(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1866
Autor unbekannt
Berliner Briefe *
* Bei der Wichtigkeit, welche Berlin durch die Entwickelung der Ereignisse gewonnen, haben wir Sorge getragen, unseren Lesern durch fortlaufende feuilletonistische Berichte ein treues Bild der gesellschaftlichen Strömung in der preußischen Hauptstadt zu bieten. D. Red.
vgl. dazu: “Aus Wien, 1866”
Berlin, 8. Juni. Jeder Künstler, der zum ersten Male vor ein neues Publikum tritt, kommt über eine gewisse Befangenheit nicht hinaus, und so ist es wohl auch einem harmlosen Berichterstatter nicht zu verargen, wenn er mit großer Schüchternheit seine Feder in die Tinte taucht und fürchtet, darin sitzen zu bleiben. Ein solch erstes Debut ist für den Betreffenden eni sehr feierlicher Akt und ich müßte eigentlich, wie Händel, der sich stets im Gallaanzuge an seine Kompositionen begab, meinen Leibrock anziehen und mich im visitenmäßigen Anzuge vor dne Schreibtisch und den verehrten Leser stellen. Aber Hebert Spencer sagt in einem seiner vortrefflichen Essays, daß Niemand im Stande sei, ein gesundes philosophisches System zu bilden, der sich der tyrannischen Mode, im Frack und weißer Halsbinde zu einer Abendgesellschaft zu gehen, unterwerfe und ich fürchte, daß es in dieser gesellschaftlichen Zwangsjacke nch schwerer ist, jene harmlosen Plaudereien über „Alles und Nichts“ zu beginnen, mit denen ich heute vor ein hochverehrtes Publikum treten soll. Ich ziehe es deshalb vor, in meinen alten bequemen „Gottfried“ zu kriechen und es schlimsmten Falles mit jenem feinfühligen Briefeschreiber zu halten, der am Schlusse seines Handschreibesn um Entschuldigung bat, seinen Brief in Hemdärmeln geschrieben zu haben.
Doch wie soll ich es anfangen, um shcon durch einen lebhaften Auftakt oder gar durch eine rasch aufgespielte Ouverture günstige Erwartungen zu wecken? Die Sonne scheint wieder und der Frühling der bisher nur im Kalender stand, hat sich wirklich bei uns eingefunden und mit all den rührendne Klagen über schlechtes Wetter, erfrorene Sommergäste und rothe Pfingstnasen ist es vorbei. Hier hätte ich ein ganzes Register von schlechten Späßen ziehen können, über reaktionäre Himmel- und Fortschrittssterne, kreuzzeitungsparteiliche Tage und liberale Nächte; aber selbst die kaltgewordene Junisonne wirft ihre tolerantesten Strahlen über Gut und Böse, sowohl über das Arbeiterviertel als über die Wilhelmstraße, und das Wetter ist überhaupt nichts als ein Nothnagel, den der stoffarme Feuilletonist nur in grimmigster Verzweiflung einschlagen sollte.
Abderhaman, andere Sprüche! Es verfinstert sich der Himmel! heißt es in Kopisch‘s bekanntem Gedicht: „Das Negerschiff“ und ich fürchte, es verfinstern sich die Stirne Derjenigen, vor die ich eben treten soll, sie aufzuhellen. Abderhaman, andere Sprüche! Wie wäre es, wenn ich von all den Landwehrregimentern erzählte, die ins Feld rücken, um sich für eine Sache zu schlagen, für die sie kein Herz mitbringen. Vergeblich versucht der patriotische Verein die Berliner aufzustacheln, die durchziehenden Truppen durch Butterbrode und Schnapsflaschen in eine lebenslustigere Stimmung zu versetzen; man will hier vom Kriege nun einmal nichts wissen und deshalb auch nicht den ohnehin verdrossenen „Eingezogenen“ den Mund stopfen. Und wie eingeschlossen und abgeschlossen hält man auf dne Bahnhöfen die durchziehenden Regimenter. Niemand darf auf den Perron, der sich nicht durch eine am vorherigen Tage bei der Kommandantur gelöste Legitimationskarte ausweisen kann und die Schutzleute weisen selbst die mit Erfrischungen Beladenen schonungslos vom Banhof zurück. Der König will jedem durchziehenden Regimente noch besonders Lebewohl sagen und dann mit seinen „lieben Truppen allein“ sein. Vielleicht fürchtet man blinde Schüsse. In den Zeitungen stehen dann die lebhaften Hoch‘s, die stets die durchziehenden Landwehrleute ausgerufen haben und dort steht so Vieles, was man nirgends hört, während alles Das nicht darin steht, was man hier täglich zu hören bekommen kann. Es ist fast unbegreiflich, daß es der kleinen konservativen Partei noch immer gelingt, den preußischen Monarchen über die wahre Stimmung seines Volkes zu täuschen und ihm die großen Gefahren zu verbergen, in die ihn diese Partei zu stürzen versucht. König Wilhelm ist ein außerordentlicher Soldatenfreund und die Militarorganisation ist ihm zur Herzenssache geworden, aber er ist ein gerader, ehrlicher Charakter, und wenn die Wahrheit zu ihm gelangen könnte, würde er noch im letzten Augenblicke eine andere Entscheidung treffen. Die Hofpartei versucht jedoch das Volk als eine wilde, zügellose Masse darzustellen, die fortwährend im Zaume gehalten werden müsse und bei der die geringste liberale Konzession gefährlich sei. Der preußische Premierminister hatte wirklich eine Zeit liberale Anwandlungen und stellte dem Monarchen vor, daß, um Krieg zu führen, mit der liberalen Partei ein leidlicher Frieden geschlossen werden müsse; aber König Wilhelm war hierzu nicht zu bewegen und seitdem versucht der geschmeidige Diplomat, auch ohne dies Hilfsmittel zu operiren. Da man einsieht, daß durch das Niedertrampeln der Volksrechte nimmermehr in Deutschland moralische Eroberungen zu machen, will man jetzt migezogenen Kanonen und Zündnadelgewehren den Deutschen Moral beibringen und deshalb kann jeder deutsche Patriot nur wünschen, die preußischen Staatsmanner möchten dafür so gründlich gezüchtigt werden, daß ihnen für immer die Lust vergeht, aus der Moral ein – Panzerhemd zu machen.
Die Lage des preußischen Volkes ist eine verzweifelte; es wird schonungslos in einen Krieg gezerrt, den es um jeden Preis vermeiden möchte, und dabei wird es jetzt schon an den Abgrund der Verzweiflung gedrängt. Eine allgemeine Moblimachung bringt hier eine Noth hervor, von der man sich im Auslande kaum eine Vorstellung machen kann. Es gibt in Preußen keine Familie, die nicht davon betroffen wird; hier jammert die kranke Mutter um ihren einzigen Sohn, dort die verlassene Frau mit ihren Kindern um den Ernährer, dabei herrscht eine gEschäftsstockung, wie sie in diesem Umfange selbst 1848 sich nicht so lähmend auf Handel und Gewerbe geworfen hat. Außer der ministeriellen Partei, und die kann ihre Anhänger mit der Laterne suchen, gibt es in Preußen Niemand, der den Krieg will, aber es gibt hier Leute, die nicht eher hören, als bis man ihnen die Ohren abschneidet. – Doch wohin habe ich mich verirrt? – Ich will mich selbst zur Ordnung rufen un din meine friedlichen Kellerraume zurückkehren. Es war mir eine solche Abschweifung gar nicht zu verargen; die Politik zehrt jetzt an unserem Leben, ja, an unseren Herzen und sogar die Harmlosesten räuspern sich, rücken die Schlafmütze etwas schiefer und machen sich über den Lauf der Dinge ihre eigenen Gedanken.
Miss Guloten, die berühmte Hellseherin, ist ganz zur unrechten Stunde nach Berlin gekommen. Die Somnambule will uns die Zukunft verkünden, während wir einsehen, daß wir keine mehr haben und überall Propheten auftauchen, die uns alles andere verkünden – nur keine Zukunft. Auch die Gebrüder Davenport konnten in ihrem Kasten immer poltern und sich an Händen und Füßen binden lassen, wir würden ihnen wiet dankbaerer sein, wenn sie uns lehrten, ebenso zauberschnell diejenigen Fesseln zu sprengen, die uns nicht nur schon so lange Hände und Füße, sondern auch das Herz eingeschnürt haben. Wir werden wohl Alle noch einmal hell sehen lernen, obwohl jetzt unsere Zukunft so undurchdringlich, wie das Panzerhemd, das ein von der Vorsehung Beschützter getragen hat.
Aeußerlich hat sich Berlin zwar noch nicht sehr verändert; die Menschen eilen noch immer so hastig durch die Straßen, als wäre Zeit Geld und kein werthloser Darlehenskassenschein; auch das Wagengerassel ist dasselbe, denn unsere Droschkenpferde sind noch nicht eingezogen und der gewöhnliche Straßenverkehr wird noch vermehrt, bald durch einziehende Landwehrmänner, bald durch ausziehende große Kriegsmaterial- und Pferdetransporte; aber im Innern sieht es ganz anders aus. Wohin ist das hastige Feilschen und Kaufen in den Läden, das Hämmern und Schaffen in den Werkstätten, das lustige Lachen und Beifallklatschen in den Theatern? Überall zeigt sich eine melancholische Leere. In den Läden, wo früher fünf bis sechs gewandte Kommis alle Hände voll zu thun hatten, um unserer schönen Welt das Modernste vorzulegen, sitzt jetzt der Herr selbst, einsam und allein, und vertieft sich in seine Zeitung, denn er ist sicher, daß Niemand seine friedlichen Studien über die Weltlage stören wird. Die Handwerker haben wenig oder gar keine Arbeit; viele große Fabriken stehen völlig und haben sämmtliche Arbeiter entlassen, andere Fabriken lassen Anstands halber noch noch mithalben Kräften weiter arbeiten. Die Pfandleihanstalten werden heftiger bestürmt, als vielleicht später geindliche Schanzen und die solidesten Handelshäuser fallen zusammen, als stünden sie in der berüchtigten Wasserthorstraße, die eifrige Konservative später Bismarckstraße taufen wollten. Nun, wenn das so fortgeht, wird ganz Preußen noch eine Bismarckstraße und selbst die Konservativsten schlagen sich mit „wasserthörichten Gedanken“.
Während sich sonst beim Beginn der Badesaison der Gesundheitszustand unserer Hauptstadt verschlechtert und Alles über Nerven klagt und von den besorgten Hausärzten in die Bäder geschickt wird, fühlen sich jetzt selbst die Wohlhabendsten merkwürdig gesund, es fehlt ihnen nichts, höchstens haben sie ein wenig Kopfschmerz und kein bares Geld. Die Ausflüge in die Schweiz und nach Schottland, zu den Pyramiden, sind zu Sonntagspartien nach Charlottenburg, Pankow und Tempelhof zusammengeschrumpft, Wallfahrtsorte, die sonst nur dem Kleinbürger und Arbeiter überlassen wurden. Ein panischer Schrecken hat sich der sonst so „unverfrorenen“ Berliner bemächtigt – die Besitzenden verlieren den Kopf und die Armen den Muth. Man fängt bereits an, seine baren Gelder und Schätze dem kühlen Schoße der Erde anzuvertrauen, andere denken an Flucht und verkaufen ihre bewegliche Habe zu Spottpreisen. An der Börse ist vollends ein allgemeines „sauve qui peut“ die Losung und die Gesichter vieler Spekulanten sind so lang und blaß geworden, wie manche Paragraphen unserer Verfassung. Es sind auf der Börse schon sehr bewegte Szenen vorgekommen und während die feindlichen Mächte noch Gewehr im Arm einander gegenüber stehen, ist man hier bereits mit dem Losschlagen der Papiere vorgegangen. Und mitten in dieser Unruhe wandern Schutzleute hin und her, um den Landwehrleuten die Botschaft zu bringen, daß sie zu den Fahnen und zur Verteidigung des Vaterlandes eingezogen werden. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ – Bis tief in die Nacht hinein liefen die Schutzleute mit schweißtriefendem Antlitz umher, und je leichter schließlich das große Pack Ordres wurde, das sie unter dem Arm trugen, desto schwerer wurde ihnen der Gang, denn überall trafen sie jammernde Kinder und ängstliche Frauen, die sich plötzlich ihres Ernährers beraubt sahen.
Als ob seit Jahrtausenden die Dinge dieser Welt in ähnlicher Weise ihren Verlauf genommen, ziegt sich Mars weit freundlicher gegen die Göttin der Liebe. Eine Menge Heirathen sind noch kurz vor dem Ausmarsch zu Stande gekommen, zuweilen sogar ohne alles Aufgebot, und unsere Tage können viel erzählen „von Herzen, die sich nicht vertragen und dennoch brechen, wenn sie scheiden“. Ein junges Mädchen, das sich bereits mit ihrem Bräutigam erzürnt und ihn aufgegeben hatte, soll sich in dieser Kriegsnoth mit ihrem Geliebten versöhnt und ihn sofort geheirathet haben. Uns während der Bräutigam glaubt, daß ihm die nahe Gefahr das Herz der Geliebten wieder zugeführt, flüstert sich die böse Welt zu, das junge Mädchen habe nur deshalb den bereits Entlassenen wieder durch die zärtlichsten Bande an sich gefesselt, weil sie als Frau eines „Einberufenen“ auf eine wöchentliche Unterstützung von einem Gulden Anspruch habe und ihr die Wohnung nicht gekündigt werden könne. Die Welt ist zu boshaft, sie glaubt nicht mehr an Liebe und Treue und doch ist hier vor Kurzem ein junges Mädchen wahnsinnig geworden, weil sie den Verlust ihres ins Feld rückenden Geliebten nicht zu ertragen vermochte. Nicht weniger als 60 Leherer sind hier einberufen worden und unsere Schuljugend treibt sich schon freiheitstrunkener in den Straßen herum. Auch unsere Verbrecher fühlen bereits die schlaffer werdenden Zügel, denn selbst die nächtliche Wachmannschaft ist dezimirt worden und kühner als je wird eingebrochen, dazu durchziehen noch täglich Haufen Arbeiter die Straßen und wollen beschäftigt sein; sie haben sich sogar schon vor dem königlichen Palais zusammengerottet und selsbt ohne unseren neuen Finanzminister von der Heydt wird unsere Lage immer heiterer.
Eine Menge herrschaftliche Häuser sind von männlicher Dienerschaft ganz entblößt und die besser situirte Minderheit findet sich diesmal in den Verlust ihrer Dienerschaft mit einer bewundernswürdigen Resignation. Als ich vor einigen Tagen einen mir befreundeten Herrn besuchte, der sonst einen reich gallonirten Diener um sich ahtte, fand ich den Herrn eben eifrig beschäftigt, sich eigenhändig seinen Rock auszuklopfen. Auf mein erstauntes Lächeln entgegnete der vornehme Herr mit philosophischer Ruhe: „Mein Bedienter ist eingezogen; anfangs habe ich den Schlingel sehr vermißt, aber jetzt bin ich froh, daß er fort ist. Ich bin noch einmal so gesund, seitdem ich mit ein bißchen Bewegung mache und ich erspare mir dabei viele hundert Thaler, in diesen bewegten Zeiten ist das ein großer Gewinn“, und der alte dicke Her klopfte so herzhaft darauf los, daß ihm entschieden eine Badekur in Karlsbad erspart bleibt, wenn er seine gymnastischen Übungen so entschieden fortsetzt. – Wenn die Rechen so viel entbehren lernen, wie viel müssen dann die Armen bei uns entbehren? – Es ist ein Strum im Anzuge, der bei uns das Oberste zu unterst zu kehren droht, doch das ist ein sehr gefährliches Gebiet, auf das ich mich verirrt, und ich muß mich nahc einem andern neuen Felde umsehen. Da ist das Theater, zwar ein sehr ausgefahrenes Geleis, aber der Wagen rollt dafür um so leichter dahin und es gibt Feuilletonisten, die nur auf diesen Wegen ihr Rößlein forttraben lassen. Die Brichpfeiffer hat wieder einen dramatischen Roman zur Aufführung eingereicht; das ist freilich längst keine Neuigkeit mehr. Das Drama soll ganz besonders langweilig und abgeschmackt sein und selbst diese Beobachtung an einem Birchpfeiffer‘schen Stück dürfte nicht ganz auf den Vorzug der Neuheit Anspruch machen. Die Birchpfeiffer ist alt, dich und reich geworden und schon eines dieser zum Theil mühsam erworbenen Lebensgüter sollte hinreichen, ihr das fernere Arbeiten zu verleiden.
„Ein dicker Mann, folglich ein guter Mann“, sagte schon Cervantes, und Cäsar fürchtete sich vor dem mageren Cassius. Unsere gute Frau Birchpfeiffer macht alle diese Redensarten zu Schanden; sie hört nicht gutwillig auf. Die königlichen Theater überwältigt schon der sommerliche Ferienschlaf und die kleinen Bühnen spielen vergeblich „Einberufen“, „Mobile Berliner“ und „Alles mobil“ auf; sie vermögen weder Zuschauer „einzuberufen“, noch überhaupt die Berliner „mobil“ zu machen. Nur Fräulein Geistinger vermag dies noch als „Schöne Helena“ und da hier wirklich alles nicht nur ein- sondern auch ausgezogen wird, versteht sie allein noch anzuziehen, gerade weil sie so wenig als möglich anzieht.
Die mir zu meinem Auftreten bewilligte Zeit läuft ab und ich habe in diesen schweren Zeiten noch keinen leichten Stoff gefunden, an dem ich mich übern und zeigen könnte, da ich wenigstens die niederen Künste der feuilletonistischen Seiltänzerei, als da ist Balanciren, Tanzen zwischen Eiern usw. verstehe. Zuletzt bleibt mir weiter nichts Anderes übrig, als das zu beginnen, was viel bessere Männer vor mir gethan haben, zu Versprechungen meine Zuflucht zu nehmen. Fürsten und Könige haben schon die herrlichsten Dinge, zuweilen sogar die freisinnigsten Verfassungen versprochen, warum sollte es dem armen Feuilletonisten verwehrt sein, bessere Artikle zu versprechen? Wir wissen ja doch, solche Versprechungen sind Schätze, die tief im Rhein der Nibelungenhort.
|
|