(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1919
Leitartikel, Autor unbekannt
Die Maifeier der Revolution
Dieser Text, der als Eigenbericht der Zeitung über die Maifeierlichkeiten in Budapest und der Provinz drei volle Seiten einnahm, ist ein sprachliches Zeugnis aus der Zeit der Räterepublik, die im März 1919 auch in Ungarn proklamiert wurde, aber nur bis August 1919 Bestand hatte. Die angestammte Redaktion des Pester Lloyd war in dieser Zeit im Exil in Wien, die Zeitung in Budapest wurde durch Anhänger der Räterepublik weitergeführt.
Es war eine einzige Kundgebung, wie sie diese Stadt noch nie gesehen, obwohl ihre Geschichte reich genug ist an Bewegungen, politischen Demonstrationen, Aufzügen jeder Art. Herrlich war die Maifeier in der herb-süßen Atmosphäre des zagenden Frühlings, der sein grünes Reißig als herzerfrischende, stilvolle Dekoration vorausgesandt, um mit dem herrschenden Farbenton der Stadt, mit dem revolutionären Rot köstlich zu harmonieren.
Aber auch die Seele von Budapest war revolutionär an diesem heutigen Festtage. In endlosen Reihen zogen Hunderttausende nach den verschiedenen Schauplätzen der Festlichkeiten. Den ganzen Vormittag währte dieser Aufzug, feierlich und ernst, der Bedeutung des Tages angemessen, doch zugleich fröhlich und frei, wie es eben die Menschen tun, die von einem Alpdruck befreit sind.
Der große Gedanke der Proletarierfreiheit, der proletarischen Solidarität strahlte von den Gesichtern der in der Arbeit gestählten, harten, kernigen Männer, der Frauen und Mädchen, die ihre volle politische und menschliche Erlösung zum ersten Mal feiern durften. Das ungarische Proletariat hat an diesem 1. Mai schlagend bewiesen, dass es die einzige Macht ist, fähig, eine geschlossene, unerschütterliche, dauernde Einheit der Gefühle, der Gesittungen, der Weltansichten aufzubauen. Und das gab dem Tag das eigentliche Gepräge, die großartige, eindringliche, allen fühlbare Harmonie, die die bunte Musik des Tages beherrschte.
Die Feier verlief in vollster Ordnung und Ruhe. Die proletarische Disziplin hat sich auch hier diesmal wieder bewährt, wie sie sich immer bewähren wird, wenn sie frei, von fremden Elementen ungestört, zur Geltung gelangen kann. Feiglinge und Mucker, bewusste und unbewusste Diener der Gegenrevolution, mögen davon gefaselt haben, dass der 1. Mai auch vom Blut gerötet werde, so wie vor neunundzwanzig Jahren während der Vorbereitung zur ersten Maifeier ähnliches geflüstert oder auch geschrieben wurde: das disziplinierte Heer der Proletarier schritt auch gestern, seiner eigenen Würde eingedenk, seiner Kraft bewusst, doch friedlich und gelassen einher. Auch in den Festreden wurde vorwiegend der Ton der Zuversicht angeschlagen, die Aufforderung zur werktätigen Arbeit an die Proletarier gerichtet, die Bedeutung des positiven, schaffenden Baufleißes scharf hervorgehoben.
Die schönste Weihe ward dem Fest gegeben, als es zum Fest der Liebe, nicht des Hasses, zum Fest des Bauens, nicht der Zerstörung erhoben wurde. Die Proletarier, die diesen bedeutungsvollen Tag von der frühen Ansammlung an bis spätabends in vollen Zügen genießen durften, werden ein unvergessliches Andenken an die Maifeier 1919 im Herzen bewahren. Und die Hunderttausende, die das Fest vereinigte, werden den Millionen künftiger Generationen davon erzählen, wie das Proletariat von Budapest die dreißigste Maifeier, die erste seiner vollen Befreiung, begangen hat.
(Auszug)
|