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Aus dem Pester Lloyd von 1930
Richard Specht
Karl Goldmark Zu seinem hundertsten Geburtstag
Er ist vielleicht der größte Zauberer des Orchesterklanges, den die Musik kennt; trotz Wagner und Berlioz, trotz Richard Strauß und Franz Schreker. Die Palette dieser Meister des instrumentalen Kolorits mag reicher und vielfältiger sein; aber keiner hatte diesen brennenden Scharlachglanz, dieses sinnlich schwüle Irisieren, dieses silbern Tropfende, Harfende und Psalmende der magischen Töne und des berauschenden Duftes einer Tonsprache, in der alle Märchen von Tausendundeiner Nacht lebendig geworden zu sein scheinen. Und vollends in seiner Melodik gilt Karl Goldmark als der unbestrittene Beschwörer aller Wunder des Morgenlandes: in dieser gleich rotem Mohn betäubenden, schwergerafften, leidenschaftlich lodernden, heißen Melodik, der die ziehende, treibende, sich drehende, von Synkopen durchpochte Goldmarktriole ihr alttestamentarisches, trunkenes Gepräge gibt und die nicht bloß in der berühmten Szene der Sklavin Astaroth in der „Königin von Saba” ein einziger großer Lockruf scheint: Giftblumenduft in Tönen, Naturlaut, die Stimme der brünstig hochatmenden Nächte des Orients, der betörende Ruf der Erbsünde, Töne, die wie von einem fremdartig schönen, verderblich süß werbenden Vogel kommen - und wieder solche, die aus mystisch flutendnen Liebesträumen klingen und ganz die Musik der sehnsüchtig drängenden Zartheit und des schmerzlich lechzenden, dithyrambischen Glühens sind, die man aus dem Hohenlied Salomonis aufrauschen zu hören meint. So ist er in der „Königin”, in der „Sakuntala”, der „Sappho”, der Gartenszene und dem Brautlied der „Ländlichen Hochzeit”, den langsamen, warm strömenden Sätzen seiner Kammerwerke: der stärkste Magier des klanggewordenen Ostens, der harfnerisch berauschte, prächtglänzende Sänger einer Weise voll biblischen Prunks, in der die ganze Landschaft der heiligen Erde und ihre Menschen leben, ihre Nachtigallen schluchzen und ihre goldenen Quellen, die winddurchwehten Zedern des Libanon, die Tempelgesänge fürstlicher Priester zu einer Musik von sinnberückender Leuchtkraft wurden. (...) Nein, der „Fall Goldmark” ist kein einfacher und alltäglicher. Und er kann vielleicht nur aus den Problemen des Bluts und der Verwurzelung heraus aufgehellt werden. Man hat in vollkommener Verkennung seines Wesens und in wunderlichem Übersehen wichtiger Komponenten seiner Künstlerschaft, in Goldmarks Musik, vor allem in jener, wie sie sich in der „Königin von Sabba” und der „Sakuntala” verkörpert „die” jüdische Musik in ihrem eigentlichen Sinn zu erkennen geglaubt. Aber selbst diese Werke sind nicht von einem jüdischen Komponisten, sondern von einem komponierenden Juden geschaffen worden; und das ist ein Unterschied. Sicherlich sind sie von einem, in dem die Träume der Vorfahren laut geworden sind, aus dem die Stimmen der Ahnen rufen und der eine kostbare Erbschaft aus verschütteten Brunnen heraufgeholt hat; aber auch von einem, in dem die Schwermut der Pußta, die klingende Einöde der ungarischen Heide, das melancholische Feuer der Zigeuner schon durch die Verbundenheit mit dem Boden seiner wirklichen Heimat lebendig geblieben ist, und zudem von einem, der sich nicht nur die Formen aller erlauchten Meistertonkunst zum Besitz erzwungen, sondern sich in Wahrheit vollkommen in deutsche Erde umgepflanzt hat und der in seiner Kunst und in seiner Menschlichkeit schließlich durchaus durch die Kultur seiner Wahlheimat bedingt ist. Das zeigt sich überaus deutlich, wenn man Goldmarks Werke einmal chronologisch an sich vorbeiziehen läßt. (...) Wie schwer er zu kämpfen hatte, nicht nur gegen Unverstand und Mißgunst, die ewigen Feinde wahrer Künstlerschaft, sondern gegen Armut und gegen die bedrängenden Brutalitäten des Lebens, beweist schon das eine: daß er durchaus Autodidakt war und es geblieben ist. Der bis zu seinem Tode Lernbegierige, unersättlich Aufnahmsfrohe, der sich aber auch mit eiserner Beharrlichkeit gegen alles ihm Ungemäße (und nicht nur das in der Musik der Gegenwart) abzusperren wußte, war schon hoch in den Siebzig, als ich ihn mit einem Konversationsbuch in der einen und einem Lexikon in der anderen Hand überraschte: er wollte noch durchaus Französisch lernen und hat es wirklich erreicht, sich halbwegs in der Sprache Molières verständigen zu können. Dieses Autodidaktentum, dem er bis auf die primitivsten Grundlagen des Lesens und Schreibens all sein Wissen, aber auch alle Theorie und Praxis des schöpferischen und reproduzierenden Musizierens verdankte, ist insofern ein Glück für ihn gewesen, als er sich seine künstlerische Originalität und seine geistige Selbständigkeit durch dieses Fehlen jeglichen fremden Einflusses bewahrt hat. Aber es darf wohl auch nicht geleugnet werden, daß man es in der Technik seiner Werke doch hie und da spürt - und nicht eben zu ihrem Vorteil: die Durchführungen seiner sinfonischen und seiner Kammersätze leiden dadurch an einer gewissen Steifheit und auch an einer etwas stereotypen Art; die Steigerung eines Themas in andauernden Sequenzen, bis zum Hineinwerfen in ein zumindest einigermaßen trockenes Fugato ist dafür bezeichnend und kehrt in fast jedem Stück solcherart wieder, in einer bis zum Eigensinn gehenden Gleichförmigkeit, die den sonst so vielfältigen, reich blühenden Werken den Stempel handwerklicher Schwerfälligkeit aufprägt. Freilich ist das Füllhorn seiner Erfindung so unerschöpflich und es schüttet einen solchen purpurnen Regen aromatisch berauschender Melodik über das Ganze, daß der Mangel an fingerfertiger technischer Variabilität bis zum völligen Vergessen unter diesem Blütengetümmel verschwindet.
Er hat eigentlich keine künstlerischen Ahnen. In der Form der auch noch von ihm so genannten „Ouvertüren” ist es Mendelssohn; gleich ihm hat er in die engeren Gehäuse des freien Sonatensatzes oder der von Beethoven und Weber erweiterten Ouvertüre kleine sinfonische Dichtungen gedrängt; sicherlich sind diese Prachtstücke, in denen er ähnlich wie Liszt, wenn auch von ganz anderen Prinzipien geleitet, Gestalten, Erlebtes, Landschaft in Tönen hinstellt, keine Dramenvorspiele, mögen sie auch Sakantula und Penthesilea, Prometheus, Sappho oder Zrinyi heißen; und gar die Tondichtungen „Aus Italien” oder „Meine Jugend” werden kaum anders wie als sinfonische Gestaltung autobiographischer Art gelten können. (...) Unmöglich, daran zu glauben, daß sie dauernd ins Vergessen geraten sind; sie führen jenes anonyme, unterirdische Dasein mancher Meisterwerke, die scheinbar verschwunden sind, aber deren innere Kraft und deren Flammen und Lodern immer aufs Neue den Gruftdeckel aufsprengen und von einer neuen Generation mit fassunglsoser Bewunderung und Freude empfangen werden. Aber der unseren gereicht es nicht eben zur Ehre, daß sie diese Stücke und auch (...) fast die ganze, berückend liebliche, geistsprühende Kammermusik Goldmarks ins Dunkel geschoben hat, - und viel zu wenige wissen es, um was sie dadurch ärmer geworden sind.
In der Oper steht es etwas anders. Hier ist wirklich die „Königin von Saba” das einzige Werk des Meisters geblieben, dem wahre Lebendigkeit zuzusprechen ist; die anderen, sogar das „Heimchen”, trotz so viel liebreicher, froher, anziehend warmer Musik, leiden allzusehr unter der kaum mehr diskutierbaren textlichen Unterlage, um zu Menschen unserer Zeit sprechen zu können. Aber auch in der Oper ist Goldmark fast ohne wirkliche Vorläufer. Nietzsche hat ihn im „Fall Wagner” in seiner Lust an paradoxen Perfidien „den klugen Affen Wagners” genannt; nichts kann unsinniger sein. Mit Wagner verbindet ihn so gut wie gar nichts; in der „Königin” mag man Meyerbeersche dekorative Effekte und Spuren Spontinischer Heroik finden; aber weder im Stil noch im Bau oder im Orchesterklang ist auch nur eine Spur von Wagner zu finden, und wenn Goldmark später etwas mit ihm gemein zu haben meinte, so war es ein mißverstandender Wagner, der ihn zu einem Verfahren brachte, in dem das spezifisch Dramatische fast durchaus beiläufig, in eiligen und nebenbei ziemlich monotonen Rezitativen, in einer wenig plastischen und ausdrucksvollen, oft nur psalmodierenden Deklamation „erledigt” wurde und alles auf die gefühlsmäßige Musiknummer zudrängte. Daher und nicht etwa aus geringerer Gewissenhaftigkeit des bis zur Pedanterie verantwortungsvollen Arbeiters Goldmark kam es denn auch, daß er in seinen Altersjahren viel rascher produzierte als in der Jugend. Er war der Meinung geworden, daß in seinen ersten Opern zu viel Musik zum Schaden des Dramatischen enthalten sei und er hatte damit nicht einmal unrecht, wenn auch anders als er es dachte: nicht das Quantitative der Musik belastet diese Werke, sondern daß soviel abseits vom dramatisch Wesentlichen komponiert war; aber gerade das deckt die Defekte des Dichterischen zu. Um die Königin von Saba hat Goldmark sieben Jahre lang gerungen, wie Jakob um Rahel (und hat dann noch jahrelang auf die Aufführung warten müssen). Im Alter hat er nicht viel länger als ein Jahr zum schaffen seines Opernwerks gebraucht; vielleicht auch aus der Furcht, daß die Feder vor der Niederschrift des Schlußtakts seiner Hand entwunden werden könne. Obwohl er in seiner milden, klaren Meisterart dem Tode ohne Angst, in gefaßter, fast heiterer Erwartung entgegensah.
Diese gleichmaßvolle Heiterkeit war dem Menschen Goldmark von je eigen. Ich habe ihn vierzig Jahre lang gekannt, war zuzeiten sein täglicher Tischgenosse und kann mich doch keiner Zeit entsinnen, in der er anders war. Er war früh zur Weisheit und zur Einsicht in die Unabwendbarkeiten des Lebens gelangt und war schon in den Jahren, in denen das Blut noch leidenschaftlich rollt, äußerlich ruhevoll und abgeklärt wie kaum ein anderer. Mag sein, daß er im engen Kreise der Seinen verdrießlich nörgelnd, oder gar heftig werden konnte; ich habe den alten Herrn mit dem geistvollen Kopf, der Silbermähne, den hellblitzenden Augen, dem schalkhaft lächelnden Mund unter dem überhängenden grauen Schnurrbart niemals gereizt, oder auch nur ärgerlich gesehen, immer bezwingend liebenswürdig, herzlich und von hinreißender Lebendigkeit und Laune; der Druck seiner festen, kurzfingerigen Hand war jedesmal wie ein neubesiegeltes Bündnis. Ich weiß, daß er empfindlich, und daß er nicht ohne Eitelkeit war, aber er hat es nie gezeigt. Und ich bin sicher, daß in der Brust des äußerlich andauernd harmonischen und wohlwollenden Herren Dämonen wohnten, die ihn und wohl auch die ihm ganz Nahen manchmal bis zur Verstörung heimsuchen mochten; seine Musik wäre mir sonst unverständlich. Aber niemals habe ich auch nur ein Wort des Unwillens oder des Grolls von ihm gehört. Trotzdem glaube ich nicht, daß dieses schöne Gleichmaß eine Maske war. Es war Selbstbewahrung, war Abwehr eines Weisegewordenen gegen alles Beirrende und auch alles Kuriose und Abscheuliche einer immer mehr dem Abgrund entegentaumelnden Gegenwart, der er nurmehr in seiner betrachtsamen, etwas ironische, beschaulich lächelnden Art, manchmal freilich mit verwundertem Kopschütteln zusah. Er war ganz gütig und ganz reif geworden... und war es nicht immer gewesen. Aber dem Krieg und seinem Irrsinn war selbst diese geruhsame, gleichmütig helle, aber immer noch jugendvoll nach Liebe verlangende, immer noch von Frauenliebe umhegte Alterskraft nicht gewachsen. Er ist an ihm zerbrochen.
Karl Goldmark hat zu den seltenen gehört, für die das englische Wort „gentle” eigens geprägt erscheint; ich habe keinen anderen von gleichem menschlichen Wohllaut gekannt, keinen, der in der harten Schule des Lebens, die ihm nichts Bitteres erspart hat, zu solch ausgeglichenem, liebreichem Wesen geschmiedet worden ist. Und wenn man seiner gedenkt, sollte es im Sinn jener Vortragsbezeichnung geschehen, di ebei ihm die häufigste ist und deshalb als sein eigenster Ausdruck angesehen werden mag: „mit Wärme”...
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