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(c) Pester Lloyd / 39 - 2011  WIRTSCHAFT 01.10.2011

 

Stehgreiftheater

Makroökonomische Pausenclowns traumwandeln durch Ungarns Krise

Der Chefberater des Regierungschefs räumt zwar ein, dass man alles “ein wenig optimistisch” sehe, aber ein paar Nachberechnungen würden als Korrektur schon genügen. Der Chef des Hauhsaltsrates findet den Budgetentwurf - trotz gegenteiliger Fakten - angemessen. Warten, beten und predigen scheint die Wirtschafts-Taktik dieser Regierung zu bleiben.

Mihály Varga, wichtigster Berater des ungarischen Ministerpräsidenten in Wirtschaftsfragen und im Range eines Staatssekretärs reagierte auf die in der Fachwelt geäußerten Rezessionsängste für 2012 mit der lapidaren Bemerkung, dass die "makroökonomischen Projektionen der Regierung für 2012 doch schon auf optimistischen Szenarien aufbauen", im Herbst werde man dann noch ein "paar Berechnungen vorbereiten" um "schnell auf eine Änderung der Situation reagieren zu können.", soll heißen: wenn das Wahrscheinliche eintritt.

Man erinnere sich, dass die heutigen Machthaber diese Art traumwandlerischer Haushaltspolitik kürzlich noch zu einer Straftat erklären wollten, zumindest bei den Vorgängern. Immerhin hatte Varga, der heimliche Wirtschaftsminister, nicht weniger gesagt, als dass die Berechnungen nicht stimmen können, da sie auf einem best case scenario aufbauen. Ist das verantwortungsvoll?

Der Haushaltsentwurf 2012 basiert noch immer auf einem angenommenden Wirtschaftswachstum (BIP) von 1,5%, GKI sagte gestern -1% voraus, andere Kollegen pendeln sich bei einer rot-schwarzen Null ein. Das Haushaltsdefizit soll 2,5% nicht überschreiten, die Inflation wird bei 4% belassen. Dazu bedarf es steuerlicher Zusatzmaßnahmen von 900 Mrd. Forint im kommenden Jahr, 1.400 Mrd. Forint ab 2013, sagte das private "Institut für Haushaltsverantwortung", schob aber nach, dass dabei die Auswirkungen der 18%igen Mindestlohnerhöhung (die übrigens keine Reallohnerhöhung für die Betroffenen, sondern nur eine Erhöhung der Abschöpfungsquote von Arbeitgeberanteilen an den Sozialabgaben bedeutet) nicht einkalkuliert sind.

Die neuen Maßnahmen der Regierung brachten bisher 700 Mrd. ein, was klar macht, welche Herkulesaufgabe schon vor dem Land liegt, wenn man nur von den Vorgaben der Regierung ausgeht, bei denen nur eines gewiss ist, nämlich, dass sie nicht eintreten werden. Das war schon 2010 und 2011 der Fall.

Sollte das Wirtschaftswachstum bei 0 landen, bedeutet das ein Haushaltsloch von umgerechnet ca. 3-4 Mrd. EUR zusätzlich, -1% 4-6 Mrd. EUR. Das Budget wäre dann wieder dort, wo es 2008 schon einmal stand, kein Wunder, dass in der internationalen Finanzwelt bereits Gerüchte gehandelt werden, Ungarn müsse sich doch wieder um eine IWF-EU-Kreditlinie bemühen, zumindest für alle Fälle.

Varga meint, dass "nachhaltiges Wachstum nur durch eine Reduzierung der Verletzbarkeit" der Ökonomie erreicht werden kann. Er zählt dazu vor allem die weitere Reduzierung der Staatsausgaben, was stimmt, wir finden aber, dass auch Realitätsverweigerung ein wichtiger Faktor wäre, die unter anderem darin besteht, Wollen und Können nicht mehr unterscheiden zu können. Auf bestimmte Entwicklungen hat diese Regierung einfach keinen Einfluss, was sie nicht anerkennen mag, weshalb das Theater weitergeht und niemand in der Regierung bereit ist einzugestehen, dass die Arbeitsmarkt-, Wirtschaftsförderungs- Steuerpolitik, die man bisher gefahren ist, ein direkter Weg in Richtung Wand ist.

Man sei auf halbem Wege der im "Széll Kálmán" Plan verankerten Restrukturierungs- und Sparmaßnahmen, in der kommenden Zeit komme es vor allem auf die Reformen im Rentensystem, bei den Kommunen und im öffentlichen Verkehr an. Dass die bisher getroffenen Maßnahmen alle eine unsoziale Schlagseite erfahren haben, die sie für die Zukunft nicht haltbar machen kann, erwähnte Varga nicht.

Auch Zsigmond Járai, einst Nationalbank-Chef und hoch angesehener Ökonom hat sich allmählich zum Pausenclwon des makroökonomischen Stehgreiftheaters in Budapest degradiert, seit er den Vorsitz des "neuen" Steuerrates übernommen hatte, einem Gremium, das unerhörte Vollmachten hat, Gesetze anhalten, sogar ein Veto gegen das Budget verhängen kann, wenn bestimmte Regeln nicht eingehalten werden. Dabei geht es jedoch nicht darum, die heutige Regierung mit einem unabhängigen Kontrollorgan zu konfrontieren, sondern zukünftige Regierungen unter der Kontrolle der heutigen zu halten. Entsprechend lang sind die Posten von Orbán persönlich mit parteitreuen Ökonomen besetzt worden. Den vorherigen Rat hatte man aufgelöst, schlicht, weil er die Wahrheit sagte.

Járai, übrigens auch Aufsichtsrat der Zentralbank, behauptete - im Widerspruch zu Varga -, dass die "budgetären Annahmen realistisch niedrig und erreichbar" seien, auf der 49. Konferenz der Ungarischen Ökonomen-Gesellschaft sprach er von einem "realistischen makroökonomischen Pfad" und gab seine Reputation damit endgültig ab. Dabei war gerade er es, der kurz vor Annahme der neuen Position der Regierung noch ordentlich die Leviten las und die Politik als “investorenfeindlich” brandmarkte. Offenbar unterliegen auch die großen System-Ökonomen immer der Parteidisziplin. Planwirtschaft lässt grüßen.

Wir sind schon ganz froh, ein, zwei Tage weder etwas von Nationalwirtschaftsminister György Matolcsy, noch von Fidesz-Fraktionschef János Lázár sowie dem hauptberuflichen Orbán-Versteher-Sprecher Szijjártó dazu gehört zu haben, so haben wir es einmal nur mit zwei sich widersprechenden Regierungsmeinungen zu tun. Offenbar versuchen die anderen sich tatsächlich abzustimmen. Ungarn rutscht gerade in eine neue Wirtschaftskrise, deren Ursachen nur noch zum Teil in der ach so feindlichen und unvorhersagbaren Außenwelt zu finden sind. Sturheit und Dillettantismus der politischen Manager wirken wie Dünger auf das Ungemach aus Eurokrise und Strukturproblemen im Land. Da braucht es wohl eine Weile bis man die "richtigen" Worte dafür findet.

red.

 

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