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(c) Pester Lloyd / 02 - 2012      POLITIK 12.01.2012

 

Gebrochene Wirbel

Ex-Premier übt scharfe Kritik an der Orbán-Regierung in Ungarn

Nach eineinhalbjähriger Abwesenheit von der politischen Bühne meldete sich in dieser Woche der ehemalige ungarische Ministerpräsident Gordon Bajnai zurück. In einer Publikation seines Think Tanks „Heimat und Fortschritt“ greift er die Regierung scharf an und sieht den "Staatsbankrott unausweichlich", wenn es zu keiner Einigung mit dem IWF kommt. Außerdem habe Orbán der Demokratie in Ungarn "Wirbel für Wirbel das Rückgrat gebrochen." Ob er sich selbst als Herausforderer für Orbán bei Wahlen in Stellung bringen will, ließ er offen.

Der parteilose Wirtschaftsfachmann Bajnai führte nach dem Rücktritt von Ferenc Gyurcsány von 2009 bis 2010 eine sozialistische Minderheitsregierung mit "Fachleuten", um Ungarn vor der Staatspleite zu bewahren. Sein Notfallmanagement und die ersten Ansätze einer Reformpolitik wurde anfänglich sogar von gemäßigten Teilen des konservativen Lagers gewürdigt, den gordischen Knoten konnte aber auch er nicht durchschlagen. Mittlerweile haben ihn die neuen Machthaber in eine Reihe mit Ex-Premier Gyurcsány gestellt und benutzen die "verantwortungslose und egoistische Politik der Self-made-Millionäre der Gyurcsány-Bajnai-Ära" als Hauptfeindbild für den politischen Grabenkampf. Auch wird versucht, die strafrechtliche Verfolgung der beiden zu ermöglichen, notfalls durch die Schaffung und rückwirkende Anwendung neuer Gesetze.

Ob Bajnai eine tatsächliche Option für einen Machtwechsel darstellt, ist bei Analysten des Geschehens umstritten, zu stark war seine Nähe zum sozialistischen Lager, zumal auch Minister der Vorgängerregierung in seinem Think tank „Heimat und Fortschritt“ vertreten sind. Im Unterschied zu anderen Fundamentalkritikern der Orbán-Regierung verfügt Bajnai durch seine Tätigkeit jedoch über tiefere Einsichten in die Materie und die Strukturen und bietet zudem Alternativen an. Im Gegensatz zu den fachlich begrenzten Kritiken von Ex-Präsident Sólyom, traut sich Bajnai eine universelle Lagekritik zu. Seine Äußerungen im Vergleich mit einem zeitgleich erschienen "Essay" von Vizepremier Navracsics zeigen besonders krass die Gegensätze in Wahrnehmung und (Selbst-)Darstellung zwischen den antagonistischen Blöcken in Ungarn auf.

Aussöhnung und Wiederherstellung

Laut Bajnai ist die Regierung Orbáns in den letzten eineinhalb Jahren „durch die Zerschlagung der Demokratie, dem wirtschaftlichen abrutschen in Richtung Staatsbankrott und der vertiefenden gesellschaftlichen Spaltung charakterisiert gewesen.“ Ungarn habe sich in diesem Zeitraum immer weiter von Europa entfernt. In dem Blogeintrag heißt es weiter dass „der Pfad dem Ungarn folgt, radikal und ohne Verzögerung geändert werden muss“, wobei Bajnai hinzufügte, dass ein Regierungswechsel nur dann sinnvoll sei, wenn auch die aktuelle zerstörerische Regierungsweise geändert würde: „Eine neue Regierung muss ein fertiges Programm bei der Hand haben, welches ohne Verzögerung sofort angewandt werde kann, ein Programm das die Republik, die Aussöhnung und die Wiederherstellung fördert“.

"Nach anderthalb Jahren, die Viktor Orbán an der Macht ist, ist festzustellen, dass seine rechtskonservative Regierung Ungarn in die entgegengesetzte Richtung all jener demokratiepolitischen und wirtschaftlichen Ziele lenkt, die die Gesellschaft im Zuge der Wende 1989/90 artikulierte. … In Ungarn hat sich eine eigentümliche Synthese von Machtgier, wirtschaftlicher Inkompetenz und zynischer Gesellschaftswahrnehmung herausgebildet. ...Methodisch hat die Regierung Orbán der ungarischen Demokratie Wirbel um Wirbel das Rückgrat gebrochen."

Erholungsprogramm für die Wirtschaft

Das Programm für die Republik müsse ein Aktionsplan zur Wiederherstellung der konstitutionellen Demokratie und der Regierungsfähigkeit beinhalten. Ein Programm zur Aussöhnung werde gebraucht, um einen sozialen Konsens auf Basis nationaler Ziele zu erreichen, der über Regierungsperioden hinweg reicht und von Bestand ist. Das Programm zur Wiederherstellung müsse es der krisengeschüttelten Wirtschaft durch gezielte Regierungsmaßnahmen- und Reformen ermöglichen, sich schnell zu erholen und zu stärken, was als wesentliche Schwäche der Maßnahmen dieser Regierung verortet wird.

Konkret nannte Bajnai mehrere Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und der Wiedererstarkung der Wirtschaft. Stabilitätsmaßnahmen sollten dauerhafte und strukturelle Reformen beinhalten, so müsse z.B. der gegenwärtige Zustand der öffentlichen Verkehrsmittel radikal geändert, Subventionen an Firmen im Staatsbesitz gestoppt und die Bildungs- und Gesundheitsversorgung rationalisiert werden. Damit die Wirtschaft wieder wachsen kann, müsse die Regierung einige ihrer jüngsten Entscheidungen revidieren, insbesondere die  flat tax abschaffen, die Sonderabgaben für Banken und multinationale Unternehmen gestoppt werden.

Bajnai, als er noch im Amt war. Dahinter, damals noch etwas gelangweilt, sein Nachfolger Orbán.

Irrationaler Kurs

Auf der institutionellen Ebene müssten Garantien erbracht werden, dass der bisherige irrationale Kurs in der Wirtschaftspolitik nicht wieder eingeschlagen wird, hierbei seien zunächst vor allem die Nationalbank und der Haushaltsrat wieder zu ihren ursprünglichen Wächterfunktionen zurückzuführen, rückwirkend gültige Gesetze müssten verboten und die Zahl der Kardinalgesetze, die eine Zweidrittel-Mehrheit benötigten, reduziert werden.

Bajnai klagte die Fidesz-Regierung an, die „historisch einmalige Chance“, welche diese durch ihre Zweidrittel-Mehrheit bekommen hatte, missbraucht und das Land in eine Richtung geführt zu haben, welche allen Zielsetzungen der letzten zwanzig Jahre zuwiderläuft. „Als Antwort auf die Wahlniederlage 2002 demonstriert der Fidesz nun einen Ansatz, welcher den Machterhalt nicht mehr durch eine gute Regierungsführung sichern will, sondern durch die totale Regierungs- und sogar Parteikontrolle über die öffentliche Verwaltung, die Wahlgesetze und den Medien.“

Schlimmster Zustand seit der Wende

In praktischer Hinsicht ist die Demokratie im Grunde nichts anderes, als die Möglichkeit, eine schlechte Regierungsleistung rasch und friedlich zu korrigieren. Eine schlechte Regierungsleistung kann sich herausbilden einerseits als Folge von Irrungen und falschen Entscheidungen und andererseits als Ergebnis einer Machtpraxis, die dem Gemeinschaftsinteresse zuwiderläuft. Derzeit haben wir es mit beidem zu tun. ... Eine schlimmere Kombination hat die ungarische Demokratie in den vergangenen zwanzig Jahren nicht gesehen." Die Regierung stehe heute vor einer einfachen Entscheidung, sagte Bajnai. „Entweder sie fragt den IWF nach einem stand-by-Kredit mit strengen Bedingungen oder der Staatsbankrott ist unausweichlich.“

red. / Varga / ms.

 

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