(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1918
Ernst Szép
Der Husar soll einen Schnurrbart haben
Ein niedliches Thema geht mir im Kopf herum. Es macht mir eine närrische Freude. – Mit diesen Worten bot der Mann sich an, dessen tägliches Brot es ist, zum Gebrauch der Zeitungen allerlei unnützes Zeug zu schreiben. – Ein außerordentlich sympathisches Thema. Der arme ungarische Husar kriegt seinen Schnurrbart wieder. Ausreichend für ein ausgewachsenes Feuilleton. Nun schreib ich es nieder.
Hurtig schmeichelte sich die Zigeunerphantasie an ihn heran und machte ihm den Kopf warm; er aber lauschte und ließ sich unterhalten und stören und ermüden. Der Husar macht sich auf die Beine, gelangt vor das Antlitz des Herrgotts der Magyaren: Melde gehorsamst, unten auf Erden hat man mir den halben Schnurrbart genommen, gibt mir, allmächtiger Herrgott, meinen halben Schnurrbart wieder. Der Herrgott der Magyaren kraut sich den Kopf, die Engel scharen sich zusammen, armer, kleiner, ungarischer Husar, armer, häßlicher, kleiner, ungarischer Husar. Gibt es da irgendwo im Himmelreich einen herrenlosen halben Schnurrbart? Die Engelein spinnen dem ungarischen Husaren einen halben Schnurrbart aus der Wolle eines Himmelskammes, nein, aus Dämmerwolken, nein, nein, aus dichten Säufzern... Oder etwas so: Der Husar eilt nach Rußland zurück. Ich such den gottverdammten Russen auf, der mich derart verschandelt hat, – und er sucht ihn, bis er ihn richtig findet, dann haut er ihn mit seinem Säbel nieder, oder er brennt auch ihm mit einem Streichholz oder mit glimmender Glut den halben Schnurrbart weg, und jetzt werden sie wenigstens beide in gleichem Maße verunstaltet sein. – Nee, auch so nicht. Aber vielleicht wie folgt: Kommt da eine gütige Fee und tritt vor den Husaren hin. Drei Wünsche will ich Dir erfüllen, Du ungarischer Husar. Einen einzigen Wunsch habe ich bloß, Du gütige Fee, gib mir meinen halben Schnurrbart wieder, das ist mein einziger Wunsch auf Erden. Wieder wird nichts daraus, und der Husar geht unter die Mädchen: Habt mich lieb, Ihr Jungfrauen, seid mir gut...Magst ein tapferer Held sein. Deine Sporen mögen klirren. Dein Säbel mag blinken, hast einen halben Schnurrbart, kannst Deiner Wege gehen...Von Dorf zu Dorf, von Flut zu Flut entfliehen ihm Mägde und Frauen. Dem Vaterland habe ich meinen halben Schnurrbart geopfert, dem schönen ungarischen Vaterland! Sie lachen ihm ins Gesicht. Bist garstig, bist garstig! ...
Mir flammt die heißeste Liebe im Herzen, mir sprießt die innigste Neigung in der Seele, niemand kann so arbeiten wie meine beiden starken Hände, der Herrgott wird das Weib segnen, das mir gut sein will...Da trifft er auf seinen Wegen ein schönes, sanftes Waisenmädchen. Ueber Nacht wächst dem Husaren der halbe Schnurrbart wieder, und nun gehen sie beide nach der Apotheke, um wohlriechende Bartwichse zu kaufen...Ach nein, nein, alles wird wieder eingerenkt sein in dieser Welt, die Gefallenen erwachen wieder zum Leben, alle Witwenschaft und Waisenschaft vergißt sich wie ein Traum, die Gequälten erinnern sich an nichts mehr. Die Menschenwelt frischt sich auf wie der Garten im Mai, nichts ist wahr, die Jahre eilen zurück, niemand hat irgend etwas verloren, niemand, bloß dieser eine Husar hat den halben Schnurrbart verloren, und er wächst ihm nicht wieder, und er allein weiß, was in dieser Welt geschehen ist, und er weint und grämt sich ab und niemand glaubt ihm, was er erzählen möchte...Recht schön, aber das wären alles Märchen und ich bleibe Euch just das schuldig, was ich Euch gar so gern erzählen möchte.
Entsetzlich, entsetzlich, unmöglich’ – das Herz warf sich dazwischen. Schwer ist das Herz wie ein Sandsack. Groß ist das Herz wie eine große Pforte. Mächtig und schmerzhaft ist das Herz wie ein Kessel voll glühender Kohle. – Darf das sein? Gerechter Gott, darf das sein? Schreiben, reden, ordentlich sein, liebtun, dienen, Acht geben, Kameradschaft treiben, gaffen, spielen, betrügen, – darf das sein? Was denkst du, was bist du denn eigentlich hier? Ein Treuloser bist du und ein Betrüger. Ein Verräter bist du. Schon der Schatten des Kummers tut dir weh, und in diesem Dickicht unsäglicher Greuel kannst du dich bewegen? Magst du schlendern? Zu leben? Zu schweigen? Zu reden? Was antwortest du dem blutenden Fleische des zerschossenen Schenkels? Was antwortest du der abfaulenden Hand? Was antwortest du der dunklen Höhle der amputierten Nase? Was antwortest du dem Geruche verwesender Jünglingsleichen? Wem gibst du Gehör? Dein wirklicher Herr bin ich, der Welt verweigere den Gehorsam! Sei stumm, irre umher, werde toll! Heule, und wasche dir das Antlitz in den eigenen Tränen. Tritt die lebendige Erde mit deinen Absätzen und zertrümmere mit deinen beiden Fäusten den Glashimmel! Wer klagt, wer sühnt, wer fordert Rechenschaft für diese Welt? Entfliehen willst du mir? Falle hin auf der Straße, o weh, und verweile dort wie eine gefallene Raupe.
Dem Manne ward der Zigarettenrauch bitter in der Kehle, obgleich der Mann sich irgendwo guten süßen Albanertabak aufgetrieben hatte. Er erschrak wie einer, der vor dem eigenen Schatten erschrickt, und etwas flüsterte ihm im Kopfe: Du wirst es nicht schreiben können.
*
Ich bitte, Herr Redakteur, das Thema will ich Ihnen sagen. Ich denke, es wird ein sympathisches kleines Thema sein. Im Frühjahr ging ich einmal hinaus auf die Budafoker Straße, in das Kriegsspital der Geldinstitute. Ich wollte Herrn Professor Stabsarzt Manninger, den Kommandanten des Spitals, in einer Sache sprechen. Herr Professor Manninger war eben mit Operationen beschäftigt. Da wartete ich auf dem Korridor. Auf die Stirn des Kriegsspitals ist in großen, eisernen Lettern ein Name geschrieben: Ericsson. Im Frühjahr 1914 wurde dieser Bau errichtet, eine Instrumentenfabrik sollte es werden. Als es unter Dach gebracht war, kam aber die Weltgeschichte, sperrte den Rachen auf und verschlang die schöne, reine Fabrik zu einem Kriegsspital. Die Wolken glauben vielleicht, das sei die berühmte Budafoker Instrumentenfabrik, denn sie sehen den Namen des Fabrikanten auf dem großmächtigen Gebäude prangen. Aber seit vier Jahren operiert da der blauäugige Professor Manninger Schädel, Arme, Nasen, Rippen, alles mit wundersamer Geduld, wie der Inhaber einer Puppenklinik, der Puppen heilt, die böse Ranzen beschädigt haben. Da stellte sich auf dem Korridor ein stämmiger Junge im ungarischen Husarenkleide an meine Seite. Erschreckt zog ich den Kopf zurück, als ich das Gesicht des Husaren erblickt. Oberhalb des Mundes, rechts, fehlte ein gut Stück von seinem Gesicht, es fehlte Haut, Fleisch, Behaarung, alles fehlte. Als ob irgendein wildes Tier ihm das Stück Gesicht weggebissen hätte. Das Fleisch rings um das fehlende Stück war zusammengezogen, getrocknet, und Stiche, Nähte, Falten zeigten sich auf dem Antlitz. Schauerlich! Auf der linken Hälfte hat er einen ordentlichen kleinen braunen Schnurrbart. Und unter der roten Mütze guckt er zum Korridorfenster hinaus, wie man in die laublose, naßkalte Herbstgemarkung hinausstarrt. Die Stiefel sind ihm blank gewichst, und die beiden Beine sind getreulich nach außen gekrümmt, bloß der Rohrstock fehlt noch im linken Stiefelschaft.
Na, und dann erzählt er, wie er am 30. August 1916 an der russischen Front verwundet worden. Gar viel Schmerzen hat er ausstehen müssen. Man schaffte ihn in ein Spital nach Strij, von da in ein Spital nach Halicz, von da in ein Spital nach Ungvár, von da in ein Spital nach Sáturaljaujhely, von da in ein Spital nach Ligetfalva, von da in ein Spital nach Kößeg, von da in ein Spital nach Gyöngyös, von da in ein Spital nach Kaffa; von Kaffa kam er dann weiter in kein Spital mehr, sondern er wurde als Invalide irgendwo zur Arbeit eingeteilt. Siebenmal ist er operiert worden. Da gab ihm ein gutherziger Herr ein Empfehlungsschreiben an Herrn Professor Manninger. Jetzt wird ihn der Herr Professor Manninger visitieren. Wie er hieße? Béla wäre sein Name. Er nannte mir auch seinen Zunamen, den darf ich aber nicht niederschreiben, denn zu Hause in seinem Heimatsort könnte es ein Bekannter von ihm in der Zeitung lesen. Und niemand soll es je erfahren, wie garstig dieser Béla einmal ausgesehen hat. Daheim hat er einen kleinen Grundbesitz, Ackerbauer war er gewesen, bis er ins Feld ziehen mußte. Wie alt? Bald vierundzwanzig. Und wie seine Stimme aus diesem schief gewordenen Mund heraushallt, wie falsch und schräg sie klingt, ich kann es gar nicht sagen. Wie wenn er im Finstern einen Kumpan erschrecken wollte.
Ein großer Zauberer ist der Krieg, denn Béla hat er eine andere Stimme an Stelle der gottgegebenen verschafft. Und, Béla, wie ist es denn eigentlich mit der Liebe? Mit dieser Frage soll sich niemand an ihn wenden. Wie könnte er mit diesem Gesicht vor ein liebliches Mädchen treten? Wie viel Schande und Kummer muß die Oedigkeiten seiner Abende und Nächte bevölkern. Armer Béla, nicht einmal seufzen kann er mit diesem Munde. Welche endlose Zahl von Küssen muß in den Lippen eines solchen Béla stecken, der jetzt vierundzwanzig Jahre alt geworden ist. Rote Klatschrosen auf einem großen Feld können nicht so zahlreich sein, wie diese Küsse. Wie viel Umarmungen stecken in seinem rechten Arm. Wenn diese vielen, vielen Umarmungen alle ineinandergekettet würden, das gäbe einen Regenbogen, der den Himmel von einem Ende bis zum andern überwölbt. Wie viel schelmische Blicke schlummern in den Wimpern und den Augäpfeln eines solchen Burschen. Sterne für eine ganze Nacht könnte daraus der finstere Himmel sich holen.
Da kam der Herr Professor Manninger aus dem Operationssaale auf den Flur heraus, und da er just draußen war, beguckte er sich gleich de Husaren. Nach der Besichtigung meinte der Herr Professor:
Sei ruhig, Junge, wir werden’s schon schaffen. Und bekomme ich auch meinen Schnurrbart wieder, hochwohlgeborener Herr Oberprofessor? Natürlich wirst Du ihn haben. Bist ja ein Husar. Einem Husaren gebohrt der Schnurrbart. – Und er gab dem Béla einen Stoß in die Rippen, aber einen Stoß, der gar nicht schmerzt, eher noch sehr wohltut.
Nach etwas zwei Wochen schlenderte ich hinaus auf die Budafoker Straße, nachzuschauen, wie der Husar nach der Operation wohl aussehen mag. Vor drei Tagen hatte Béla die Operation überstanden. Da saß er nun oben auf dem Dache, wo die Rekonvaleszenten sich sonnen. Da oben stehen sie am Geländer und blicken in ihren zerschlissenen, blaugestreiften Krankenpyjamas, bequem und zerstreut, etwa so wie die musizierenden Zigeuner an Sommernachmittagen zu Hause am Saume der Kleinstadt im Zigeunerviertel sich gütlich zu tun pflegen.
Und da steht auch mein Béla mit seinem von brauner Tinktur überzogenen Gesicht im gleißenden Sonnenschein. Als ob ein schlimmer Range von oben ihm mit einem quälenden Spiegel das Gesicht blendete, so lächelt er und zieht schmerzhaft die Augen zusammen. Wie braun und wie rot und wie glänzend die Jodtinktur ist, womit man ihm den operierten Backenteil überzogen hat. Ich habe mir erzählen lassen, wie diese Art von Operationen gemacht wird. Also: man schnitt einen Lappen von der Schläfe, und zwar von der Gegend, wo der Haarwuchs beginnt, dann entfernte man vom beschädigten Munde die Wundkruste, dann nähte man nach entsprechendem Zuschnitt den Lappen an den Mund und paßte ihn mittels der Naht an Nase, Backe und an die linke Oberlippe. Mit der glänzenden Jodtinktur ist jetzt das Ganze verdeckt. Bloß die Mundlinie läßt sich deutlich erkennen. Auch zieht dem Béla die Nase nach recht, von wegen der Naht, das wird sich aber später geben. Bis die ganze Operation vorüber ist, wird Béla auch Lippenrot bekommen. Das heißt, man macht ihm auch eine roten Lippenrand, und auch die Stelle des Lappens an der Schläfe wird zuletzt zuheilen. Jetzt freilich ist das alles noch gräßlich anzuschauen. Aber man muß eben hinschauen, die Wunde, die Klage, der Schmerz ist da. Ich will ausdrücken, daß sie existieren. Sie s i n d. Auch das Wort „Lappen“ ist. Und auch der Geruch der Jodtinktur ist. Und, gütiger Gott, was alles ist außerdem noch da. Die Lanzette, womit der Herr Professor Manninger im Gesicht seines Patienten zeichnet und schneidet, un die Pinzette, die naht, die Wundlinie, die Narbe, das alles ist. Für die Lanzette, den Lappen und den Geruch der Jodtinktur habe ich das meiste übrig. Die haben es unternommen, dem Béla die Lippe wiederzugeben, und auf die Lippe den Schnurrbart. Denn Professor Manninger hat erklärt, daß selbstverständlich auch ein Schnurrbart auf dem Lappen wachsen wird und daß nach einiger Zeit kein Mensch den Unterschied zwischen den beiden Schnurrbartflügeln wird erkennen können. Der Herr Professor Manninger hat blaue Augen, wie blau sie sind, das kann ich gar nicht genau sagen, aber sie sind von einem energischen und reinen Blau, daß es bei hellem Tage lichter wird, wenn man dem Herrn Professor Manninger in die Augen schaut. Und der Herr Professor Manninger ist so frisch, so muskulös und so heiter gelaunt wie ein großer Student im Turnerhemd auf der Olympiade. Das ist doch sehr interessant, daß ein Mann, der seit zwanzig Jahren jeden Tag operiert, davon so frisch wird und so frühlingsmäßig blaue Augen bekommt. Ich denke, auch griesgrämige Philosophen würden frohgemut werden, wenn sie beispielsweise eine zerrissene Lippen heilten, wie der Herr Professor Manninger diesem Husaren die rechte Oberlippe repariert hat. Das ist doch ein gottähnlicher Beruf, das ist echte Lebenspoesie. Wie und woraus kann ich dem Béla eine Lippe machen? Und einen Schnurrbart? Und aus Beinen, Brustkasten, Becken Infanteriegeschosse herausnehmen und Granatsplitter entfernen. Und Handprothesen konstruieren, deren Finger bewegbar sind. Und Nerven zusammennähen in zerschossenen Gliedern. Der Herr Professor Manninger experimentiert, schreibt Bücher, verfaßt ein ärztliches Lexikon, komponiert Heilmittel und chirurgische Reformen. Das ist sein Geschäft am Abend und in der Nacht. Tagsüber repariert er verstümmelte Menschen in religiöser Stille, in einem Glassaale, worin Gottes klare Luft leuchtet, unter weißen Frauen, die stumm mit leisen Schritten einhergehen und auf deren Stirn eine Art befangener Zerstreutheit webt, als hielten diese Frauen, in sich gekehrt und schweigend, Verwandtschaft mit den Engeln.
*
Nun sehe ich aber schon, daß sich aus Bélas Schnurrbart nichts Rechtes zu machen weiß. Das tut mir aber sehr leid. Offenbar kommt das von der Kriegspsychose her. Und mein Husar saß doch mit so ergreifend schöner Geduld oben auf dem Dache, seinem verschmierten und geschwollenen Antlitz entströmte der Geruch der Jodtinktur, und in seiner Seele lebte wahrscheinlich irgendeine Vorstellung von seinem Schnurrbart und dem schönen jungen Leben, und von Mädchen in roten Strümpfen unter weißem Zelte auf grüner Flur, und auch andere Farben schimmerten da, gelbe und hellrote und himmelblaue Bänder in geflochtenen Zöpfen und Pfingstrosen in den Händen der Mädchen und viele, viele orangen- und lilafarbige Papierketten an der Zeltwand, und se selbst, der Husar Béla, hebt in flottem Rhythmus die Füße im Tanz und im Reigen des Csárdás, im Jauchzen der Musik preßt er mit einer Hand die mit ihm wirbelnde Tänzerin an sich, und mit der anderen zwirbelt er keck eins an dem Schnurrbart, der ihm wieder gewachsen ist.
|
|