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Aus dem Pester Lloyd von 2004
Georg Kövary
Erinnerungen an Marika Rökk
Über den Autor Georg Kövary
Sie war ein typisch ungarisches Temperamentbündel. Ein Sprechtalent, das ein Leben lang aufpaßte, ihren magyarischen Akzent nicht zu verlieren. Eine seltene Allroundbegabung: Bühnen- und Filmschauspielerin, Jazz-, Ballett- und Akrobatiktänzerin, Operetten- und Musicalstar, Schlagersängerin, Soubretteprimadonna und Komikerin in einem. Der Liebling von mehreren Generationen. Schon als Elfjährige bewies sie ihre Professionalität in der Tanzkunst. Die Amerikaner nannten sie liebevoll „The little queen of pirouettes“. Den Namen hatte sie sich mit Auftritten am Broadway und einer US-Tournee verdient, bereits mit zwölf gastierte sie im Pariser Moulin Rouge.
Marika Rökk tanzte schon 1913 – und zwar aus der Reihe. Der Prototyp eines Ungarnmädels wurde nicht in Budapest geboren, sondern in Kairo. Der Rökk-Papa war ein bekannter Architekt, doch bekannt wurde er als unermüdlicher Agent seiner Tochter. Kaum ein Jahrzehnt später hatte das Wunderkind beruflich umgesattelt – sie erntete auf der Bühne eines Budapester Theaters einen Bombenerfolg in dem Lustspiel „Vadvirág“ (Wildblume).
Danach wurde sie vom Wunderkind zur Wundererwachsenen. Der Paukenschlag dafür erfolgte in Wien, das Spektakel hieß „Stern der Manege“, u.a. vom österreichischen Kabarettisten ungarischer Abstammung, Karl Farkas. In der Titelrolle gastierte Marika Rökk. Sie spielte, nein, sie war eine Kunstreiterin. Die Produktion machte Furore; das Stück wurde ins Ungarische übersetzt und in der nächsten Saison im Budapester Beketow Zirkus, neben dem Zoo, aufgeführt, mit Marika Rökk an der Spitze. Mein Vater, den ich getrost den ungarischen Karl Farkas nennen darf, trat in jener Produktion als Conferencier auf. Einmal nahm er mich, damals noch ein Kind ohne Wunder, zu einer Nachmittagsvorstellung mit. Bei dieser Gelegenheit machte mich mein Senior mit der neuesten Sensation von Budapest bekannt: Marika Rökk.
Meine nächste Begegnung mit dem inzwischen ungemein populären UFA-Filmstar spielte sich ebenfalls in der ungarischen Hauptstadt ab. Das kam so: An einem Sommervormittag 1944 hatte ich beim Budapester Hans Bartsch Bühnenverlag zu tun. Im Büro fand ich einen der bekanntesten deutschen Filmregisseure dieser Zeit, Georg Jacoby, vor und lernte ihn kennen. Ich wußte über ihn, daß er nicht nur mit dem Kino, sondern auch mit Marika Rökk verheiratet war. Es ergab sich, daß wir den Verlag gemeinsam verließen. Der Meister fragte mich, ob ich Lust hätte, ihn zu begleiten, der Weg nach Hause führte durch das Stadtwäldchen, es böte sich ein herrlicher Spaziergang bei Prachtwetter an. Als junger Spund in der Branche fühlte ich mich geehrt und bald kamen wir ins Fachsimpeln. Der große Jacoby erzählte mir die Komödie, die er gerade drehte, nach einem noch nicht ganz fertigen Drehbuch von Johann von Vaszary. Wenn mir dazu lustige Szenen oder Gags einfielen, sollte ich ihm diese nach Berlin schicken. Ich tat es, doch durch die Kriegswirren und die Post, die damals fast so langsam und unverläßlich war wie heutzutage, kam mein Brief erst an, als der Film bereits gedreht war.
Ach ja, und als wir am anderen Ende des Stadtwäldchens ankamen, öffnete uns die Herrin die Rökk-Villa. Dies war meine zweite Begegnung mit dem Star. Sie verkörperte gerade ihre neueste Rolle. Und „verkörperte“ ist genau das richtige Wort: ich sah eine werdende Mutter vor mir. Rotznase wie ich war, litt ich schon damals nicht unter Minderwertigkeitskomplexen: Gleich nach der herzlichen Begrüßung überschüttete ich sie ungefragt mit mir kürzlich angelesenen Ratschlägen zur Schwangerschaft. Als ich etliche Jahre später Gabriele Jacoby kennenlernte, wollte die Josefstadtschauspielerin sich partout nicht daran erinnern, daß wir uns schon einmal „getroffen“ hatten. Wie vergeßlich doch die Menschen sind...
Nun flüchte ich in ein neues Kapitel. In eine andere Zeit. Eine andere Welt. Wien, Ende 1956. Inzwischen war die Rökk wieder zum erklärten Liebling des deutschen und österreichischen Publikums geworden. Nach einem kurzen Auftrittsverbot 1945, als Krieg und Frieden einander ablösten und ausschließlich die amerikanischen Besatzungsbehörden sie zu Gastspielen einluden, hatte sie unzählige Pirouetten auf Operettenbühnen gedreht. Zum nämlichen Zeitpunkt gastierte sie im Raimundtheater. Ich beschloß, mir die Vorstellung anzuschauen und meine Landsmännin anschließend in der Garderobe aufzusuchen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich den Rökk-Gemahl Nr. 2, den Bühnenregisseur Fred Raul, kennen. Der Zweck meines Besuches: ich hatte eine Filmidee, die ich Marika Rökk auf den berühmten Leib schreiben wollte. Wir besprachen ein Rendezvous zu dritt in einem Café einige Tage später. Dort teilte ich dem Ehepaar meine Story mit. Arbeitstitel: „Die Königin tanzt“. Die Antwort war höflich, aber negativ: „Ich kann es mir nicht mehr leisten, eine Liebhaberin zu spielen!“, sagte die damals 43jährige mir ungewohnter Selbstkritik.
Gescheiterter Film Nummer 2 ereignete sich viele Jahre später. Es lag diesmal nicht an ihr, sondern am Schicksal. Der Plot für eine Fernsehserie, den ich ihr bald telefonisch erzählte, gefiel ihr. Diesmal sollten die Hauptrollen auf zwei Leiber geschrieben werden: die Rökk und ihre Tochter Gaby. Der Titel: „Rökk ’n’ Roll“. Ich sprach einen namhaften deutschen Produzenten an, der von der Idee samt Titel begeistert war und zusagte, die Serie für das ZDF zu drehen. Der Auftrag war perfekt. Etwa eine Woche lang. Dann starb der Produzent plötzlich an einem Gehirnschlag.
Allmählich hatte sich zwischen Marika, meiner Frau und mir eine Freundschaft entwickelt, wir besuchten sie öfter in ihrem Heim in Baden bei Wien. Unsere Gespräche mit der Rökk drehten sich meistens um die Rökk... Als die Proletarierdiktatur in Ungarn immer zahmer wurde und im Ausland bereits den Titel „Gulaschkommunismus“ trug, sah ich die Zeit gekommen, Marika nach Budapest reisen zu lassen und ihren Besuch in einem Fernsehfilm dokumentarisch festzuhalten. Es war mein langgehegter Plan; mehr als einmal hatte ich versucht, ihr die Idee schmackhaft zu machen, aber sie traute sich nicht nach so vielen Jahrzehnten, ihre berühmten Füße auf den Boden der Heimat zu setzen. Bis sie endlich ja sagte. Ich empfahl dem damaligen Leiter der Unterhaltungsabteilung des ORF eine österreichisch-ungarische Koproduktion. Der ORF-Gewaltige war einverstanden und ermächtigte mich, mit dem ungarischen Partner zu verhandeln. Der damalige Direktor des Budapester Operetten-Theaters gab seinen Sanctus, der Großteil der Aufnahmen könnte in seinem Haus gedreht werden. Es sah nach Sieg auf allen Linien aus, wenn nicht knapp vor dem endgültigen Triumph etwas dazwischen gekommen wäre. Der ORF-Mann teilte mir mit, daß er die geplante Produktion streichen müsse – er habe kein Budget mehr dafür.
Das Ende vom Lied war, daß andere die Fäden in die Hand nahmen und Marika als Maritza in ihrer Heimat brachten. Das heißt, sie sang, spielte und – hauptsächlich – tanzte die Titelrolle in der Erfolgsoperette „Gräfin Maritza“. Sie warf ihre Beine wie eh und je, drehte ihre Pirouetten, ließ sich in die Luft werfen... Bei ihrem letzten Auftritt verletzte sie sich an ihren nach wie vor unvergleichlichen Beinen. Danach betrat sie nie mehr die Bretter, die ihre Welt bedeutet hatten...
Sooo bescheiden bin ich nun auch wieder nicht, daß ich diese Memoirensplitter beendete, ohne auf einige Beispiele für gelungene Zusammenarbeit einzugehen. Einmal rief mich Marika an, um mir mitzuteilen, daß eine Anzahl ungarischer Lieder keine deutschen Texte hätten. Ich schrieb bzw. übersetzte die Texte, und die Künstlerin nahm dieselben in ihr Repertoire auf... Ich machte auch mit der allseits Gefeierten ein großes Interview über ihr Leben für den Radiosender Deutsche Welle. MRT, das ungarische Fernsehen, produzierte vor Jahren (die Rökk war noch nicht in Budapest gewesen) eine Rosy Bársony-Gedenksendung, bei der ich auch mitarbeitete, da ich die Rökk-Vorgängerin, ein UFA-Revuestar bis 1933, persönlich gekannt hatte. Der Clou der Sendung war ein Statement der Rökk über Bársony.
Das letzte Mal sah und traf ich Marika im Raimundtheater. Sie gastierte in Paul Abrahams „Ball im Savoy“. Nach der Vorstellung gab es eine Geburtstagsfeier zu ihrem 75. Geburtstag hinter den Kulissen. Danach beschränkte sich unsere Freundschaft auf Telefonanrufe hin und her...
P.S.: Liebe Marika, ich weiß nicht, ob du damals im Trubel der Dich Feiernden meine Glückwünsche gehört hast. Jetzt, aus anderem Anlaß, wünsche ich Dir: mögest du drüben in vielen himmlischen Revuen, Filmen und Musicals die Hauptrollen spielen und in alle Ewigkeit Erfolge genießen. Floskeln wie „Ruhe in Frieden“ vermeide ich lieber..., denn in Frieden zu ruhen paßt nicht zu Dir.
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