(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1894
Autor unbekannt
Ludwig Kossuth
30. März. In Ehrfurcht grüßen wir die heilige Asche des großen Todten, der heute wiederkehrt in die Heimath, die er vor fünfundvierzig Jahren verlassen, um sie lebend nie mehr wiederzusehen. vor fünundvierzig Jahren! Der gesegnete Boden dieses von Gott begnadeten Landes tauchte damals von Blut, die Blüthe der Nation schlief unter frisch aufgeworfenen Grabeshügeln den ewigen Schlaf, aus dem es kein Erwachen gibt, die Wenigen, die der Würgengel nicht auf dem Schlachtfelde ereilt, zerbrachen bei Világos weinend ihre Säbel, die sie in den heißen Kämopfen so tapfer geführt und zogen hinaus in fremde Lande, dort um das Vaterland zu trauern, das sie nicht zu retten vermochten.
Und mit ihnen ging auch Er, "der Herrlichste von Allen", arm an Gütern, wie die anderen Alle und doch auch wieder reich, denn er nahm Eines mit sich, worauf die Anderen gebrochenen Herzens verzichtet hatten - die Hoffnung! An der Grenze des Vaterlandes, über welches ein Leichentuch gebreitet lag, wandte er das gramdurchfurchte, sorgenbleiche Antlitz noch einmal nach der Heimath zurück; thränenumflorten Auges warf er ihr noch einen Scheideblick zu; seine Lippen öffneten sich zu inbrünstigem Gebet und dem Munde des Protestanten entrang sich das apostolische Glaubensbekenntniß: "ich glaube an die Auferstehung und an das ewige Leben".
Als Apostel für diesen Glauben, für den Glauben an die Auferstehung Ungarns und an das ewige Leben der ungarischen Nation alle Welt zu gewinnen, das betrachtete er fortan als die Aufgabe seine Lebens und er oblag ihr mit aller Kraft seines Feuergeistes, mit aller Gluth seines edlen Herzens. Unsichtbare, für die Reaktion unfaßbare Fäden spannen sich über unermeßluche Entfernungen hinweg zwischen ihm und der ungarischen Nation, durch deren Körper von Zeit zu Zeit ein nervöses Zucken ging, so oft es irgendwo in der Welt freiheitlich wetterleuchtete, so oft von irgend einem Winkel des politischen Horizontes her ein Gewitter gegen die Volksbedrückung und Willkürherrschaft heranzog. Dieses Zucken verriet den Machthabern, daß unsere Nation nicht todt sei, sondern nur ermattet schlummere und mit Entsetzen gedachten Jene der Möglichkeit, daß gerade in einem kritischen Momente dieses Ungarn aus seinem Schlummer emporfahren und sich mit wiedergewonnener Kraft gegen seine Widersacher wenden könnte. Und unter den damaligen Verhältnissen war auch das ein Gewinn, denn "besser - um mit den Worten der George Sand zu sprechen - besser ist noch immer eine Zeit, in der die Tyrannei Gewalt hat und der Sklave duldet, als eine Zeit, in der die Tyrannei ruhig schläft, weil der Skalve sich ruhig knechten läßt." Nun denn, daß der Sklave sich nicht ruhig knechten ließ und die Tyrannei daher auch nicht ruhig schlafen konnte, das war zum großen Theile Kossuth´s Verdienst, ein Verdienst, das allerdings minder in die Augen fällt, als seine äußerlich glänzendere, an positiven Schöpfungen erkennbare Thätigkeit in den vierziger Jahren, das aber - sobald einmal alle Vorgänge jener Zeit im Einzelnen bekannt sein werden - Derjenige, der eins unparteiisch die Geschichte des neueren Ungarn schreibt, sicherlich voll und ganz zu würdigen wissen wird.
Mit fieberhafter Spannung verfolgte man damals hierzulande diese unermüdliche Thätigkeit Kossuth´s, von deren einzelnen Phasen man, trotz der Wachsamkeit der Polizei, genau unterrichtet war. Achtzehn Jahre hindurch waren die Augen aller Patrioten auf diesen einen Mann gerichtet, der sich einen förmlichen revolutionären Generalstab gebildet hatte und im Vereine mit diesem an Fürstenhöfen, in Volksversammlungen, wie in Verschwörer-Katakomben für die Freiheit und Unabhängigkeit seines Vaterlandes wirkte. Bundesgenossen suchte und fand er bei allen Gegnern der Habsburgischen Monarchie: von wo immer her diese letztere eine Gefahr bedrohen mochte, unsere rührige Emigration war stets bei der Hand, um die Schwierigkeiten der Situation durch ihre Mithilfe noch zu erhöhen und schließlich die Macht zu brechen, welche Ungarn gefesselt hielt. Bei solcher aufregender und aufreibender Thätigkeit und ohne unmittelbare Kenntniß der wahren Stimmung im Lande mußte sich in Kossuth naturgemäß der Glaube befestigen, er allein sei der wahre Repräsentant des Nationalwillens und wie er sich einst "vor der Größe der Nation gebeugt", so werde sich diese im entscheidenden Momente willenlos vor seiner Größe beugen.
Das Jahr 1867 brachte die Enttäuschung. Kossuth hatte sich während des langjährigen Minenkrieges, den er gegen Österreich und dessen Dynastie führte, in den Glauben eingelebt, dieser Krieg sei Selbstzweck und nur die völlige Losreißung Ungarns könne dessen Endziel bilden; Ungarn aber hatte - das sivis pacem para bellum auch auf die Politik anwendend . in jenem Kriege nur das Mittel gesehen, um zu einem ehrenvollen Frieden, zur Anerkennung seiner Rechte zu gelangen, wogegen es seinerseits auch die in der pragmatischen Sanktion übernommenen Pflichten wieder voll und ganz zu erfüllen bereit war. Und der Friede ward geschlossen - über die Vergangenheit wurde ein "Schleier" gebreitet, der anfänglich nur aus den dünnen Kettenfäden politischer Motive gewoben war, der aber - je mehr die Nation den edlen ritterlichen Sinn, das gute Herz und die unerschütterliche Pflichttreue ihres gekrönten Königs kennenlernte - in den Gefühlen der Liebe und Verehrung einen festen Einschlag erhielt, der diesen Schleier unzerreißbar macht für alle Zeiten und widerstandsfähig gegen jeden Versuch, alte Wunden aufzureißen und jenes herzinnige Verhältniß zwichen Nation und Krone zu trüben, welchem Ungarn mehr als ein Vierteljahrhundert ungeahnter Blüthe zu verdanken hat.
Und so sei nunmehr auch ein Schleier gebreitet über die Irrthümer des großen Mannes, dessen Sarg wir heute gerührt und erschüttert umstehen. Diese Irrthümer haben ihn selbst, der sein Vaterland so unaussprechlich liebte, tief unglücklich gemacht, sie haben ihm die Freude und den Frieden eines Lebensabends geraubt: dem Lande haben sie nicht geschadt; sie haben dessen Fortschritt nicht einen Moment aufgehalten, die Schaffensfreudigkeit der Nation nicht beeinträchtigt, ihre Prosperität im Innern, ihrem Ansehen nach außen keinen Abbruch gethan.
Wir haben ohne ihn vollbracht, was wir freilich lieber mit ihm vollbracht hätten, was wir aber auch mit ihm nicht besser hätten vollbringen können. Und so gedenken wir denn seiner in tiefer Wehmuth, und kein Schatten fällt heute mehr auf diese Lichtgestalt unserer neueren Geschichte: mit einer Verehrung, die keine Grenzen und keinen Vorbehalt kennt, legen wir auf den Sarf des edlen Todten die Bürgerkrone und die ganze Nation schreibt darauf den Wahrspruch der alten eisernen Krone: - wehe Dem, der daran rührt!
Diese Krone verdunkelt nicht, sie erhöht vielmehr den Glanz jener anderen Krone, welche dieselbe Nation vor 27 Jahren Demjenigen auf das gesalbte Haupt setzte, der sich ihrer seither so würdig erwiesen, wie Wenige von Jenen, die sie seit einem Jahrtausend vor ihm getragen haben. Das weiß und empfindet die ganze Nation und sie vergißt es auch in bewegten Zeiten nicht einen Augenblick. So tief und allgemein der Schmerz, so hochgradig die Erregung während der jüngsten acht Tage in diesem Lande gewesen, es ist nicht ein Wort gesprochen, nicht eine Zeile gedruckt worden, welche selbst von der raffinirtesten Bosheit in antidynastischem Sinne gedeutet werden könnte. Im Gegentheil, manchem Klagetone, der sich aus weherfüllter Brust mächtig emprringen wollte, wurde ein Dämpfer aufgesetzt, die selbstverständliche Treue für den König und sein Haus wurde vielleicht nachdrücklicher und öfter als nöthig betont, einzig und allein, um den Ohrenbläsern und Zuträgern das Handwerk zu legen, welche die - wir geben es zu - mitunter ungestümen Ausdrücke unserer nationalen Empfindungen so gern dazu benützen, Mißtrauen oder mindestens Verstimmung gegen uns zu erregen. Ja wohl, wir sind ein Volk von heftigem Temperament, allein aus derselben Quelle entspringen auch die Tugenden unserer Nation, namentlich die unbegrenzte Liebe für den Fürsten, der siceh ihrer so würdig erwiesen, die Begeisterung, mit der wir ihn und seinen Thron in der Stunde der Gefahr zu schützen und zu vertheidigen bereit sind...
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