(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1893
-nor.
Altungarische Küche
Seit Menenius Agrippa seligen Angedenkens ist so ziemlich Alles in der Welt eine Magenfrage geworden. Von der römischen Kaiserzeit , da Vitellius seinen Gästen ein Gericht serviren ließ, welches aus dem Gehirn von Fasanen und Pfauen, den Zungen von Flamingos, der Milz und Leber märchenhafter Seefische bestand, - von dieser klassichen Zeit bis auf unsere Tage spielt der Magen die Hauptrolle in der Komödie des Lebens.
Er hat Revolutionen gemacht, politische und soziale, er hat Kriegserklärungen veranlaßt und dann wieder Frieden gestiftet, und niemals hat eine Arbeiterdemonstration den Zug der Zeit besser chrakterisirt, als diejenige anläßlich einer MAifeier, bei der die Verfechter des Achtstundentages mit Transparenten aufmaschirten, auf denen zu lesen stand: Acht Stunden Arbeit - acht Stunden Essen - Acht Stunden Ruhe" Daß sie auch in Fragen der Konfession von nicht untergeordneter Bedeutung ist, das bedarf kaum des Nachweises, und da in solchen Dingen der Scherz die Sachlage viel heller beleuchtet, als der Ernst profunder Gelehrsamkeit, erzählen wir für all die, die den Spaß nicht kennen, das Anekdotlein vom reichen Gutsherrn, dern den armen Juden um jeden Preis zum Proselyten (Bekehrten, Anm.) machen wollte. Er bot ihm tausend Gulden, ein Vermögen für den Armen Schlucker - vergebens. Da, Ende März war´s, ließ der Israelit sich bei dme Herrn melden. Er kam wegen der tausend Gulden. "Jetzt ist mir die Sache nicht merh so viel werth" - "Geben Sie fünfhundert" -"Auch das ist zu viel" - "also hundert" - "Zehn Gulden, meinetwegen, riskir ich darauf." Der arme Teufel neigte resignirt das Haupt. "Geben Sie zehn Gulden." -vor Abschluß des Handels fragte der Gutsherr: "Nun sagen Sie mir aber auch ehrlich und offen, wie es kommt, daß Sie jetzt für zehn Gulden thun wollen, was Sie vordem nicht für tausend gethan hätten?" - "Herr, ich brauche das Geld. Unsere Ostern stehen vor der Thür und ich habe - kein Osterbrod im Hause..." Das ist die Magenfrage vom konfessionellen Standpunkte.
Was sie vom Gesichtspunkte der Nationalität bedeutet, dafür spricht am besten die Thatsache, daß seit Jahrhunderten alle gebildeten Völker um den Vorrang in der Küche streiten. Um die Kultur war der Wettkampf niemals so heiß, wie derjenige um die Kasserolen. Conde war auf die Bohnensuppe, die er erfunden, tausendmal stolzer denn auf die Schlachten, die er gewonnen, und welche Rolle einst Vatel, der unvergleichliche Vatel am Hofe des Vierzehnten Ludwig gespielt, darüber sind Romane geschrieben worden. Vatel war der höchste Küchengott aller Zeiten. Die Schöpfungen seiner Phantasie entschieden darüber, ob die Sonne über Frankreich aufging, oder ob ein Sturm über die Gefilde raste. Und ein solcher Sturm war es auch, der Vatel´s Lebenslicht ausblies. Vatel hatte, ein Spezialist im Entwurf von Torten, ein architektonische sMeisterwerk konzipirt und höchsteigenhändig ausgeführt. Und Sr. Majestät geruhten dazu zu bemerken, der letzte Lehrling von Sr. Majestät Fußbekleidungskünstler hätte die Torte besser getroffen. Und das sagte Sire nicht etwa in einer ungnädig gewährten Privataudienz, sondern vor den Prinzen und den arisotkratischen Meistern der Kochkunst jener Zeit: vor Colbert, vor M. de Béchamel, vor dme Marquis de Nointal, vor Condé, dem großen Condé, der würdig gewesen wäre, statt eines Feldherrn ein Koch zu sein - das überlebte Vatel nicht. Er nahm rührenden Abschied von der rührenden Beschäftigung und stürzte sich nach dem Muster klassischer Krieger in sein Küchenmesser. Er starb wie ein Held und Ludwig XIV. widmete ihm den schmerzlichen, vom Chronisten verewigten Nachruf: Esel!...
Gut gekocht wurde zwar auch anderwärts und speziell zwischen Italen und Frankreich entbrannte die Küchenrivalität noch im fünfzehnten Jahrhundert und bald darauf stand Italien in Bezug auf Kochkunst an der Tete der europäischen Staaten. Mehr schlecht als recht lebte man dafür in England, dessen Chronisten verzeichnen, daß die unglückliche GEmahlin Heinrich VIII. ein Pund Speck und eine Kanne Bier zum Frühstück bekam. Auch in Deutschland lebte es sichs bis ins achtzehnte Jahrhundert in Bezug auf gastronomische Genüsse nicht sonderlich gut, und wenn auch der "große Fritz" in seinem historisch gewordenen Koch Noel einen Künstler von Rang besaß, so konnte die deutsche Küche bis auf den Tag niemals als eine gefährlche Rivalin der französischen betrachtet werden. Brillat-Savarin und Alexander Dumas der Ältere galten, da sie sich durch ihre Bücher über Kochkunst als zum Fach gehörig auswiesen, als die Tonangeber unseres Jahrhunderts, und so werden die Franzosen ihre Überlegenheit und ihre Führerrolle bis zum letzten Atemzuge des Siécle behalten.
In der Bände und Bände zählenden Geschichte der Kochkunst findet sich herzlich wenig über die altungarische Kochkunst, von der wir wissen, daß sie in voller Blüthe existirt hat und das eifrige, gelehrte Mitglied unserer Historischen Gesellschaft, Baron Béla Radvánszky, darf die herzlichste Anerkennung beanspruchen dafür, daß er durch die Mittheilung mühsam gesuchter altungarischer Kochbücher ("Régi magyar szakácskönyvek", közli Báró Radvánszky Béla, Budapest 1893, Kiadja a Magyar Történelmi Társulat, Bolti ára 4 frt.) zur Aufklärung über das Leben der Altvorderen wesentlich beigetragen hat. Schon im sechzehnten Jahrhundert gab es berühmte ungarische Köche. Meister Anton, der Leibkoch des in der Schlacht bei Mohács gefallenen Gabriel Perényi briet zur Hochzeit seines Herrn in der Weise, daß in dem Ochsen ein fettes Schaf, in dem Schafe ein kleines Kalb und in dem Kalbe ein fetter Kapaun mitgebraten wurden. Das ist sicherlich ein Kunststück, das dem Meister Anton seinerzeit Niemand nachgemacht hat. Und daß die alten Magyaren gute Küche liebten, das erhellt z.B. aus einem Briefe, den Fürst Paul Esterházy am 19. September 1684 aus dem Ofner Lager an seine Gemahlin schrieb und worin er erwähnt, er habe neinen Koch mit dem Jahresgehalte von zweihundert und einen Küchenmeister mit dem Salair von dreihundert gulden engagirt. Dem Letzteren, der ehedem beim Prinzen Salm gedient, rühmt Fürst Esterházy nach, derselbe sei auch "Czukkerpakler und Ainkaufer". In einem Inventarium der Bibliothek des Vercsényi´schen Schlosses zu Ungvár sind 1701 nicht weniger als neun ungarische Kochbücher aufgeführt; erhalten blieb nur ein einziges (in zwei Exemplaren), welches 1698 in Klausenburg bei Nikolaus K. Tóthfalusi gedruckt wurde. Von alten Manuskripten waren im Ganzen zwei publizirt worden, eines aus dem Jahre 1580, der Bibliothek Nikoluas Jankovich´entnommen, und eines aus dem siebzehnten Jahrhundert, in der Bibliothek des Nikolaus Zrinyi entdeckt. Baron Radvánszky theilt nun ein deutsches Manuskript aus dme letzten Jahrzehnt des fünzehnten Jahrhunderts mit: "Vermerk ein guede Kunst von vngrischen oder behatnyschen essen zu Kochen dy guet sein" - das erste Denkmal ungarischer Kochkunst aus jeder Zeit: ferner ein grpßes und für Zeit und Sitten sehr chrakteristisches Kochbuch des Siebenbürger Fürstenhofes zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts. Das Buch ist schon Kopie und einige Blätter fehlen, aber das mindert nicht seinen Werth, zumal da wir daraus ersehen, daß der Autor ein ungarischer Koch gewesen, allerdings einer, der sich auch in der Fremde umgethan hatte. Ganz sonderbar berührt es, wenn man aus solch dumpfigen vergilbten Blättern ersieht, daß gar Manches, was uns neu dünkt, schon vor Jahrhunderten gang und gäbe gewesen. Die Art und Weise zum Beispiel, wie man zur Zier einen Wildschweinkopf geschmackvoll auftragen solle (und auch wirklich servirt), die Zitrone im Munde, die Stirne grün geschmückt, die Zunge in der Schnauzenhöhlung, war schon zu Zeiten des Kaisers Rudolf Sitte.
Von welcher Mannigfaltigkeit die Speisekarte unserer Alten war, geht am klarsten hervor aus der etwas trockenen, aber sehr lehrreichen Statistik, auf die wir uns hier beschränken müssen. Unser unbekannter Koch gibt nicht weniger als vierundfünfzig Rezepte zur Bereitung von Kuh- und Ochsenfleisch; sechsundzwanzig Rezepte zur Bereitung von Kalbfleisch; neunundzwanzig Arten der Bereitung von Schaffleisch, während blos elf Rezepte belehren, wie das "Lämmerne" schmackhaft zu machen sei. "folgen nunmehr die aus Schweinefleisch bereiteten Speisen" - sagt darauf der Meister und gibt achtzehn Rathschläge. Und kollegial-herblassend meint er bei dem nächsten wichtigen zwölf Arten umfassenden Abschnitte: "Komm nun mehr, greifen wir nach den Ferkeln". Gänse und Hühner werden von dem Meister der Küche in neundunsechzig genialen Arten klat gemacht und warm empfohlen. Man müßte Fischblut in den Adern haben, wenn die Kunst und das Sachverständnis, womit uns der Mund nach zweihundert Fischarten wassern gemacht wird, Einem nicht imponiren wollten. Hecht, Karpfen, Hausen, Dick, Forelle, Lachs-Störl, Aal finden da weitestgehende Werthschätzung und sogar für den verrufenen Stockfisch und den noch verdächtigeren Polypen regt unser Koch das theilnahmsvolle Interesse unseres Magens an - von den Krebsen gar nicht zu sprechen, die er gekocht, gefüllt, gebacken, in Käse- und Pastetenform, in der begehrenswerthen Form von Krebesensalat, mit Schlagsahne versetzt und an einer Stelle gar als "ein wenig Musik aus Krebsen" an den - verzeihen Sie! - an den Augen unseres Magens vorbeidefiliren läßt.
Bei dieser weit fortgeschrittenen Küchenkunst muß es einigermaßen auffallen, daß das Wildpret weniger reich bedacht ist. "Nur" neun Rezepte befassen sich mit der Zubereitung von Hirschen, vier sprechen von Rehen und für die Freunde von Hasen wird gar nu in drei Aufzeichnungen gesorgt. Umso angenehmer überrascht werden die Liebhaber von Mehlspeisen sein, wenn sie erfahren, daß der wackere ungarische Koch nicht weniger als achtzhen Abarten der Krapfenbereitung kannte, darunter auch die der "Spritzkrapfen", welche bislang als eine der genialsten Hervorbrinungen czechischen Genies galten. Für Augen und Gaumen sorgte, dach unserem Gewährsmanne, die Kunst elferlei Salat zu bereiten: darunter gab es auch einen Spargelsalat, der mit Salz und - Honig versetzt war. Unter den "kleinen Vgeln", die zur Tafel gebracht wurden, finden wir an hervorragender Stelle Spatzen und zu unserer Verwunderung auch Meisen, Stieglitze, Finken und Drosseln. Geradezu unerschöpflich ist die Phantasie unseres Kochs im Ersinnen von Fastenkost und Mehlspeisen. Sogar der Reisauflauf ist ihm bekannt, nur ersetzte dazumal Rosen- oder Majoranwasser den heute beliebten "Guß". Über die Verwendbarkeit der Pilze zu Garnirungen und zu selbständigen Speisen klären uns nicht weniger als dreißig Anweisungen auf und ein riesenmächtiges Kapitel ist der abwechslungsreichen Zubereitung von Hülsenfrüchten und Gemüsen gewidmet. Und daß all diese Varainten und Kombinationen nicht blos graue Theorie waren, sondern daß sie in den großen Häusern auch in greifbare Wirklichkeit umgesetzt wurden, da beweist uns der dritte Theil des hochinteressanten Radvánszky´schen Buches: die Mittheilung der Speisezettel der gräfisch Stanislaus Thurzó´schen Haushaltung in der Festung Galgócz (Freistadil).
Diese merkwürdigen Aufzeichnungen umfassen die Zeit vom 1. bis 31. Jänner des Jahres 1603, uns bieten uns gar bemerkenswerthe Aufschlüsse über die fabelhaften Quantitäten und die auffallende Tafelordnung der konsumirten Speisen. Vor Allem verräth uns das Menu vom Neujahrs-Mittagstisch, daß die Suppe keineswegs als erster Gang servirt wurde. Unsere Alten hieben sofort tüchtig ein mit Gabel und Messer und so präsentirt sich denn das Speisenprogramm wie folgt: !. Kuhfleisch mit Kren. 2. Kapauner mit Garnirung (Mehlspeise mit Honig bereitet). 3. Brodsuppe, Würste 4. Störl in Salz 5. Bieberschwanz mit Obstbrühe 6. Indisches Huhn 7. Kalbsnieren, in Milch gekocht 8. Lammslunge, mit reinem Pfeffer 9. Lammfleisch mit Zitronen 10. Gansfleisch mit reinem Pfeffer 11. Kalbfleisch, gespickt 12. Sauerkraut mit Kuhfleisch 13. Gänsebraten 14. Kleine Vögel mit Schweinebraten 15. Krammetsvögel (Drosseln, Anm.), gebacken 16. Pastete 17. Oblaten-Strudel 18. Kleine Pasteten... Wer fühlt nicht ein gelindes Magendrücken bei der Aufzählung dieser gesottenen und gebackenen Herrlichkeiten und wen faßt im Jahrhndert des kranken Magens nicht böser grimmiger Neid, wenn wir hinzufügen, daß speziell an jenem Neujahrstage auch das Abendessen aus 18, schreibe achtzehn Gängen bestand, die in angenehmer Abwechslung Gänse, Kapaunen, Lammfleisch, Grundel (eine Knochenfischart, Anm.), Kalbfelsich, Stör, Kuhfleisch mit Rüben, Rindsbraten, gebackenen Fisch, Gansbrust, Butter-Krapfen, Pflaumen-Tortelettes uns Hasenbraten in schwarzer Brühe zu Tische brachten. Und daß solche Mahlzeiten nichst Außergewöhnliches waren, das beweist ein Blick in dieses gastronomische Tagebuch. 30-36 Gänse pro Tag - das ist der Durchschnitt, den wir winden und am 3. Jänner (offenbar einem Freitag) offenbart uns das Diner-Menu mit zwanzig Gängen den Reichthum und die Üppigkeit damaliger Fastenmahlzeiten. Ein Heidengeld haben diese lucullischen Mähler allerdings gekostet. Aus der täglichen gewissenhaften Rechnung des Küchenmeisters ersehen wir, daß z.b. die 36 Gänge des Neujahrstages eine Baarausgabe von - 3 Gulden 27 Denars beanspruchten. (...) Die Sache hört freilich sofort aus ein Räthsel zu sein, wenn man erfährt, daß mit Ausnahmen die meisten ERfordernisse der üppigen Mähler, Fleisch, Fisch, Milch, Butter usw. von der Gutsverwaltung in natura beigestellt wurden. - Ob unsere Konstitution solche Lebensweise vertrüge, wie unsere Altvorderen sie geführt, das ist freilich eine Frage, die nur von Jenen bejaht werden kann, die der Mode huldigend nach Karlsbad gehen und dort zur lebhaften Erheiterung der Garcons im Restauran die Ordre du ménage ertheilen: "Mir bringen Sie nur - Kurwidriges..." -nor.
|
|