(c) Pester Lloyd / 10 - 2011
POLITIK 07.03.2011
Auf einem Auge blind
Politjustiz: Fortgang von Korruptionsfällen in Ungarn
Die ungarischen Ermittlungsbehörden, einschließlich des von der Regierung beauftragten Sonderermittlers, treiben die juristische Aufarbeitung von Korruptions-
und Amtsmissbrauchsfällen unter den Vorgängerregierungen beflissen und öffentlichkeitswirksam voran. Ein Deal in Moskau und der Filz im
Verteidigungsministierum stehen derzeit im Zentrum. Geht es jedoch um Verfehlungen in den eigenen Reihen, erlahmt der Wille zur Aufklärung schnell, auch wenn die Faktenlage erdrückend ist.
Fidesz-Fraktionschef lässt in seiner Heimatgemeinde
ermitteln
Das Nationale Ermittlungsbüro, NBI, bereits vor Jahren
eigens für die Bekämpfung organisierter Kriminalität geschaffen, hat angekündigt, die Privatisierung des landwirtschaftlichen Betriebes, Hód-Mezögazda Rt. im
südostungarischen Hódmezövásárhely aus dem Jahre 2004 erneut untersuchen zu wollen. Vom Gericht bestellte Gutachter und Finanzprüfer seien damit beauftragt die Abläufe des Deals zu Zeiten der
sozialistischen Medgyessy-Regierung unter die Lupe zu nehmen. Auffallend ist, so die NBI, dass der Wert des Unternehmens zunächst auf rund 2,7 Milliarden Forint
(heute knapp 10 Mio EUR) geschätzt worden ist, der spätere Verkaufspreis aber so niedrig lag, dass der Verdacht nahe liegt, dem Staat und dem Steuerzahler könnte ein Schaden von ca. 1 Mrd.
Forint (ca. 3,8 Mio EUR) entstanden sein.
Angestoßen wurde die Neuaufnahme des obigen Falles
einmal mehr vom "Sonderermittler" bzw. "Abrechungsbeauftragten", Gyula Budai, einem Fidesz-Abgeordneten, der von Regierungschef Orbán
persönlich zu einer Art Sonderstaatsanwalt ernannt worden ist und in den letzten Wochen mit seiner "Philosophenjagd" für viel Wirbel sorgte. Auch der Bürgermeister von Hódmezovásárhely (seit 2002!) ist kein unbekannter, handelt es sich dabei schließlich um
den Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, János Lázár, weshalb klar sein dürfte, warum gerade dieser Fall nun an die Öffentlichkeit
gebracht wurde und nicht einer von hunderten anderen, die es wenigstens ebenso wert wären.
Immer mehr verstärkt sich - nicht nur für die Opposition, sondern auch für
Rechtsexperten, der Eindruck, dass die "Ermittlungen" von Budai eher (oft mit der regierungsnahen Presse abgestimmte) Kampagnen sind, bei denen die Prominenz und die
politische Ausrichtung der mutmaßlichen Täter im Vordergrund steht, nicht so sehr eine - absolut notwendige - systematische Aufarbeitung.
Altbekanntes Muster krimineller Privatisierung
Unternehmen oder Liegenschaften unter ihrem Wert z.B. an Strohmänner zu verkaufen,
um sie anschließend an den öffentlichen Haushalten vorbei zu versilbern, war und ist eine gängige Praxis bei den zahlreichen Privatisierungen in Ungarn, Osteuropa, aber auch
während und nach der deutschen Wiedervereinigung. In Budapest hatten sich mit der gewinnbringenden Privatisierung von Immobilien diverse (sozialistische)
Stadtbezirksbürgermeister befasst, einer davon sitzt in U-Haft, andere warten auf ihre Verfahren.
Für Aufsehen sorgten auch die Umstände, unter denen eine Immobilie des ungarischen
Staates in Moskau, die frühere Außenhandelsvertretung, von damaligen aktiven Diplomaten und Politikern über eine Strohfirma unter Marktwert gekauft worden sein soll, wobei kurz
danach ein verdächtig hoher Wertzuwachs beim Weiterverkauf zu registrieren war. Anfang Februar wurden in diesem Zusammenhang ein ehemaliger Botschafter sowie die damals
zuständige Staatssekretärin im Außenministerium festgenommen, sie sind mittlerweile
unter Auflagen wieder auf freiem Fuß. Involviert in den Fall ist - mutmaßlich - auch jener Miklós Tatrai, der als Chef des Liegenschaftsamtes noch unter Bajnai wegen des große
Wellen schlagenden "Casino-Deals" gefeuert worden war.
Wie Medienberichte nahe legen, gab es innerhalb der Gyurcsány-Administration auch
Kräfte, die versucht haben, den Skandal mit der Moskauer Immobilie zu melden, sie kamen aber nicht zum Zuge. Nachdem eine zweite interne Ausschreibung von der gleichen
"Investorengruppe" gewonnen worden war wie die beanstandete, ist, laut dem Sonderkommissar Budai, auch die Involvierung der damaligen Regierung eine ausgemachte
Sache. Bereits beim Casino-Deal unterstellte er den Ex-Premiers Gyurcsány und Bajnai
Mittäterschaft und Falschaussagen, weshalb er sich von denen prompt ebenso eine
Verlumdungsklage einhandelte wie von einem von zwei Ex-Verteidigungsministern, hinter denen er gerade mit wachsender Energie her ist.
Auch die Ungarische Staatsbahn MÁV meldet sich dieser Tage mit ersten Ergebnissen einer
"internen Untersuchung" zu Wort. Zwischen 2007 und 2009, so heißt es, hätten sich einige
"fiktive Unternehmen" an diversen Ausschreibungen beteiligt, bei denen es um Werte von über 10 Mio EUR ging. Aus den Reihen der Fidesz-Blockpartei KDNP wurden prompt auch
zwei Namen von Männern, die in die Sache involviert sein könnten. Diese sollen auch bei Unregelmäßigkeiten beim Verkauf von Immobilien des Verteidigungsminsiteriums aktiv
gewesen sein, einer davon ein bereits wegen Korruption verurteilter ehemaliger Staatssekretär der Sozialisten, - eine Information, die gut in die laufenden Ermittlungen Budais passt.
Der Fall Meggyes wird von der Regierung ignoriert, obwohl er ebenso systemisch ist
Dieser kleine Einblick in anhängige - oder besser aufgehängte - Fälle zeigt, dass eine
tiefgreifende, systematische Aufarbeitung der letzten Jahre durchaus berechtigt und notwendig ist. Ob die Abgeordneten der Regierungspartei dafür jedoch die fachlich wie
moralisch Richtigen sind, darf nicht nur bezweifelt werden, sie sind es in einem Rechtsstaat keinesfalls. Nicht nur, weil sie naturgemäß ein Interesse daran haben müssen,
die Opposition möglichst schlecht aussehen zu lassen, nicht nur, weil Sonderermittler und Sonderkommissionen und andere Prallelstrukturen in einem Rechtsstaat nichts verloren
haben, sondern weil man auch in den eigenen Reihen schwarze Schafe haben könnte und hat.
Das wohl bunteste dieser orange-schwarzen Schafe ist Tamás Meggyes, ehemaliger
Bürgermeister der Stadt Esztergom, der sich, wir berichteten darüber bereits, trotz Abwahl lange weigerte sein Büro zu räumen. Eine unabhängige Kandidatin ist nun
Bürgermeisterin, aber die Fidesz-Fraktion in der Stadtversammlung hat die Mehrheit und blockiert die Arbeit und die Aufklärung der Vergangenheit, wo sie nur kann. Dabei sind die
Anschuldigungen sehr konkret: missbräuchliche Nutzung von Geldern der Stadt, u.a. für die Finanzierung von privaten Strafprozessen für Meggyes und den "Journalisten" Zolt Bayer, Nichtbezahlung von Stromrechnungen, die teilweise zur Abschaltung der öffentlichen
Beleuchtung führte, Begebung von Schuldscheinen über insgesamt 12,6 Mrd. Forint (fast 50
Mio EUR) in Fremdwährung, wobei der Zweck der Kreditaufnahme, so die neuen städtischen Finanzprüfer, zumindest "nicht immer spezifizierbar" ist. Sogar der staatliche
Rechnungshof, immerhin auch unter Leitung eines Fidesz-Mannes, erkannte letzte Woche "zahlreiche Unregelmäßigkeiten" bei der Struktur des städtischen Budgets.
Was die Menschen in Esztergom besonders erregt, ist, dass die Meggyes-Truppe für
Franken-Kredite - ohne Rechtsgrundlage - diverse stadteigene Grundstücke und Immobilien als Sicherheiten hergegeben hat, darunter auch ein Kinderferienlager am Balaton. Sogar
die "Szent Miklós Stiftung", eine gemeinnützige Stiftung zur Unterstützung von jungen Familien mit Babies, musste ihren Namen für Schuldscheine hergeben. Diese platzten und
wurden fällig gestellt als die Stadtregierung ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollte oder konnte. Meggyes ist zu solchen Vorwürfen wortreich ablenkend, die Mehrheitsfraktion
spricht von "alles rechtlich sauber" und von "Kampagne", am liebsten schweigt sie aber.
Dabei überrascht der Fall keineswegs, Berichte von der Willkür kleiner und mittlerer Provinzfürsten und ihrer Handlanger erreichen diese Zeitung seit 15 Jahren ununterbrochen
und völlig unabhängig der politischen Zugehörigkeit der Protagonisten. Warum sollte es auch anders sein, entstammen sie doch alle der gleichen politischen Schule.
Die Fraktion der alternativ-liberalen Parlamentspartei LMP hat Sonderkommissar Gyula
Budai nun dringed aufgefordert, die zahlreichen schwerwiegenden Vorwürfe gegen Meggyes ebenso offiziell und öffentlich zu prüfen wie er dies mit anderen Fällen tut. Budai
winkte umgehend ab, er wird seine Gründe dafür haben. - Konnte man in Ungarn die "Rechtsstaatlichkeit" unter den Sozialisten sozusagen erkaufen, wird sie heute zunehmend
von der "Gerechtigkeit" ersetzt, einem Maß, dessen Interpretation ausschließlich dem Fidesz zu obliegen scheint.
red.
LESERPOST Sie möchten den PESTER LLOYD unterstützen?
Mehr zum Thema:
|