Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1866

Maurus Jókai

Presse und Zensur in Ungarn

Moricz, auch Morus, Maurus Jókai (eigentlich Mór Jókai von Ásva, 1825 – 1904) ist der wichtigste Romancier der ungarischen Romantik. Umfang und Themen seines Werkes sowie sein nationaler Stellenwert erlauben durchaus die Bezeichnung "Dumas Ungarns". Historische und nationale Sujets wurden von ihm bevorzugt, seine Novelle Saffi lieferte die Vorlage für das Libretto zur Operette "Der Zigeunerbaron". Jókai war ein engagierter Förderer der ungarischen Nationalliteratur und ein Modernisierer der ungarischen Sprache. Er arbeitete als Herausgeber wichtiger Literatur- und Gesellschaftsmagazine in Wien und Budapest. („Hon”, „Üstökös”).

Dem Pester Lloyd war er durch etliche Vorabdrucke seiner Romane verbunden. Dort initiierte er auch die Erstveröffentlichung von Jules Vernes´ Texten in deutscher Sprache. Jókai war Abgeordneter zum Ungarischen Parlament vor dem Ausgleich mit Habsburg 1867. Sein Beitrag über die Geschichte der Zensur in Ungarn basiert auf einem Vortrag im neu gegründeten Journalistenklub und diente nicht zuletzt der Sitmmungsmache bei den Verhandlungen über den Ausgleich mit Österreich, die vom Pester Lloyd als Quasi-Organ der Déak-Partei unterstützend begleitet wurden. Uns bietet sein Text eine anschauliche Einführung in das schwierige Verhältnis von Österreich und Ungarn, eine kurze Geschichte des ungarischen Journalismus, garniert mit jeder Menge lehrreichen wie amüsanten Anekdoten. Man kommt um die Schlußfolgerung nicht herum, dass die Zensur der Presse nicht nur unmöglich, sondern auch dumm ist. Versucht wird sie dennoch immer wieder. m.s.

Zum Thema: Zensur der Zensur, Julian Weisz, 1920

I. Teil

Jedermann nennt die Presse die sechste europäische Großmacht; es gibt aber noch eine stärkere siebente Großmacht – die Zensur; und gewiß sind in allen Kriegen der europäischen Pentarchie nicht so viele Menschen vom Schwert, von Kanonen und Zündnadelgewehren hingerafft worden, als jene siebente Macht mit ihrem Rothstift Geisteskinder der sechsten Großmacht getödtet hat. Die Zeit aber überwältigt und zerstört auch die Stärksten, und so beginnt denn auch schon der Stand der Zensur der Presse gegenüber ein schwieriger zu werden. Wie sehr wir in diesem Kampfe zwischen Zensur und Presse vorwärts geschritten, zeigt auch ein Blick auf die literarischen Zustände Ungarns. Freilich mußte ein langer Zeitraum verfließen, bis es dazu kam, daß die Regierung, selbst wenn sie unsere Grundsätze nicht theilt, doch dieselben anzuhören bereit ist, und daß ein Schriftsteller es versucht bei der Preßbehörde mit einem Aufsatze anzuklopfen, der – eben die Zensur zum Gegenstand hat.

Die Zensur war ehemals überaus streng, ja mehr als streng, sie war skrupulös und minutiös; meist war sie in den Händen der Geistlichkeit, später wurde sie von Regierungsbeamten geübt. Unter dem Vorwande, den Jakobinismus in Ungarn zu unterdrücken, suchte man jeder Bewegung der politischen Presse die Wurzel abzuschneiden. Und dieser Zweck wurde in der That – auf kurze Zeit – erreicht. Die Flamme nationaler Begeisterung, die in den letzten Regierungsjahren Joseph‘s II. aufgelodert war, wurde bis auf dne letzten Funken in Asche begraben, in jenen Kerkermauern, die einen Kazinczy, Verseghy, Bacsányi, Szentjóbi, Szabó, u. A. umfingen. Das damalige Ministerium Thugut glaubte, den Flug der Weltgeschichte aufhalten zu können, wenn es eine Handvoll Schriftsteller zum Schweigen bringt. Die eben erst entstandenen ungarischen Zeitschriften: „Magyar Múza“, „Magyar Muzeum“, „Orpheus“, „Urania“, „Mindenes Gyütemény“ hörten eine nach der anderen zu erscheinen auf, die Schriftsteller schwiegen gezwungen oder freiwillig; Gesellschaften zur Ausbildung der Sprache wurden einfach verboten; und so herrschte dann bis zum Schluß des vorigen Jahrhunderts eine wahre Todtenstille und es umgab die österreichischen Staatsmänner eine gespenstische Leere, in der sie sich ganz so wohl wie – in einer Gruft fühlen durften.

Zeitgenössische Karikatur über die Presse-Zensur in Ungarn. Während freie Medien und Journalisten unmittelbar nach der Revolution gegen Habsburg noch physisch an der Kette lagen, knebelte sie ein Jahrzehnt später ein reaktionäres Pressegesetz.

Eigentlich ist es mir unbegreiflich, wovon denn damals die Zensoren lebten, wenn sie nicht etwa ein anders Gewerbe trieben. Ein Zensor in Schmerling‘scher Epoche, - ah! der verdiente sich sein Brod. Von Früh bis Abend Zeitung lesen! Außer den allgemeinen Preßvorschriften auch noch die Spezialverordnungen: „Worüber, wann, wem, wozu, und ob überhaupt zu schreiben erlaubt ist?“ im Kopfe haben! Die versteckten Anspielungen aus den Scherzen böser Witzblätter geschickt herauszufinden! Bis 1 Uhr nach Mitternacht den bodenlosen Blättersumpf durchwaten! Jeden Augenblick fürchten, ob nicht bei der großen Eile etwas unbemerkt geblieben, was morgen der eifrige Herr X. oder der Herr Y. im Kaffeehause entdecken und spornstreichs der höheren Behörde zeigen, worauf dann Rüge und Ähnliches erfolgen könnte! (Denn bekanntlich gibt es Leute, die auch die Zensur superrevidiren.) Dann die Reihen, Streifen und ganze Furchen bezeichnen, diese in die Druckerei zurückschicken, dann wieder das korrigirte Exemplar abwarten und dieses mit dem beanstandeten vergleichen! Und Alles das in den Stunden zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung! – ich weiß wahrhaftig nicht, wann so eine Preßbehörde zu schlafen pflegt. Oder kennen etwa die Augen der Vorsehung den Schlummer gar nicht?

Solche geplagten Märtyrer der Gesellschaft gab es nun in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch nicht. Ein neues Buch in ungarischer Sprache ging nur selten aus der kanrrenden Handpresse hervor, meist wurden nur Kalender gedruckt. Freilich geschah es auch einmal (und zwar schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts) solch unschuldgem Kalender, daß der Monat Februar darin konfiszirt wurde, weil der patriotische Setzer den Namen „Zoltán“ neben einen Tag als Heiligen gestellt hatte, welche Kühnheit, da Zoltán nicht unter den Heiligen figurirt, als ein Vergehen gegen die Religion angesehen wurde. Nur dem ingeniösen Geiste des Kalenderverlegers ist es zu danken, daß jenes Jahr nicht um den Februar kam; er beschwichtigte nämlich den religiösen Skrupel mit der Erklärung, daß „Zoltán“ gleichbedeutend mit „Sultan“, d.h. Herrscher, ist, und also dem griechischen Basilius entspricht. So schlüpfte der Name des Königs „Zoltán“ unter dem Schutze des heiligen Basilius in die Reihe der Märtyrer.

Ähnlichen anekdotischen Charakter tragen die meisten Erinnerungen vom Zensurwesen der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Eine eigentliche Blätterkonfiskation konnte nicht vorkommen, da zur Herausgabe einer Zeitung ein Privilegium erforderlich war, die damaligen Blätter aber sich blos auf eine farblose Aufzählung der Ereignisse beschränkten und jeder Bemerkung darüber sich enthielten. Bücher machten der Zensur noch weniger zu schaffen. Das Manuskript jedes zu veröffentlichenden Werkes mußte in zwei Exemplaren bei der Zensur eingereicht werden, darin strich und verbesserte der Zensor nach Belieben und Geschmack und iwe ihm seine Instruktion befahl, dann wurde das eine Exemplar, mit einer Schnur durchzogen, und mit dem schützenden „Typis admittitur“ versehen, in den Druck gegeben. Häufig wurde diese Formel auch auf das erste Blatt des Werkes gedruckt, um so gleichsam mit dem amtlichen Zeugniß vor die Welt zu treten, daß die Gegend, durch welche der Pegasus gezogen, frei von liberalen Epedemien ist. Ein besonderes Augenmerk hatte die Zensur nur darauf zu richten, daß nichts „gegen die Moral und die Religion Verstoßendes“ vorkomme. Dabei ging sie aber mit der Prüderie einer englischen Gouvernante zu Werke. So z.B. strich sie die beiden Zeilen Csokonai‘s: „Kann solch‘ mächtger Ätna flammen unter zwei so runden Hügeln?“ Aus einer „zertrümmerten Nepomuk-Statue“ machte die Phantasie des Zensors „ein müßig liegendes Bot“.

Im Jahre 1821 verbot ein Regierungserlaß den Eingang aller ausländischen politischen Blätter, mit Ausnahme der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, ja es wurden sogar wissenschaftliche und reinliterarische Zeitschriften mit diesem Interdikt belegt. (Anm: Metternich hielt es damals nicht einmal für nötig die von ihm selbst inszenierten Karlsbader Beschlüsse, die zwar strenge, doch gangbare vor allem einheitliche Zensurregelungen für den ganzen Deutschen Bund enthielten, in Österreich 1819 auch nur zu verkünden. Statt dessen schuf er ein nur für Österreich und seine Lande geltendes Zensursystem, das noch hinter die katholischen, ängstlich-strengen Jesuiten-Edikte unter Maria Theresia zurückfiel und in ganz Europa unübertroffen blieb.)

Überdies wurde den ungarischen Zensurbehörden pharaonische Strenge auch gegen die heimischen Geistesprodukte anempfohlen. Diese Kraftanstrengung war aber schon verlorene Mühe; der Nationalgeist war nun bereits erwacht, und die Schwingungen der Zeit können durch menschliche Kraft wohl gehemmt, doch nicht gänzlich unterdrückt werden. Die Komitate erhoben ihre Stimmen gegen die strengen Preßverordnungen; namentlich waren es die Stände des Barser Komitates, die in ihrer Repräsentation an die königl. Statthalterei der Gesinnung des Landes den getreuesten Ausdruck gaben. „Die Stände“ – hieß es in dieser Repräsentation – „betrachten Zeitschriften als Bildungsquellen, … warum soll ein gemeinnütziges Band des sozialen Lebens zerrissen werden? …“ Also und in ähnlichem Sinne schrieben die Komitatskommunen eines „Táblabiró-Volkes“ im Jahre 1820 in Angelegenheit der Preßfreiheit, und sie bewiesen damit, daß sie dem damaligen Zeitgeist um ein halbes Jahrhundert voraus waren, während die Regierung, die diesen Repräsentationen kein Gehör gab, um eben so viel hinter dem Zeitgeiste zurückgeblieben war.

Politische Presse und politisches öffentliches Leben scheinen einander zu bedingen und Eines ohne das Andere nicht denkbar zu sein. Wir in Ungarn haben aber doch das Gegentheil erfahren. An drei Reichstagen konnte die Abgeordneten über alle möglichen Reformen sprechen, - zu diesem Zwecke waren sie ja zusammenberufen; aber ihre Reden durften von der Presse nicht wiedergegeben werden. Der Reichstag vom Jahre 1825 konnte diese falsche Situation nun schon schwer ertragen; der 1830er Reichstag dem Übel abhelfen und vor Allem ein Reichstagsblatt ins Leben rufen, das keiner Präventivzensur, von der unsere Gesetze nichts wissen, unterworfen sein sollte. Aber ungeachtet der großen Begeisterung und obwohl man sehr schöne Reden über Preßfreiheit halten konnte, beschloß man doch nur so viel, daß irgend ein Herausgeber sich vorher um die Konzession an die Regierung wenden soll, und nur wenn die Regierung dieses Ansuchen zurückweisen würde, wollen die Stände dann mit Nachdruck auftreten. Natürlich hatten aber die Regierungsmänner o viel patriotische Klugheit, daß sie das Ansuchen weder bewilligten noch abwiesen, sondern sie zogen die Sache so lange hin, bis der Reichstag geschlossen und somit kein Reichstagsblatt mehr nöthig war.

Zum Reichstag im Jahre 1832 brachte aber schon ein großer Theil der Ablegaten Komitatsinstruktionen wegen Gründung eines Reichstagsblattes mit. Nun fragte es sich nur, wie daran zu gehen. Ein Theil beantragte: Alexander Bertha, der Historiograph des früheren Reichstages, möge ein diesfälliges Gesuch an die Stände richten; diese werden es bewilligen, worauf Jener gleich zur Herausgabe schreiten kann. Sollte ihm die Statthalterei den Druck verbieten, so werden ihn die Stände in Schutz nehmen. Das wäre recht gut gewesen, wenn sich nur ein Drucker gefunden hätte, der sein Druckereiprivilegium aufs Spiel setzen wollte. Nikolaus Wesselényi schlug vor, die Stände sollen eine lithographische Anstalt einrichten und selbst das Blatt herausgeben. Der Gedanke war praktischer und kühner, aber die Stände wollten nicht um dieser Sache willen in Konflikt mit der Regierung gerathen und beschlossen, den Instruktionen ihrer Komittenten in der Weise zu entsprechen, daß sie ein geschriebenes Blatt redigiren lassen und dieses den Komitaten zusenden werden.

Die Redaktion dieses geschriebenen Blattes übernahm ein junger Advokat, der als Ablegatus absentium dam damaligen Reichstage theilnahm, - der nachmalige berühmte Redakteur des „Pesti Hírlap“, später Abgeordneter und noch später erster ungarischer Finanzminister.

II. Teil

„Mitteilungen vom Reichstag“ war der Titel des geschriebenen Blattes, das während des 1832er Reichstages erschien. Wie dieses Blatt auf das Publikum gewirkt, vermag auch der zu beurtheilen, der jene bewegte Zeit zwar nicht mitgelebt hat, aber mit dem Gegenstand der damaligen Kämpfe vertraut ist und dabei auch an die glänzende Genialität denkt, mit welcher der Redakteur diese Kämpfe darstellte. Die Regierung konnte gegen dieses Blatt nichts weiter thun, als daß sie die Exemplare auf der Post wegnehmen ließ, aber die Komitate halfen sich, indem sie die Blätter durch Haiducken versandten. Es war ein merkwürdiger Kampf, den das Recht und der Geist gegen die materielle Gewalt führten.

Mit dem gedruckten Blatte jedoch war es wieder nichts. Die Magnaten verweigerten ihre Zustimmung, bei der Ständetafel erklärte das königliche Personal, die Zensur gehöre zu den Rechten des Monarchen. Darüber kam es zu harten Angriffen, aber das Blatt kam doch nicht zu stande; noch mehr, es wurde sogar den damals bestehenden Blättern („Jelenkor“, Hazai tudós tások“) verboten, Anderes aus den Reichstagsreden abzudrucken, als was die amtlichen deutschen Blätter gebracht hatten.

Nach dem Schluß des Reichstages kam der Redakteur jenes geschriebenen Blattes nach Pest und gab hier wieder eine schriftliche Zeitung unter dem Titel: Törvényszéki tudósitások“ heraus, welche noch größere Wirkung auf das Publikum übte. Da die Regierung dies nicht hindern konnte, weil die Stände des Pester Komitates sich nicht zum Vollzug des Verbotes herbeilassen wollten, so ließ sie den Redakteur verhaften und einen Hochverrathprozeß gegen ihn bei der königlichen Tafel einleiten. Seine Untersuchungshaft, die ein Jahr dauerte, brachte jener Redakteur in derselben Kaserne zu, in welche auch im Jahre 1863 mehrere Redakteure gebracht wurden. Der geschichtlichen Wahrheit zu Steuer müssen wir aber bemerken, daß während diesen letzteren, von Militärbehörden abgeurtheilten und durch Militär bewachten Redakteuren die humanste Behandlung zu Theil wurde, jener Redakteur, der sich nur erst im Anklagestand befand, von der alten, gepriesenen ungarischen Dikasterialregierung in das engste Loch der Kaserne gesperrt wurde, wo zwei Drittel des Fensters vermauert waren, wo er weder Lektüre noch Schreibrequisiten erhalten und Niemand ihn besuchen durfte, bis nach einem Jahre die königliche Tafel das auf drei Jahre Gefängnis lautende Strafurtheil über ihn aussprach, welches von der Septemviraltafel auf vier Jahre verschärft wurde.

Wir glaubten, diese nicht ganz zum Gegenstande unseres Aufsatzes gehörende Thatsache hervorheben zu müssen, zu Nutz und Frommen Jener, die uns aus dem gegenwärtigen traurigen Stande nur dazu herausbringen möchten, um uns in einen noch traurigeren Zustand zurückzuführen. Jetzt wird ein Redakteur doch nur über das, was er geschrieben, verurtheilt; damals aber verurtheilte man ihn darum, daß er zu schreiben gewagt, ohne gar das Was? zu prüfen.

Am Reichstage 1839 wurde die Sache schärfer in Angriff genommen, aber wieder setzten die Magnaten ihren Widerspruch entgegen. Das Unterhaus hatte dem von Ludwig Batthyányi im Oberhaus auf‘s Tapet gebrachten Vorschlag, ein Blatt herauszugeben, welches blos die öffentlich gehaltenen Reden mitzutheilen hätte, sehr praktisch gefunden, und der Gegenstand veranlaßte eine stürmische Sitzung. Der königliche Personal versuchte wieder mit dem Nimbus der Legalität die Zensur zu vertheidigen, wogegen Klauzál protestirte; die ganze liberale Opposition, die große Majorität, erhob sich wie Ein Mann, um sich diesem Protest anzuschließen, es wurde ein Nuntium in Angelegenheit des Blattes an die Magnatentafel gesandt, die aber, wie gewohnt, die Sache durchfallen ließ. Und so durfte der Reichstag auch ferner wohl sprechen, seine Reden aber nicht drucken lassen. Die heißen Debatten hatten aber doch den Erfolg, daß nunmehr den politischen Blättern von der Regierung gestattet wurde, manche bemerkenswerthe Rede – jedoch mit Weglassung des Namens des Redners – mitzutheilen.

Im Jahre 1841 begann eine neue, bessere Zeit für die ungarische Presse. Erleuchtetere Männer fingen an Einfluß auf die Regierung zu üben. Die Zensur wurde zwar nicht abgeschafft, aber es wurden neue Zensurnormen erlassen und die Handhabung der Zensur der „Studienkommission“ übergeben, welche unter Leitung des Kammerpräsidenten Alois Mednyánszky stand. Der war Regierungsbeamter, aber zugleich ein Mann von konstitutioneller Gesinnung und ein aufgeklärter Kopf. Die Fesseln der Presse wurden also gelockert, und man konnte jetzt einen Ideenaustausch beginnen über gewisse staatsrechtliche Fragen, deren bloße Überschrift man früher nicht hätte niederschreiben dürfen.

Damals entstand das „Pesti Hírlap“. Daß die Wiener Regierung denselben Publizisten, den sie wenige Jahre vorher wegen seiner geschriebenen Zeitung hatte einkerkern lassen, nunmehr als Redakteur des „Hírlap“ bestätigte, das beweist, daß man damals schon einzusehen begann, wie sehr es einer Regierung Noth thut, auch das zu wissen, was die Opposition in einem Lande spricht; und es verdient bewundert zu werden, daß Metternich schon damals besser darüber aufgeklärt war, als seine späteren Nachfolger, Bach und Schmerling, die doch den Fortschritt des Jahrhunderts repräsentiren wollten.

Das „Pesti Hírlap“ schuf eine neue Epoche nicht nur in der Presse, sondern im gesammten öffentlichen Leben unseres Vaterlandes. Das Blatt half gewissen erhabenen Ideen zum Siege, für die man früher nicht einmal einen Namen hatte. Es kämpfte für Ablösung der bäuerlichen Lasten, für allgemeine Steuerpflicht, für das Prinzip der Rechtsgleichheit, für Reform der alten Institutionen und für die Aufnahme vieler neuer Zeitideen. Mit welchem Erfolge? Das zeigt die Anzahl seiner Abonnenten, die sich auf 5000 belief. Mit welchen Gegnern es zu thun hatte? DAS zeigen jene bedruckten Blätter, in welchen ein Graf Stephan Széchenyi, mit gleicher Genialität, mit gleicher Vaterlandsliebe, aber einer andern Richtung und einer andern Überzeugung folgend, den Ideen des „Pesti Hírlap“ gegenüber kämpfte. Damals war die Presse die größte Macht in Ungarn. Heute ist sie es nicht. Sie hat heute auch nicht solche gewaltige geniale Leiter, wie die beiden Männer Kossuth und Széchenyi, die mit der Initiative ihrer Ideen als Feuergeister vor dem Publikum einhergingen, um diesem in eine große und weitreichende Zukunft hineinzuleuchten. Die Zeichen sind aber auch gar nicht für das Walten solcher Geister in der Presse geeignet. Wir sind jetzt nur bescheidene Kompilatoren der Äußerungen der öffentlichen Meinung, und auch das ist eine genug ernste Aufgabe. Daß aber irgendein Leiter in der ungarischen Journalistik mit seiner genialen Initiative auftrete und vorwärtsschreite, dazu sind diese Nächte nicht geeignet. Jetzt würde selbst der höchste Pharos mit seinem Lichte nichts Anderes zeigen als angsterregenden Nebel, und es ist genug gut, wenn der Steuermann in der Journalistik in dieser sternlosen Nacht nur nach dem Kompaß des Patriotismus sich richtend, das Schiff der öffentlichen Meinung vor dem Abirren von der rechten Bahn zu behüten versteht.

Genug – die Zeit der Kossuth-Széchenyischen Kämpfe über Verfassungsreform war und bleibt das goldene Zeitalter der ungarischen Presse. Und die Zensur? An die hätten wir bald vergessen! Nun, die Zensur ist eine Dame, und einer Dame soll es ja zum schönsten Lob gereichen, wenn man am wenigsten von ihr zu sprechen hat. So war es auch die rühmlichste Zeit in der Geschichte der Zensur, aus welcher am wenigsten von ihr zu berichten ist. Die Regierung griff nicht zu solchen Maßregeln, wie Verbot und Unterdrückung; sondern sie gründete, wie dies in konstitutionellen Ländern Brauch ist, zur Vertheidigung ihrer eigenen Ansichten und für ihre eigenen Partei ein besonders Blatt – den „Világ“.

Die heutigen Regierungsmänner haben da auch schon versucht; aber die ehemalige Regierung hatte eine wirkliche Regierungspartei zur Seite, sie hatte für ihr Organ auch ein wirkliches Publikum, und sie konnte zum Redakteur desselben auch eine wirkliche Kapazität wählen, die sich aus Überzeugung dafür hergab; sie war nicht genöthigt, professionelle Federn in Thätigkeit zu setzen, deren Arbeiten kein Gewicht haben. Damals war nun Graf Aurel Dessewffy der Vertreter der Regierungspartei auf dem Gebiete der Presse. Er war ein Mann von großem Geiste, ein Mann der Überzeugung, der an die Sache, die er vertheidigte, auch glauben konnte. Und dies war für die Regierung eine wirksamere Vertheidigung als jede Zensur, das Verfahren war würdiger einer Nation sowohl wie einer Regierung.

Der Kampf zwischen solchen großen Kapazitäten konnte nur ein großartiger sein; er war auch bitter und schonungslos genug, doch niemals unedel. Beide Theile vertraten Zeitideen, Prinzipien des staatlichen Lebens; keine derselben vertrat kleinliche selbstische Interessen. Oft traf es sich auch, daß die beiden scharf gesonderten Parteien bei Zeitfragen, die mit den unleugbaren Forderungen des freisinnigen Fortschrittes in den Vordergrund traten, sich in der Presse die Hände reichten und nach dem gleichen Ziele strebten, wie dies z. B. in der Frage der allgemeinen Besteuerung mit „Pesti Hírlap“ und Emil Dessewffy‘s Flugschriften der fall war.

Auf dem Reichstage 1843 kam die Angelegenheit des zensrufreien Reichstagsorganes wieder zur Sprache, und wieder versagten die Magnaten ihre Zustimmung zu dem allgemeinen Verlangen. Aber die Zensur war jetzt liberaler als die Magnatentafel, sie gestattete dem „Pesti Hírlap“ Mittheilungen vom Reichstag in welcher Ausdehnung immer zu bringen.

Ein je mächtigerer Faktor unseres öffentlichen Lebens die Presse zu werden anfing, zu desto geringerer Bedeutung sank die Zensur herab; und wenn sie ihre unbeschränkte Macht noch übte, so ließ sie diese nur Kapazitäten dritten Ranges fühlen, wie etwa Michael Tancsics, den meistgequälten literarischen Märtyrer, der in den vierziger Jahren wegen Veröffentlichung von Ideen bestraft wurde, die in Ungarn niemals ein Publikum hatten. Tancsics ist eine ganz eigenthümliche einzige Erscheinung in der ungarischen Literatur. Durch seine Abkunft an die untere Volksklasse geknüpft, hält er es für seine Pflicht, deren Interessen im Herzen zu tragen und mit seiner Feder bis zum Extrem zu verfechten; er lernte erst im 20. Lebensjahre lesen und zeichnete sich durch einen diogenesartigen Stoizismus in seiner Lebensweise aus. Oft konnte man, auch schon in seiner schriftstellerischen Epoche, sehen, wie er, die Butte auf dem Rücken, die Produkte seiner gärtnerischen Thätigkeit – auf den Grünzeugmarkt zu bringen eilte. Dreimal in meinem Leben begegnete ich ihm. Zuerst am 15. März 1848, wo ich zu seinen Befreiern gehörte; dann in Debreczin, wo wir Gegner waren und Blätter von entgegengesetzter Tendenz redigirten, und endlich 1863 als Kerkergefährte in der Ofner Josephskaserne, wohin uns beide unsere literarische Thätigkeit gebracht hatte. Bei allen drei Gelegenheiten erkannte ich den gleichen Schwärmer in ihm.

Zum Thema: Zensur der Zensur, Julian Weisz, 1920