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(c) Pester Lloyd / 25 - 2011  POLITIK 24.06.2011

 

Ein Spielzeug für den Stellvertreter

Nationalregister "der Ungarn in der Welt" vor dem Start

Der ungarische Vizepremier und Chef des Fidesz-Alliierten KDNP, Zsolt Semjén, hat eines seiner Lieblingsprojekte konkretisiert, die Schaffung eines "Nationalen Registers der Ungarn in der Welt". Die zentrale Datenbank soll den "Zusammenhalt der Ungarn, die überall auf der Welt zerstreut sind, stärken" und die "Einheit der Nation demonstrieren". Kritiker halten das Projekt für völkischen Unsinn und eine womöglich gefährliche PR-Maschine der Regierung.

Ab September soll das "Nationalregister" als Internetseite mit einer entsprechenden Datenbank gestartet werden, 2.500 "bisher bekannte" Organisationen von Ungarn in der Welt werden gebeten, ihre Mitglieder zu einer Registrierung anzuregen, so der Minister für Religions- und Nationalitätenfragen (offiziell ohne Portfeuille) Semjén. Im Sommer sollen entsprechende Informationspakete dazu verschickt werden. Sowohl die Webseite als auch die Infos sollen neben Ungarisch auch auf Englisch und später Spanisch verbreitet werden, um auch "die Ungarn der dritten und vierten Generationen, die wenig ungarisch sprechen, zu erreichen", so Semjén.

Für die Umsetzung wird eine Abteilung des Ministeriums für Justiz und Öffentliche Verwaltung abgestellt, da Semjéns Ministerposten eher eine Showaktion ohne größeren Apparat ist. Die Webseite soll neben der Datenbank, von der nicht bekannt ist, welche Infos abgefragt, noch, ob diese öffentlich zugänglich sein werden, wöchentliche "Bulletins, Analysen, Presseschauen" liefern, "manche nur zugänglich nach Registrierung". Auch das "ungarische Vereinsleben in der Diaspora" soll so bekannter gemacht und besser vernetzt werden, die Registrierten würden auch mit Downloads literarischer Werke versorgt, das "Interesse ist riesig, zahlreiche Freiwillige haben sich gemeldet."

Zsolt Semjén will alle Ungarn zählen, hier fängt er schonmal im Parlament damit an...

Kritiker des Projektes argumentieren in zwei Richtungen. Zum einen gibt es Datenschutzbedenken. Auch wenn die Registrierung freiwillig ist, gibt es bisher keinen verbindlichen Rahmen für die Beschränkung der Verwendung der so gewonnenen Daten. Immerhin hätte die Regierung so Anhaltspunkte über die "Loayalität" oder eben die fehlende solche zur "Nation". Nicht zuletzt erhebt sammelt man in dieser Datenbank Informationen über Staatsbürger anderer Staaten, was nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft für Argwohn sorgen wird. Die Opposition bemerkt, dass es sich bei der aus Steuergeldern finanzierten Aktion ganz offenbar darum handelt, ein Marketinginstrument für die Regierungsparteien zu entwickeln, in dem sie im Ausland lebende Ungarn für Regierungs-PR einspannen. Andere meinen, die Idee sei ja nicht schlecht, gehöre aber klar in den NGO-Bereich.

Ganz nebenbei wirft Semjéns Hungaro-Facebook ein weiteres Licht auf die völkische Sicht auf die Nation, wie sie auch in der Verfassung und im neuen Gesetz über die Staatsbürgerschaft zum Ausdruck kommt. Immerhin wird die "Blutslinie" bis in die vierte Generation weiterverfolgt, wiewohl viele dieser "Ungarn" sich längst einer anderen Kultur angehörig fühlen. Von Interesse könnte auch die Frage sein, ob die Aufforderung zur Registrierung im "Nationalregister" auch an jüdische Organisationen im Ausland geht, deren Mitglieder bzw. deren Vorfahren, Ungarn, einst aus rassischen Gründen aus ihrer Heimat gezwungen wurden, an Roma, die der Armut wegen nach Kanada flohen oder auch an die vertriebenen Ungarndeutschen?

Ein Orden für den Arbeiter im Weinberg Gottes, Semjén zum Rapport beim vatikanischen Nuntius

Zsolt Semjén, Chef der national-klerikalen Fidesz-Anhängselpartei KDNP (Christdemokraten) sieht sich als Speerspitze der Verteidigung nationaler und religiöser (christlicher) Werte. Ihm ist es zu verdanken, dass kirchliche Einrichtungen, trotz der sonst verübten Sparpolitik vor allem im Kulturbereich, mit mehr Geld ausgestattet und z.B. kirchliche Schulen den staatlichen finanziell gleichgestellt wurden. Semjén war es auch, der 35 Stiftungen, die sich um Arbeits-, Bildungs- und Kulturprojekte der Roma kümmerten, wegen "Ineffizienz" auflöste, um sie in ein "neues System zu überführen", sprich die staatliche Kontrolle zu zementieren. Einige dieser Projekte stehen seitdem im Regen oder gänzlich vor dem Aus. Gelder für Pilgerfahrten von Schulklassen ins "Heilige Land Siebenbürgen" sowie auch in das Original in Palästina konnte Semjén dagegen locker machen. Auch das neue Kirchenrecht, eines der "Kardinalsgesetze" der neuen Verfassung, trägt seine Handschrift.

Ein paar Bonmots aus den letzten Monaten: "Wir haben gegenüber allen Ungarn die grundlegende Verpflichtung, die Schande von Trianon auszumerzen, so gut wir das können." (Mai 2010), "Die Erteilung der Staatsbürgerschaft ist eine souveräne Angelegenheit eines Staates und nicht von der Meinung eines anderen Landes abhängig." "Die Verbindung zwischen Kirchen und Gesellschaft muss vertieft werden, da die Religion das traditionelle Wertemodell, auf dem die Gesellschaften fußen, repräsentiert." (Juni 2011)  "Es ist im wesentlichen zwei Leuten zu verdanken, dass der Kommunismus in Mitteleuropa zu Fall kam und die Region von sowjetischer Besatzung befreit wurde: Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II." (Dezember 2010) Über die Gewerkschaften und das (mittlerweile aufgelöste) Forum der Sozialpartner: "Das sind zweifelhaft legitimierte Strukturen, die wir nicht legitimieren müssen“. (2010)

red.

 

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