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Aus dem Pester Lloyd von 1908
Berta Tucholsky
Ein Amerikaner über Budapest
Ein wohlbekannter und sehr beliebter Schriftsteller von drüben, jenseits des großen Teiches, F. Hopkinson Smith, der ohne den grotesken Sarkasmus Mark Twains zu besitzen, Menschen und Dinge mit dem der angelsächsischen Rasse eigenen Humor betrachtet, ist auf seinen Wanderfahrten auch nach Budapest gekommen. Er hat die junge Großstadt in höchster Gala gesehen, zu einer Zeit, als sie Freund und Feind, ja sich selbst durch ungeahnten Aufschwung und Glanz überraschte, zur Zeit der Millenniumsfeier.
F.H. Smith ist nicht nur ein trefflicher Erzähler, sondern auch Maler und Weltenbummler. Dass er die fremden Sitten und Einrichtungen mit der gewissen selbstverständlichen Ueberlegenheit des echten Amerikaners beurteilt, dem die alte Welt Europas ein unbekanntes, abwechslungsreiches Gebiet ist, das er zwar mit höchstem Interesse durchstreift, aber doch nicht uneingeschränkt bewundert, bedarf natürlich kaum der Erwähnung. Geradezu naiv aber mutet uns sein ungeheucheltes Erstaunen an, wenn er hier, im Osten Europas, in einem Lande, von dem ihm bisher nur unbestimmte Visionen vorschwebten, von gewissen heilkräftigen Wassern, von Bauern mit ungeheuren Pumphosen in hohen Stiefel, von siedelnden über die Ebene streifende Zigeunerbanden, plötzlich auf alte Zeichen einer raffinierten, großstädtischen Kultur stößt.
Bald nach seiner Ankunft in Budapest betritt er ein Restaurant, dessen Eleganz ihn förmlich verblüfft. Dort bemerkt er auch eine stattliche Dame in gelber Seide, die die eleganten Gäste empfängt, unter denen ihm eine „für Europa ganz ungewöhnlich schöne Frau“ und einer „jener breitschultrigen, eng geschnürten, gradgliedrigen Offiziere, wie man sie auf der Wiener Ringstraße trifft“ vor allen anderen auffallen. (…) Während am Nebentische die Fröhlichkeit und laute Unterhaltung „in einer vorher noch nie gehörten Sprache“ steigt, beendet er sein Mahl, zahlt die ihm lächerlich niedrig dünkende Zeche (o gute, alte Zeit) und sucht sich, um nicht zu stören, möglichst geräuschlos und unauffällig an der Privatgesellschaft vorbei zu drücken.
Und nun geschieht das Wunderbare – der joviale Herr mit der Hemdbrust erhebt sich höflich grüßend, und die ganze Tischgesellschaft hört auf zu plaudern und verneigt sich freundlich, während der ob solcher Urbanität höchstlich überraschte Amerikaner kaum weiß, wie ihm geschieht, als er sich rückwärts durch die Portiere in den Korridor hinaus dienert. Auf der Straße erwartet ihn eine neue Ueberraschung. Er befindet sich auf einem von Palästen eingefassten, blendend erleuchteten Boulevard, den eine festlich gekleidete Menge durchwogt. Er glaubt sich in Paris, Boulevard Capucines, in Berlin Unter den Linden, in Wien auf der Ringstraße und kann es doch nicht fassen, daß er wirklich und wahrhaftig in Ungarn ist.
Dieses Gefühl des Verblüfftseins verlässt ihn auch während seines ganzen Aufenthaltes nicht mehr. Denn dieser breite Boulevard (es ist natürlich die Andrássy-Straße) enthält zu dieser späten Abendstunde zweimal so viel Menschen wie der Boulevard des Capucines und erscheint ihm viel schöner als die Ringstraße und unvergleichlich lebhafter als die Berliner Linden. Er blickt zurück auf sein Restaurant (es ist das Café Drechsler) und gesteht, daß er in keiner der drei Weltstädte so ausgezeichnet diniert und solch wohltuende Höflichkeit von Fremden erfahren hat, wie in diesem „kleinen, von der Donau mitten durchspalteten Budapest“. (…)
Schließlich landet Hopkinson Smith vor einem besonders einladenden Haus, es ist das Café Gerbeaud. Der schöne Garten mit den herrlichen Palmen, Teppichbeeten und ungeheuren Sonnenschirmen, der Pavillon mit den Speisesälen und Glasverandenlocken sind unwiderstehlich. Er geht hinein, lässt sich vom Kellner respektvoll zuflüstern, dass Se. Majestät der König und die Erzherzoge hier ihren Stammsitz haben. Er wundert sich dann aber nicht mehr über so erlauchte Besucher, als ihm für ein Eis und ein Glas Wasser die Rechnung präsentiert wird…
Ostern, 21.4.1908
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