Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1921

Friedrich Karinthy

Von der Liebe zum einen Weibe

I.

Um in dieser Sache mitsprechen zu können, mein Freund, müsstest Du entweder alle Frauen kennen, oder keine, außer einer einzigen. Wer viele Frauen liebte, kennt die Liebe nicht; er liebte und suchte nur sich selbst: nicht ihm gelten meine Worte, er versteht meine Rede nicht und zuckt die Achseln darüber. Andere wieder, die denken an schöne Schultern und Hüften; auch die haben nichts mit der Liebe zu schaffen. Und denke Dir, mein Freund, sei aber nicht entsetzt: ganz im geheimen – es hört’s doch keiner? – will ich Dir anvertrauen, es ist meine Ueberzeugung (furchtbar, nicht wahr?), dass auch die Griechen nichts von ihr wussten – und auch Qskar Wilde nicht, Dein Lieblingsdichter, und weder Heine noch Petöfi, und überhaupt keiner jener Dichter, die je von Blut und Frauenbrüsten sangen.

Denn Liebe, mein Freund, heißt eine einzige Frau, und nicht Die Frau, und schriebst Du, ein Freund der Symbole, das „d“ mit dem allergrößten Zeichen.

Wart’ mal, ich will es sogleich erklären. In einer englischen Zeitschrift sah ich einmal ein interessantes phototechnisches Experiment. Die Bildnisse zehn oder zwölf berühmter Bühnenkünstlerinnen waren auf eine gemeinsame Platte photographiert; auf der Platte erschien ein verschwommener Kopf, der alles, was in den zwölf Gesicherten typisch und bezeichnend war, in sich vereinigte, alles übrige verschwamm zu einem undeutlichen Flecke. Diese Platte gab das Bild der Psyche „Der“ dramatischen Künstlerin, - ein abstraktes Gesicht, und wenn die Brauen darauf stark hervortraten, was bedeutete dies anderes, als dass das absolute Ideal dieses Frauentyps nur mit dichten Augenbrauen denkbar ist?

In Deiner Seele, lieber Freund, der Du viele Frauen liebtest, erscheint, wenn Du das Wort „Frau“ oder „Liebe“ aussprichst, das Bild von dreißig oder vierzig nackten Frauengestalten in eines verschmolzen. All das, worin sich die Frauen ungefähr gleichen – Hüften, Brüste, Schultern, Schenkel -, zeichnet sich scharf und klar vor Dir ab. Was aber unfassbar und unverschmelzbar ist, das Gesicht, zerfällt in einen nebeligen Fleck und verschwindet: es erscheint Dir eine kopflose Frauengestalt – gestehe es nur ein, Du brauchst Dich nicht zu schämen -, weil Dir doch die Frau vom Halse abwärts genügte; und Dein Ideal ist die Frau ohne Kopf, Deines wie auch das aller Hedonisten. Wer aber eine einzige Frau liebte, der wahre Liebende, projiziert, wenn er von Liebe spricht, dreißig- und vierzigmal das nämliche Bild auf seine Leinwand und sieht auf diesem Bilde klar und leuchtend e i n Gesicht, e i n Frauenantlitz, das Antlitz der Liebe; - und sieht auf diesem Antlitz den tiefen Brunnen der Augen, und wer in diesen hinabsteigt, erkennt das Geheimnis. Dieses Gesicht kannte Goethe und auch Lenau, von den Alten Dante, Milton, Shakespeare, Molière und einige unbekannte nordische Epen, von den neueren vielleicht Macterlinck, Jacobsen, Rainer Maria Rilke, Dostojewsky. D’Annunzio, Oskar Wilde, Anatole France erblickten nie dieses Gesicht, und nicht sie darfst Du um das Wesen der Liebe befragen.

II.

Lösen wir aus dem Knäuel verwirrter Begriffe eine strenge Abstraktion und einigen wir uns darin: was man Liebe nenne, ist keine Wollust und kein Verlangen, es hat nichts mit Erotik und Sinnen zu tun. Was es vom Körper für sich in Anspruch nimmt, ist nur die Schönheit, doch nicht die erregende Schönheit des Körpers, sondern ein Unbekanntes und Unfassbares: der Ausdruck und dessen einziges Gebiet und Möglichkeit, das menschliche Gesicht. Stellen wir fest: nur in das Gesicht kann man sich verlieben. Beine, Arme und Brüste, - wer mischte in die scharfumgrenzte Sensation der Liebe solch ferne Elemente, deren Genuß sich zur Liebe verhält wie ein gutgeratenes Kalbsfilet zu einem schönen und klugen Gedanken, der nur entstehen konnte, weil ich zu Mittag das Filet aß, das dann, als Blut in meinem Hirn zirkulierend, den Gedankengang herbeiführte.

III.

Die anderer Meinung sind, deren Liebe von Armen und Beinen bestimmt wird, berufen sich auf anscheinend unwiderlegbare Argumente. Doch sind diese nur oberflächlich und nicht zu Ende gedacht. Sie führen das Wesen der Liebe auf die tierische, natürliche Beschaffenheit unseres Wesens zurück und behaupten, der vollkommene Körper sei es, der zur Liebe reizt, die reinen, gutentwickelten Organe und die in jeder Beziehung gleichmäßig ausgebildete menschliche Figur. Schön und zur Liebe geschaffen nennen sie das Gesicht, dessen ganze Fläche sich ähnlich rundet, wie die Körper und Beine der aufgeblähten Jahrmarktsschweinchen aus Schweinsblase, wenn man gehörig in sie pustet. So füllt auch das gesunde Blut die tierische Form des menschlichen Gesichtes. Was nicht gesund ist, kann nach dieser Auffassung auch nicht schön sein. Schön ist, was tierisch, was gesund, was entwickelt ist; schön ist, was eine gesunde Nachkommenschaft verbürgt und uns darüber beruhigt, dass unsere Art unter allen Arten leben wird und sich vermehren durch alle Zeiten hindurch. Das ist die Auffassung Schopenhauers von der Liebe und mit geringen Abweichungen auch die Stendhals. Schön und liebenswert ist also alles, was an Gesundheit und Artbeständigkeit erinnert.

Schauen wir uns nun auf Grund dieser Theorie im Leben um, und im Laboratorium des Lebens, in der Kunst. Wäre die Liebe wirklich bloß ein nach Art und Gattung schnupperndes Heimweh?

Als ich das erste Mal zu lieben glaubte, sagte ich mir: Ja, ihre Augen sind schön, und schön sind auch der Mund und die Stirn; was mich jedoch erbeben macht, was mich derart ergreift, dass ich laut weinen oder singen möchte, das ist weder Auge, noch Mund, noch Stirn, sondern irgendetwas zwischen den dreien, das sich jetzt im Mundwinkel verbirgt, dann wieder zu den Augen emporschnellt, zuckt, erstirbt. Was mag das sein? Ein unverständliches und vor allem fremdes Etwas. Nie vorher sah ich diesen Zug. Eines Nachmittags besuchte ich sie und lernte ihre Mutter kennen. Keine zwei Minuten sprach ich mit ihr, als sich die Welt mit mir zu drehen begann. Wie mit kaltem Wasser übergossen, stand ich da. Der rätselhafte Zug gehörte nicht der Tochter an, auf dem reifen, fleischigen Gesichte der Mutter lebte sein Ebenbild – mein geheimnisvoller Hinweis auf die unbekannte und fremde Seele: es war ganz einfach nur ein Merkmal der Art und wirkte fremd und wunderbar, nur auf dem eigenen, besonderen Gesicht der Tochter als etwas Unpersönliches. Ein Stempel nur, mit dem die Werke der Künstler geeicht werden: „entsprechend und zur Ausstellung zugelassen“ – und dieser gemeine Stempel war für mich der schönste Farbenfleck des Werkes und das künstlerische Bewusstsein war es, dachte ich, das ihn auf das Bild setzte. Ich schämte mich, ging fort und wußte, dass ich das Mädchen nicht liebte.

IV.

Die ich liebe, deren Gesicht gleicht keinem anderen, sie erbte es von keinem, es hat weder Vater noch Mutter – dieses Gesicht entstand von innen heraus. Nicht ich war es, der sich dieses Gesicht auswählte (siehe: geschlechtliche Auswahl, Blutbande, „die“ Liebe), auch erschuf ich es nicht selbst nach dem Bilde meiner Liebe (siehe: Kristallisation), sondern dieses Gesicht packte mich, winkte mir aus dem Unbekannten zu: „Halte ein, blinder, taumelnder Wanderer, und blicke her. Siehst du diesen Pfad? Der ist der einzige. Beschreite ihn, wenn du kannst. Wohin er führt, sagt dir weder die Gesellschaftslehre, noch die Entwicklungsgeschichte. Eines aber steht fest: er führt dich hinaus in andere weite Länder, wo die Wasser unruhiger und geläuterter fließen, und wo etwas deiner wartet: vielleicht das, was wir als Ziel unseres Lebens suchten. Hände, Füße und Organe: ja, ich weiß, sie dienen zu irgend etwas – wozu aber ist der ganze Mensch bestimmt? Gehe diesen Pfad, wenn du magst, und vielleicht erfährst du es. Mache dich auf den Weg, und wundere dich nicht, wenn er vom Raume abbiegt, um sich in die Zeit zu verlieren – er führt dich vielleicht in ferne, ferne Zeiten, in die ferne, ferne Zukunft, wo es keine Arten mehr gibt, sondern nur Einzelne, wo man weder gebären, noch geboren werden, nicht sterben und Schönerem und Besserem Platz machen muß, weil ein „Schöner“ und „Besser“ nicht mehr möglich ist.“

Von hundert Frauen wünschte ich mir Kinder; die aber liebte ich wirklich, ihr Gesicht konnte ich mir in keiner Nachbildung vorstellen. Ihr Auge ist kein Sehorgan, das nach Speise, Trank und Kindern sucht. Ihr Auge ist Das Auge, das nur da ist, um geliebt zu werden. Ihre Nase kein Riechorgan, das nach Speise, Trank und dem Vater ihres Kindes schnuppert; sie ist da, um schön zu sein und geliebt zu werden. Und ihr Mund dient nicht zum Essen, zum Trinken, zum kindereinwiegenden Lallen; ihre Lippen sind keine Lippen: ihre Lippen sind der Kuß.

V.

Die Seele ist ein winziges Dingelchen, das im menschlichen Körper umherläuft, klein wie mein Daumen. Sitzt einmal im Magen, rennt dann in den Kopf hinauf, tritt nach vorwärts, setzt sich ins Auge oder legt sich hinten auf das weiche Kissen…

Manchmal bleibt es in der Kehle stecken und spricht von dort oder flieht in die Hände. Es verständigt sich schwer in der menschlichen Sprache, stammelt, ringt und rüttelt unruhig im unbequemen Gefängnis. Wo immer es sich aber einnistet: sei es Stein oder Mensch, er muss sich bewegen.

Der Schläfer lallt etwas im Traume, er versteht selbst nicht was. Aber drüben, jenseits des Lebenstraumes, stehen die Seelen an seinem Bette und hören und verstehen seine Worte. Und nicken zu seinem Stammeln und winken sich ernsthaft zu: gebt acht, die schlafende Seele spricht im Traum, unruhig und verworren ist ihr Schlaf, und nahe ist ihr Erwachen.