(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1918
Egon Erwin Kisch
Bilder aus dem Seearsenal
Unweit der Mole unseres Kriegshofes stehen zwei herrliche Tempel, die heidnisches Volk des Altertums dem Augustus und der Diana erbaut hat. Verschwenderische Arbeit an Fries mit zart geschnittenem Alanthuswerk, und reich gegliedertes Konsolengesims an Dielen und Mauerkrone erfreuen noch heute den Betrachter.
Nicht weit davon steht der Tempel, den ein Kulturvolk der Neuzeit errichten mußte, weil die Gier des Nachbarreiches den Ausbruch einen blutigen Streites und die Entscheidung durch den Kriegsgott erwarten ließ. So trägt auch der den Namen einen antiken Gottes, des Ares.
Aber kein Kunsthistoriker vermöge diese modernen Tempelanlagen, kein Archäologe ihre Gottesdienst zu beschreiben. Hier werden Opfer gebracht und Funktionen verrichtet wie sie kein Altertum kannte.
Schiffe werden gebaut. Und alles hergestellt, was ein Schiff braucht. Und was braucht ein Schiff nicht? Es muß Möbel haben und Nahrungsmittel, Maschinen und Masten, Schrauben und Segel, Taue und Ketten, Anker und Netze, Kessel und Kohle. Schaufeln und Hacken und wenn es ein Schlachtschiff ist, auch Geschütze, Panzer, Torpedos und Mitroilleusen.
Tagelang gehst du schon durch diese große Industriestadt, die den Kriegshafen von Poln in weitem Bogen umschließt und für die der ganze Hafen eigentlich nichts anderes ist als ein Vorgarten. Ein Tummelplatz ihrer Kinder. Ihrer Kinder, die später einmal, wenn sie geprüft und reif befunden sind und ihre Stunde gekommen ist, hinausdürfen aus der Gartenumzäunung, den Kampf ums Dasein zu bestehen.
Tagelang gehst du schon durch die Stadt, Fabriken zur Rechten, Fabriken zur Linken. Essen verbreiten unheimliche Glut, Schlote verwandeln den Horizont in eine geometrische Zeichnung und drängen dem Himmel Wolken auf. Waggongs fahren auf Schienen, Beamte verschwinden mit Akten in den Direktionskanzleien, Marineoffiziere geben Befehle, Ingenieure erklären Stadt und Zeichnungen den Werkführern etwas, Schiffe schwimmen auf dem Land und Lokomobilkrane fahren im Wasser: Dampfhämmer fallen nieder, daß du glaubst, mitzermalmt zu werden. Treibriemen drehen sich nach allen Richtungen, im nächsten Momente müssen sie sich unentwirrbar versetzen und dich in einer Schlinge am Halse zum Schwungrad emporziehen; Gebirge von Kohle steht schwarz am Rande es Geländes und droht dich zu verschütten, eine Batterie fährt auf und richtet ihre Mündungen gegen dich, Maschinen fauchen und zittern vor Wut, Preßluft wird aus einem Torpedo gelassen und sperrt dir, eine unsichtbare Schlange, höhnisch zischend den Weg; Eisenblech stöhnt unter Hämmerschlägen, Ketten rasseln, als wären sie lüstern, dich zu umschlingen, flüssiges Stahl wirft dir auf seinem Wege in die in die Kerkerzellen der Form giftgrüne Blicke zu, du gleitest aus auf dem für die Schlitten geseiften Boden der Werften, und taumelnd zerreißt du dir die Haut an dem Deck des havarierten Torpedobootes; Werkschüler, dem Tor des Schulgebäudes entspringend, rennen dich fast über den Haufen, über deinem Haupte baumelt ein Geschützrohr, und wenn auch ein Kranhaken haltbarer ist als ein Pferdehaar, so hat doch dafür das Schwert des Damokles sicherlich nicht 46.448 Kilo gewogen; das Surren des pneumatischen Bohrers erinnert dich an den Zahnarzt, und du beginnst alle kariösen Gegenden deines Gebisses schmerzlich zu spüren; du stolperst über die Luftleitungsröhren, giftige Lacke kriechen dir in die Lunge, und jeden Augenblick kommt ein Gendarm des Seearsenals mit aufgepflanztem Bajonett auf dich zu. Weil er dich für einen Spion hält; und überhaupt strenge deine Legitimation...
Ja, so Freundchen, du siehst höchst verdächtig aus, dieweil du ängstlich überall Gefahren und die Feindschaft des Objektes witterst, dieweil dein Blick allzu gierig die Genrebilder und Riesengemälde; die Seestücke und Interieurs einzufangen strebt. Nützt dir nichts, du wirst niemals eine Gesamtansicht dieser Szenerie zu zeichnen vermögen. Bestenfalls gelingt dir ein winziger Ausschnitt, Skizze einer Belanglosigkeit.
Artilleriebezirk, Elektroquartier, Tafel- und Torpedoboots-Stadtteil und – auf der lle de cité, - die Schiffsbaustadt, alle mit eigenen Bezirksberechtigungen, das heißt natürlich Direktionen, die dem gemeinsamen Bürgermeisteramte unterstehen, das den Titel „K u. k. Seearsenalskommando“ führt. Etwa sechstausend Bewohner, Werftarbeiter, Nieter, Verstemmer, Kalfaterer, Bohristen, Feinmechaniker, Handwerker, Schiffsleute, Elektriker, Metallbrecher, Maschinisten, Schmiede, Tischler, Stahlarbeiter, Offiziere, Ingenieure, Beamte, Bauzeichner, Bootsbauer, Installateure, Soldaten, Matrosen, Seiler, Kupierschmide, Eisengießer, Lackierer, Drechsler, Böttcher, - man könnte beiläufig fünfzig Berufe aufzählen.
Alles wird hier gemacht, Konstruktionen, Reparaturen, Ausrüstungen, Instandhaltungen, Ueberprüfungen für Dreadnoughts, Tauchboote, Torpedobootszerstörer, Minensucher, Tender, Barkassen und Plätten, die starken elektrischen Kraftmaschinen sind konstruktiv und werkstättenmäßig zu behandeln, die feinsten Apparate der heutigen Starkstromtechnik, Radioanlagen, Ferndrucker, die Telephonverbindungen. Es gibt kaum ein Gebiet der Technik und Materialkunde, das nicht im Rahmen des Seearsenals Verwendung fände, sogar die Textilindustrie, die Glasfabrikation und ähnliche Spezialgewerbe haben ihren Wirkungskreis und nicht zu knapp. Ein chemisches Laboratorium untersucht den hochwertigen Spezialstahl auf Herz und Nieren, Pulverproben, Rauchgas- und Sprengstoffexperiment werden gemacht. Kaloriengehalt von Brennmitteln wird festgestellt, die Wertigkeit von Oelen, Fetten und Seifen ermittelt und – Wanzenvertilgungsmitteln werden fabriziert.
Es würde zu weit führen. Nur Bilder, kleine Bilder – „Bilderchens, Gemäldelein“, würde Pallenberg sagen.
In irgendeiner der Hallen spielen erwachsene Männer im Sand, graben seltsame Ornamente aus und stampfen sie fest, wie Kinder am Strande von Grado. Aber ein tiefer Sinn liegt hier im kindlichen Spiel. Nach dem Miodell, das in der Modelltischlerei geschnitten worden ist, werden hier in dem Formkasten auf der Erde die Negative der kompliziertesten Maschinendetails und andere Gußteile aus Formsand modelliert. Anderswo mühen sich Arbeiter mit der Reparatur eines italienischen U-Bootes. Also wozu hat man es versenkt, wenn es dann doch mühselig wieder gehoben hat? Wozu hat man es zusammengeschossen, wenn man es jetzt so energisch repariert? Aber deine Frage ist nicht originell: schon mancher Spitalsarzt hat konstatiert, daß seine Arbeit wesentlich vermindert wäre, wenn man nicht schießen würde.
Die grüne Küche. Eine Landschaft wie aus der Grottenbahn im Wurstelprater. Grellgrün gefärbte Menschen mit vermummten Gesichtern kochen hier Grünspan in Kesseln und mischen ihn mit Kolophonium und Leim. Gesegnete Mahlzeit! Wer soll denn das fressen? Die Austern sollen das fressen und daran krepieren, die Algen und Muscheln und anderes Meeresgeziefer, das sich am lebenden Wek der Schiffe ansetzt und dessen Fahrtgeschwindigkeit vermindert. Aber sie fressen es, und es nützt nicht allzu viel, - es ist trotz allen Giften und Hexenkesseln und Giftmischern mit Gasmasken und grünen Dämpfen noch nicht gelungen, den Unterwasseranstrich zu mixen, der Kost, Meeresfauna und Meeresflora endgültig davon abhält, als blinde Passagiere der Dampfer auf dem Ozean spazieren zu fahren.
Auf der Erde liegen verrostete Ketten auf einem Haufen, jahrelang haben sie Meeresgrund mit Meeresoberfläche treu verbunden, Boje mit Anker. Jetzt liegen sie da, ein Häufchen Unglück, und harren des Urteilsspruches. Die alten, einarmigen Bojenanker sind über eine Mauer gelehnt. Man glaubt, da man sie gewahrt, in einen zoologischen Garten geraten zu sein, und eine lange Reihe von Giraffen streckt die Köpfe aus dem Käfig. Die Bojen sehen wie die Augen aus, der Ankerarm wie der Kopf, und der Schaft wie der Giraffenhals. Ein Marieningenieur kommt vorbei. Genosse aus gottseliger Studienzeit an der Technik. An die du mehr denn je gedacht hast: „Was guckst du das alte Eisen an?“ Du erklärst ihm deine Impression, und er lächelt: „Du warst immer ein Narr! Wie kann denn ein Bojenanker wie eine Giraffe aussehen? Er sieht doch wie ein Vogel Strauß aus!“ Dankbar nimmst du die fachmännige Aufklärung entgegen und setzet deine Schlenderung fort.
Der Mallboden ist von ehrfurchtgebietenden Ausmaßen: mehr als achtzig Meter lang und fünfzehn Meter breit. Der Fußboden dient als Zeichenblatt, nicht etwa als Reißbrett, auf das Papiere aufgespannt werden. Nein, direkt auf den Erdboden wird gezeichnet, neu zu erbauendes schiff mit allen kleinen Konstruktionsteilen in natürlicher Größe. Die Arbeiter sitzen oder liegen auf den Parkettboden, haben die von den Ingenieuren entworfenen Detailpläne des Maßstabes 1:50 oder 1:25 vor sich, den Zirkel in der Hand und vergrößern nun mit Kreide und Celfarben den Plan fünfzigfach, oder fünfundzwanzigfach, auf ein zehntel Millimeter genau. Als Lineal wird das „Stracks“ benützt, ein gerader, aber biegsamer Holzstreifen von mehreren Metern Länge, der auch als Kurvenlineal verwendet wird. Die Arbeiter, die da so präzise Riesenzeichnungen liefern, können auf ihre Arbeit stolz sein, und sie sind es auch: an den Wänden hängen Gemälde, die sie privat und aus Künstlerehrgeiz verfertigt haben. Die Zeichnungen auf der Erde sind aber besser...Nach den Konturen, auf dem Mallboden schnitzen die Tischler die Holzschablonen, und auf der Spantenbiegplattform formt man die Konstruktionen in Eisen oder Stahl.
In der großen Schiffschmiede sausen die Hämmer von sieben Tonnen Schwere auf glühendes Stahl, das sich dehnt und drückt als wäre es Sultansbrot. Der Abraum liegt hinter der Schmiede: solange hat man Asche, Schlacke, Abfälle und Unrat ins Meer geschüttet, bis es zum Festland wurde und ein neuer Bauplan gewonnen war.
Zur Revanche hat man wieder anderswo dem Meere zwei stattliche Absteigequartiere in den Felsenboden gesprengt, die Trockendocks. Dem Fremden, der tags zuvor die Altertümer Polas in Augenschein genommen und darum heute schon den Eisenhammer in der alten Schmiede mit seinen Pfeilen und Querträgern für eine absichtliche Nachahmung der Porta aurea gehalten hat, wirbelt es vor den Augen: ist er nicht schon wieder in ein Amphitheater des Augustus geraten? Auch hier die Ellipsenform, auch hier die Riesenmaße (125 Meter Länge, 31 Meter Breite und 15 Meter Tiefe hat das Dock), auch hier die Verkleidung mit Quaderblöken und Ränge für das Publikum. Nein, du irrst dich. Hier werden keine Märtyrer wilden Tieren vorgeworfen, keine Quadrigen rasen durch die Arena. Der scharfsichtige Leser hat gewiß schon erraten, daß diese Docks einem ganz anderem Zwecke dienen. Ganz richtig! Hier werden Schiffe geheilt.
Das Docktor, ein Schiff, beinahe von der Form einer abgeplatteten Kugel, trennt dieses unterirdische Amphitheater vom Meer. Hier herein schwimmt das erkrankte oder verwundete oder bloß zur Konstatierung seines Gesundheitszustandes bestimmte Schiff, wird auf Kielaufklotzungen, zwischen Kimmböcken und Seitenfüßen gebettet , Tor geschlossen, Wasser ausgepumpt, Behandlung beginnt. Bis dann der Befund auf „geheilt entlassen“ lautet, wird durch Rohre wieder Wasser in das Dock gelassen, das Schiff steigt in die Höhe, das kugelrunde Tor fährt (am Gängelbande eines Tenders) von dannen, und das entlassene Schiff gesellt sich zu seinen alten Kollegen aufs Meer.
Neben den steinernen Trockendocks gibt es auch hölzerne und schon draußen im Meere haben die Schwimmdocks ihren Platz, die eigentlich selbst riesenhafte Schiffe sind; in ihrem Innern finden Dreadnoughts mit einem Deplacement bis zu 22.500 Tonnen Unterkunft und gute Behandlung. Jedes Dock ist sozusagen ein Krankenbett oder ein Operationstisch, und die Gesamtheit der Dockanlagen nichts anderes als ein Sanatorium.
Aber wir haben auch eine Gebäranstalt hier: den Komplex der Stapeln. Hier kommen die Schiffe zur Welt. Der Boden, die Helling ist schräg gegen das Meer geneigt und reicht unter dessen Oberfläche, das Werftdach aber, aus Eisen und Glas konstruiert, wölbt sich in einer Höhe von dreißig Metern, und knapp darunter verläuft die Galerie, auf der die Lokomobilen der Laufkrane über deinem Haupte kreuz und quer fahren. Unten stellt man nach den Entwürfen des Marinetechnischen Komitees und der Marineingenieure die eisernen Skelette der Schiffe zusammen, faßt die Extremitäten an, fügt das herz und die übrigen Eingeweide ein und umgibt das Geschöpf mit Haut und Kleidung und Rüstung; dann rutscht es auf geseiften Schlitten ins Meer hinab, - es läuft vom Stapel.
Hole einmal deinen Reise-Homer aus dem Necessaire, angesichts der Docks und Werften, den Montagehallen und Maschinensälen nachzusehen, wie es denn der moderne Odysseus zustande gebracht hat, sich einst sein Schiff zu zimmern. Oh, sehr einfach: Bohlen sodann zum Bord, an häufigen Rippen befestigt, Stelle er umher und schloß das Verdeckes weitreichende Bretter. Drinnen erhob er den Mast, mit der kreuzenden Rahe gefüget, Auch ein Steuer daran beweist er wohl zu lenken. Nun Ja, es war ja auch kein Dreadnought, den er zu bauen hatte!
Hoch über alle Dächer des Konstruktionsarsenals und über alle Masten reckt sich der Hellingskran empor. Seiner schlanken Geliebten auf der anderen Seite der Bucht , der Kranschere, streckt er sehnsüchtig den Arm entgegen. Sein vertikales Eisengestänge erinnert dich an den Eiffelturm. Paris taucht vor dir auf, du verlierst dich in deinen Gedanken an schöne Reisen, die einmal waren, an Aegypten, an Griechenland, an die Jungfernfahrt des friedlichen Luxusdampfers „Vaterland“ und an deine Heimkehr an Bord des „Imperator“, acht Tage vor Ausbruch des Krieges. Werden wir halb wieder so friedlich reisen können? Tausend Hämmer des Arsenals hörst du ans Eisen schlagen.
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