(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1898
Max Falk
15. März
Das war die Zeit der Wunder ohnegleichen! Von fremden Meeren her eine Woge zog in unser Land herein und trieb alles stagnierende Gewässer zu wildbewegter Fluth zusammen, da zerfiel deine morsche Welt in Nichts und wie auf des Allmächtigen Geheiss stieg einen neue Schöpfung herauf, herrlich vollendet schon am ersten Tage.
Und ein heller Strahl des Völkerfrühlings drang in die Seele der ungarischen Nation, weckte zu selbstbewusstem Leben, was in ihr so lange, ach, so lange schlummernd lag, und zauberte greifbar in festen Formen, was ihr als schwankendes Traumbild nur vorgeschwebt. Und ein Lied erklang, wie Schwerterklingen und Lerchenschlag zugleich. Vor seinem Schalle zerstob der Nebel einer verdämmerten Geschichte, und sein schmetternder Akkord setzte die ahnungsvolle Sehnsucht in befreiende und gestaltende Thaten um. Das war der fünfzehnte März des Heiljahres Achtundvierzig.
Aber kam das alles unvermittelt über Nacht und wurde die Nation unversehens von den europäischen Frühlingsstürmen oder durch die Begeisterung einer kleinen Schaar von Sängern und Helden aus dem avitischen Zustande in die neue Daseinssphäre hineingewirbelt? Nein, solches zu behaupten, wäre Sünde gegen den heiligen Geist der geschichtlichen Wahrheit. Im Volksgemüthe war die Renaissance längst vorbereitet, und gleich wie die elektrische Batterie durch den leisen Druck einer Kinderhand zur Entladung gebracht werden kann, so genügte an jenem Tage ein einziger Wellenschlag, ein einziger Sonnenstrahl, ein einziges Lied, um den hochgepeitschten Inhalt des nationalen Bewusstseins auszulösen.
So feiern wir denn voller Andacht den fünfzehnten März als den Tag, der die Mühen und Arbeiten von Jahrzehnten gekrönt hat. (…)
Gekürzt aus: PL, 15. März 1898, Titelseite
Am Vorabend des 15. März 1898 fand im Landes-Casino (Lloyd-Palast) ein festlicher Empfang des Budapester Journalistenvereins statt, auf dem sowohl der Schriftsteller Moritz Jókai als auch der Chefredakteur des Pester Lloyd und Vertraute der Kaiserin Elisabeth, Dr. Max Falk, nicht anwesend sein konnten. Beide schrieben an Baron Roland Eötvös, dem Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, folgende Briefe, die am 15. März 1898 im PL – ebenfalls auf der Titelseite – veröffentlicht wurden:
Geehrter Herr Generalsekretär!
Ich fühle mich sehr geehrt durch die Einladung zu dem Galabanket vom 14. März, doch muss ich mit tiefem Bedauern meine Entschuldigung vorbringen. Am 15. März harrt meiner eine grosse Aufgabe, eine lange Vorlesung bei der Petöi- Feier. Dann habe ich eben erst einen kleinen frischen Katarrh bekommen, ich werde heiser. Meine kleine Stimme muss ich nun so hüten, wie ein Spieler von Monte Carlo die Reisekosten für die Heimkehr. In der vorhergehenden Nacht brauche ich kein Symposion, sonder ein Fussbad und Schlaf. Deshalb sende ich meinen lieben Kollegen den herzlichen freundschaftlichen Gruss und bleibe, in dem ich Ihnen alles Gute wünsche,
Ihr Kollege, Dr. Moritz Jókai
Lieber Freund!
Nur mehr Wenige, sehr Wenige wandeln auf dieser Erde, welche vor fünfzig Jahren die ewig denkwürdigen Märztage durchlebt haben. Einer von ihnen bin ich, und so kannst Du Dir wohl vorstellen, wie gerne ich heute unter Euch erschienen wäre, um mich an der Begeisterung zu erquicken, mit welcher eine neue Generation sich um unsere alte Fahne schaart. Ich hätte Euch sagen können, dass Ihr niemals verzagen sollt, denn Niemand hat einen schmachvollere Demütigung dieser Fahne, aber auch Niemand einen glänzenderen Triumpf derselben gesehen, als eben ich. Allein mein Hausarzt Professor Koloman Müller verbietet mir mit Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand auf das Entschiedenste die Theilnahme an dem Banket, und so kann ich nur im Geiste meinen lieben Kameraden die Hand drücken als Invalide der Presse und Dein treuer Freund und Verehrer,
Max Falk.
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