Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1908

Franz Molnár

Budapester Masken

Ferenc Molnár, geb. am 12. Januar 1878 in Budapest als Ferenc Neumann; gest. am 1. April 1952 in New York, war ein bedeutender ungarischer Schriftsteller und Journalist. Er gilt als der wichtigste ungarische Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Sein bekanntestes Werk ist das Theaterstück Liliom (1909). Für den PL schrieb er zahlreiche Feuilletons, davon viele Erstveröffentlichungen.

Da sind die Engländer. Es waren dreißig englische Seeoffiziere, die in Zivil von ihren Kriegsschiffen kamen und einen Ausflug machten. Ich sah mich auf dem Schiffe um. Es fuhren nicht nur dreißig, sondern wenigstens sechzig ungarische junge Leute mit uns. Und ich dachte ein wenig darüber nach, wie wohl in den Augen eines Ausländers unsere Maske aussehe. Ich meine die Kulturmaske, nicht die Maske des Volksstammes. Die Maske unserer jungen Advokaten, Beamten Aerzte, Studenten. Gibt es überhaupt einen Budapester Typus, so wie es einen Pariser, Londoner, Wiener, Berliner Typus gibt? Wobei immer wieder nicht die Rasseeigentümlichkeit gemeint ist, sondern die Kleidung und die Zurichtung des diversen Haarwuchses am Kopfe.

Ich behaupte, (...) dass die Budapester Jugend seit etwa zehn Jahren das bisschen äußeren Charakter, das sie besaß, verloren hat. Vor dieser Zeit stand die Sache ungefähr so, dass man das Haar aufwärts kämmte, ein kurzes „Kotlett“ trug und den Schnurrbart diskret, ganz diskret aufzwirbelte. Das aufgebürstete Haar markierte einigermaßen die einstige ungarische Haartracht, mit ihren die Stirn freilassenden, bis auf die Schulter fallenden langen Strähnen. Der diskret aufgezwirbelte lange Schnurrbart war, um mich präzise auszudrücken, das mit norddeutscher Tendenz europäisierte Rudiment des weit und breit bekannten und karikierten ungarischen Schnurrbartes.

(…) Der Schnurrbart war von einer Zahnbürste kaum noch zu unterscheiden. Das Kotlett verschwand und wurde ein Privilegium der Provinz. Man ließ sich das Haar kurz scheren und trug es glatt und glänzend feierlich abgeteilt. Das währet so etwa zwei Jahre lang. Mit einem Mal begann das Haar wieder zu wachsen. Es wuchs ganz lang und wallte lockig über die jungen Ohren oder fiel ernst über die Stirnen. In allen Banken saßen plötzlich kleine Alphonse Daudets, in den Redaktionen kritzelten lauter Emil Sauer. Ich möchte diese Zeit als Uebergangsstadium der Budapester Masken bezeichnen, genauer gesprochen, als den Uebergang von dem auf hygienischer und praktischer Grundlage ruhenden Verismus zur schönen, aber gefährlichen Neoromantik.

Damals aber tauchte auf dem Horizont des Kontinents ein bleicher Jüngling auf, dessen Erscheinen auch in unserer Stadt nicht ohne Wirkung blieb. Dieser bleiche Jüngling blickte sanft über Europa hin und machte die Mode verrückt. Sein sanfter Blick fegte alle bisherigen, wie immer gearteten Masken hinweg. Der Jüngling hieß Dorian Gray. Ich glaube nicht, daß die Weltliteratur ein zweites Beispiel dafür besitzt, daß ein einziger Schriftsteller so viele Leute rasierte, wie Oskar Wilde. (…)

Man vermag zwar nicht in die Zukunft zu schauen, im Augenblick aber ist immerhin zu konstatieren, daß es heute in Budapest ebenso Pflicht ist, Dorian Gray zu sein, wie es Pflicht des französischen Richters ist, einen zweiseitig abstehenden Bart zu tragen. (…) Die Dorian-Gray-Maske wird erst dann verschwinden, wenn sie vom Fiaker-Kutscher aufgegriffen wird. So erging es auch dem deutschen Kaiserschnurrbart. Dann wird in der Geschichte der Budapester Masken neuerdings eine Uebergangsperiode heranbrechen, wie sie vor der Dorian-Gray-Zeit wütete. Und das ist das Fürchterlichste. Denn in solchen Zeiten maskiert sich die Budapester Jugend als Pariser Maler, rumänische Popen, englische Tennis-Champins, italienische Sänger, deutsche Violinvirtuosen, amerikanische Businessleute und russische Dichter. Ich glaube, wenn unsere Barbiere ein wenig strenger wären, würde unsere hauptstädtische Jugend dieses affektierte und unmännliche Spiel mit den Masken allmählich sein lassen. (…)