Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1929

Börne und Heine sprechen über Presse und Pressefreiheit

Von X.Y.Z. (Julian Weisz, Anm.)

Die Taube kam mit einem Morgenblatt im Schnabel: Moritz Gottlieb Saphir wurde 1795 in Lovasbéreny geboren, veröffentlichte seine ersten Werke in „Pannonia” bei Festetitcs und war in der Zeit des Vormärz einer der meistumjubelten und –gehassten, meistgelesenen und –verehrten Schriftsteller und Humoristen. Allerdings nicht in Ungarn, dass er – der alle wichtigen Sprachen ausser Ungarisch beherrschte – nach einigen Presseskandalen und Ärger mit der strengen Zensur 1822 Richtung Wien verliess. Auch von dort musster er fliehen, dann wieder aus Berlin, München. Er gilt als die Hebamme des „Revolverjournalismus”, was ihm aber nur teilweise gerecht wird, denn war dieser „Konditor des Jokus” in Berlin, Paris und Wien auch ein heute zu unrecht vergessener grosser Schriftsteller der deutschen Romantik. Sein Werk erschien nie in ungarischer Sprache, was meistenteils auch unmöglich sein dürfte, denn seine Wortspielereien oder –torturen sind faktisch nicht transformierbar. Folgender Brief wurde von Feuilletonchef Julian Weisz entdeckt und 1929 im PL veröffentlicht.

Paris, 5. August 1855

(Saphir berichtet am Beginn des Briefes seinem Neffen von seinem letzten Besuch bei Heinrich Heine in der „Pariser Matratzengruft” und erinnert sich gemeinsam mit dem grossen Dichter eines Gesprächs mit Ludwig Börne im Jahre 1831, als Heine auf der Flucht nach Frnakreich war und die Drei sich im Gasthaus „Schwanen” in Frankfurt noch einmal trafen, Anm.)

Börne: Ein Land kann nur gedeihen, wenn man ihm Redefreiheit gewährt; mündliche in den Versammlungen und schriftliche in der Presse. Auf diese Weise bildet sich eine sinnliche (?) Demokratie, wodurch die Entstehung der gefährlichen und unheilbringenden gewalttätigen Demokratie allein verhindert werden kann. Oft ist die öffentliche Meinung der bestehenden Ordnung nicht hold, aber das macht die Freiheit des Redens und Schreibens um so notwendiger. Die öffentliche Meinung ist ein See, der, wenn man ihn dämmt und aufhält, so lange steigt, bis er schäumend über die Schranken stürzt, das Land überschwemmt und alles mit sich fortreißt. Wo ihm aber der ungehinderte Lauf gegeben ist, da zerteilt er sich in tausend Bäche mannigfaltiger Rede und Schrift, die friedlich durch das Land strömen, es bewässern und befruchten. Die Regierungen, die sich bemühen, die Freiheit der Rede und Schrift zu hemmen, zu unterdrücken, zu knebeln, machen es wie die Kinder, die ihre Augen zuschließen, um nicht gesehen zu werden. (…)

Heine: Zensur? Ich lasse nichts über die Zensur kommen. Wie soll ein Schriftsteller, wie ich, ohne Zensur schreiben, der immer unter Zensur gelebt hat? Aller Stil wird aufhören, die ganze Grammatik und die guten Sitten. Schrieb ich bisher etwas Dummes, so dachte ich: nun die Zensur wird es streichen oder ändern; ich verließ mich auf die brave Zensur. Aber ohne Zensur? Ich wäre ratlos, unglücklich. Ich hoffe, es wird immer eine Zensur geben, wenigstens so lange ich lebe.

Börne: Ihre Ironie scheint mir hier nicht recht am Platze zu sein. Es handelt sich doch um eine Lebensfrage der Völker. Betrachten Sie nur die verschiedenen neuen Gesetze über die Pressfreiheit in Deutschland und Sie werden wahrnehmen, daß sie nicht Pressfreiheit, sondern Pressbeschränkung bezwecken. Und doch sollten alle Regierungen bedenken, daß für sie die Freiheit der Presse ebenso wichtig ist, wie für die Völker. (…)

Heine: Jawohl, der Maulkorb nützt wenig. Ein Hund kann sich auch unangenehm, ja sehr unangenehm machen, wenn man ihm den Mund verriegelt. Und was die Presse betrifft, die ist ein Baum, der wohl auch oft giftige Früchte trägt, dessen “Blätter” jedoch heilsam sind und vielen Kranken zur Genesung verhelfen. Die Leute, die gegen die Zeitungen zu Felde ziehen, sollten an das alte Märchen denken, daß von einigen Brüdern erzählt, von denen der eine hundert Meilen in einigen Stunden lief, der andere hundert Meilen weit sah, der dritte Meilen weit schoß, der vierte Armeen von der Erde blies... Dieses Märchen ist Wahrheit geworden. Denken Sie, lieber Börne, bloß an die Eisenbahn, das Fernrohr, die Kanonen und die Presse. Die Presse kann alles wegblasen! Deshalb die Angst der Regierungen vor der Presse.

Börne: Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind, der Staat ist Schiff, die Zeit ist See. Und wenn die Regierungen mit der Unterdrückung der Presse sich helfen wollen, ist dies ein arger Fehler, denn sie gehen dabei von der falschen und naiven Voraussetzung aus, daß der Wind sich nach den Wetterfahnen dreht.

Heine: Sie denken da wohl nicht an journalistische, sondern an politische Wetterfahnen? Oh, über diese in allen Farben chamäleonartig schillernden Fahnen. Sie verlassen sich auf ihre Beweglichkeit, vergessen aber, daß ihnen ihre Beweglichkeit nicht helfen wird, wenn der Sturmwind den Turm stürzt, auf dem sie stehen.

Börne: Jawohl, man widersetzt sich vergebens dem starken Willen der Zeit. Die öffentliche Meinung ist unüberwindlich und wenn dann und wann der Geist des Mißbehagens zum Ausdruck kommt, so ist dieser nicht zu fürchten eher zu achten. Ihn verleugnen, bedrohen oder schelten, das kann ihn ebensowenig zerstören, wie ihn treten, quälen oder unterdrücken. (…)

Heine: Kurz und gut, der Presse Fesseln anzulegen ist gefährlich und mehr als das zwecklos und noch mehr als das, nämlich albern. All das zugegeben, teurer Börne, möchte ich noch hinzufügen, daß der Presse nur eine Macht der Welt schaden kann, und das ist die Presse selbst. Bedenken Sie: es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott am meisten schaden - on n´est jamais trahi que par les siens.

...So weit reichen meine Aufzeichnungen. Heine lachte zum Schluß laut auf und meinte: “Das habe ich gar nicht übel gesagt.” Dann setzte er hinzu: “Lieber Saphir. Sie sind ein Ungar. Sagen Sie mir, was geht in Ihrem schönen Lande vor, das mir durch zwei Dichter, Petöfi und Lenau, und dann durch einige Freunde lieb und wert geworden ist. Aber wo sind diese Freunde hingeraten? Von Liszt, den ich in meinen Pariser Berichten gepriesen habe, höre ich gar nichts mehr. Graf Dessewffy, der mich ehedem oft besuchte und durch seine Mitteilungen über Ungarn erquickte, ist geradezu verschollen. Kerrbeny und Szarvady lassen sich nicht blicken. Was ich aus Ungarn erfahre, verdanke ich meiner kleinen Freundin Mouche, die mir manches über den rauschenden, aber nicht allzu reinen Bach - so heißt doch, der sich allmächtig dünkende Minister - vorliest, der alle Freiheit und vor allem die Pressfreiheit ertränkt hat. Wird ihm nicht viel nützen. Auch die große Sintflut ist vorübergegangen.”

“Und die Taube erschien mit einem Morgenblatt im Schnabel.” Setzte ich hinzu, mich zu einem Scherz zwingend. Dann nahm ich Abschied von Heine. Ich war erschüttert. Ich ahnte, daß ich ihn zum letzten Male sah und hörte. (…)"