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Aus dem Pester Lloyd von 1917

Max Nordau

Kriegsliteratur

Einführendes zu Max Nordau hier

Einem Schriftsteller wird man es nachsehen, wenn er auch im furchtbaren Kanonendonner, der den Boden des Weltteil bis zu seinen Grundfesten erschüttert, an Bücher denkt. Gewiß, zurzeit spielt die Literatur neben der Strategie und Taktik eine sehr unansehnliche Rolle, und ein einziges Maschinengewehr hat mehr Bedeutung als alle Federn des Landes. Es wäre jedoch eigentümlich kurzsichtig, deswegen das gedruckte Wort zu vernachlässigen. Eine auf den Grund der Dinge gehende Geschichtsschreibung wird eines Tages feststellen, dass die Literatur mit die grüßte Verantwortung für diesen Krieg trägt, der sie vorübergehend in den Hintergrund drängt.

Der Ausbruch des Krieges vor mehr als zwei Jahren war für dreihundert Millionen Europäer, mit einziger Ausnahme von vielleicht einem Dutzend wirklich ausschlaggebender Persönlichkeiten, ein Blick aus heiterem Himmel, der betäubend und lähmend niederfuhr. Alles geistige Schaffen, selbst alles Planen und Vorausträumen, hatte mit einem Schlag ein Ende. Die Jugend und alle Männer bis tief in das Alter der Reife zogen den Soldatenrock an und griffen zur Waffe. Im Feld hatten sie andere Sorgen als Papier zu schwärzen. Und selbst wenn ihnen der Sinn darauf gestanden hätte, sie hätten weder Papier noch Tinte gehabt, um ihre Gedanken oder Einfälle festzulegen. Auch die Daheim blieben und nicht materiell verhindert waren, ihrer gewohnten Beschäftigung abzuliegen, ließen die Hände in den Schoß sinken.

Wozu schreiben, wenn niemand las?  Sie wussten, daß es zur Stunde kein Publikum für sie gab. Die Lyriker begriffen, daß ihre Stimme keine Aussicht hatte, die der Geschütze zu übertönen. Die Erzähler gestanden sich, daß keine Erfindung ihrer Einbildungskraft den Wettbewerb mit den Meldungen aus den Hauptquartieren aufnehmen konnte. Die Bühnenschriftsteller sahen bestürzt, daß die Schauspielhäuser geschlossen, die Truppen aufgelöst waren, das Theater einstweilen keinen Platz im Leben der Gesellschaft hatte. Auch die Pfleger ernster Richtungen, die nicht unterhalten, sondern belehren wollten, mussten notgedrungen feiern. Nicht einmal ihre Zeitgenossen würdevoll zu langweilen, stand ihnen frei. Ihre Verleger schüttelten betrübt den Kopf und rieten, alle Veröffentlichungen zu vertagen. „Es wäre schade um ihr Werk. Es würde jetzt unbeachtet bleiben. Es verliert nichts, wenn es wartet. Es ist ja nicht für den Tag, sondern für die späteren Zeiten geschrieben.“

In den Kriegführenden Ländern lag also die schöpferische Geistestätigkeit brach. Dem Lesebedürfnis der Millionen genügten reichlich die Zeitungen, die für nichts als den Krieg Platz hatten. Höhere Ansprüche befriedigten sich mit den amtlichen Veröffentlichungen der Regierungen in Umschlägen aller Farben, jene Rot-, Weiß-, Blau-, Grün-, Gelb- und Graubüchern, in denen der Prozeß um die Verantwortlichkeit für den Krieg instruiert wurde und jede der Parteien das Beweismaterial vorlegte, das sie rechtfertigen und den Gegner vernichten sollte. Um diese Geschichtsurkunden entstand zuerst eine rege literarische Geschäftigkeit. Die anschlägigsten unter den Schriftstellern, denen ihre erzwungene Muße unerträglich wurde, verließen ihr gewohntes Gebiet und wagten sich auf das der Kritik zeitgenössischer Geschichtsquellen, das ihnen bis dahin urfremd gewesen war.

Dutzendweise erschienen auf dem Markte Bücher, die den Anspruch erhoben, die Aussagen der verschiedenen auswärtigen Ämter zusammenzufassen, zu vergleichen, ihre Übereinstimmungen hervorzuheben, ihre Widersprüche aufzudecken, auf ihre absichtsvollen Lücken hinzuweisen, ihre Unwahrheiten zu entlarven und auf Grund dieser Abwägungen und Gegenüberstellungen über Schuld und Nichtschuld ein Urteil zu fällen, das den Anspruch erhob, der Wahrspruch der objektiven Gerechtigkeit und der Weltgeschichte zu sein. Manche von diesen Büchern erheben sich über die Gelegenheit und über die Tendenz und werden dauernden Wert haben, es sei denn, was indes wenig wahrscheinlich ist, das neue, heute noch verheimlichte Tatsachen ans Licht kommen, die die erste Untersuchung entwerten und zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nötigen.

Andere Schriftsteller vertauschten das geschriebene mit dem gesprochenen Wort, verbreiteten sich in Vorträgen, die alle wirklichen und manche eingebildeten Anblicke des Weltkrieges beleuchteten, und verfehlten in der Regel nicht, sie als Broschüre herauszugeben, um sie auch den Benachteiligten zugänglich zu machen, die nicht das Glück hatten sie aus ihrem Munde zu hören. Eine Flut derartiger Schriften überschwemmte den Erdteil. Ich bekenne mit nachtragendem Ärger und einem guten Teil Beschämung, dass ich in den ersten Kriegsmonaten über hundert von ihnen gelesen habe. Ich glaubte mich dazu verpflichtet. Es ist mit das schlimmste Ungemach, das der Krieg mir zugefügt hat. Mit verschwindenden Ausnahmen sind diese Broschüren von einer unheimlichen Gedankenöde. Der einzige Ehrgeiz ihrer Verfasser scheint ihre Überlegenheit über ihre Wettbewerber in wüstem schimpfen zu sein.

Diejenigen, die nur durch Pedanterie, Parteilichkeit, Unverständnis sündigen, oder leeres Stroh dreschen und auf Gemeinplätzen umherstiefeln, sind noch die erträglichsten. Doch neben diesen nichtssagenden Lückenbüßern wie diese, aus denen und delirierender Größenwahn entgegenstiert, in denen groteske Prahlerei zetert; und gestikuliert, die mit haarsträubenden Lügen und Verleumdungen den kannibalistischen Leidenschaften des Augenblicks schmeicheln! Den Blick den diese Kriegsbroschürenliteratur in Menschenseelen tun lässt, ist grauenhaft. Ich habe die Hoffnung, das es ihr nicht gelungen ist, viele Leser zu finden. Sie bildet einen Haufen Kehrichts, den ein Tag zusammenweht und der folgende wegfegt. Nur die großen Büchereien werden wohl eine abgelegene Ecke für sie finden müssen, wo sie unter einer dicken Staubschicht für immer begraben bleiben mag.

In den neutralen Länder wirkt der Krieg als ein Anreiz auf die Tätigkeit der Schriftsteller.  Die anschlägigen Köpfe unter ihnen, die auf Gelegenheiten lauern, rechneten sich das, ein Markt zu erobern sei, da ihn seine gewöhnlichen Besorger nicht beschickten, und sie schneiderten flink eine Unmenge Bücher für die Ausfuhr zusammen. So weit ich es übersehen kann, war die Spekulation schlecht. Die betriebsamen Verfasser spannen keine Seide. Ihre Landsleute ihr natürliches Publikum, verhielten sich ablehnen; wenn sie vom Kriege lesen wollten, wandten sie sich an die Kriegsführenden, die die nächsten dazu sind, und nicht an Außenstehende, die die Sache nichts angeht; die Völker aber, die in den Kriegswirbel hineingerissen sind, schenkten diesen Fremden keine Aufmerksamkeit, es sei denn, dass faustdicke Liebedienerei ihnen das  Almosen einer zerstreuten, flüchtigen Erkenntlichkeit abschmeichelte. Von all den Büchern der Neutralen über den Krieg – es sind ihrer gewiß weit über tausend – hat schwerlich ein Dutzend größere Verbreitung gefunden; ein oder zwei schwedische, ein oder zwei amerikanische, einige holländische und dänische zwei oder drei englische aus den Vereinigten Staaten in den Vierverbandsländern. Das andere wurde nicht beachtet, gelesen oder übersetzt und blieb den Verfassern und den Verlegern auf Rechnung.

In dem Maße, wie der Krieg sich verlängerte, wich die anfängliche Erstarrung vom Schrifttum aller Länder, und es begann sich überall kräftig zu regen, um allmählich zu seiner vollen Lebendigkeit wiederzuerwachen. Die Berufsschriftsteller, die verstummt waren, fanden ihre Stimme; die Verleger ihre Unternehmungslust wieder, und die Neuerscheinungen drängten sich gegenwärtig nicht weniger zahlreich, selbstsicher und anspruchsvoll als im tiefsten Frieden. Die Anregung und Ermutigung zu dieser Wiederaufnahme schöpferischer Tätigkeit ging von einer Seite aus, von der man es am wenigsten erwartet hätte: vom Heere.

Der moderne Krieg schuf früher unbekannte Bedingungen. Die Truppen wühlten sich in die Erde ein und blieben wochen-, monate- jetzt mancher arten bereits jahrelang an derselben Stelle oder nahe an sie. Das Kriegsabenteuer nahm, trotz seine Ausnahmenatur, trotz seiner Wildheit und Unerhörtheit merkwürdige Alltagsformen an. Es wurde eintönig, es erstarrte in einer Art Routine. Die Soldaten passten sich an die neuen Lebensbedingungen an; sie schufen sich Gewohnheiten, oder kehrten zu ihnen zurück; sie langweilten sich und verlangten die Abwechslung, die ihnen traut war.  In den Schützengräben entstand ein gebieterisches Bedürfnis des Lesens! In der Feuerlinie, in den Ruhelagern rückwärts, in den Militärspitälern erhob sich ein lauter Ruf nach Büchern! Diese eifrige Nachfrage war es in erster Reihe,  die den Anstoß zur energischen Wiederaufnahme des stockenden Literaturbetriebes gab.

Ich vermute, dass dies auch den verbündeten Reichen Mitteleuropas der Hergang gewesen sein wird. Doch weiß ich es nicht. Denn die Postverbindung zwischen ihnen und dem europäischen Westen war schon seit anderthalb Jahren sehr schwierig, und unregelmäßig, und ist nunmehr seit diesen Monaten, vollständig abgeschnitten. Die letzten deutschen Neuerscheinungen, die man in Madrid zusehen bekommen hat, datieren vom Dezember 1915, die letzten Tageblätter und Zeitschriften von Anfang Februar. Es ist also nicht möglich, dem geistigen Schaffen in Österreich-Ungarn und Deutschland von hier zu folgen. Von mir selbst sind seit dem Kriegsanbruch zwei neue Bücher erschienen. Ich weiß jedoch nichts von ihrem Schicksal. Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen, Ich ahne nicht, wie sie aussehen. Es geht mir mit ihnen wie den Soldaten im Felde, denen seit ihrer Mobilmachung Kinder geboren werden. Sie kennen sie nicht. Ein fremdes Gesichtchen wird bang verunsichert zu ihnen aufschauen, wenn sie nach dem Kriege heimkommen und in den Kreis der vermehrten Familie treten werden.

Ein Üeberblick über die vermehrten Literaturbewegung der führenden Kulturvölker ist zurzeit nicht möglich. Jedes Land ist umwallt und mit Schloß und Riegel versperrt. Ein Austausch der Gedanken findet nur zwischen Verbündeten, nicht zwischen den Feindeslagern statt. Nur ganz ausnahmsweise gelangt ein Buch auf Schmuggelpfaden über die Grenze, kaum jemals, seines Wertes willen , fast immer nur wegen seiner Tendenz, weil es Wasser auf die Mühle des Gegners ist, oder Öl ins Feuer seines Hasses gießt. Die einzigen deutschen Bücher, von denen seit dem Herbst durch Aufsätze in der französischen, englischen und italienischen Presse oder durch Übersetzungen die Kunde ins Ausland gedrungen ist, sind zwei in der Schweiz erschienene Broschüren „J’accuse“, ohne Verfassernamen, und „Gerade weil ich Deutscher bin“, von  H. Fernau, die beide die leitenden Staatsmänner Deutschlands für den Krieg verantwortlich machen, die neue Auflage der „Deutschen Politik“ des Fürsten Bernhard von Bülow, in der einer maßlosen Eroberungs- und Rüstungspolitik das Wort geredet wird, eine Hetzschrift von  H. St. Chamberlain , die man ins Englische übersetzt hat, um Englands Grimm gegen Deutschland aufzupeitschen, der das gar nicht nötig hatte, und ein, nach der Inhaltsangabe zu urteilen, wirklich nichtswürdiger Hintertreppenroman, eine namenlos dumme Räubergeschichte von einem französischen Militärarzt, der einen in seine Hände gefallenen verwundeten deutschen Offizier, seinen Nebenbuhler bei einem deutschen Mädchen, durch eine ebenso ruchlose wie fabelhafte chirurgische Operation am Gehirn blödsinnig macht, jedoch von dem deutschen Mädchen für diese Untat erbarmungslos bestraft wird, während die sieghafte deutsche Wissenschaft dem Blödsinnigen den Verstand wiedergibt. Dieser Schund vertritt für sich allein die ganze Anstrengung der deutschen Dichter und Erzähler im letzten Jahr, er und das Hatzlied von Lissauer, das, wie Neutrale versichern, in Deutschland selbst bereits ungefähr vergessen ist.

Das englische Schrifttum spiegelt getreu das englische Leben wider. Jenes und dieses sind nur zum Teil vom Krieg berührt. Wie die Wochenendausflüge, die Fußball- und Kricketwettkämpfe und Pferderennen ungestört weiter stattfinden und alle Theater, Musikhallen, Konzertsäle und Bilderausstellungen geöffnet bleiben, so schreiben die Erdzählerinnen mit ausgebreiteter Kundschaft ruhig ihren gewohnten Roman vom wunderlichen Land und dem verarmten Fräulein aus gutem Hause, von der genialen Künstlerin und dem amerikanischen Multimillionär weiter, und zugleich mit ihnen kündigen die Verleger endlose Listen von Werken über Reisen in Afrika, Jagdausflüge in Indien, Schlösser in den englischen Grafschaften, frühe Ausgaben Shakespeares, Lebensgeschichten, Briefwechsel und Tagebücher von Persönlichkeiten, die einst manchen Leuten bekannt gewesen sein mögen, und Handbücher über die Kunst  des Angelns und über die Reinzucht des Hunderassen an. Die Bücher über den Krieg,  erzählende, betrachtende, belehrende, stellen eine kleine Minderheit da.

Anders in Frankreich. Hier riecht die ganze Literatur nach Pulver und ist in die ferneblaue Uniform gekleidet. Wer einen Namen hat, oder sich auch nur einbildet, eine zu haben, hat sich bemüßigt  gesehen, das Wort zu ergreifen und sich zum Kriege zu äußern, meist in Zeitungsartikeln, die dann unabänderlich in einen  Band, oder in mehrere, gesammelt wurden. So hat sich das literarische Gepäck von  Anatole France und Pierre Loti, von Maurice Barrés und M. Maeterlinck, - von E. Verhaeren und F. Richepin, von. Lavedan und E. Prieur um zahlreiche Nummern verwehrt, die nicht den dauerhaftesten Teil ihres Werkes ausmachen werden. Romain Rolland war dabei, sich in der Schätzung des jungen Geschlechts bis zur Höhe von Anatole France emporzuarbeiten. Er hat sich herausgenommen, in einer Lage unparteiisch bleiben zu wollen, wo die öffentliche Meinung von jedermann bei Strafe der Aechtung Parteinahme fordert, und sein Sammelband „Über dem Handgemenge“ hat das Heer seiner Bewunderer, bis auf einige standhafte Nachzügler, in alle Winde zerstreut. Sie haben den großen Bann über ihn verhängt, und es ist fraglich, ob sie ihn nach der Rückkehr des Friedens wieder aufheben werden.

ie Erzähler, die gewohnt sind, mit der Regelmäßigkeit eines gut gehenden Uhrwerks, jährlich ihren Roman raus zu liefern und die unter erzwungenen Enthaltungen im ersten Kriegsjahr hart litten, nahmen im zweiten ihre automatische Produktion wieder auf. So brachten die Paul Bourget und Marcel Prévost, die Fr. de Rion, denen ich noch dreißig, vierzig andere Namen von minder hellem Klang anfügen könnte, ihre erwartete Geschichte heraus. Sie sind alle von einer niederschlagenden Mittelmäßigkeit. Die dichterische Kraft ist durch Gesinnung, das Talent durch vaterländische Emphase ersetzt. Alle haben einen Einschlag von Schilderungen des Krieges, den ihre Verfasser nicht gesehen, von dem sie sich an ihrem Schreibtisch nach Zeitungsberichten und den Augenblicksaufnahmen der Bilderjournale ein konventionelles Gemälde zurecht gemacht haben, das so unwirklich ist, dass diese Bücher den Millionen Soldaten im Felde auf die Nerven gehen und bei vielen von ihnen derbe Äußerungen von Ungeduld und Ärger hervorgerufen haben. Sie sind schon jetzt unerquicklich und werden sehr bald unleserlich sein.

Einen erstaunlichen Gegensatz zu diesen hinfälligen Zeiterzeugnissen von namhaften  Berufsschriftstellern bilden Bücher von Unbekannten, die sich sofort, oft triumphierend, durchgesetzt haben. Sie sind die eigentliche Kriegsliteratur und sie werden dauern. Es sind Aufzeichnungen von Liebhabern, die i den Mu0estunden der Schützengräben oder auf dem Hospitalbette erzählen, was sie erlebt haben. Hier gibt sich der Krieg, wie er wirklich ist, nicht wie sich ihn eine beruflich gedrillte, nach bestimmten Formeln arbeitende Erfindung ausheckt, die dazu veraltete, überlieferte  Elemente verwendet, welche längst unwahr geworden, vorausgesetzt, dass sie jemals Wahr gewesen sind.

Was diese ganze Literatur dieser ganzen Nichtliteraten entzückend kennzeichnet, das ist, das sie so völlig unliterarisch ist. Keine gequälte Schönrederei, kein anspruchsvoll gekünstelter Stil, Keine kniffliche Rhetorik. Keine Ästhetelei und kein Füllsel. Schlichte, knappe, direkte Wiedergabe erlebter Eindrücke. Hier spricht das Leben selbst zu uns, das Leben und der Tod. Es sind unschätzbare Zeugenaussagen, aus denen nicht nur die bezeugenden Tatsachen mit packender, unvergleichlicher Plastik hervortreten, sondern in denen sich auch die geistige und sittliche Persönlichkeit des Zeugen mit wunderbarer Aufrichtigkeit offenbart. Diese Soldaten die ein unwiderstehlicher Drang nötigte, sich der Fülle ihrer Geschichte ohnegleichen durch die hastige Stegreifniederschrift zu entledigen, sind häufig Naturen von hohem Adel, starke Herzen, die doch zartester Regungen fähig sind, bescheidene Helden die ohne Phrasen ihre Pflicht tun, junge Männer, die ihres Lebens froh sind  und dem Tode dennoch fest in die Augen sehen, Verehrer der Natur,  ihrer Schönheiten und alles dessen was kreucht und fleucht, die sich ohne Murren in die harte Notarbeit des Zerstörens schicken, helle Geister voll gesunden Menschenverstandes, stets breiten Humors und gutmütigen Spottes über andere und sich selbst, die gleichwohl fähig sind, die Grüße von Schicksalsmomenten voll zu erfassen und ihren ganzen Inhalt an Pathos auszuschöpfen.

Was ich da sage, paßt auf Hunderte von Büchern. Daß sie geschrieben werden konnten, von Unbekannten geschrieben werden konnten, die gestern unbeachtet in bescheidenen Berufen wirkten, zeigt die intellektuelle Höhe des Heeres, das der Krieg zu seiner grausamen Blutarbeit zwingt. In ihnen wird der Krieg für die späteren Geschlechter überleben, realistischer, unmittelbarer, echter, vollständiger als irgendeiner der Vergangenheit,  von denen uns Darstellungen der Mitwirkenden erhalten sind.