Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1866

Géza Molnár

Opernfreunde

Der Autor, Géza Molnár, war über Jahrzehnte der führende Musikrezensent des Pester Lloyd und ein anerkannter Muskwissenschaftler in Ungarn. Über ihn, der ein Jahr nach Veröffentlichung des obigen Textes starb, lesen wir in einem Nachruf im Pester Lloyd vom 19. Dezember 1933: „Eine imposante geistige Erscheinung Ungarns ist wieder aus unserem Kreise auf ewig verschwunden... Dr. Géza Molnár hat seine schriftstellerische Laufbahn als Essayist des Pester Lloyd, Órszágos Hirlap und A Hét am Ende der neunziger Jahre begonnen. Er war der erste in Ungarn, der für die musikalische Ästhetik und Kritik eine ganz eigene, impressionistisch gefärbte Sprache schuf. ... Fern von kleinlicher Musikpolitik, war sein Ideal die Einigung aller erstrangigen künstlerischen Potenzen. Da er dies in unseren zentrifugal gerichteten Zeiten nicht zu erreichen vermochte, sah er sich mit seinen Idealen vereinsamt. Im letzten Jahrzehnt bemächtigte sich seines Wesens eine gewisse pessimistisch gefärbte Ironie. Seine charakteristische Gestalt im Konzertsaal verlor immer mehr seine einstige chevaleske Haltung und glich immer mehr dem Bilde eines Einsamen, der Material zu seinen sarkastischen Bemerkungen sammelt. Doch wo es galt ein wirkliches Talent oder Genie anzuerkennen, da war er der erste, der dies rückhaltlos tat. Er erkannte eine einzige Partei an: die Partei der erstrangigen Qualität. ... Eine „gute Kritik” von Géza Molnár war als Edelvaluta auch im Ausland gewertet. ...”

Gewiß, das Land muß jetzt finanzielle Schwierigkeiten von ungewöhnlichem Ausmaß bestehen, aber für den Opernfreund ist trotz dieser mehr als heiklen Lage das Problem, ob die Königliche Oper weiter existieren soll, einfach gegenstandslos. Es nicht nur als Amüsierort zu betrachten, sondern als Kulturstätte. Der richtige Opernfreund hat seine Freude daran, daß wir überhaupt ein Opernhaus besitzen. Ein Haus, wo die idealsten Schöpfungen der musikalischen Phantasie in großzügiger Wiedergabe an uns vorbeiziehen.

Freunde und Freude sind nicht nur akustisch miteinander verwandt. Opernfreund sagt so viel, wie das Opernhaus freudvoll lieben. Genau wie es keiner Erörterung bedarf, daß unser Nationalmuseum oder das Museum für schöne Künste Ewigkeitswerte sind, die nicht untergehen dürfen. Die Frage ist indiskutabel. All diese Institutionen sind für alle Zeiten bestimmt. Sie müssen aufrechterhalten werden, nicht - wie es so oft heißt - dem „Fremdenverkehr zuliebe” oder nur um sich vom „Balkan” zu unterscheiden, sondern wie nationale Schätze, die man wieder den Nachkommen hinterlassen muß, wie ein unsterbliches Sittengesetz oder ein natürlicher Schönheitstrieb. Darüber kann man nicht streiten.

Wenn sich morgen mittag die Freunde unserer Königlichen Oper zu einer Vereinigung konstituieren, so ist das keineswegs eine Rettungsaktion, denn das Theater braucht glücklicherweise keine Helfer in der „Not”, zumal da für die Oper sich auch momentan alle feinsinnigen Kreise interessieren;  - die Opernfreunde wollen nur ihre kollektive Lust zur Mitwirkung an einer künstlerischen Arbeit von edelstem Stich dokumentieren. An der Spitze der Bewegung steht Graf Albert Apponyi. Es ist gewiß kein Zufall, daß dieser illustre Geist hier das erste Wort spricht. Er hat patriotische Glut und mit seiner glänzenden Intuition den engen Zusammenhang zwische nationalen und ästhetischen Werten stets erkannt und gekündet. Sooft im Opernhause oder im Konzertsaal noble Musik erklingt, erscheint er zum Ergötzen der Mithörer im Zuschauerraum und zeigt damit allen Vergnügungssuchern den Weg, der zu künstlerisch reinster Wonne, zu einem seelischen Aufstieg führt. Sein Aufruf an die Opernfreunde wird bestimmt den Zusammenschluß aller Kunstsinnigen zur Folge haben. Denn ein Appell, der vom Innersten, von aufrichtiger Erhebung kommt, dringt zu den besten Elementen. Und was aus der - vom Kunstglauben durchdrungenen - ungarischen Gesellschaft selbsttätig hervorsprießt, ist immer kerngesund.

Wenn der Verein mit Hilfe seiner Einnahmen Sitzplätze in der Königlichen Oper anmieten und die Billets - in Form von Kartenkoupons - den Mitgliedern zur Verfügung stellen wird, so ist das für die Beteiligten kein Sprung ins Dunkle. Denn das Repertoire eines Privattheaters ist ganz unberechenbar. Die eine Novität bewährt sich, die andere schlägt fehl. Dagegen setzt sich der Spielplan des Opernhauses aus Standardwerken zusammen, deren artistisches Gewicht nicht mehr ausprobiert werden muß. DA ist kein Risiko. Die „Freunde der Oper” wagen nichts, denn sie bekommen beispielsweise noch in der laufenden Saison - ganz abgesehen von den Stammopern und den Neuheiten - frische Einstudierungen von „Lohengrin”, der „Zauberflöte”, „Troubadour”, „Rigoletto”, dem „Maskenball” usw. Das sind Promessen, die bereits der Einlösung gleichkommen. Wir könnten noch auf Offenbachs heitere „Briganten”, auf geistvolle und pikante Stücke von Leroux, Manuel de Falla und ungarischer Komponisten hinweisen, die den Spielplan würzen werden. Aber jeder weiß ohnehin, daß ein Opernabend immer etwas Ausgiebiges bedeutet. Mehr als flüchtigen Nervenkitzel.

Die Opernfreunde sollen zugleich an sehr aparten Arbeiten mitwirken. Ob es sich nun darum handeln wird, im Mai und Juni Freilichtaufführungen zu veranstalten, oder eine Premiere vorzubereiten, die luxuriöseren Aufwand erfordert, einen Star von außerordentlichem Kaliber zu berufen, eine über alltäglich Dekoratives hinausgehende Ausstattung zu besorgen oder auch nur einen sehenswerten Opernball zu organisieren, dürften die zugezogenen „Freunde” des Theaters sicher gern mittun. Zum Glück ist unsere Tonkunst unversehrt. Täglich studieren und genießen Tausende jene Musik, die uns im Dramatischen ihren höchsten Reichtum, ihre vollsten Blüten gerade von den Brettern und vom Orchester der Königlichen Oper spendet. Diese Oper muß vom Lebenskampf, in den sie, wie schon gesagt, augenblicklich nicht geraten ist, auch in Zukunft verschont bleiben. Doch obendrein muß man sie durch alle Wandlungen der Zeit mit Überzeugung leiben. Dann wird in die Welt, wo man sich unterhält, ein Schimmer vom Mäzenatentum der Renaissance zurückkehren. Der Vergnügungsmensch kann sich auf solche Weise sublimieren, und der simple Opernbesucher entwickelt sich zum beseelten Opernfreund.