(c) Pester Lloyd / Archiv
Aus dem Pester Lloyd von 1920
Nachgeschrieben von Julian Weiß
Zensur der Zensur
(Eine Rede, die nicht gehalten werden konnte und daher recht ungehalten klingt.)
Zum Thema: Jókai - Presse und Zensur in Ungarn, 1866 / Börne, Heine und Saphir sprechen über Presse und Pressefreiheit, 1929
Meine Herren! Gestatten Sie, daß ich mir das Wort erteile und ebenfalls ein Wort über die Zensur sage, die wieder einmal auf der Anklagebank sitzt, sich aber dabei ungemein wohl befindet. Mag sein, daß viele Hunde des Hafens, und viele Aerzte des Kranken Tod sind, viele Enqueten jedoch sind gleichsam Lebensversicherungen der Zensur, der die Franzosen den Spottnamen Madame Anastasie gaben, vielleicht bloß deshalb, weil sie sich einer beispiellosen Anästhesie erfreut und unempfindlich ist wie ein aus hartem Holz geschnitztes Götzenbild. Welche Kämpfe gegen die Zensur wurden bereits in Ungarn ausgefochten, und zu all ihren Ab-, Spiel- und Unarten mußten wir noch die Tollheiten einer rumänischen Zensur ertragen. Einer meiner besten Freunde schrieb in jenen Tagen ein Feuilleton unter dem Titel: „Modegirls Tagebuch“, das Ihnen, meine Herren, und vielleicht auch Ihren verehrten Gattinnen noch nicht ganz aus der Erinnerung geschwunden sein dürfte. In diesem Feuilleton sollte in humoristischer Weise die Psyche eines der Mode nachlaufenden Gänschens erklärt und aufgezeigt werden, wie dieses Geschöpfchen nach allerlei Irrungen und Wirrungen für die weiße Feder der Soldaten zu schwärmen beginnt. Der rumänische Zensor strich aber – die weiße Feder! Das Feuilleton erschien mit einem kleinen „Fenster“, wie man die weißen Flecke zu nennen pflegt, die Madame Anastasie in die Zeitungen stickt, und rief die unmöglichen Kombinationen wach. Man vermutete, daß Modegirls Tagebuch mit einem Ausfall gegen die hohe Obrigkeit, gegen die Rumänen nämlich, geschlossen hätte, und doch war bloß von einer harmlosen Feder die Rede. Der Uebereifer des Zensors hatte just das Gegenteil dessen erreicht, was er anstrebte. Auch mein Freund kann sich leicht trösten. Ihm nahm der rumänische Zensor bloß eine Feder, während er anderen Leuten, wie wir in den Zeitungen lasen, auch Geld und Geldeswert nahm. Hat man meinem Freunde die Feder eines Gänschens ausgerupft, bleibt ihm doch noch seine Stahlfeder und mit dieser darf er die Zensur kitzeln und stechen, wenn er eben Lust hat, eine ziemlich zwecklose Arbeit zu verrichten, etwa wie derjenige, der draußen im Stadtwäldchen der Ohrfeigenpuppe ebenfalls einen Schlag versetzen will.
Der Kampf gegen die Zensur ist fast so alt wie die Zensur selbst, und die Zensur hinwieder ist fast so alt wie die Zeitungen. Die ersten handschriftlichen Zeitungen, sogenannte Foglietti, findet man in Italien im Jahre 1554, und schon 1571 erließ Papst Pius V. eine Bulle gegen die Zeitungsschreiber. Die Spanier besitzen seit 1661 ihre „Gacetta de Madrid“, hinter der allerdings der Zensor immer einherging; oft auch in der Maske des Inquisitors. Die verschiedenen englischen Wochenschriften wurden von der drakonischen Zensur Anno 1650 unbarmherzig abgeschlachtet, und selbst in Frankreich, wo die Revolutionszeit feurige Journale aus dem Boden sprießen ließ, gab es im Jahre 1790 mehr als 300 Zeitungen, und 1800, dank der Zensur, kaum noch zehn Blätter. In Deutschland hatte der Kurfürst von Mainz im Verein mit den Päpsten schon um 1480 keine Zensur. Hier erschien erst 1609 eine sonderbare Zeitung unter dem kurzen Titel: „Relation aller fürnehmen und gedenkwürdigen Historien, so sich hin und wieder in Hoch- und Niederdeutschland, auch in Frankreich, Italien, Schott- und Engelland, Hispanien, Hungern, Polen, Siebenbürgern, Wallachen, Moldau, Türkei verlaufen und zutragen möchten“, - aber die Zensur verhinderte alsbald den Druck aller deutschen Journale. So könnte man ähnlich der berühmten Preisfrage, ob das Ei früher da war als die Henne oder umgekehrt, auch dem Problem nachgrübeln, ob die Zensur älter ist als die Presse, oder die Zeitung älter ist als die Zensur. Wie dem auch sei, es gibt bei uns Leute, denen die Zensur niemals streng genug sein kann und die am liebsten das Schlagwort ausgeben möchten: Ich will keine Journalisten mehr sehen!
Kaum ein Land der Welt hätte jedoch mehr Ursache, auf seine Journalistik stolz zu sein, als Ungarn. Die erste magyarische Zeitung wurde in Preßburg 1781 gedruckt und seither hatte die ungarische Presse mit der Zensur zu ringen. Graf Fidel Pálffy, der Oberzensor der vormärzlichen Aera, ließ Ludwig Kossuth ins Gefängnis werfen, weil dieser die berühmten „Munizipalnachrichten“ zu schreiben wagte. Auch Széchenyi und Deák wurden von der Zensur verfolgt und mit und nach ihnen die glänzenden Sterne der ungarischen Publizität: Eötvös, Pulßky, Kemény, Szalay, Trefort, Falk, Csengery und Jókai. Fürchterlich ist der brutale Zensor, aber noch weit fürchterlicher der einfältige. Mit beiden Typen wurde Ungarn in der Zeit von 1850-1860 überreich beschenkt. Jene Journalisten, die damals mit der Feder in der Hand für die Freiheit ihres Vaterlandes kämpften, hatten einen schweren Stand. Jedes Wort musste wohlüberlegt werden, denn die Publizitäten wurden ohne Federlesen „eingezogen“ und die Blätter „eingestellt“, wie man unter der Prottmannschen Herrschaft zu sagen beliebte. Der Tagesschriftsteller musste zu Allegorien und Symbolen seine Zuflucht nehmen, gleichsam zwischen den Zeilen schreiben, damit die Patrioten zwischen den Zeilen lesen konnten. „Was er weise verschweigt, darin zeigt sich der Meister des Stils“, behauptet der Dichter, und sicherlich hat die Zensur manches dazu beigetragen, um den journalistischen Stil zu glätten und dabei zu schärfen. Wenn die Zeitungen ergreifende Schilderungen der Schiffer auf den stürmischen Wogen, oder der Reisenden im Kampf mit den Wölfen brachten, die Leser wussten, was damit gemeint war. Schließlich ahnten es auch die Zensoren. Und da ereignete sich ein charakteristischer Zwischenfall, der deutlich zeigt, wessen eine unfähige Zensur fähig ist. Ein Reporter schilderte in seiner Zeitung eine Szene auf dem Wochenmarkt in der Ofner Festung, wo ein störrischer Esel den Verkehr vollständig verhinderte. Der Zensor strich unbarmherzig den Esel. Als der Redakteur gegen den ungerechtfertigten Strich protestierte, schrie ihn der Zensor an: „Oho, mein Lieber, wir wissen schon, wen Sie meinen.“
„Auch Minister sind Menschen!“ versichert zu unserer Beruhigung Börne, und ich möchte hinzufügen, daß auch Zensoren Menschen sind, denen nichts Menschliches fremd ist. So war es zum mindesten im guten alten Pest, allwo die Zensoren ein ungemein lebhaftes Interesse für die Bühne bekundeten und für die Damen des Theaters zumal. Die Theaterkritiken sahen sie durch die Lupe an, und Rezensionen, in denen Schauspielerinnen nicht gelobt wurden, ließen sie nicht passieren. Als einst ein junger, ungemein kritischer Literat deshalb vorstellig wurde, erhielt er den väterlichen Verweis: „Seien Sie froh, daß die Dummheit nicht erschienen ist.“ Wenn man an diese Zeiten zurückdenkt und sie im Geist mit der Zensur der literarischen Terrorbuben des Bolschewismus vergleicht, die nicht nur nicht schreiben ließen, was man schreiben wollte, sondern auch vorschreiben wollten, was man schreiben müsse, kann man wohl behaupten, daß die rote Freiheit von 1919 noch schlimmer war als die schwarze Reaktion von 1850. Ob töricht oder boshaft, ob mild oder wild, ob naiv oder brutal, die Zensur bleibt immer Zensur, und wer ihre Zwecke und Ziele, ihre Einwirkungen und Auswirkungen beobachtet, gewissermaßen eine Zensur der Zensur vornimmt, wird sie für höchst überflüssig halten. Sie hat im besten Fall die Bedeutung eines Parapluies und eines durchlöcherten dazu. Bei schöner Witterung wirkt es komisch und bei Sturm und Wetter nützt es ganz und gar nichts.
Deshalb will ich durchaus nicht gesagt haben, dass jeder Journalist seiner Feder freien Lauf lassen, das heißt mit ihr herumfuchteln soll, wie seine guten und bösen Launen bestimmen. Der Mangel an gewissenhafter Selbstkritik hat schon in früheren Jahren den Zeitungsleuten viele Feinde gemacht. Nach Goethes Aufforderung: „Schlagt ihn tot, den Hund; er ist ein Rezensent!“ erscheint das Wort Schopenhauers von den „Tagelöhnern des Geistes“, die Bemerkung Bismarks über „die Leute, die ihren Beruf verfehlt haben“, und die Kritik Nietzsches über die „papierenen Sklaven des Tages“ noch nachsichtig. Daß manche Journalisten ähnlich manchen Beamten auf dem Standpunkt stehen: Wozu hätte ich die Macht, wenn ich sie nicht missbrauchen kann? sei zugegeben, aber es ist zu bedenken, daß dies doch immer bloß Menschen sind, die geistig und moralisch, intellektuell und ethisch defekt sind. In den jüngsten Budapester Sensationsprozessen hörte man viel von solchen Leuten, und man muß staunen, daß derartige Jämmerlinge in Budapest eine Rolle spielen konnten. Man muß vor allem darüber staunen, daß die Gesellschaft diese Sorte von Journalisten mit besonderer Nachsicht behandelte, Politiker und Künstler, Magnaten und Börseaner ihre Bekanntschaft suchten und dadurch ihren Eigendünkel, ihre Großmannssucht, ihre Dreistigkeit geradezu förderten. Kein Wunder, daß sie in ihren Angriffen gegen Personen, die im öffentlichen Leben standen, oder auch gegen Privatpersonen immer kühner wurden, weniger Anklagen als Verdächtigungen erhoben, eher dem von Jókai geschilderten Lügewacker als dem von Freytag porträtierten Bolz glichen. Mit der Perversität aller minderwertigen Charaktere behaftet, haben solche Menschen ein besonderes Vergnügen daran, makellose Ehrenmänner zu besudeln und wenn möglich in den Morast ihrer Schicht zu ziehen. Kein Staatsmann von Ruf und Bedeutung, kein Schriftsteller von Begabung und Anstand, kurz, kein Ungar von Wert und Würde war vor den Giftpfeilen dieser Feuerfresser und Feuerspeier sicher. Im Gegenteil. Je höher einer stand, desto leidenschaftlicher war das Bestreben, ihn in die Tiefe zu zerren.
Meine Herren! Es ist ein alter Fehler der Budapester Sozietät, daß sie die wirklich wertvollen Persönlichkeiten der ungarischen Journalistik weit weniger kennt als die obenauf schwimmenden Elemente. Der kluge Max Falk sagte mir einmal halb im Scherz und halb im Ernst: „Ich wäre froh, wenn ich in Budapest so populär sein würde, wie mein Polizeiberichterstatter Swoboda.“ Jene Reporter, denen die Aufgabe zufällt, bei Empfängen, Hochzeiten und Leichenbegängnissen die Anwesenden zu verzeichnen, werden von gewissen Leuten umkreist, die auf jedem Jahrmarkt der Eitelkeit ihre kleinen Geschäfte machen wollen. Auch gibt es manchen lieben Mitmenschen, der sich an die Anfänger in den Redaktionen heranpirscht, um ihnen Bären aufzubinden. Man nennt einen solchen Aufschneider in Paris: Fumiste, also Ofensetzer, möglicherweise deshalb, weil er seinen Gegnern einheizt. Denn er schwindelt allerlei Gerüchte und Perfidien in die Zeitungen, kühlt also sein Mütchen an seinen Feinden und oft sogar an seinen Freunden und verfolgt aus seinem Versteck, das Berufsgeheimnis genannt wird, mit diabolischem Vergnügen die Wirkungen der Püffe und Stiche, die er sozusagen im übertragenen Wirkungskreis austeilt. Jedes anständige Blatt kann und muß sein Tor vor Journalisten verschließen, die aus der Lüge ein Gewerbe machen, aber keine Zeitung ist davor gefeit, daß ein Fumiste ihr Kuckuckseier ins Nest legt, aus denen dann die berüchtigten Enten schlüpfen. Auch der Literat kann das Opfer einer Mystifikation werden, doch nur der Illiterat wird bereit sein, durch die Verbreitung von Unwahrheiten der Skandalsucht zu frönen, um daraus Nutzen zu ziehen und weißes, aber dennoch schmutziges Brot zu essen.
Zu Beginn meiner Rede sprach ich von einem meiner besten Freunde (ich könnte ihn nach berühmtem Muster nicht nur als meinen Alter Ego, sondern geradezu als meinen ältesten Ego bezeichnen), und nun zum Schluß will ich wieder seiner gedenken. Als eine bis zum Hals in der Korruption steckende Regierung nach bekanntem Diebsrezept andere als korrupt hinstellen wollte, wurde auch mein Freund beschuldigt, eine Million Kronen als Provision eingestrichen zu haben. Eine Zeitung veröffentlichte diese kühne Unwahrheit. Mein Freund, der die Millionen leider bloß vom Hörensagen kennt und nichts mehr verabscheut als Geschäfteleien, wußte wohl, daß der Dichter der Ansicht ist, eine Krone zu stehlen, sei erhaben, indessen war er der Meinung, eine Million Kronen als unfaire Provision einzusacken, sei nichtswürdig. Er schrieb darüber ein Feuilleton: „Wie man rasch Millionär wird“, das ich Ihnen, meine Herren, zur Lektüre nachträglich empfehle, und strengte einen Preßprozeß an, damit die Verleumder ihre Strafe erhalten. Obwohl er unzählige Male bei den Gerichten urgierte, beschäftigten sich diese nicht mit seiner Sache, die ihm begreiflicherweise eine Ehrensache war. Da kamen die Bolschewisten, und sie erledigten den Fall nach ihrer Manier.
Mein Freund erhielt vom „Revolutionsgericht“ einen Bescheid, wonach das weitere Verfahren eingestellt wurde, weil – ich zitiere wörtlich – „die Diktatur Gnade walten lassen will jenen gegenüber, die sich unter dem alten Regime gegen Proletarier vergangen haben“. Sela! Zu diesem vorläufigen Abschluß ist ein Preßprozeß gekommen, der genau vor einem Jahr eingeleitet wurde! Hätte man da nicht Grund nach der Zensur zu rufen? Ich tue es nicht, denn ich bin der Ueberzeugung, daß wir in Ungarn bei einer Prüfung der journalistischen Verhältnisse, bei einer Zensur der Zensur also zu dem Resultat kommen müssen, daß wir die Zensur nicht brauchen. Deák wollte einst das Preßgesetz in die Worte zusammenfassen: Du sollst nicht lügen! Das könnte wohl genügen, nur müßte für den Fall, als dieses Gebot verletzt wird, Strafsanktionen gesichert sein. Jedes Verbrechen, jedes Vergehen soll an den journalistischen Pranger kommen, aber die Verleumdung und Lüge muß Sühne finden. Mein Vorschlag, meine Herren, ist kurz und einfach der folgende: Jeder Preßprozeß muß innerhalb eines Monats verhandelt werden. Wer öffentlich eine Anklage erhebt, muß deren Richtigkeit auch jederzeit öffentlich beweisen können. Kann er das, dann gebührt ihm Anerkennung; kann er es nicht, dann muß ihm und eventuell demjenigen, der ihn irreführte, vor aller Welt die verdiente Strafe zuteil werden. Ein solch kurzer Prozeß würde auch allen gegen Staat und Religion gerichteten Verhetzungen, überhaupt allen Verdrehungen und Verleumdungen rascher ein Ende bereiten als die strengste Zensur. Vielleicht sogar, indem er Ausschreitungen der Presse verhindert, auch Ausschreitungen gegen die Presse verhindern. Das, meine Herren, wollte ich zu den vielen Enquetereden über die Zensur sagen, obzwar mich niemand gefragt hat. Halten zu Gnaden und nichts für ungut.
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