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(c) Pester Lloyd / 08 - 2011  RUMÄNIEN 22.02.2011

 

Bukarester Rochade

Präsident sucht neuen Regierungschef für Rumänien

Es verdichten sich die Hinweise, dass der rumänische Ministerpräsident Emil Boc die Legislaturperiode bis 2012 nicht als Regierungschef beenden wird. Sogar Politiker seiner eigenen liberaldemokratischen Partei PDL schließen die Möglichkeit einer Auswechslung nicht aus, um das Standing ihrer Partei zu verbessern. Boc gilt nach einem Jahr harter und zum Teil chaotischer "Reformen" als "abgewirtschaftet". Unabhängig davon, wie man seine Arbeit inhaltlich bewertet, gilt er als nicht mehr wählbar. Auch die "Schengenshow" hat ihm mehr geschadet als genutzt.

Er hat ihn aufgebaut, wendet er sich nun im Interesse der Partei von ihm ab?
Präsident Basescu (rechts) mit Premier Boc.

Doch die parlamentarische Opposition, die sich kürzlich von Sozialisten über Liberale bis Nationalkonservative in einer Großen Koalition zusammengeschlossen hat, sehen genau in dieser Möglichkeit, den Premier einfach auszuwechseln, einen Trick von Staatspräsident Traian Basescu, seine liberaldemokratische Partei am Ruder zu halten. Angeblich sucht der Präsident schon seit Tagen nach einem Nachfolger für das Amt des Premiers, möglichst einen politisch unbeleckten Technokraten. Dazu ließ er sich von der führenden Wirtschaftszeitung sogar eine Liste von 50 gestandenen Managern zuschicken, so als ob das Land eine Firma wäre, die einfach einen neuen CEO benötigt.

Boc hat es sich, so die eine Lesart, vor allem mit der alten Nomenklatura und dem Riesenheer der öffentlich Bediensteten, einem Erbe Ceaucescus verscherzt, weil er ihnen "Privilegien" strich, ihre Renten empflindlich kürzte. Andere sehen einen ähnlichen Fehler wie bei der ehemaligen ungarischen Regierung Bajnai, die sich sklavisch an die Vorgaben der Kreditgeber vom IWF hielt, um kreditfähig zu bleiben, auch wenn das auf Kosten der sozial Schwachen geht. Immerhin hat Rumänien nach den 20 Mrd. Notkredit in der Krise jetzt bereits ein weiteres Stand-by-Kreditabkommen schließen müssen. Boc´ Reformansätze sind mutig bis waghalsig, insgesamt aber, so die Einschätzung auch von internationalen Fachleuten, aufgrund des fehlenden Rückhalts bei vielen Interessensgruppen auch ziemliches Flickwerk. Doch auch von außerhalb bekommt Rumänien weiter Druck, denn die fehlende Schengenreife wird auch der Regierung Boc angelastet:

Die EU-Kommission nannte die vor kurzem auffällig angestiegenen telegenen Festnahmen, Verhöre und sonstigen Aktivitäten in Rumänien und Bulgarien gegenüber korrupten Grenz- und Zollbehörden einen "signifikanten Fortschritt". Kritiker sehen darin eher eine Schengen-Show. Der Aktionismus mit Dutzenden Verhaftungen in Rumänien und der Einrichtung eines Sondergerichtes in Bulgarien für organisierte Kriminalität, sollte darüber hinwegtäuschen, dass jahrelang nichts gegen das kranke Polit- und Rechtssystem im Lande unternommen worden sei, weil es schließlich immer noch an der Macht ist. Auch der EU-Bericht mahnt weitere, zügige Reformen im Justizbereich an und kritisiert, dass das rumänischen Parlament es kürzlich verhindert hat, die Immunität von zwei Abgeordneten der Regierungspartei aufzuheben, die des Betrugs verdächtig sind.

Der Fortschrittsbericht ist Teil des "Monitoring" unter dem beide Länder stehen, weil sie bei ihrer Aufnahme in die EU 2007 nichtalle Anforderungen in den Bereichen Justiz und Verbrechensbekämpfung erfüllt hatten. Vor allem Frankreich und Deutschland hatten sich deshalb gegen den eigentlich für dieses Frühjahr geplanten Beitritt der beiden Staaten gewandt. Rumänien antwortete darauf mit großer Empörung und nannte die Abänderung der Beitrittsbedingungen zum Schengenraum "diskriminierend". Bukarest drohte sogar damit, im Gegenzug den EU-Beitritt von Kroatien zu blockieren. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft Ungarn macht sich indes weiterhin für einen baldigen Schengenbeitritt stark, der auch im nationalen Interesse des Landes liegt.

Im Inland wird der Streit um Schengen und die durch die neuesten Fälle offensichtliche Schengenunreife des Landes politisch benutzt. So könne Rumänien erkennen, welche Wahl ihm bleibt: zurückzubleiben in den Zeiten des Kommunismus oder voranzuschreiten in ein modernes Europa, kommentierte das Justizministerium die Einschätzungen aus Brüssel. Die Opposition interpretiert das genau andersherum und liest aus dem EU-Bericht, dass die derzeitige Regierung Rumänien schadet. Die verhinderte Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Ridzi und Pasat liegt allein in der Verantwortung der Regierung, so Senatspräsident Geoana, der Präsident Basescu 2009 knapp bei der Stichwahl unterlag.

Unabhängige Beobachter machen einen zu befürchtenden Dominoeffekt für die Blockade bei der Aufarbeitung von Korruption verantwortlich: wird einer der belastenten Politiker fallen gelassen, fallen viele andere mit, ein Kartenhaus stürzt ein. Daher halten es viele Parlamentarier im eigenen Interesse wohl für besser, nichts zu tun und dies mit hektischer Betirebsamkeit bei der technischen Schengenreife zu überdecken.

red.

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