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Aus dem Pester Lloyd von 1917
Bernhard Alexander
Wir Pazifisten
Es ist pure Ratlosigkeit, die Bernhard Alexander, einen sonst über jeden Zweifel erhabenen Gelehrten mitten im Ersten Weltkrieg zu einem Nachdenken über Sinn und Unsinn des Pazifismus nachdenken lässt. Nicht, ohne am Ende Ratschläge zu erteilen. Der 1850 in Pest geborene und 1927 Budapest gestorbene Philosoph, Ästhet und Mitglied der Akademie der Wissenschaften Budapests, schrieb bereits als 19jähriger für den Pester Lloyd (somit blieb er diesem fast 60 Jahre als Autor treu). Er verfasste Werke über Kant, den Pessimismus des 19. Jh., Lehren des Diderot, über Imre Madách, über Shakespeare, über Hamlet. ("Der Krieg und die Seele", 1925, "Dämmerung - Über den Untergang von Kulturen") m.s.
Sehr gut ergeht es uns jetzt nicht hierzulande, sagte mein Freund, der Pazifist, der mit Vorliebe seine Sätze mit „Wir Pazifisten“ einleitete. Von allen Seiten stürmen sie auf uns los, daß wir uns ihrer kaum erwehren können. Die einen bemitleiden uns von oben herab, weil es uns bisher nicht gelungen ist, der Kriegswut Einhalt zu tun, trotzdem der erlauchte Woodrow Wilson, der große Friedensapostel, an unserer Spitze marschiert oder marschierte. – Ist es nicht doch Euer Erfolg, unterbrach ich ihn, daß Woodrow Wilson neben dem Sternenbanner doch auch die blütenweiße Flagge des ewigen Friedens emporfliegen ließ und das gelehrige England desgleichen vorgibt, diesen Krieg zu Ende zu kämpfen, damit er für alle Zeiten der letzte gewesen sei? Mit Ausnahme der kleinen Marodeure dieses Krieges führen sie doch alle den ewigen Frieden im Munde, allerdings bisher nur im Munde, aber das könnte man doch Euch Pazifisten gutschreiben.
Mein Freund aber, der hinter diesen unschuldigen Worten Spott witterte, machte eine bezeichnende Bewegung mit der Hand nach abwärts, die etwa ausdrücken sollte, lassen wir die Scherze beiseite, und fuhr fort: Gewiß haben wir bisher nichts erreicht, aber verdienen wir wirklich wegen Stockholms in einemfort gehänselt zu werden? Stockholm zeugte doch von dem guten Willen der meisten Beteiligten und soll nichts als großartiger Bluff oder als eine mit den unzulänglichen Mitteln unternommene Friedensstifterei verhöhnt werden. – Vergiß nicht, warf ich rasch ein, daß man zuerst unsere Hoffnungen aufs höchste spannte, dann, daß wir Tausende von Telegrammen verschlucken mussten, hinter denen, wie sich jetzt herauszustellen scheint, rein nichts steckte, daß wir die Ansichten einer Unzahl nichts bedeutender Männer aufgetischt bekamen, und die gewaltige Enttäuschung, die dann folgte, uns allen sehr bitter schmeckte.
Wenn Stockholm kein Bluff war, was ich gern zugeben will, so war es doch ein grausames Fiasko, das von einer merkwürdigen Unkenntnis der wirklichen Machtfaktoren zeugte. – Das bestreite ich ja gar nicht, sagte mein Freund, wir Pazifisten sind ja keine Praktiker, wir sind die Hüter einer erhabenen Idee, und das Bekenntnis, das wir ablegen, wird nicht wirkungslos verklingen. Wir sind der Chor in der schrecklichen Tragödie, die sich jetzt abspielt. Wilson mag ein Heuchler sein und Asquith ein Scheinheiliger, aber es wird sich bewahrheiten, nur in anderer Weise, was sie verkünden. Dieser Krieg vermehrt unser Lager in unerhörter Weise, die Greuel dieses Krieges werden alle Welt zu Pazifisten machen.
Du vergißt aber, sagte ich, daß die Menschheit ein schrecklich kurzes Gedächtnis hat ; wir haben die Napoleonischen Kriege vergessen, obgleich seitdem nicht viel über einhundert Jahre verflossen sind, der Dreißigjährige Krieg mutet uns wie eine alte Sage an, die kleineren Kriege sagen uns gar nichts mehr. Es ist sehr begreiflich, daß jetzt alle Welt von ewigen, oder vorsichtiger ausgedrückt, vom dauernden Frieden spricht, das ist eben die Scheuklappe, die uns die Greuel der Gegenwart zum Teil wenigstens verdecken soll. Wir sind plötzlich so besorgt um unsere Enkel geworden, dies es in Zukunft besser haben sollen als wir, man spricht von Abrüstung, vom Staatenbund, von Schiedsgericht, die alle zukünftigen Kriege unmöglich machen sollen. Wenn ich in stillen Nächten diese Gedanken überdenke, dann packt mich ein entsetzliches Grausen.
So lange soll der Krieg währen, bis diese Ideen verwirklicht werden? Schon die Verhandlungen darüber müßten viele Jahre dauern, und so lange sollen wir Gewehr bei Fuß stehen? Wie lange währte die Londoner Konferenz, die das bißchen Balkan zur Not regulieren wollte! Und jetzt sollen wir alles bis an das Ende der Dinge regeln, die Verhältnisse aller Groß- und Kleinmächte so feststellen, daß alle Reibungsflächen mehr als spiegelglatt werden? Daß der Pazifismus eine Leitidee der menschlichen Geschichte werden soll, gebe ich freudig zu. Aber wenn der Pazifismus sich jetzt in diese Friedensverhandlungen einmischt, dann sind wir verloren. Jetzt brauchen wir einen menschlichen Frieden, ohne Pazifismus, dann hätten wir Zeit Pazifisten zu sein.
Der Inhalt Deiner Gedanken steht mit ihrer Form in schroffem Widerspruch, meinte der Freund in etwas gereiztem Ton. Immer klingt es aus Deinem Munde wie Spott bei aller Anerkennung, die Du für die Wahrheit des Pazifismus übrig hast. - Wir sind eben viel zu kurzsichtig gewesen und haben vor dem Krieg unsere Propaganda nicht eifrig genug betrieben, sonst wäre es vielleicht doch nicht zu diesem entsetzlichsten aller Kriege gekommen. Nun sollen wir noch weiter warten mit der Propaganda, vielleicht bis zum nächsten Krieg? Wenn die Friedensverhandlungen unter der Ägide des Pazifismus stattfinden werden, umso besser für den Frieden. Das wird den Friedensschluß um keine Stunde verzögern.
Propaganda, rief ich dazwischen, und als ich zu Worte kam, mußte ich erwidern: Propaganda, bei dem Worte wollte ich Dich haben. Was wollt Ihr denn eigentlich von uns? Uns wollt Ihr belehren? Ich muß allerdings ein Lächeln unterdrücken, wenn Du so feierlich die Worte: „Wir Pazifisten“ einherschreiten läßt. Das klingt ja, als ob wir den Frieden nicht wollten! Wer will ihn hierzulande n i c h t? Der Unterschied, den Ihr konstruiert, ist: Ihr wollet grundsätzlich gar keinen denkbaren Krieg, wir wollen d i e s e n Krieg nicht. Das ist für den Moment gar kein Unterschied. Zudem ist es unmöglich, daß Ihr gar keinen Krieg gestattet, denn Ihr müßt den Verteidigungskrieg zugeben, zuerst weil er notwendig ist, dann weil er löblich, ja das einzig Löbliche ist. So lange es Angreifer gibt, muß es Verteidiger geben, es sei denn, Ihr wollt uns die bedingungslose Unterwerfung jedem Angreifer gegenüber anraten. Die Bezeichnung Pazifist hat nur dort einen Sinn, wo es auch Nichtpazifisten gibt, bei uns hat das Wort gar keinen Sinn, oder es bedeutet Selbsttäuschung.
Wollt Ihr Pazifisten sein im löblichen Sinne, dann versucht doch, wenn Ihr die Mittel dazu findet, Euch bei unseren Gegnern Gehör zu verschaffen. Leicht wird es Euch ja nicht werden, denn soweit es möglich ist, werden die Pazifisten dort, falls sie praktisch werden oder nur den Verdacht erregen, das Gebiet der Theorie zu verlassen, gehörig verfolgt. Alle unsere Friedensvorschläge werden den Völkern der feindlichen Länder in verfälschter Form eingegeben, um dann mit Hohn und Spott zurückgewiesen zu werden. In Italien, Frankreich und England werden, die von Frieden reden, verfolgt, eingekerkert, jedenfalls der unlauteren Motive beschuldigt; der Krieg wird als die heiligste, wichtigste, sittlichste Handlung verhimmelt und alle Leidenschaften der Menge werden unablässig aufgepeitscht, um die Kriegsflamme in den Herzen nicht erlöschen zu lassen. Sage mir doch, ist es ganz ungefährlich, das Spiel, das Ihr treibt?
Ihr stellt den Krieg als etwas Schreckliches und Schauerliches dar, Ihr prägt der Menge ein daß dieser Krieg ganz unsinnig ist. Ihr predigt, daß man nur in gehöriger Weise dem Feinde Friedensanbote machen solle, dann werde er sie schließlich annehmen. Ihr plappert dem Feinde wie Papageien nach, daß die durchgeführte Demokratisierung unserer Länder zugleich den Frieden bringen würde, Ihr fordert, daß wir laut und öffentlich erklären, wir wollen keine Annexionen, keine Entschädigungen, wir wollen nur leben: und Ihr vertröstet von einem mißlungenen Friedensanbot zum nächsten. Merkt Ihr nicht, daß wir bisher nur erniedrigenden Spott als Antwort unserer Feinde erhalten haben, die ganz ruhig erklären, erst müßten wir uns den Bauch aufschlitzen, dann könne von Frieden die Rede sein? England, Frankreich und Italien wollen keinen Frieden.
Wir können was immer ausdenken und erklären, sie haben immer dasselbe Nein und sie nehmen sich kaum die Mühe, neue Gründe dieses Neins zu ersinnen. Sie feuern damit immer aufs neue ihre Soldaten an. „Sie kriechen schon zu kreuz,“ getraut sich selbst ein Lloyd George auszurufen. „Nur noch diese eine Offensive, sagen sie, und wir sind am Ziel“. Das nächste Mal sagen sie dasselbe, aber schon anderen Soldaten, denn die früheren hören gar nichts mehr. Und wir? Wir entfachen zuerst im Hinterlande die brennende Sehnsucht nach dem Frieden, und das muß zuletzt auch auf die Front einwirken. Zum Glück helfen uns die Feinde. Die an der Front wissen ganz gut, daß der Friede erkämpft werden muß und horchen nicht auf Euch, Ihr Pazifisten, sondern auf den Feind, der uns allen ans Leben will. Das ist unser Glück!
Der Feind macht kein Hehl daraus, daß er Österreich und Ungarn zerstückeln will und Deutschland unterjochen. Das wissen unsere Soldaten und handeln danach. Die muß man nicht mit Haß berauschen, mit Lüge blenden und mit Maschinengewehren vorwärts treiben, die kämpfen, der bitteren Notwendigkeit gehorchend, und verteidigen uns unerschüttert.
Wir verdienen es kaum. Und man soll sie nicht weiter auch auf diese harte Probe stellen und ihre Seelen zerhämmern. Es war gewiß gut, die Friedensanbote zu stellen, das muß der, der in der Verteidigungsstellung ist, tun, um anstatt des elenden Fusels, der die Seelen vergiftet, als unbesiegbare Kraft den Trotz gegen den niederträchtigen Feind seinen Soldaten einzuflößen. Aber vom ewigen Frieden faseln, da der Feind uns erwürgen will, würde uns zu den komischesten Gestalten der Weltgeschichte machen, und das haben wir doch nicht nötig. Wenn gestorben sein soll, dann wollen wir mit Würde und in Schönheit sterben. Aber der ruhige, starke Widerstand und die für das Höchste eingesetzte Kraft werden uns eher den Frieden erkämpfen, als Ihr Pazifisten, die Ihr ja ehrenwerte Männer seid, aber den Moment nicht richtig gewählt habt.
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