(c) Pester Lloyd / 05 - 2012
POLITIK 03.02.2012
Der arme Lázárus
Eine Kommune in Ungarn als "Geisel" der Banken
Auch János Lázár, seit 2002 Bürgermeister der südungarischen Stadt Hódmezővásárhely und - nicht ganz nebenbei Fidesz-Fraktionschef im Parlament und
einer der wichtigsten Einpeitscher seiner Partei - tappte, wie Hunderttausende Landsleute, in die „Fremdwährungskreditfalle“. Doch für Kommunen ist die
bevorzugte Ablöse dieser Kredite zu Lasten der Banken oder die zwingende Umwandlung in Forintkredite nicht vorgesehen. Nun geht Lázár auf
Konfrontationskurs mit der Erste Bank und riskiert die Pleite seiner Stadt.
Die Erste Bank in der 50.000-Einwohner-Stadt Hódmezővásárhely hatte kürzlich die
nachdrückliche, schriftliche Bitte der Kommunalverwaltung abgelehnt, die durch Wechselkursschwankungen entstandenen Verluste zu teilen und die Ausstände der Stadt in
einen Forintkredit zu konvertieren. Bereits im Jahr 2006 begab die Kommune fast 700 Anleihen im Wert von je 100.000 Schweizer Franken. Diese bescherten der Stadt zwar zu
Beginn deutliche finanzielle Vorteile, aber im Zuge der Verschlechterung der Währungsparität zwischen dem Ungarischen Forint und dem Schweizer Franken stiegen die
Kosten in astronomische Höhen an. Damals betrug der Forint-Wechselkurs zum Franken noch 174,41, während er im Dezember 2011 bereits bei 251 lag.
János Lázár im Felde. Foto: hodmezovasarhely.hu
In diesem Zusammenhang schien die Lösungsidee zumindest aus dem Blickwinkel Lázárs
einleuchtend, der sich natürlich als Opfer der Finanzwirtschaft sieht, die die Misere hereingeschleppt habe. In einem offenen Brief vom 29.12.2011 an die Erste Bank, die den
Hauptteil der Anleihen stellt, wurde diese dazu aufgefordert, dem Forex-Kreditablösemodell folgend, die in Schweizer Franken notierten
Fremdwährungsanleihen zu einem günstigen Kurs in Forint-Anleihen umzuwandeln. Zudem stellte Lázár dem Generaldirektor der Bank, Radovan Jelašic, ein Ultimatum, falls die Bank
innerhalb eines Monats kein Angebot zur Lösung des Problems offeriere, würde sich die Kommune notfalls an das nationale Parlament wenden und um „Unterstützung bitten“. Das
Gesicht von Erste-Chef Treichl in Wien, dem Ungarn schon lange auf die Nerven geht, kann man sich ausmalen. Entsprechend viel die Antwort aus.
Ultimatum und Gegenultimatum
Die Erste Bank sah das ganz zu recht als Erpressung an, wohlwissend, dass Lázár durchaus
ein mächtiger Mann, ist, immerhin konnte auf seinen alleinigen Zuruf bereits das Verfassungsgericht entmachtet werden. Die Ablehnung brachte Lázár erst recht in
Kampfstimmung und der Bürgermeister forderte die Bürger zum Boykott auf, sie sollten ihre Konten bei der Ersten Bank kündigen. Dumm nur, dass diese selbst oft in
Forex-Krediten gefangen sind, aber keinen so guten Draht nach Budapest haben wie Lázár, weshalb sich die Protestwelle der Bürger in Grenzen hielt.
Kurz vor Ablauf der gesetzten Frist verlangte die Erste Bank in einem Antwortschreiben,
sich ihrer Macht durchaus bewusst, eine Vorauszahlung von 10 Mrd. Forint, rund 33,3 Mio. EUR, die die Stadt aber schlicht nicht hat, bevor ernsthafte Verhandlungen beginnen
könnten. Die Erste muss im Zuge des Forex-Ablösegesetzes rund 200 Mio. EUR Verluste in Ungarn schlucken, alle Banken zusammen, so teilte es der Chef der Bankenvereinigung
heute mit, rund 720 Mio. EUR.
Nun steht die Stadt vor einem schier unlösbaren Problem, dem seitens des Bürgermeisters,
der sich natürlich immer noch keiner Schuld bewusst ist, nicht etwa mit konstruktiven Lösungsvorschlägen begegnet wird. Vielmehr glänzt dieser durch seine bekannte Polemik.
Er sehe das „Ultimatum“ als klares Zeichen, dass die Kommune Hódmezővásárhely nicht als „Partner, dem geholfen werden muss“, behandelt wird, „sondern als Schuldner der als
Geisel gehalten“ werde. „Die Bank missbraucht ihre Überlegenheit gegenüber der sich aufgrund der Schwankungen der Fremdwährungswechselkurse in einer Notlage befindlichen
Kommune, wie sie es auch schon mit den ungarischen Bürgern gemacht hat, welche mit den erhöhten Hypothekenrückzahlungsraten kämpfen müssen“, so Lázár weiter.
Dabei verschweigt er, dass er noch vor einem Jahr das „Geschäft“ mit der Ersten Bank als
außerordentlich lukrativ bezeichnete, wahrscheinlich, ohne die möglichen Risiken im Auge zu haben. Unverständlich scheint nur die Tatsache, dass er sich seit Neustem auf die Seite
der verschuldeten „armen“ Bürger schlägt, hatte er doch 2008 in einer Stadtratssitzung sehr abfällig über arme Menschen und ihr vorbestimmtes Schicksal geäußert. Auch die Anekdote als Lázár vor dem Parlament mit einem 150.000 Euro teuren Sportwagen von
Audi vorfuhr, sich in seiner öffentlich zugänglichen Vermögenserklärung aber quasi als arm wie eine Kirchenmaus präsentierte, haben die Landsleute zur Kenntnis genommen.
Wenn nicht schnellstmöglich eine andere Lösung gefunden werden sollte, steht die Stadt
wohl vor der Pleite. Dabei hatte paradoxerweise Lázár höchstpersönlich die Aussage, dass der ungarische Staat in naher Zukunft seine Schulden nicht zurückzahlen könne, als
vollkommen absurd zurückgewiesen. Nun da seine „eigene Kommune“ kurz davor steht, vertraut Lázár felsenfest auf die Hilfe seiner Fidesz-Parteifreunde, allem voran Orbán.
Scheinbar hat er die absurde Idee, die Gesetze zugunsten der Kommune einfach auf nationaler Ebene „anzupassen“ und so die Erste Bank zur Teilung der entstandenen Kosten
zu zwingen, noch nicht ad acta gelegt.
Lázár wird beim Fidesz übrigens noch eine große Zukunft prognostiziert, zunächst wird
Super-János als Super-Minister gehandelt und den alternden Rétheyli ersetzen. Sogar von "Orbáns Ziehsohn" ist schon die Rede, er wäre dann der erste Kettenhund, der irgendwann
den Platz seines Herrchens einnimmt. Wie auch immer der Streit mit der ERSTE ausgeht, ihren wichtigsten Kunden in der Stadt dürfte die Bank los sein und selbst bei einer Pleite
der Stadt, darf sich der arme Lázárus noch als "moralischer Sieger" fühlen, der es allein gewagt hat, gegen die Allmacht des "internationalen Finanzkartells" aufzustehen.
Antje Lehmann
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