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Aus dem Pester Lloyd von 2008
Boris Kálnoky
Mein Großvater, der Graf und der Pester Lloyd
Mein Großvater, Graf Hugó Kálnoky, lebte ein kurzes, herumgeworfenes Leben, ein Spielball der historischen Umwälzungen seiner Zeit. Geboren 1900, pünktlich zu Beginn des schrecklichen 20. Jahrhunderts; volljährig pünktlich zum Zusammenbruch der Monarchie, 1918. Sein Vater, Graf Hugo Leopold Kálnoky (ein legendärer Reiter und Pionier der k.u.k Ballonfahrt) war der Bruder des langjährigen k.u.k-Außenministers, Graf Gustav Kálnoky. Obwohl die Familie drei große Güter in Mähren und der heutigen Slowakei besaß, blieb Hugó als jüngster Sohn unberücksichtigt.
In der "guten alten Zeit" hätte er als Offizier oder Bürokrat der Krone dienen können, aber die Monarchie war zusammengebrochen. So ging er nach Siebenbürgen, wo er das kleine, mittlerweile größtenteils enteignete "Stammgut" der Familie im Széklerland übernahm. Leben konnte er davon nicht, und zu seinen Versuchen, Geld zu verdienen, gehörte gelegentlicher Journalismus. Im PESTER LLOYD veröffentlichte er 1933 ein Stückchen über den "Tag der 1000 Székler Mädchen". Er wollte 1934 um die Welt fliegen in einer kleinen Maschine, und für den Lloyd von seinen Abenteuern unterwegs berichten. Daraus wurde nichts: Er wollte von Berlin aus starten, aber nach langem Hinhalten ließen ihn die Nazis nicht fliegen. Grund: Ausländer.
Graf Hugó Kálnoky: “Krankheit der Zeit”, Pester Lloyd 1934
Hugó war nach dem Krieg tschechischer Staatsbürger und dann, in Rumänien, wahrscheinlich staatenlos geworden. Während seines Deutschland-Aufenthaltes begann er sich politisch zu engagieren. Schon 1933 schrieb er einem Freund, über die Nazis müsse man "wagen, zu wissen: Wenn es so weiter geht, ist es das Ende". Im "Lloyd" prophezeite er 1934 in einem Beitrag "Krankheit der Zeit" (siehe Text in dieser Ausgabe) den kommenden nächsten Weltkrieg.
Hugó war marginal in der "Legitimisten"- Bewegung aktiv, er hielt eine Restauration der Monarchie für den besten Schutz vor Nazi-Deutschland. Er kehrte bald nach Siebenbürgen zurück, heiratete, und wertete alldieweil für den "Lloyd" rumänische Medien aus. Wahrscheinlich deswegen, weil man ihn für einen ungarischen Spion hielt, wurde er 1938 des Landes verwiesen.
Er ging völlig mittellos nach Budapest und begann, in der Lloyd-Redaktion zu arbeiten. Ich habe nur einen gedruckten Artikel aus dieser Zeit, "Es geht um Europa", kurz nach Kriegsausbruch 1939. Er war befreundet mit Außenminister Pál Teleki und dessen Familie, und blieb stets ein ausgesprochener Gegner der Nationalsozialisten. Als die Deutschen 1944 einmarschieren, kam sofort die Gestapo in seine Wohnung, aber nur seine Frau war anwesend.
Noch am selben Tag nahm die Familie Zuflucht bei Bischof Vilmos Apor in Györ, ein alter Freund aus Siebenbürger Zeiten. Hugó war im Keller der Bischofsburg, als Apor vor dessen Eingang von russischen Soldaten ermordet wurde.
Er ging danach (zu Fuß) nach Budapest, wo er in den folgenden zwei Jahren erwog, eine Funktion in der Kleinbauernpartei zu übernehmen. Hugó ließ sich dann aber doch lieber nach Österreich entsenden als Rotkreuzbeauftragter für ungarische Flüchtlinge. Seine Frau Ingeborg Kálnoky hatte unterdessen die Leitung des "Zeugenhauses" bei den Nürnberger Prozessen übernommen. 1949 wanderte die Familie in die USA aus, wo Hugó 1955 starb.
Heute lebt ein Teil der Familie wieder in Siebenbürgen: Mein Bruder Tibor Kálnoky hat das Stammgut bei Köröspatak zurückerhalten. Über das Leben meines Großvaters – und über die Geschichte der Familie Kálnoky – ist ein Buch in Vorbereitung. (Anm.: Das Buch Ahnenland ist mittlerweile erschienen, die PL-Rezension dazu finden Sie hier.)
Boris Kálnoky ist Istanbul-Korrespondent der Zeitung "Die Welt"
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