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Aus dem Pester Lloyd von 1908

Max Nordau

Der Artikel 213

Es ist der Artikel 213 des bürgerlichen Gesestzuches Frankreichs, bekannter unter dem Namen Code Napoleon. Er lautet: "Der Mann schuldet seiner Frau Schutz, die Frau ihrem Manne Gehorsam." Dieser Artikel bildet einen Teil des sechsten Hauptstücks, dass von den gegenseitigen Rechtenund Pflichten der Ehegatten handelt. Er wird mit einigen anderen bei der Eheschließung auf der Bürgermeisteri vom Standesbeamten dem Brautpaar vorgelesen.

Einige Abgeordnete haben beobachtet, daß er auf die Zuhörer in der Regel eine seltsame Wirkung macht. Der Bräutigam räuspert sich und blickt ungläubig auf die amtshandelnde Obrigkeitsperson. Die Braut schlägt die Augen nieder und lächelt unter dem Schleier und Orangenblütenkranz. Die Schwiegermütter zucken geringschätzig die Achsel. Die männlichen Hochzeitsgäste seufzen verstohlen; die weiblichen kichern frei und zwinkern einander zu. Die Feierlichkeit des Saales, den die Büste der Republik schmückt, des Standesbeamten, den die dreifarbige Schärpe mit den Goldfransen gürtet, des aufgeschlagenen Gesetzbuches, das dem Bürger drohend und belehrend den geraden Lebensweg vorschreibt, genügt nicht, bei den Frauen eine sanfte doch allgemeine Heiterkeit, bei den Männern eine Bewegung etwas bitterer Ergebung zu unterdrücken. Man glaubt nicht an den Artikel oder lacht ihn aus. Ein altes Wort versicher, daß in Frankreich die Lächerlichkeit tötet. Die erwähnten Abgeordenten urteilen, daß der Artikel 213 tot ist, und sie beantragen die Entfernung der Leiche aus dem Gesetzbuch.

Der Mann schuldet Schutz, die Frau Gehrosam - mit dieser lapidarischen Formel ist eine Rangordnung der Geschlechter festgelegt, dem Mann die Überlegenheit verliehen, der Frau die Unterwürfigkeit auferlegt. Schützen kann nur der Mächtige; gehorchen muß der Unmündige, also das Kind oder der Unfreie. So sah der französische Gesetzgeber das Verhältnis von Mann und Weib vor hundert Jahren. So sah Napoleon es. Denn der Artikel 213 ist sein persönliches Werk. Die von Schranzen des Bonapartismus verbreitete Darstellung, als wäre der Kaiser der Verfasser des Gesetzbuches, das seinen Namen trägt, als hätte er die darin ausgedrückten Rechtsgrundsätze aufgestellt, ja die Artikel dem Kanzler in die Feder diktiert, ist länst als Sage erkannt. Napoleon führte zwar den Vorsitz im Ausschuß, der den Code verfaßte, er nahm auch ab und zu das Wort zu einzelnen Fragen, über die er sich vorher von Portalis eingehend unterrichten ließ, aber die Arbeit wurde ganz von den vier großen Juristen Tronchet, Bigot, Portalis und Malleville getan, die für sein Gesetzgebungswerk ausersehen zu haben ein genügendes Herrscherverdienst des Kaisers bleibt. Die Bestimmungen über das Eherecht aber rühren wirklich von ihm her. Zu diesem Abschnitt begnügte er sich nicht, Anregungen zu geben und Meinungen zu äußern: hier verordente, hier befahl er. Hier enthüllt er mit cäsarischer Grobheit seine geheimsten Anschauungen vom Weibe. Wir wissen auch sonst, daß er ein Verächter des Geschlechtes war, zu dem ihn doch eine starke, fast wilde Sinnlichkeit hinzog. Wir kennen viele verbürgte Äußerungen von ihm, die einen fortlaufenden Kommentar seines Gesetzes bilden. Die "Denkwürdigkeiten" von Thibeaudeau verzeichnen diesen Ausspruch des ersten Konsuls Bonaparte: "Ein Gatte muß eine unbeschränkte Gewalt und das Recht haben, seiner Frau zu sagen: Madame, Sie werden nicht ausgehen, Sie werden nicht ins Theater gehen, Sie werden den und den nicht empfangen."Und im "Mémorial de Sainte-Hélène" lesen wir: "Wir Völker des Westens verstehen nichts von den Beziehungen zur Frau; wir haben alles verdorben, in dem wir die Frauen zu gut behandelten. Wir haben sie, sehr mit Unrecht, beinahe zu Unseresgleichen erhöht. Die Völker des Ostens hatten mehr Geist und gesunden Verstand. Sie haben sie zum wirklichen Eigentum des Mannes erklärt; und in der Tat: die Natur hat sie zu unseren Sklavinnen gemacht. Nur infolge unserer Geistesmängel unterstehen sie sich, den Anspruch zu erheben, unsere Herrscherinnen zu sein."

Das sind Gedanken und Gefühle, die den Stempel des Steinzeitlichen tragen. Napoleon war eben ein in die Gesittung verirrtes Genie mit Urmenschtrieben. Hippolyt Taine hat dies richtig erkannt und das Buch, worin er es mit kräftiger Begründung ausführt, ist der einzige Abschnitt der "Ursprünge des zeitgenössischen Frankreichs", der vor der Kritik besteht. Napoleon stand dem Weiber wie der Zeitgenosse des Höhlenbären gegenüber, der sich seine Lagergenossin wie eine Jagdbeute mit der Keule eroberte und an den Haaren in seine Grotte schleifte, oder wie der barbarische Krieger, der im besiegten Stamm, in der erstürmten Stadt nach Niedermetzelung der Männer die Mädchen und Frauen schändet und als Sklavinnen wegführt. Frédéric Masson erzählt in seinem kurzweiligen Buche "Napoleon und die Frauen", wie herrisch seine Begehrlichkeiten, wie kurz, geradezu und anstößig sein Werben, wie roh seine Befriedigungen waren. Wir kennen sein Verhältnis zur George, zur Gräfin Walewska, zu manchen Sultaninnen einer einzigen STunde, oder Viertelstunde, in den Tuilerien, seine pöbelhafte Ungeduld bei der ersten Begegnung mit Marie Louise im Reisewagen. Immer war er der geile Landsknecht, der sich durch Schrecken Lust gewinnt. Sein triebleben spiegelt sich in der Formel wider, die er diktatorisch in sein Gesetzbuch eingefügt hat. "Der Mann schuldet Schutz"; er ist der Krieger, er hat sein Gut mit der Waffe gegen fremde Räuber und Plünderer zu verteidigen; "die Frau schuldet Gehorsam"; sie ist die Kriegsbeute und gehört ihrem Eroberer. So malten sich Welt und Leben in seinem Kopf, eines faustgewaltigen Heerkönigs.

Aber sein Artikel 213 war immer nur eine Theorie, mit der er sich vielleicht an der Praxis rächen wollte. "Der Mann schuldet der Frau Schutz." Wer hatte mehr als er die Macht, diesem Gebote zu gehorchen? Und wie leichtblütig schlug er ihm doch ein Schnippchen! Josefine hatte ihn aus dem Elend gezogen; ihre Mitgift war der Oberbefehl in Italien, der zum Ausgangspunkt seiner künftigen Geschicke wurde. Als sie jedoch verblüht war, ihm nichts mehr bieten konnte, seinem neuen dynastischen Ehrgeiz hindernd im Wege stand, da schüttelte er sie mit einer leichten Bewegung von sich, wie ein eleganter Rokokoschnupfer die Stäubchen einer Prise von seinem Spitzenjabot schnellte. "Die Frau schuldet dem Manne Gehorsam." Diesen hat der Überwinder Europas von seinen .eigenen Frauen nie erzwingen können. Josefine setzte ihm mit seinem Adjundanten die niedlichsten Hörner auf, während er den Sieg von Rivoli erfocht. Marie Louise gab ihm, ohne auch nur eine Anstandspause, Neipperg zum Nachfolger und ließ die Briefe unbeantwortet, in den er sie anflehte, zu ihm nach Sankt Helena zu kommen, die Damen seiner Familie behandelten seinen Willen mit nicht mehr Achtung als seine Gemahlinnen. Vor Frau Lätitiazitterte er immer und ein Wort und Blick der energischen Korsin schüchterte ihn bis zum jähen Verstummen ein. Die Schwestern lachten ihn trotz seiner Kaiserkrone einfach aus, wenn er ihnen gegenüber den imperatorischen Ton anschlagen wollte. Um sich zu trösten, las er dann vielleicht seinen ARtikel 213. Wenn er auf sein verletztes Selbstgefühl als Balsam gewirkt hätte, so würde er doch zu etwas gedient haben.

Es ist schwer verständlich, wie die großen Rechtsgelehrten, die den Code NApoleon verfaßten, diesen schwankhaften Artikel durchgehen lassen konnten. Sie mußten sich wohl einer Laune des Kaisers beugen. Ein Gesetz, daß sein Gebot auf keine Strafandrohung stützt, ist Geschwätz ins Blaue. Es wird zu einem freundlichen Rat, zu einer weisen Lehre, zu einer salbungsvollen Moralpredigt. Im Gesetzbuch hat es keinen Platz. "Die Frau schuldet dem Manne Gehorsam." So verkündet der Code feierlich. Und wenn sie ihn verweigert? Was dann? Darauf gibt das Gesetzbuch keine Antwort. In früheren Zeiten war es allerdings nicht so stumm. Es setzte harte Strafen auf Widerspenstigkeit der Gattin. Das deutsche Städterecht des Mittelalters verurteild die Frau, die ihre Pflicht der Unterwürfigkeit gegen den Mann vergißt, zum Wippen. Das war eine grausame Züchtigung, die darin bestand, daß das Opfer in einen Käfig gesteckt und von einer Brücke an einer Stange oder einem Seil einigemale in einen Fluß getaucht wurde. In England wurde die Sünderin geteert und gefedert und auf einem Esel, der verkehrt aufgezäumt wurde, durch die Straßen geführt. In Frankreich setzte man sie am Pranger einen Tag lang dem Hohn und den Steinwürfen der Gaffer aus. Das war hart genug, doch noch milde im vergleich zur Behandlung, die das Gesetz des alten Hammurabi der ungehorsamen Ehefrau zumißt. Auf Vernachlässigung der Wirtschaft, auf unerlaubtes Umherlaufen und den Besuch von Gastwirtschaften - Kaffeehäuser gab es damals noch nicht - stand kurzweg der Tod. Die Sitte zeigte an vielen Orten mehr Einsicht als das Gesetz; sie richtete sich nicht gegen die ungehrosame Frau, sondern gegen den Mann, der ihrer nicht Herr zu werden wußte. Die Nachbarn, die Zeugen seiner Niederlagen waren, saßen über ihn zu Gerichte und ließen es ihn hart büßen, daß er ein schlechtes Beispiel gab und die männliche Würde demütigte.. Noch heutzutage wenden die Dorfleute in Oberbayern das Haferfeldtreiben als Erziehungsmittel zu Charakterfestigkeit der Ehemänner an, und Napoleon wäre selbst manchmal der Gefahr ausgesetzt gewesen, mit dieser Form des Volksgerichts, einem Überbleibsel der Vehme, Bekanntschaft zu machen, wenn er in den bayrischen Alpen gelebt hätte.

Die Strafbestimmungen gegen weiblichen Ungehorsam in der Ehe sind überall längst abgeschafft oder in Vergessenheit geraten. Waren sie jemals wirksam, auch als sie in Kraft waren? Dazu wird man ein besonders höhnisch geschlängeltes Fragezeichen machen dürfen. Molière beabsichtigt eine Heiterkeitswirkung, wenn er einen Mann prahlen läßt: "Die Allmacht ist auf Seiten des Bartes!" Die Spanier sind eines der mannhaftesten Völker, unerschrocken vor der Gefahr, übermütig vor den Hörnern des Kampfstiers, überdies Schüler der maurischen Haremseigner in ihrer Wertung des Weibes. und diese starknervigen Veächter der Frau und des Todes haben die kleinlaute Copla gedichtet:
"Si tu mujer te dice - echarte del tejodo abajao, pidele à Dios - que sea bajo..." ("Wenn Deine Frau dir sagt, Du sollst Dich vom Dach hinabstürzen, dann bete zu Gott, daß es niedrig sei..."

In Frankreich lächelt man nicht erst jetzt über den Artikel 213. Man hat über ihn sicher schon gelacht, als er geschaffen wurde. "Frauenwille Gotteswille" war damals ein Sprichwort, das seit Jahrhunderten auf den Lippen des Volkes lebte, und der Sprachgebrauch nannte seit unvordenklichen Zeiten die Angebetete "Herrin" oder "Gebieterin". Der einzige Teil, der im Verhältnis vom Manne zum Weibe gehorchte, war der Mann. Frauen lesen nicht oft das Gesetzbuch, sie wären denn Rechtsanwälte, was sie jedoch erst seit einigen Jahren sind. Haben sie es aber getan, so werden sie den Artikel 213 gewiß als humoristischen Einschlag empfunden haben, mit dem der Gesetzgeber den gleichmäßigen Ernst des Code angenehm unterbrechen wollte. Sie haben an ihm bisher keinen Anstoß genommen, weil sie ihm keinerlei Bedeutung beigemessen haben. Hätte er sie gekränkt oder verletzt, sie würden seine Unterdrückung längst durchgesetzt haben. Denn die französischen Frauen tun, was sie wollen. Ruhig, gelassen, ohne Emphase und Gebärden, wie Personen, die ihrer Macht und ihres Rechtes sicher sind. Amerikanische, englische, skandinavische Frauen wundern und beschweren sich oft über das, was sie die Rückständigkeit der französischen Frauen nennen. In der Tat: es gibt unter ihnen keine Frauenrechtlerinnen im Reformkleid, mit geschorenem Kopf und Kneifer. Für die englischen Suffragettes haben sie nichts übrig oder nur ein leises Achselzucken und ein geringschätziges Kräuseln der Lippen. Sie beschicken die Frauenrechtskongresse selten, spärlich und nicht eben durch ihre berufensten Vertreterinnen. Der einzige Frauenrechtsverein, der in Frankreich einigen Boden gewinnen konnte, "Die Vorläuferin" (L´Avant-Courrière) verdankt seinen recht mäßigen Erfolg der Bescheidenheit und Nüchternheit seines Programms. Was die französischen Frauen in den Gesetzen, Einrichtungen, Sitten stört, das schaffen sie einfach ab und brauchen dazu weder Aufregung noch heftiges Getue. Als es ihnen gefiel, zu studieren, da verlangten sie nicht erst von einem Minister oder dem Parlament eine Erlaubnis, sondern stellten sich zur Baccalaureatsprüfung, ließen sich an der Universität einschreiben, machten ihren Doktor, als wenn es immer so gewesen wäre. In derselben Weise wurden sie aus eigenem Willen und eigener Kraft Rechtsanwälte, Ärzte, Universitätsprofessorinnen (Madame Curie!), Astronominnen der Staatssternwarten, Apothekerinnen. Sie werden das politische Wahlrecht erlangen, wenn ihnen der Sinn danach stehen wird; und wie sie Fiakerkutscherinnen geworden sind, als es ihnen paßte, so werden sie Richter und Staatsbeamte werden, wenn ihr Ehrgeiz dieses Ziel ins Auge fassen wird. War ihnen ein Gesetz hinderlich, so ließen sie es abschaffen. Das war nötig, damit sie vor dem Standesamt als Zeuginnen walten, selbst erworbene Arbeitslöhne für sich behalten, auf den eigenen Namen GEld in die Sparkasse legen konnten. Sie empfangen immer häufiger das Kreuz der Ehrenlegion, ihrem Verächter Napoleon zum Trotze. Sie sind noch nicht Akademikerinnen, aber sie machen Akademiker. Jahrzehten hindurch konnten die Unsterblichen nur durch den Salon der Madame Mohl, der Madame Beulé, der Madame Buloz in den Mazarinpalast gelangen. Vielleicht wünschen sie die grüne Palmenstickerei nicht, weil sie sich auf einer eleganten Toilette wirklich nicht hübsch macht.

Die französische Frau ist auch ohne Emanzipationsgetrampel eine moderne Frau: sie fühlt sich dem Manne durchaus gleichberechtigt, weil sie sich als ihm gleichwertig einschätzt. Sie als unwürdig zu behandeln, ihr Gehorsam vorzuschreiben, scheint ihr nur noch grotesk. Sie verlangt vom Manne keinen Schutz, denn sie ist gewillt und fähig, sich selbst zu schützen, und sie gehorcht nicht, es sei denn aus Liebe. Das ist der springende Punkt: das psychologische Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe kann nicht Gegenstand des öffentlichen Rechtes und allgemeiner Bestimmungen sein; es wird in jedem Einzelfall individuell gestaltet. Das Gesetz mag sagen, was es will: der an Charakter und Geist überlegene Teil wird immer den anderen unter seinen Willen zwingen, und Gehorsam wird immer dem gezollt, dem die Gabe des Befehlens, und damit das Recht dazu, von der Natur verliehen ist. Daran ändert der Artikel 213 nichts und darum war er immer ebsno überflüssig wie lächerlich. Es wird den Abgeordneten, die seine Ausmerzung aus dem Code verlangen, nicht schwer werden, ihren Willen durchzusetzen. Sein Verschwinden wird an der rechtlichen und sittlichen Natur der Ehe nichts ändern. Es wird nur das bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs von einem wunderlichen Überlebsel überwundener Barbarei säubern, deren letzte Spur in der Gesittung der von geschlechtlich polarisiertem Größenwahn eingegebene, von Laffen mit albernem Behagen nachgeplapperte Aphorismus des irrsinnigen Nietzsche ist: "Willst du zu Frauen gehen, so vergiß die Peitsche nicht!"