehmen die Finanztipps des Premierministers nicht ernst. Die Misere Ungarns ist selbstverständlich höchst hausgemacht. Sei dies durch Vetternwirtschaft oder durch Energiepolitisches profitieren und vom Kreml abhängig werden durch Gasimporte. Diese Deals hat Orban selbst geschlossen und der Preis zeigt sich ähnlich wie bei Österreich in Form von erhöhten Energiepreisen, welche die Wirtschaft belasten. Eine geopolitische Freifahrt mit Russischer Energie spielt sich einfach nicht mehr und war, das hat 2022 gezeigt, ein schwerer strategischer Fehler Europas.

Energie: Eine nationale Achillesferse

Ungarns Energiepolitik gleicht einem Spiel mit der Lunte: Über 80 % des Erdgases und 60–80 % des Erdöls kommen direkt oder indirekt aus Russland. Während andere EU-Staaten mühsam versuchen, ihre Abhängigkeit von Moskau abzubauen, schraubt Budapest seine Bindungen an Gazprom und Rosneft noch fester. Mit welcher langfristigen Perspektive ist deutlich zu hinterfragen. Im Bald vierten Kriegsjahr ist nicht davon auszugehen, dass es in absehbarer Zukunft zu einer Stabilisierung der Beziehungen zu Russland kommt. Orbán schwimmt alleine und gegen den Strom.

Besonders brisant: Im Schatten der globalen Krisen hat Orbán ein Mammutprojekt mit dem Kreml vereinbart – Paks II, den Ausbau des einzigen ungarischen Atomkraftwerks. Zwei neue Reaktorblöcke sollen bis 2032 entstehen. Finanziert wird das Ganze von Russland, das mehr als 10 Milliarden Euro locker macht – als Darlehen versteht sich, aber unter Bedingungen, die an finsterste Zeiten imperialer Lehenspflicht erinnern.

Kernkraftwerk Paks II
PartnerRosatom (Russland)
Kreditvolumen10+ Mrd. € russischer Kredit
Geheimhaltungsdauer30 Jahre
Geplanter Betriebsstart2032
KritikIntransparenz, Korruptionsverdacht, Abhängigkeit

Das Vertragswerk? Unter strengster Geheimhaltung geschlossen, für ganze 30 Jahre versiegelt – ein Vorgang, der nicht nur angesichts der Summen und Risiken nach Korruption und Intransparenz stinkt, sondern auch den letzten Rest demokratischer Kontrolle in dieser Frage erstickt.

Die Achse Orbán–Putin: Eine unheilige Allianz

Politisch hat Orbán sein Lager klar gewählt: an der Seite Putins. Während Europa Waffen und Milliardenhilfen für die Ukraine mobilisiert, blockiert Budapest auf allen Ebenen. Egal ob Sanktionen, Waffenlieferungen oder finanzielle Unterstützungsprogramme – Ungarn hält den Fuß auf der Bremse.

Vladimir Putin und Viktor Orban
Schon vor rund zehn Jahren strategisch eng verbündelt: Putin und Orban. Photo: Wikipedia

Erst im Februar 2025 verzögerte Orbán zusammen mit anderen prorussischen Hardlinern ein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Kiew – ein diplomatischer Affront sondergleichen. Seine Begründung? „Nationale Interessen.“ Dass diese „nationalen Interessen“ eine unheimliche Deckungsgleichheit mit den strategischen Zielen des Kreml aufweisen, scheint kein Zufall zu sein.

Orbáns Mantra: Die Sanktionen schaden Europa mehr als Russland. Dass die eigene Wirtschaft zusammenbricht, während Moskau mit leeren Devisenkassen ringt, ficht ihn nicht an. Im Gegenteil: Er setzt auf eine Zukunft, in der der Kreml als Protektor eines „neuen Europas“ fungiert, in dem Budapest – so die Hoffnung – eine Art Vorposten Putins sein könnte: Kurfürstentum Ungarn.

Ungarns Russlandpolitik
Blockierte Ukraine-Hilfen50 Mrd. € (2025)
Verzögerte EU-SanktionenMehrfach
Aktuelle ForderungWiederaufnahme russischen Gastransits via Ukraine

Ein autoritärer Kurs mit wirtschaftlichen Nebenwirkungen

Während Orbán außenpolitisch als fünfte Kolonne des Kreml agiert, wird innenpolitisch das Modell der „illiberalen Demokratie“ betoniert: Kontrolle über Medien, Justiz, Universitäten – alles zum Preis schrumpfender internationaler Glaubwürdigkeit und wachsender wirtschaftlicher Isolation.

Mit Trumps Crash der Weltwirtschaft durch eine beispiellos unberechenbare Zollpolitik kann sich Orban – wenig überraschend – ebenfalls anfreunden.

Investoren reagieren längst: Direktinvestitionen außerhalb des Energiesektors stagnieren, ausländische Unternehmen wie Audi oder Mercedes drosseln ihre Aktivitäten. Die EU prüft härtere Gangarten gegen Budapest, inklusive der Entziehung von Stimmrechten nach Artikel 7 des EU-Vertrages – der berüchtigten „Atombombe“ europäischer Vertragsrechtsprechung.

Quo vadis, Ungarn?

Ungarn steht an einer Weggabelung: Will es weiterhin die Rolle des russischen Musterschülers in Europa spielen, wird der ökonomische und politische Preis weiter steigen. Die Hoffnungen, als „Scharnier“ zwischen Ost und West Vorteile zu erringen, zerbröseln angesichts einer Realität, in der Orbáns Kalkül zunehmend zur Selbstisolierung führt.

Und während in den Sitzungszimmern der Macht weitere Abkommen wie Paks II unterzeichnet werden – fernab jeder öffentlichen Kontrolle und demokratischen Mitsprache –, bleibt die eigentliche Frage offen: Wer zahlt am Ende die Rechnung?

Die Antwort könnte bitter ausfallen: Es sind nicht Orbán und seine Getreuen, sondern die ungarischen Bürger, die mit sinkender Kaufkraft, steigender Verschuldung und internationaler Ächtung die Zeche für ein geopolitisches Hasardspiel entrichten müssen.

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