THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 05 - 2014   GESELLSCHAFT 31.01.2014

 

Grobe Verfälschung der Geschichte

Interview zum Okkupationsdenkmal der ungarischen Regierung

Die ungarische Regierung hat das Jahr 2014 zum Holocaust-Gedenkjahr ausgerufen, vor allem, um den immer wiederkehrenden Vorwurf zu entkräften, sie würde antisemitischen Kräften nicht entschlossen genug entgegentreten. Nun errichtet sie ein Denkmal, das die Mitverantwortung Ungarns für die Verbrechen des Nazismus, vor allem den Holocaust an hunderttausenden ungarische Juden stark relativiert.

Der Pester Lloyd sprach darüber mit Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeit der deutschen "Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“.

Um was für ein Denkmal handelt es sich?

Es handelt sich um ein geplantes Denkmal zur Erinnerung an die deutsche Besetzung Ungarns am 19. März 1944, das diesen März anlässlich des 70. Jahrestages eingeweiht werden soll und ausdrücklich allen Opfern dieser Besatzung gewidmet ist.

Die ungarische Öffentlichkeit erfuhr Ende Dezember von den Plänen.

Es war eine sehr kurzfristige Entscheidung. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Regierung verkündet, ein groß angelegtes Denkmalprojekt zu starten, um es dann zwölf Wochen später auch schon einzuweihen. Es bleibt also wieder einmal der Eindruck, dass die Regierung ohne Einbezug von Experten und ohne eine gesellschaftliche Debatte eine Entscheidung getroffen hat.

Letzte Woche wurde bekannt, wie das Denkmal aussehen wird. Die veröffentlichte Skizze löste teilweise heftige Kritik aus. Warum?

Das Denkmal, so wie es in den Plänen aussieht, wirkt, sagen wir es so: überraschend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir das Jahr 2014 schreiben. Es verfügt über eine Bildsprache, die – wenn man noch nett urteilt – als sehr kitschig beschrieben werden muss.

Inwiefern?

So wurden Denkmäler im 19. Jahrhundert gebaut. Es ist eine Ansammlung von dreizehn Säulen, die an den berühmten Heldenplatz in Budapest erinnern sollen. Im Zentrum des Denkmals steht Ungarn in der Gestalt des Erzengel Gabriel. Dieser spreizt die Arme, was an ein Kruzifix erinnern und gleichzeitig eine demütige Geste darstellen soll. Angegriffen wird diese unschuldige Figur von Nazideutschland in Form eines herabstürzenden Reichsadlers.

Welche Botschaft will die Regierung mit dieser Symbolik transportieren?

Auf den Punkt gebracht: Dass Ungarn ein komplett unschuldiges Opfer des deutschen nationalsozialistischen Aggressors war. Während man den Holocaust als tragisches Kapitel der Geschichte anerkennt, wird die Verantwortung dafür allein Hitler-Deutschland in die Schuhe geschoben. Damit stellt das Denkmal eine grobe Verfälschung der Geschichte dar.

Wie sah diese Geschichte denn vor der deutschen Besatzung 1944 aus?

Zunächst einmal nahm Ungarn als Teil der Achsenmächte aktiv am 2. Weltkrieg teil und führte Krieg gegen Jugoslawien und gegen die Sowjetunion. Darüber hinaus gab es auch schon vor 1944 jüdische Opfer, die durch den ungarischen Staat zu Tode kamen. Es sei beispielsweise an die Deportationen in die besetzte Ukraine erinnert, wo im Sommer 1941 etwa 15.000 Menschen ermordet wurden. Oder an die „Arbeitsdienstler“, bei denen jüdische Männer zur ungarischen Armee eingezogen wurden, dort Zwangsarbeit leisten mussten und teilweise unter erbärmlichsten Bedingungen zu Tode gehetzt wurden. Das alles geschah bereits vor der deutschen Besatzung. Kurz nach der Besetzung Ungarns im Frühjahr 1944 durch die deutsche Wehrmacht bezog auch das „Eichmann-Kommando“ Quartier in Budapest, um den ungarischen Holocaust in kürzester Zeit und höchsteffektiv durchzuführen.

Welche Rolle spielten hierbei die staatlichen Akteure in Ungarn?

Die deutsche Besatzung bedeutete nicht die Auflösung des ungarischen Staates. Der Reichsverweser Miklos Horthy und auch die Regierung blieben zum größten Teil im Amt, es gab eine sehr große Kontinuität in der Verwaltung und den staatlichen Stellen. Eichmanns Truppe bestand aus ca. 150-200 Personen, ohne die aktive Mitwirkung der ungarischen Behörden wäre es rein logistisch schon unmöglich gewesen wären, hunderttausende Juden in Ghettos zu pferchen, zu enteignen und sie dann zu deportieren.

Dennoch werden in den letzten Jahren unter der Regierung Orbán immer mehr Horthy-Denkmäler errichtet (aktuell: feierliche Einweihung einer Horthy-Straße in dem Fidesz-regierten Ort Kunhegyes) und Versuche unternommen, die Eliten der Zwischenkriegszeit von der Schuld am Holocaust zu entlasten…

Der Fall Ungarn ist äußerst kompliziert und deswegen kann jeder bestimmte Aspekte herausgreifen, die ihm gut passen. Bei den Versuchen Horthy von der Verantwortung an den Morden von hunderttausenden ungarischen Juden reinzuwaschen, wird vor allem darauf verwiesen, dass erstens die ungarischen Juden vor 1944 nicht deportiert wurden und zweitens Horthy die Deportationen Anfang Juli 1944 auch stoppen ließ.

Dabei gab es in der Ära Horthy unzählige antijüdische Verordnungen und sehr viele aktive Politiker, die für die Ausgrenzung der Juden eintraten und auch die bereits erwähnte Massendeportation 1941 in Richtung der besetzten Ukraine geschahen unter seinem Regime, genau wissend was im besetzten Polen mit den Juden seit 1939 passierte.

Und die Deportationen im Jahr 1944…?

Zwar wurde Horthy 1944 von den Antisemiten unter starken Druck gesetzt an der Endlösung teilzunehmen, stoppte die Transporte jedoch erst, nachdem bereits mehr als 400.000 ungarische Juden nach Ausschwitz deportiert worden waren.
 

Der Historiker Adam Kerpel-Fronius (Foto: Krisztián Bócsi) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Als Experte für europäische Erinnerungskultur ist der gebürtige Budapester für die Leitung des Projekts „Gedenkstättenportal“ (www.memorialmuseums.org), einer begleitenden Teilausstellung des Berliner Holocaust-Denkmals zuständig.
_______________________________________

In jeglicher Hinsicht komplexer, als die vereinfachende Darstellung des geplanten Denkmals…

Richtig. Man muss in aller Deutlichkeit festhalten: Weder der ungarische Staat, noch die deutschen Besatzer waren alleine für den ungarischen Holocaust verantwortlich, sondern beide. Das sich viele Ungarn dieser historischen Tatsache nicht bewusst sind, wird von der Regierung ausgenutzt.

Welche Teile der ungarischen Gesellschaft möchte man mit dieser bequemen Erzählung ansprechen? Häufig wird ja kritisiert, dass Orban auf die rechtsextremen Wähler der Nazipartei Jobbik schielt…

Es gibt nicht wenige die sagen, dass der Fidesz durch solche Denkmäler und Gesten versucht die extreme Rechte einzubinden. Da gab es zum Beispiel die Aufnahmen von offen antisemitischen Schriftstellern Wass und Nyirö in die Lehrpläne. Letztes Jahr markierte der Superminister für Arbeit, Gesundheit, Kultur und Wissenschaft Zoltan Balog einen weiteren Tiefpunkt, als er offenbar kein Problem damit hatte, drei Personen auszuzeichnen, die nicht beleidigt sein dürften, wenn man sie als Rechtsradikale bezeichnen würde.

Wie kann so etwas passieren?

Das sind alles Gesten, die nicht passieren würden, wenn man sich wirklich gegenüber der extremen Rechten abgrenzen wollen würde. Das zeigt, dass der Fidesz tatsächlich versucht, nach dem Motto von Franz-Josef Strauss „rechts von der CSU darf es nichts geben“ zu agieren. Zu oft hat man das Gefühl, dass sich der Fidesz viel zu wenig von den extremen Rechten abgrenzt und die Grenzen nicht mehr richtig sichtbar sind.

Die Regierung hat das Jahr 2014 zum Holocaust-Gedenkjahr erklärt, um diesen Vorwürfen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Kann man diese Bemühungen noch Ernst nehmen?

Die Regierung sendet oft sehr widersprüchliche Signale. Manchmal treffen hohe Regierungsvertreter oder der Staatspräsident Aussagen, die von großer persönlicher Betroffenheit zeugen. Man nimmt ihnen durchaus ab, dass sie es ernst meinen. Aber wenn es in diesem Holocaust-Gedenkjahr tatsächlich darum gehen sollte, Ungarn vom Vorwurf, es sei ein antisemitisches Land, zu befreien, dann hätte so etwas nicht passieren dürfen. Das bedeutet im Endeffekt, wenn es hart auf hart kommt, ist die Meinung von Brüssel, Berlin oder wem auch immer relativ egal. Hauptsache man gewinnt die Wahlen im April.

Welche Reaktionen riefen die Pläne bisher vor?

Die Empörung und der Aufschrei bei vielen Intellektuellen und Historikern sind sehr groß. Es gibt eine Online-Petition die von vielen unterschrieben wird, aber dieser ganze Entwurf kam so dermaßen schnell, dass viele einfach noch perplex sind und noch keine Aktionen koordinieren konnten. Jedoch hat Randolph Braham, Holocaustüberlebender und der vielleicht bekannteste Forscher des ungarischen Holocaust bereits verkündet, dass er seinen 2011 von der Fidesz-Regierung erhaltenen Orden zurückgibt und dem Holocaust-Gedenkzentrum untersagt, seinen Namen für Projekte zu benutzen. Das  immerhin ist wirklich eine Blamage für die Regierung.

Wie hat die Regierung auf die Kritik reagiert?

Dazu muss zunächst gesagt werden, dass es auch innerhalb der Regierung durchaus Personen gibt, von denen man nicht denken würde, dass sie mit diesem Denkmal einverstanden wären. Bisher gab es von diesen jedoch noch keine Kritik, was tief blicken lässt. Ungarn befindet sich mitten im Wahlkampf, diese ganze Denkmalsdebatte eignet sich großartig als Provokation, um wenige Wochen vor den Wahlen die Reihen in der Fidesz-Partei schließen zu lassen. Der Fidesz ist eine unglaublich diszipliniert funktionierende Partei.

(Hier O-Töne aus dem Regierungslager zur Denkmaldebatte)

Das hört sich nach einer Steilvorlage für die linke Opposition an, hier in die Kerbe zu schlagen…

Leider nein. Die linke Opposition unter der Führung des Sozialisten Attila Mesterházy hat sich bisher auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ein richtig schneidiges Eintreten gegen das Denkmal, ein richtiges Aufstehen und Erklären warum dieses Denkmal falsch, das gab es nicht.

Wie erklären sie sich das?

Das Bündnis will dieses Thema im Wahlkampf wahrscheinlich vermeiden, weil es hier kein Potential sieht, neue Wählerstimmen bei den Unentschlossen für sich zu gewinnen. Das ist nicht schön. Bei so einem Denkmal geht es um wichtige Fragen nationaler Identität und das wäre doch ein Thema, worüber es wirklich wichtig wäre, zu diskutieren. Vielleicht fehlt ihnen auch die intellektuelle Kapazität dafür.

Wie das?

 

Auch die ungarische Linke hat Schwierigkeiten, ihr Verhältnis zur ungarischen Geschichte zu klären. Wie sieht man bestimmte Punkte in der Geschichte und wie steht man dazu?  In der ungarischen Politik gibt es seit jeher eine große Spaltung zwischen den konservativen und den liberalen, zwischen links und rechts, und einen hohen Grad an symbolischer Politik. Die politische Elite schafft es nicht, über die Gräben zu springen und anzuerkennen, dass die  jeweils anderen vielleicht auch über legitime Ansätze verfügen. Die Politik findet daher sehr oft in einem historischen Spannungsfeld statt, in dem es in den grundlegendsten Sachen keinen Konsens zwischen den beiden Seiten gibt.

Aber auch der Dialog mit der Gesellschaft wurde übersprungen. Dass der Staat von einem Tag auf den anderen ein Denkmal errichtet ohne mit den Bürgern zu konsultieren, wäre in Deutschland beispielsweise völlig unvorstellbar. Das Berliner Holocaust-Denkmal hat vom ersten Gedanken bis zur Verwirklichung siebzehn Jahre gedauert. In Ungarn wird jedoch ein sehr zentrales Denkmal im Zentrum von Budapest einfach beschlossen. Man versucht mit der Brechstange der Gesellschaft eine gewisse Sichtweise aufzuzwingen.

Wie gehen Sie persönlich damit um?

Wenn es nicht so tragisch wäre, würde ich herzhaft darüber lachen. Die Vorstellung dass dieses Denkmal tatsächlich da stehen sollte, die nächsten Jahre und Jahrzehnte, erfüllt mich mit Grauen. Ich habe von Anfang an gesagt, als im Dezember bekannt wurde, dass es dieses Denkmal geben sollte: Man kann durchaus darüber diskutieren, an die deutsche Besatzung im Konkreten zu erinnern. Was nicht geht ist, dass man nicht diskutiert, man es einfach durchpeitscht und auch noch in dieser Form, die wirklich alle schlimmen Fantasien nochmals überflügelt. Das ist ein sehr großer Schock und in dieser Form absolut abzulehnen.

Das Gespräch führte Christian-Zsolt Varga

 

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.